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MENNONITEN Anhänger einer der ältesten frühprotestantischen Kirchen, die zur Zeit der Reformation im 16. Jhd. auf dem Gebiet der Niederlande, in Norddeutschland und in der Westschweiz entstand

Rubrik: Religion

MENNONITEN, Anhänger einer der ältesten frühprotestantischen  Kirchen, die zur Zeit der Reformation im 16. Jhd. auf dem Gebiet der Niederlande, in Norddeutschland und in der Westschweiz entstand. Als eigenständige kirchliche Gruppe wurden die „Mennoniten“ (bzw. „Mennonisten“) -  Anhänger des niederländischen Geistlichen Menno Simons (1496-1561), der in den 30er Jahren des 15. Jahrhunderts vereinzelte Gruppen gemäßigter Wiedertäufer um sich sammelte – erstmals 1545 erwähnt. Einige Forscher vertreten die These, dass es sich bei den Mennoniten um eine religiöse Gruppe deutscher Volkszugehörigkeit handelt. Andere betrachten sie als eigene ethnokonfessionelle Gemeinschaft.

Grundlagen der Glaubenslehre und Organisation:  Zu den Kernpunkten der endgültig 1632 auf der Dordrechter Konferenz kodifizierten mennonitischen Glaubenslehre gehören (neben den allgemeinen protestantischen Prinzipien der individuellen Erlösung  und des „Priestertums aller Gläubigen“) das Sündenbekenntnis, die Bekenntnistaufe (durch Besprenkeln des Täuflings im Raum des Bethauses bei den Altmennoniten, durch Untertauchen bei den Neumennoniten), die Zeremonie des Abendmahls (Brotbrechen) und die Fußwaschung. Das markanteste Glaubensprinzip der Mennoniten ist allerdings ihr religiöser Pazifismus: die Predigt von Demut und Gewaltverzicht sowie die Eidesverweigerung, die in der Verweigerung des Wehrdienstes und anderer staatlicher Dienste Ausdruck fand.

            Hauptform des Gottesdienstes ist bei den Mennoniten die aus der Lesung von Gebeten und der Heiligen Schrift sowie dem Singen geistlicher Hymnen bestehende Betversammlung. Die Gebete haben den Charakter lebendiger Improvisation. Für den Chorgesang nutzen die Altmennoniten Hymnen aus den Liedersammlungen „Gesangbuch“ und „Kirchliche Choräle“ sowie die Psalmen Davids. Die Neumennoniten nehmen Texte aus den Liedersammlungen „Glaubensstimme“, „Heimatklänge“ und „Frohe Botschaft“ und nutzen zuweilen (wie auch die deutschen Baptisten in Russland) die „Zionslieder“.

            Die Mennoniten sehen sich als Gemeinschaft von Auserwählten, weswegen jeder Gläubige vor Gott nicht nur für seine eigene Sitte und Moral, sondern auch für die Reinheit der Seele seiner Glaubensbrüder Verantwortung trägt. Deshalb spielt die kirchliche Disziplin unter den Mennoniten eine extrem große Rolle, die in der weitverbreiteten Praxis Ausdruck fand, Gemeindemitglieder schon für für alltägliche Verfehlungen (Alkoholmissbrauch, Tabakgenuss usw.) zu exkommunizieren, ökonomisch zu boykottieren und aus der Gemeinschaft zu verstoßen.

            Die mennonitischen Gemeinden sind nach dem Prinzip des Kongregationalismus organisiert: Jede Kongregation, die mehrere kleinere Ortsgemeinden mit dem gemeinsamen religiösen Zentrum verbindet, hat das Recht auf völlige innere Selbstverwaltung. Beschlüsse von Vereinigungen der mennonitischen Kongregationen haben empfehlenden Charakter und müssen auf der Vollversammlung jeder mennonitischen Kirche bestätigt werden. Geleitet werden die mennonitischen Kongregationen von den Kirchenältesten und ihren Helfern (Diakone, Prediger, Kirchenlehrer), die die Vollversammlung aus den Reihen ihrer würdigsten getauften Mitglieder wählt. Zu den Aufgaben der Ältesten gehört die Kontrolle über die exakte Einhaltung der Gottesdienstregeln, das moralische Gebaren der Glaubensbrüder und die Durchführung des Schulunterrichts. Die Ältesten verfügen über gewisse disziplinarische Rechte, dürfen Gläubige aber nur mit Zustimmung der Vollversammlung der gesamten Gemeinde exkommunizieren.

            Die Kirchenräte der mennonitischen Gemeinden übten entscheidenden Einfluss auf das Geistesleben und insbesondere die Schulen aus, da die Mennoniten wie alle anderen Protestanten auch dem Einfluss der Schule auf Erziehung und Glaubensfestigkeit große Bedeutung beimaßen. Auch wenn die professionelle Beschäftigung mit Kunst als „sündig“ galt, wurde die Entwicklung der Kirchenmusik und des Gesangs unter der Leitung von der Gemeinde bestellter Lehrer in jeder erdenklichen Weise gefördert.

            Im gesamten Zeitraum ihres Bestehens waren die Mennoniten unabhängig von ihrem jeweiligen Gastland bestrebt, ihre traditionelle Lebensweise und Sprache (Plattdeutsch) zu bewahren und nur innerhalb der eigenen Konfession zu heiraten. So stellen die Mennoniten eine über Jahrhunderte gewachsene ethnokonfessionelle Gemeinschaft mit einer klar ausgeprägten Selbstidentifikation und Abgrenzung gegenüber ihrer Umwelt dar.

            Besondere Bedeutung hat für die Mennoniten die unmittelbar mit dem Streben nach Reinheit der eigenen Reihen verbundene Frage des Umgangs mit anderen Christen. Dabei hat es sich historisch ergeben, dass der flämische und schweizerische Teil der Mennoniten für eine völlige Selbstisolierung und ein strikt „geschlossenes Brotbrechen“ (Gottesdienst) einstand, während der friesische Teil den Umgang mit geistesverwandten Religionsgemeinschaften (insbesondere mit Pietisten und Hutterern) zuließ.

            Alle Mennoniten eint ihre missionarische Aktivität. Im 17.-20. Jahrhundert entstanden erfolgreich tätige Missionen auf der Insel Java, in Indien, Südamerika, Afrika und an anderen Orten. Die russischen Mennoniten gründeten keine eigenen weltweit tätigen missionarischen Organisationen, wirkten aber seit Ende des 19. Jahrhunderts aktiv in den bereits bestehenden Missionen in Indien, Indonesien und in anderen Regionen mit. Angesichts der Tatsache, dass im Russischen Reich jegliche (nicht orthodoxe) religiöse Propaganda unter der christlichen Bevölkerung verboten war, waren die Altmennoniten ausschließlich unter den nichtchristlichen Völkern missionarisch aktiv. Die Neumennoniten betrieben ungeachtet des Verbots heimlich Missionsarbeit und unterstützten ferner die evangelischen Organisationen des russischen Baptistenbundes.

Übersiedlung der Mennoniten nach Russland. Die ersten Mennoniten kamen im Jahr 1789 zusammen mit den von Zarin Ekaterina II. zur Erschließung der nichtbesiedelten Gebiete des Reiches eingeladenen ausländischen Siedlern nach Russland. Angesichts ihrer Doktrin des religiösen Pazifismus – des Grunddogmas des mennonitischen Glaubens – sahen sich die Mennoniten im von Religionskriegen erschütterten Europa des 17.-18. Jahrhunderts heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Infolge von Massenverfolgungen war ein erheblicher Teil der niederländischen Mennoniten gezwungen, zunächst nach Preußen in die Gegend von Danzig, Elbing und Marienburg und später unter dem Druck der militaristisch eingestellten preußischen Könige weiter nach Russland umzusiedeln.

            Die Mennoniten waren mit den im Einladungsmanifest von 1763 für eine Übersiedlung nach Russland angebotenen Bedingungen im Großen und Ganzen einverstanden, entsandten aber 1786-87 Abgesandte nach Russland, um die Details auszuhandeln. Diese arbeiteten mit der russischen Regierung einen Vertrag über die Übersiedlung der Mennoniten aus, der im Januar 1788 unterschrieben wurde. Über die für alle Übersiedler geltenden Bestimmungen hinaus (Befreiung von allen Abgaben für zehn Jahre, Zuteilung eines Landstücks von jeweils 65 Desjatinen pro Familie sowie 500 Rubel für Reisekosten und Ausstattung der Wirtschaft) wurde den Mennoniten die Befreiung von militärischen und zivilen Diensten sowie innere religiöse Selbstverwaltung versprochen. Die Mennoniten wiederum verpflichteten sich, Quartier und Fuhrdienste für durch ihre Siedlungen kommende Truppen bereitzustellen, Straßen und Brücken instandzuhalten und eine Abgabe in Höhe von 15 Kopeken pro Desjatine Nutzland zu zahlen. In späteren Jahren wurden diese Privilegien durch den Gnadenbrief  Pavels I. vom 6. September 1800, das Manifest Aleksandrs I. vom 20. Februar 1804 und den Erlass Nikolajs I. vom 19. November 1838 bestätigt. Die Mennoniten waren allerdings gezwungen, auch einigen Einschränkungen ihrer religiösen Rechte zuzustimmen. So mussten sie sich wie alle „ausländischen Christen“ verpflichteten, auf Missionstätigkeit unter der orthodoxen Bevölkerung des Reiches zu  verzichten, und durften keine Seminare für die Ausbildung von Predigern gründen.

            Im Juli 1789 kamen die ersten 228 mennonitischen Familien in das Gouvernement Ekaterinoslav und gründeten auf dem rechten Ufer des Dnepr in der Nähe der Stadt Aleksandrovsk ihre ersten Kolonien: Chortica, Rosenthal, Einlage, Kronsweide, Neuendorf, Schönhorst, Neuenburg und Insel Chortica. 1793–1796 kamen weitere 118 Familien, die in den bereits bestehenden Kolonien und zum Teil in den Kreisen Novomoskovsk und Aleksandrovsk angesiedelt wurden. In den folgenden Jahren wurde der Bezirk weiter besiedelt: 1823 wurden dort die Kolonien Neuhorst und Schönwiese und im Kreis Novomoskovsk die Kolonie Kronsgarten sowie vier Kolonien im Kreis Mariupol' gegründet.

            Angesichts häufiger Missernten, Viehsterbens während der harten Winter und des steinigen Bodens befanden sich die Kolonien laut einem Bericht von I. Kontenius aus dem Jahr 1799 in einem „unzureichenden Zustand“. Deshalb siedelte die Regierung im Jahr 1800 150 Familien an den Fluss Moločna im Gouvernement Taurien um und stattete sie mit bis zu 120.000 Desjatinen Land aus. Das im Bezirk Chortica gelegene Land (bis zu 35.000 Desjatinen) wurde den dort verbleibenden Kolonisten zum Teil als Parzellen zugeteilt, zum Teil als Reserve für noch kommende Siedler zur Verfügung gestellt. Im Verlauf der Jahre 1803–1806 kamen noch weitere ungefähr 365 mennonitische Familien, die Anfang 1804 am Fluss Moločna angesiedelt wurden, wo in der Zeit von 1804 bis 1822 insgesamt 27 mennonitische Siedlungen entstanden – Halbstadt, Tiegenhagen, Schönau, Fischau, Lichtenau, Blumstein, Münsterberg, Altona, Tiege, Ohrloff, Blumenort, Muntau, Ladekopp, Petershagen, Rosenort, Schönsee, Rückenau, Lichtenfeld, Alexandertal, Schnappau, Pordenau, Mariental, Rudnerweide, Franztal, Pastwa, und Grossweide.

            1835 wurde dem Bezirk Chortica aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums ein neues im Kreis Aleksandrovsk gelegenes Landstück zugewiesen, auf dem in den Jahren 1836–1852 145 junge Familien fünf neue Kolonien (Bergthal) aufbauten, die 1852 endgültig von der Chorticer Bezirksverwaltung abgetrennt wurden und einen dritten mennonitischen Bezirk bildeten, der später Bezirk Mariupol' genannt wurde. 1836–1866 ließen sich aus Preußen kommende Vertreter der Gnadenfelder altflämischen Gemeinde auf den nach der Umsiedlung der Duchoborcen in den Kaukasus freigewordenen Ländereien nieder und gründeten im mennonitischen Bezirk Moločna den aus 14 Siedlungen bestehenden neuen Amtsbezirk Gnadenfeld.

            Von 1854 an siedelten sich Danziger, Marienburger und Elbinger Mennoniten im Gouvernement Samara an, zunächst im Bezirk Novouzensk (Am-Trakt) und später im Bezirk Samara (Alexandertal). Bis zur Ankunft der letzten Gruppe im Jahr 1874 wurden 16 Kolonien gegründet, in denen insgesamt 500 Familien lebten.

            Darüber hinaus gründeten nach Russland übergesiedelte preußische Mennoniten auch die Kolonien Michalin im Gouvernement Kiev und Karlswalde im Gouvernement Wolhynien. Insgesamt kamen in den Jahren 1788-1870 etwa 2.300 mennonitische Familien bzw. 10.000 Personen aus Preußen und Danzig nach Russland. Außerdem wurden in den Jahren 1801–1861 in Wolhynien (bei den Städten Dubno und Novograd-Volynskij) von Schweizer Mennoniten zehn weitere Kolonien gegründet.

            Parallel zum sowohl durch weiteren Zuzug als auch durch natürliches Wachstum bedingten Bevölkerungswachstum nahmen die mennonitischen Siedlungen sowohl ökonomisch als auch sozio-kulturell eine rasante Entwicklung. Alle mennonitischen Ländereien befanden sich ohne Recht auf Veräußerung an Dritte in ewigem Erbbesitz der gesamten Kolonie und wurden ohne Aufstückelung auf die Höfe verteilt. Den Hof erbte jeweils nur einer der Söhne, während die anderen ausgezahlt wurden, um eine Ausbildung zu machen oder einen eigenen Hof zu erwerben. Angesichts der hohen Geburtenrate unter den Mennoniten hatte dies in den Kolonien allgemein und insbesondere im Bezirk Moločna ein schnelles Anwachsen der Zahl der Landlosen zur Folge. Auch eine Änderung des Erbrechts im Jahr 1866, die eine Aufstückelung der Landstücke erlaubte, und die Verteilung der Reserveländereien konnten das Problem als solches nicht lösen. Für eine gewisse Entspannung der Lage sorgte lediglich die Tatsache, dass nach den Reformen von 1861 zahlreiche Gutsbesitzerländereien in den freien Verkauf kamen, die die Mennoniten auf dem Gebiet des gesamten Russischen Reiches (Ost- und Westsibirien u.a.) aktiv aufkauften, um dort sowohl neue Kolonien als auch Einzelgehöfte zu gründen. So gründeten Übersiedler aus Chortica und von der Moločna im Gouvernement Orenburg 22 neue Kolonien, die im Jahr 1916 fast 5.000 Einwohner hatten.

            Insgesamt lebten Ende des 19. Jahrhunderts etwa 66.400 Mennoniten beiderlei Geschlechts im Russischen Reich, die sich vor allem in den Gouvernements Ekaterinoslav, Taurien und Samara konzentrierten. Die größten mennonitischen Siedlungen waren Ende des 19. - Anfang des 20. Jahrhunderts Chortica (1.800 Einwohner), Rosenthal/ Kancerovka (1.226 Einwohner), Neuendorf/ Širokoe (1.121 Einwohner), Osterwik/ Pavlovka (3.100 Einwohner) und Einlage/ Kičkass  (1.258 Einwohner) im Kreis Aleksandrovsk (Gouvernement Ekaterinoslav) sowie Halbstadt (915 Einwohner) und Waldheim (946 Einwohner) im Kreis Berdjansk (Gouvernement Taurien).

 

Das Leben der Mennoniten im Russischen Reich. Die meisten in Russland lebenden Mennoniten waren in der Landwirtschaft tätig (Ackerbau, Viehzucht, Obst- und Gemüseanbau und andere Bereiche). Dank ihrer Erfolge in der Landwirtschaft konnten viele mennonitische Familien erhebliches Finanzkapital aufbauen, mit dem die landlosen Söhne und deren Nachfahren insbesondere im Bereich des Landmaschinenbaus und des Mühlengewerbes Gewerbebetriebe aufbauen konnten. Zentren des mennonitischen Gewerbes wurden Städte wie Aleksandrovsk, Ekaterinoslav, Millerovo, Berdjansk, die Kolonie Halbstadt und insbesondere die Kolonie Chortica, wo etwa 30% aller größeren mennonitischen Betriebe konzentriert waren. Eine Form der Kapitalkonzentration war die Entwicklung des Versicherungsgewerbes in Form von Waisenkassen, Solidaritätskassen usw. 1867 schlossen sich die Mennoniten der Bezirke Moločna, Chortica und Mariupol' zur „Genossenschaft der gegenseitigen Feuerversicherung“ zusammen, die über ein Gesamtkapital von 6,5 Mio. Rubeln verfügte. Anzumerken ist allerdings, dass sich die Konzentration von Finanzkapital bei den Mennoniten vergleichsweise langsam vollzog, da sie nicht zuletzt infolge der allmählichen Aufstückelung der in den Kolonien gelegenen Landstücke an traditionellen Formen der Landwirtschaft festhielten. 1914 gehörte nur ein Drittel der mennonitischen Unternehmen in Landwirtschaft und Gewerbe zu den Großunternehmen. Parallel zur ökonomischen Entwicklung und der persönlichen Wohlstandssteigerung der Mennoniten kam es in den mennonitischen Gemeinden auch zu einem sozialen und kulturellen Aufschwung, der vor allem im Auf- und Ausbau eines starken Bildungssystems sowie in der Gründung medizinischer Einrichtungen, öffentlicher Bibliotheken usw. Ausdruck fand. Die wichtigsten Zentren der mennonitischen Kultur waren die Kolonien Chortica, Gnadenfeld, Ohrloff und Halbstadt (an der Moločna).

            Einen besonders starken Impuls gab deren Entwicklung die Organisations- und Bildungsarbeit von Johannis Cornies. Pioniere im Bereich des Auf- und Ausbaus des Bildungssystems waren die Lehrer Tobias Fot, Heinrich Heese, Heinrich Franz 1. und Friedrich Wilhelm Lange. Die ersten nicht vollständigen Zentralschulen wurden in Ohrloff, Gnadenfeld und Chortica gegründet. Die Entwicklung des Schulsystems stand im Fokus der Aufmerksamkeit aller Mennoniten, da die Schule vor allem dazu berufen war, die junge Generation im Glauben zu erziehen und zu festigen. Deshalb standen Sitte und Moral sowohl in den Klassen als auch auf Seiten der Lehrer unter der Kontrolle der gesamten mennonitischen Gemeinde und insbesondere der Kirchenältesten, die die Mehrheit der Mitglieder der Schulräte stellten.

            Vor gewisse Schwierigkeiten stellte die mennonitischen Schulen in den Jahren 1870-90 die intensive Russifizierungspolitik der „andersstämmigen“ Bevölkerung im Russische Reich (mit Ausnahme des Religionsunterrichts musste der gesamte Unterricht entsprechend dem allgemeinen russischen Lehrplan in russischer Sprache erfolgen). Aber ungeachtet der damit verbundenen Probleme entwickelte sich das mennonitische Schulsystem weiter. In den 1870–80er Jahren wurden in den mennonitischen Kolonien Halbstadt (Moločna) und Tempelhof (Kaukasus) klassische Progymnasien eröffnet. Außerdem rief die Forderung der russischen Behörden, Jungen und Mädchen getrennt zu unterrichten, zwar einerseits heftigen Unmut unter den Mennoniten hervor, da dies der alten mennonitischen Tradition der Koedukation direkt entgegenlief, gab aber andererseits den Impuls zur Entwicklung eines ganzen Netzes von Mädchenschulen. Ende des 19. Jahrhunderts strebte die mennonitische Jugend in immer größerer Zahl nach höherer Bildung. So studierten 1914 allein in St. Petersburg über 70 Mennoniten an unterschiedlichen Hochschulen. Die ersten russischen Mennoniten, die einen Hochschulabschluss machten, waren die Brüder Jakob (Arzt) und Johann (Ingenieur) Esau.

            Ein drängendes Problem stellte die Frage der qualifizierten theologischen Ausbildung der Prediger und Kirchenältesten dar, da es den Mennoniten verboten war, eigene religiöse Lehranstalten zu gründen. Deshalb absolvierten die Predigeranwärter bei den Altmennoniten ihr Theologiestudium an der Missionsschule in Barmen (Deutschland), im Seminar in St. Chrischona bei der Basler Mission und an den Theologischen Fakultäten der Universitäten Basel und Tübingen. Die neumennonitischen Prediger studierten am baptistischen Seminar in Hamburg sowie an der „Allianz“-Bibelschule in Berlin.

            Insgesamt war mennonitische Bevölkerung unabhängig vom Geschlecht 1917 vollständig alphabetisiert, was einen der besten Werte unter der Bevölkerung des Russischen Reichs darstellte.

            Das sozio-politische Leben der Mennoniten im Russischen Reich wurde in vielerlei Hinsicht durch ihre traditionelle Lebensweise bestimmt, die sich bereits in den Anfangsjahren ihres Bestehens im 16. Jahrhundert herausgebildet hatte. Ihre Grundlage bildete der religiöse Glaube, der die Beziehungen der Mennoniten sowohl zur Außenwelt als auch untereinander bestimmte.

            Bis 1876 wurden alle die weltlichen Behörden des Russischen Reichs betreffenden Angelegenheiten der Mennoniten durch das Fürsorgekomitee entschieden. Später wurden sie, wenn sie nicht unter die Jurisdiktion der Gouvernementsbehörden fielen, unmittelbar dem Departement für ausländische Bekenntnisse des Innenministeriums übertragen. Über den Bau neuer Bethäuser entschieden die Gouverneure in Abstimmung mit den örtlichen orthodoxen Diözesanbischöfen, und im Fall von Meinungsverschiedenheiten der Innenminister in Abstimmung mit dem Ober-Prokurator der Heiligen Synode. Hatten die Kirchenältesten in ihren Gemeinden in den Niederlanden, in Preußen und in der Schweiz noch über die volle Entscheidungsgewalt in religiösen Fragen verfügt, kam es im Zuge der Übersiedlung nach Russland zum Aufbau einer parallelen Organisation der dörflichen Selbstverwaltung, was in den mennonitischen Kolonien zahlreiche Konflikte und Machtkämpfe zwischen den geistlichen und den weltlichen Gemeindeführern provozierte. So kam es 1812–1819 zu einer Spaltung der mennonitischen Gemeinde an der Moločna, als sich unter Führung von Klaas Reimer die sogenannte „Kleine Gemeinde“ abspaltete, deren Vertreter sich weigerten, an der Wahl der Angestellten der Dorfgemeinde teilzunehmen (siehe: Kleine Gemeinde).

            Im Unterschied zur weltlichen Macht verfügten die Kirchenältesten nur über begrenzte Möglichkeiten, disziplinierende Maßnahmen zu ergreifen. Um ihren Einfluss zu stärken, organisierten sie deshalb als Beratungsorgan der Kirchenältesten im Jahr 1851 einen Kirchenkonvent, der die mennonitischen Gemeinden gegenüber der Regierung repräsentierten sollte und über gewisse disziplinarische Vollmachten verfügte. Die Gründung eines solchen Organs der Kirchenverwaltung stieß bei zahlreichen einfachen Mennoniten auf Kritik, die in einem solchen Schritt eine Beschneidung ihrer Rechte und Machtanmaßung sahen.

            Eine weitere Besonderheit des mennonitischen Lebens in Russland war die Gründung von Organen der (kirchlichen und dörflichen) Selbstverwaltung. Während in den Kirchenversammlungen alle getauften Mitglieder stimmberechtigt waren, galt dies auf den Dorfversammlungen nur für die „Vollwirte“, aus deren Reihen auch die Dorf- und Kirchenältesten gewählt wurden. Auf diese Weise waren die landlosen Söhne und deren Nachkommen unabhängig von ihrem Bildungs- und Besitzstand in ihren sozialen und religiösen Rechten eingeschränkt. Mit steigender Zahl der Landlosen bildete eine solche Ungerechtigkeit den Nährboden für tiefgehende Konflikte innerhalb der mennonitischen Gemeinden in Russland, die sich vor allem im religiösen Leben der mennonitischen Gemeinden spiegelten.

            Nach ihrer Übersiedlung nach Russland gründeten die Mennoniten an ihren Siedlungsorten große Kongregationsgemeinden, von denen sich später in allen neu gegründeten Siedlungen (und in den Städten) Tochtergemeinden abzweigten. Bei der Ansiedlung fand auch der alte Konflikt zwischen friesischen und flämischen Mennoniten Berücksichtigung. So wurden die Gemeinden der friesischen Minderheit in eigenen Siedlungen angesiedelt, in denen entsprechende Kongregationen gegründet wurden: Kronsweide in Chortica, Rudnerweide an der Moločna. Die aus Preußen an die Moločna gekommenen Vertreter der dritten (altflämischen) Richtung innerhalb des Mennonitentums, die den friesischen Gemeinden näherstanden und den Umgang mit anderen Christen tolerierten, gründeten in  Alexanderwohl (1821), Gnadenfeld (1835) und Waldheim (1836) drei Kongregationen.

            Die friesischen Gemeinden, die „anderen“ Christen und insbesondere den Hutterern,  Herrnhutterern und Pietisten gegenüber traditionell toleranter eingestellt waren, begrüßten sowohl die Tätigkeit der ausländischen evangelischen Christen als auch die Anstrengungen der die Idee der christlichen Wiedergeburt (siehe Pietismus) und der  Ökumene predigenden Russischen Bibelgesellschaft (1813–1826). Derartige Aktivitäten stießen allerdings, ebenso wie die Bestrebungen der russischen Behörden, die Mennoniten stärker in die gesamtrussische Gesellschaft zu integrieren, bei einem Teil der „flämischen“ Mennoniten auf entschiedene Ablehnung, die eine strenge Kirchendisziplin und die geistliche und weltliche Selbstisolation von der „sündigen“ Welt befürworteten. Infolge dieses Konflikts kam es 1823 in den großen „flämischen“ Gemeinden Tiege und Halbstadt an der Moločna zur Spaltung. Die die ökumenischen Aktivitäten der Bibelgesellschaft ablehnenden „Flamen“ schlossen sich um den Gemeindevorsteher Jakob Warkentin zusammen, während die übrigen Gemeindemitglieder (etwa ein Viertel der früheren Gemeinde) die Kongregation Ohrloff gründeten.

            Nach der Schließung der Russischen Bibelgesellschaft im Jahr 1826 waren es (neben der aus dem Ausland eingeführten Literatur) vor allem die von ihrem Studium in Deutschland (dem Zentrum des europäischen Pietismus im 19. Jahrhundert) zurückkehrenden jungen Kolonisten sowie Emigranten und Übersiedler aus Deutschland (insbesondere Vertreter der Gnadenfelder mennonitischen Gemeinde) und an die Wolga umgesiedelte Mennoniten,  die unter den Mennoniten neopietistische Ideen verbreiteten.

            In den 1840–50er Jahren war der Einfluss der Pietisten (und insbesondere des Pastors E. Wüst) deutlich zu spüren. Es wurden „fromme“ Zirkel gegründet, deren Aktivitäten zunächst auch von vielen Dorf- und Gemeindevorstehern unterstützt wurden. Als sich die Bewegung allerdings radikalisierte und zunehmend gegen die „Versteinerung“ des Glaubens zu richten begann, kam es in den 1850–60er Jahren in den mennonitischen Kolonien zu innerreligiösen Konflikten, die schließlich in vielen Kirchengruppen zur Spaltung führten. Die Unterstützer der traditionellen Orientierung wurden „Altmennoniten“, die neopietistischen Gruppierungen „Neumennoniten“  genannt (Hüpfer, Brüdermennoniten, Freunde Jerusalems (Templer), Kirche des Exodus, Brotbrecher, Kirche der Allianz). Bei dem Konflikt zwischen den Anhängern der „alten“ und der „neuen“ Kirche ging es vor allem um mennonitische Rechte und Privilegien sowie die Frage, wer als wahrer Nachfolger Mennos gelten könne. Die Vertreter der alten Kirche betrachteten die Neumennoniten als Glaubensabtrünnige, die gegen die Bestimmungen des Einladungsmanifests Ekaterinas II. verstießen, und wiesen in ihren Eingaben an die Behörden immer wieder darauf hin, dass die Neumennoniten aktiv unter der orthodoxen Bevölkerung missionierten. Immer wieder kam es zwischen alter und neuer Kirche zu offenen Konflikten, was wiederum aktive Migrationsprozesse im mennonitischen Milieu nach sich zog.

            Die zahlenmäßig größte und einflussreichste neumennonitische Gruppe waren die Brüdermennoniten, die sowohl innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft als auch unter den Angehörigen anderer Konfessionen eine besonders aktive Missionierungspolitik betrieben. 1917 hatten sie 7.000 aktive und 17.000 ihnen nahestehende Mitglieder, die in 40 Gemeinden zusammengeschlossen waren und etwa ein Fünftel aller in Russland lebenden Mennoniten stellten.

            In den 1870er Jahren verloren die Mennoniten infolge der Kolonistenreform ihren Status als ausländische Siedler und das entsprechende Recht auf innere Selbstverwaltung. Im Zuge der Militärreform wurde zudem auch ihr Recht auf Befreiung vom Wehrdienst aufgehoben. Auch wenn den Mennoniten aufgrund von Artikel 158 des Statuts über die Wehrpflicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, einen nichtmilitärischen Ersatzdienst in Feuer- und Waldkommandos zu leisten, hatte eine solch eklatante Verletzung ihrer durch das Einladungsmanifest garantierten Rechte zur Folge, dass die Mennoniten massenhaft nach Nordamerika emigrierten. So verließen alle in den Gouvernements Wolhynien und Kiev lebenden schweizerischen und preußischen Mennoniten Russland. Etwa 1.800 Familien emigrierten 1876 aus den Gouvernements Taurien und Ekaterinoslav. Insgeamt kehrten bis 1880 etwa 18.000 Personen Russland den Rücken und wanderten nach Amerika aus.

            Infolge des in den 1870-80er Jahren in Südrussland einsetzenden rasanten ökonomischen Aufschwungs (der Region der kompaktesten Siedlungsgebiete der russischen Mennoniten) wurde die Selbstisolierung der Mennoniten von der sonstigen Bevölkerung des Russischen Reichs allmählich aufgebrochen. Ab den 1880er zogen vermehrt orthodoxe Land- und Industriearbeiter in die Kolonien. Und auch die Mennoniten selbst begannen, sich immer intensiver am öffentlichen und sogar am politischen Leben der russischen Gesellschaft zu beteiligen.

            Besonders aktiv war in dieser Hinsicht die mennonitische Stadtgemeinde in Ekaterinoslav, eine Tochtergemeinde der kirchenmennonitischen flämischen Kongregation. So war der Ingenieur J. Esau nicht nur mehrere Jahre in der städtischen Duma aktiv (zusammen mit den Mennoniten P. Heese und I. Thyssen), sondern 1904-1909 sogar Stadtoberhaupt von Ekaterinoslav. Der Großgrundbesitzer G. Bergman arbeitete viele Jahre im Ekaterinoslaver Kreis- bzw. Gouvernementszemstvo und war später als Abgeordneter des Gouvernements Ekaterinoslavs Mitglied der  III. und IV. Staatsduma.

            Einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Mennoniten hatten Ende des 19. - Anfang des 20. Jahrhunderts die zunehmenden antideutschen Stimmungen im Russischen Reich. Hatte die russische Regierung zuvor gegenüber den ausländischen Christen eine grundsätzlich tolerante Politik verfolgt (und z.B. 1876, 1879 bzw. 1881 alle neumennonitischen Gruppierungen gesetzlich anerkannt), ließ sich um die Jahrhundertwende eine Tendenz zur Revision der Religionsgesetze beobachten. Die anvisierte Änderung des Status der Mennoniten von einer ausländischen Konfession zu einer erlaubten Sekte hätte den Mennoniten nicht nur das Recht genommen, Gymnasien zu gründen (das sie in den 1880er Jahren erwirkt hatten), sondern auch zweiklassige Oberschulen zu eröffnen, neue Bethäuser zu bauen und neue Kongregationen zu gründen. So sah sich die mennonitische Gemeinschaft angesichts der ständig drohenden Gefahr von außen gezwungen, sich nach innen zu konsolidieren.

            Mit diesem Ziel wurden ab 1883 Allgemeine Bundeskonferenzen der Mennonitengemeinden in Russland einberufen, auf die de facto ab 1906 und offiziell ab 1910 auch die Brüdermennoniten eingeladen wurden, die sich 1872 in einer eigenen Organisation zusammengeschlossen hatten. Von größter Bedeutung für die Vereinigung aller mennonitschen Konfessionen in Russland war eine am 26.–27. November 1910 in der Kolonie Schönsee (Kreis Berdjansk) einberufene Konferenz, auf der die Brüdermennoniten ein Drittel der Delegierten stellten. Gegenstand der Diskussionen waren die von den mennonitischen Gemeinden in Russland formulierten Leitlinien zur Klärung einiger Punkte der „Kurzen Erklärungen“ und des „Gesetzesprojekts über religiöse Gemeinschaften und Gemeinden“ vom 4. Oktober 1910 sowie die Gründung der psychiatrischen Klinik „Bethanien“ und einer Schule für Taubstumme in Tiege u.a. Die Konferenz legte den Grundstein für die offizielle Zusammenarbeit von Kirchen- und der Brüdermennoniten. Just hier wurde die „Glaubenskommission“ gegründet, die als „Kommission für kirchliche Angelegenheiten (КfК)“ später zu einer wichtigen Interessenvertretung der Mennoniten gegenüber der Regierung werden sollte. Der Kommission gehörten die Kirchenmennoniten  A. Herz (Ohrloff) und D.Ch. Epp sowie der Brudermennonit G. Braun an.

            Eine wichtige Rolle spielten im öffentlichen Leben der Mennoniten die Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten Zeitungen „Die Friedenstimme“ (1903) und „Der Botschafter“ (1905), auf deren Seiten aktiv wissenschaftliche Fragen erörtert wurden, die die mennonitische Gemeinschaft bewegten. Die angespannte Lage löste unter den Mennoniten eine Welle des Interesses für die Erforschung der eigenen Geschichte aus. So gab der 1908 in Halbstadt gegründete Verlag „Raduga“ die berühmten Werke von P.M. Friesen und F. Isaak zur Geschichte der Mennoniten heraus.

            Der Revolution von 1905-1907 begegneten die Mennoniten eher skeptisch, da die Losungen ihrer linksradikalen Protagonisten (Sozialrevolutionäre, Bolschewiki usw.) ihr Eigentumsrecht in Frage stellten. Zugleich begrüßten sie das Manifest vom 17. Oktober 1905, das neben anderen demokratischen Freiheiten auch das Prinzip der Gewissensfreiheit verkündete. Insgesamt galten die politischen Sympathien der meisten Mennoniten eher den demokratischen Programmen der Mitte-Rechts-Parteien (Kadetten, Oktobristen).

            Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs setzte in Russland eine großangelegte antideutsche Kampagne ein, die auch die Mennoniten in vollem Umfang traf. In den mennonitischen Kirchen und Schulen wurde der Gebrauch der deutschen Sprache verboten, mennonitische Periodika mussten ihr Erscheinen einstellen und ihr Land- und sonstiger Großbesitz fiel in den Wirkungsbereich der sogenannten Liquidationsgesetze. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass zu diesem Zeitpunkt 13.000 Mennoniten selbstlos im Rahmen ihrer Kräfte ihre staatsbürgerlichen Pflichten erfüllten: 7.000 von ihnen arbeiteten als Sanitäter, 6.000 in Waldarbeitskommandos. Außerdem führten einige mennonitische Großunternehmen erfolgreich Großaufträge der Militärbehörden aus. Im Bemühen, den Liquidationsgesetzen zu entgehen, wandten sich die Mennoniten mehrfach an die höchsten Instanzen des Russischen Reichs, um auf ihre holländische Herkunft zu verweisen. Aber diese Versuche waren nicht von Erfolg gekrönt.

Die russischen Mennoniten in sowjetischer Zeit. Die Februarrevolution von 1917 wurde von den meisten Mennoniten begrüßt. Die von der Provisorischen Regierung ausgerufenen demokratischen Freiheiten (Gleichberechtigung aller Bürger Russlands, Rede-, Gewissens-, Presse- und Vereinigungsfreiheit usw.) entsprachen ihren politischen Idealen. Im Frühjahr 1917 setzte die Provisorische Regierung zudem die Umsetzung der Liquidationsgesetze aus (hob sie allerdings nicht gänzlich auf) und setzte das Verbot der Herausgabe deutscher Presseerzeugnisse außer Kraft. Allerdings kam von der neuen Führung keine Erklärung über die politische Rehabilitation der Russlanddeutschen (einschließlich der Mennoniten).

            Mit dem Ziel, Maßnahmen zum Schutz der mennonitischen Interessen auszuarbeiten und drängende innere Probleme zu lösen, kam im August 1917 in der Kolonie Ohrloff an der Moločna ein allgemeiner Mennonitenkonvent zusammen, auf dem Bevollmächtigte aller Mennonitengemeinden Russlands vertreten waren. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die Agrar- und die Schulfrage, Probleme der organisatorischen Vereinigung der mennonitischen Gemeinden usw.

            Mit Beginn der Oktoberrevolution 1917 spitzte sich die politische Lage im Land dramatisch zu und mündete schon bald in den Bürgerkrieg, der die Mennoniten wie alle anderen Bevölkerungsschichten auch in seinen Strudel zog. Ihre an Getreide, Vieh und sonstigem Besitz reichen Siedlungen wurden zum Objekt der Begierde für Requisitionen und Plünderungen von Seiten der zahlreichen revolutionären militärischen und politischen Gruppierungen oder auch schlicht von kriminellen Banden. In der Ukraine hatte die Wirtschaft der Mennoniten vor allem unter den Aufstandstruppen N. Machnos schwer zu leiden. Die Besetzung der Ukraine durch deutsche und österreich-ungarische Truppen im Frühjahr 1918 setzte Plünderungen und Mord in den mennonitischen Kolonien nur vorübergehend ein Ende. Um sich in Zukunft vor Angriffen Machnos zu schützen, schlug das deutsche Kommando vor, in jedem Dorf örtliche Selbstschutzeinheiten aufzubauen, deren Gründung allerdings in Widerspruch zu einem der Grundpostulate des mennonitischen Glaubens stand – der Weigerung mit der Waffe in der Hand Wehrdienst zu leisten. Deshalb wurde diese Frage auf einer eigens in der Kolonie Lichtenau einberufenen mennonitischen religiösen Konferenz der allgemeinen Erörterung unterzogen. Ungeachtet der kategorischen Weigerung der meisten Prediger, die Gründung von Selbstschutzeinheiten zu billigen, verabschiedete die Konferenz eine Resolution, die eine Kompromisslösung darstellte: Zwar sollten die mennonitischen religiösen Gemeinden als Ganzes auch weiterhin am Dogma des Gewaltverzichts festhalten, doch sollte jeder Mennonit individuell frei entscheiden dürfen, zum Selbstschutz zur Waffe zu greifen. Infolge dieses Kompromisses wurden in vielen mennonitischen Kolonien Selbstschutzeinheiten gegründet, die die Angriffe der Truppen Machnos nach dem Abzug der deutschen und österreichischen Truppen zunächst erfolgreich zurückschlagen konnten (Ende Dezember bis Anfang März 1919 an der Moločna, im Februar 1919 in den Chorticaer Kolonien). Als sich Machno allerdings mit der Sowjetmacht zusammentat, wurde der Widerstand des mennonitischen Selbstschutzes gebrochen. Allein an der Moločna fielen im Frühjahr 1919 über 100 Personen den Truppen Machnos und der Roten Armee zum Opfer, bei denen es sich größtenteils um Zivilisten handelte. Mit dem Vormarsch der Armee General Denikins in die Ukraine traten die aktivsten Mitglieder des Selbstschutzes dieser als Freiwillige bei. Der größte Teil der mennonitischen Bevölkerung versuchte aber, sowohl in der Ukraine als auch im Wolgagebiet und in Sibirien in den Jahren des Bürgerkriegs politische Neutralität zu bewahren. Nichtsdetotrotz wurden allein in der Ukraine im Herbst 1919 mehrere Siedlungen von den Truppen Machnos vollständig ausgelöscht und über 500 Personen getötet.

            Nach dem Ende des Bürgerkriegs war die Wirtschaft der mennonitischen Gemeinden faktisch zusammengebrochen: Der Vieh- und Pferdebestand war dramatisch dezimiert, die Saatfläche stark zurückgegangen. Die meisten Unternehmen des Landmaschinenbaus und der verarbeitenden Industrie waren zerstört oder stillgelegt. In den Mutterkolonien kamen zahlreiche Flüchtlinge aus den zerstörten Tochterkolonien und von Einzelgehöften zusammen. Infolge von Getreidebeschlagnahmungen und Enteignungen waren fast alle Lebensmittelvorräte aufgebraucht. Durch Dürren wurde die ohnehin verzweifelte Lage der Mennoniten im Wolgagebiet (Sommer 1920) und in der Südukraine (Sommer 1921) weiter verschlechtert, was schließlich zur Hungersnot führte. In den Kolonien Chortica und an der Moločna in der Ukraine hungerten etwa 75 bis 100 % der Bevölkerung. Allerdings war die Zahl der Hungertoten unter den Mennoniten im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung relativ niedrig, da sie rechtzeitig umfangreiche Hilfsleistungen von Seiten ausländischer Hilfsorganisationen (American Mennonite Relief und Deutsche Mennonitenhilfe) erhielten.

            Mit Einführung der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) erholte sich die mennonitische Wirtschaft allmählich wieder. Eine große Rolle spielten für den Schutz der ökonomischen und geistigen Interessen der Mennoniten genossenschaftliche Organisationen wie der „Bund der Bürger holländischer Abstammung“ (1922–1926) und der „Allrussische Mennonitische Landwirtschaftsbund“ (1923–1928).

            Ein ernstes Hindernis auf dem Weg der ökonomischen Gesundung stellte in der ersten Hälfte der 1920er Jahre die ungelöste Landfrage dar. Infolge der sogenannten „angleichenden Landneuordnung“ verloren die mennonitischen Gemeinden 1921–1922 einen erheblichen Teil ihres Landbesitzes. Der private Landbesitz der meisten mennonitischen Groß- und Mittelbesitzer wurde vollständig enteignet, so dass es in den Kolonien eine recht große Zahl landloser Einwohner gab, denen die Existenzgrundlage entzogen war.

            Entsprechend den Prioritäten der sowjetischen Nationalitätenpolitik wurden die meisten mennonitischen Ortschaften an die deutschen nationalen territorialen Verwaltungseinheiten angeschlossen: die Rayone Moločna (1924) und Vysokopol'e (1926) in der Ukrainischen SSR, die Autonome Republik der Wolgadeutschen (1918), der Rayon Halbstadt (1927) in der RSFSR sowie zahlreiche deutsche Dorfsowjets in der Ukraine, in Sibirien und in Mittelasien.

            Nach dem Ende des Bürgerkriegs verfolgte der Sowjetstaat gegenüber den kleineren konfessionellen Gruppen zunächst eine vergleichsweise tolerante Politik, um den Einfluss der großen Kirchen (also der orthodoxen, der evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirche) zu schwächen. So konnten die Mennoniten teilweise ihre Bethäuser und Schulen wiedererrichten bzw. neu eröffnen und religiöse Bildungsarbeit leisten. Zur Ausbildung der Prediger wurden in Čongrave bei Simferopel' (1918–1924), in Davlekanovo bei Ufa (1923–1926), in Karagua und später in Kamenka bei Orenburg (1923–1926) Bibelschulen und -seminare eröffnet. Infolge der Aufhebung der für die Predigertätigkeit geltenden Beschränkungen betrieben die neumennonitischen Prediger sowohl unter den Mennoniten als auch unter der anderskonfessionellen bzw. andersnationalen (Sibirien und Mittelasien) Bevölkerung aktive Missionsarbeit. (Siehe: Missionsorganisationen). Neue pietistische Gruppen und Arbeitskreise wurden gegründet.

            Schon bald aber behinderte die grundsätzlich atheistische Politik der Sowjetmacht auch die Arbeit der mennonitischen Lehr- und Bildungseinrichtungen. Dabei sorgte insbesondere die Umsetzung des Dekrets über die Trennung von Kirche und Staat für Konflikte. So wurden in den mennonitischen Siedlungen die kirchlichen Organisationen aus den zuvor gemeinsam genutzten Schulgebäuden verbannt. In den Schulen wurde eine aktive atheistische Propaganda unter der Jugend betrieben. Die besondere Aufmerksamkeit der Behörden galt dem Kampf gegen den illegalen Religionsunterricht für Kindergruppen. Wer gegen das Verbot verstieß, wurde nach Artikel 121 des Strafgesetzbuchs zur Verantwortung gezogen.

            Die antireligiöse Politik und die offene Landfrage lösten eine Emigrationswelle in Richtung  Amerika aus. Ungeachtet aller Hindernisse von Seiten der Behörden kehrten im Zeitraum 1923-29 über 12.000 Mennoniten der Sowjetunion den Rücken.

            Die in der UdSSR verbleibenden Mennoniten kämpften aktiv für die Anerkennung ihrer religiösen Rechte. Am 24. Mai 1924 legte die Kommission für religiöse Angelegenheiten der Mennoniten der UdSSR ihre Hauptforderungen in einem an das Zentralexekutivkomitee der UdSSR adressierten Memorandum dar. Die Mennoniten forderten die Gewährung des  Rechts, religiöse Versammlungen in Bethäusern und Privathäusern sowohl für Erwachsene als auch für Kinder abzuhalten, Veranstaltungen religiösen Charakters unter der Jugend durchzuführen und das Gesetz Gottes und die Grundlagen des Glaubens in den Schulen zu unterrichten, sowie ein Ende der atheistischen Propaganda in den Schulen. Außerdem baten sie darum, die Gründung eines Waisenhauses für mennonitische Kinder sowie die Herausgabe religiöser Literatur und Periodika zu erlauben,  und die Mennoniten sowohl von der Wehrpflicht als auch vom allgemeinen Wehrkundeunterrricht zu befreien. Alternativ schlugen sie vor, den Wehrdienst durch gemeinnützige Arbeiten für den Staat und den Eid durch ein einfaches Treuegelöbnis im Dienst zu ersetzen. Diese und einige weitere Forderungen wurden im Schlussdokument dargelegt, das auf dem im Januar 1925 in Moskau stattfindenden Allunionskonvent der mennonitischen Gemeinden verabschiedet wurde. Im Endeffekt waren die Behörden in einigen Punkten zu Zugeständnissen gezwungen.

            In der zweiten Hälfte des Jahres 1925 wurde die Erlaubnis zur Herausgabe einer mennonitischen Zeitschrift erteilt. So erschien das Journal „Unser Blatt“ von November 1925 bis Juni 1928 als Organ der Allunionskonferenz der mennonitischen Gemeinden der UdSSR einmal monatlich mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren. 1925 gaben die Behörden ihr Einverständnis, Mennoniten vom Wehrdienst zu befreien, wenn diese durch Vorlage verschiedener Dokumente individuell ihre Zugehörigkeit zu dieser Kirche beweisen konnten. Anstelle des Wehrdienstes an der Waffe durften die jungen Mennoniten ihren Dienst in externen Bautrupps ableisten.   So wurde bei einem der Schützenkorps ein gesondertes Arbeitsbataillon eingerichtet, dessen Mitglieder im Eisenbahnbau eingesetzt wurden. Im Herbst 1927 dienten dort neben anderen evangelischen Freikirchlern und Angehörigen orthodoxer Sekten auch 527 Mennoniten. Aber ein solcher Alternativdienst bestand für die Mennoniten nicht lange.

            Nach der Veröffentlichung des „Gesetzes über religiöse Kulte“ im April 1929 und entsprechender dessen Anwendung betreffender Instruktionen war eine offene Tätigkeit der mennonitischen Kirche kaum noch möglich. In den 1930er Jahren wurden alle Bethäuser geschlossen, die Durchführung gottesdienstlicher Versammlungen sowie die Arbeit aller religiösen Gemeinschaften verboten usw. Viele mennonitische Prediger und Lehrer wurden verhaftet und zu  Lagerhaft verurteilt. Allein an der Moločna wurden über 110 der insgesamt 150 Prediger repressiert.

            Im Herbst 1929 begann in den mennonitischen Siedlungen die Massenkollektivierung. Im Frühjahr 1930 waren im Durchschnitt bereits 90% der mennonitischen Höfe in Kolchosen zusammengeschlossen. Parallel zur Kollektivierung wurde die Entkulakisierung durchgeführt. Die entkulakisierten Familien wurden zunächst in sogenannte Kulakenaussiedlungen zwangsumgesiedelt und später mehrheitlich in die nördlichen Gebiete der UdSSR bzw. nach Sibirien verbannt.

            Die großangelegte antireligiöse Kampagne und die beginnende Zwangskollektivierung lösten unter den Mennoniten im Herbst 1929 eine breite Emigrationswelle aus. In der Hoffnung, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten, kamen Dutzende mennonitische Familien, die ihren Besitz zuvor für Spottpreise verkauft oder Haus und Besitz einfach zurückgelassen hatten, aus Sibirien und aus der Ukraine nach Moskau. Tatsächlich ausreisen konnten allerdings nur etwa 6.000 Personen (nach Brasilien, Paraguay und Kanada). Die übrigen wurden zur Rückkehr an ihre angestammten Wohnorte gezwungen. Im Altaj mündeten die Proteste der Mennoniten gegen religiöse Unterdrückung, Zwangskollektivierung und das Verbot der Emigration im Juli 1930 in einen Aufstand, der bald von einer Spezialeinheit des NKVD niedergeschlagen wurde.

            Die in den Jahren 1929–1932 von den Behörden in den mennonitischen Siedlungen der Ukraine, des Wolgagebiets und in einigen weiteren Regionen der UdSSR durchgeführten verheerenden Getreidebeschlagnahmungskampagnen führten Ende 1932 zu einer Versorgungskrise und schließlich zu einer umfassenden Hungersnot, der Hunderte Mennoniten zum Opfer fielen.

Zur Zeit der politischen Repressionen wurden in den Jahren 1929-1941 Tausende Mennoniten (bis zu 20% der erwachsenen Bevölkerung, größtenteils Männer) in verschiedenen Regionen der UdSSR repressiert 

            Mit Beginn des Deutsch-Sowjetischen Kriegs begann für die Mennoniten erneut eine Zeit schwerer Prüfungen, die vor allem mit der Deportation der deutschsprachigen Bevölkerung (einschließlich der Mennoniten) in die östlichen Regionen der Sowjetunion verbunden war. Während aber der Plan, die deutsche Bevölkerung zu deportieren, im Wolgagebiet und auf der Krim im September-Oktober 1941 praktisch vollständig umgesetzt werden konnte, wurde die deutsche Bevölkerung der Ukraine (einschließlich der Mennoniten) nur teilweise ausgesiedelt, da sich die mennonitischen Siedlungen in Chortica und Zagradovka zu diesem Zeitpunkt bereits von deutschen Truppen besetzt waren. Insgesamt wurden bis zu 20.000 Mennoniten in die östlichen Regionen der UdSSR (Sibirien und Kazachstan) deportiert.

            Zur Zeit der deutschen Besatzung 1941-43 lebte das religiöse Gemeindeleben der dort ansässigen Mennoniten wieder auf. In den wieder eröffneten Kirchen fanden erneut Betversammlungen statt. Im Herbst 1943 – Frühjahr 1944 evakuierten die unter dem Druck der Roten Armee zurückweichenden deutschen Truppen die Mehrheit der mennonitischen Bevölkerung aus der Ukraine in den Warthegau, wo praktisch alle sowjetischen Mennoniten die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten. Viele mennonitische Männer wurden in die deutsche Armee mobilisiert. Ende 1944 – Anfang 1945 zogen etwa 35.000 Mennoniten weiter nach Westen. 12.000 von ihnen gelang es, bis nach Kanada oder Südamerika zu kommen. Die meisten anderen wurden in die UdSSR zwangsrepatriiert und zu den Objekten der Arbeitsarmee (erwachsene Männer und Frauen) sowie an die Wohnorte der deportierten deutschen Bevölkerung gebracht – vor allem nach Dušanbe.

            Nach 1943 kam es infolge des Kurswechsels in der Religionspolitik der Sowjetregierung unter den deportierten Mennoniten zu einer gewissen Belebung des Religionslebens. In den mennonitischen Kirchen ließ sich ein reger Zulauf an Gläubigen verzeichnen. Wo es nur wenige Gläubige gab und keine eigenstängige Gemeinde organisiert werden konnte, schlossen sich die mennonitischen Gläubigen der nächstgelegenen Kirche einer verwandten Konfession an. So traten die in Dušanbe lebenden Brüdermennoniten 1947 der Gemeinde der russischen Evangeliumschristen und Baptisten bei. 1948 vollzog sich das gleiche in Novosibirsk. Auch zahlreiche Kirchenmennoniten waren gezwungen, sich den Gemeinden verwandter Konfessionen anzuschließen. Nach 1954 durften Betversammlungen wieder in deutscher Sprache abgehalten werden. Am 13. Dezember 1955 wurde per Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR das Regime der Sondersiedlung für die Mennoniten wie auch für alle anderen Sowjetdeutschen aufgehoben. Während eine Rückkehr an die Wohnorte der Vorkriegszeit weiter verboten blieb, erhielten die Deutschen und Mennoniten innerhalb des asiatischen Teils der UdSSR Freizügigkeit. Von 1956 an wurden die offiziellen Kontakte zur Mennonitischen Weltbruderschaft wiederaufgenommen. Zur gleichen Zeit lebten die religiösen Aktivitäten der mennonitischen Gemeinden wieder auf, wurden frühere mennonitische Kirchen im Uralgebiet wiedererrichtet, neue Gemeinden gegründet und in Privathäusern heimlich Gottesdienste und Religionsunterricht abgehalten. Die größte Aktivität zeigten hinsichtlich der Predigertätigkeit die Brüdermennoniten. Insgesamt aber ließ sich in den 1950er Jahren unter den Vertretern der unterschiedlichen mennonitischen Konfessionen eine Zunahme der ökumenischen Tendenzen beobachten. Zugleich wurden die Versuche der Mennoniten, ihre Rechte als eigenständige religiöse Organisation zu verteidigen, von den Behörden unterbunden.

            In den Jahren 1959–1964 führten die Behörden eine großangelegte antireligiöse Kampagne durch, in deren Folge fast die Hälfte der bestehenden Kirchen erneut geschlossen und ihre geistlichen Vorsteher ausgesiedelt wurden. In dieser Situation waren die Brüdermennoniten (etwa 16.500 Gläubige) 1963 gezwungen, sich dem Allunionsrat der Evangeliumschristen und Baptisten anzuschließen, dem 1985 etwa 60 rein mennonitische Brüdergemeinden angehörten. Außerdem bestanden etwa 300 kleinere Gruppen, die als autonome Sektionen den baptistischen Gemeinden angehörten. Eine Reihe von Mennoniten (Jakob Fast, Peter Enns, Friedrich Wirtz, Walter Schulz, Traugott Quiring u.a.) war in der Führung des Allunionsrats der Evangeliumschristen und Baptisten vertreten. Als im Jahr 1961 die sogenannten Initiativler mit Georg Vins an der Spitze den Allunionsrat verließen ihren eigenen nicht registrierten „Rat der Gemeinden“ gründeten, folgte ihnen ein Teil der Brüdermennoniten. Fast zeitgleich entstand allerdings auch die Bewegung der Brüdermennoniten zur Gründung und Registrierung eigener, sowohl vom offiziellen Allunionsrat als auch vom inoffiziellen „Rat“ unabhängiger Gemeinden. Die Mennoniten befürchteten zurecht, dass sie als Mitglied der oben genannten Organisationen ihre eigenständige Identität verlieren und ihre Lehre „baptisiert“ und russifiziert werden würde. Deshalb wurde 1967 in Karaganda (Kazachstan) die erste unabhängige Brüdergemeinde registriert. 1985 bestanden bereits 25 derartige registrierte und nicht registrierte Gemeinden.

Nach dem Treffen einer Reihe mennonitischer Prediger begann 1956 auch die allmähliche Wiedergeburt der Kirchengemeinden. 1985 bestanden 25 registrierte und eine unbekannte Zahl nicht registrierter Gemeinden, in denen 5–10% aller Mennoniten Mitglied waren.

            Herausragende Bedeutung hatte für das Leben der Mennoniten in den Nachkriegsjahren die Veröffentlichung des Erlasses des Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR vom 29. August 1964, in dem die Sowjetdeutschen offiziell von der Beschuldigung des Landesverrats freigesprochen wurden. Auch wenn ihnen dieser Erlass auch weiterhin das Recht auf Rückkehr in ihre angestammten Siedlungsgebiete verwehrte, wurden doch Sprachschulen eröffnet, spezielle Radioprogramme übertragen und Literatur in deutscher Sprache herausgegeben - insbesondere in Alma-Ata, da ein großer Teil der sowjetischen Deutschen und Mennoniten in Kazachstan lebte.

            Erst von 1972 an durften die Mennoniten wie alle anderen Sowjetdeutschen auch an ihre Wohnorte der Vorkriegszeit zurückkehren. Da allerdings viele frühere mennonitische Siedlungen zerstört oder von anderen Bevölkerungsgruppen besiedelt waren, zogen einige Mennoniten ins Baltikum und teilweise nach Moldawien. Außerdem verließen nach der Erlaubnis, zur Familienzusammenführung nach Westdeutschland auszureisen, im Zeitraum 1973-1986 etwa 13.000 Angehörige des mennonitischen Glaubensbekenntnisses die UdSSR.

            Unter jenen, die in der UdSSR blieben, ließen sich in den 1970-80er Jahren gewisse Konsolidierungsprozesse beobachten. So stieg die Zahl der offiziell registrierten mennonitischen Gemeinden langsam wieder an. Allerdings waren von den 50.000 zu diesem Zeitpunkt in der Sowjetunion lebenden Personen mennonitscher Herkunft nur etwa 30–40% mit der Kirche verbunden.

            Von 1987 an hatte die Massenemigration einen immer größeren Einfluss auf das Leben der mennonitischen Gemeinden. Sie führte zu einem erheblichen Rückgang der Zahl der Gemeindemitglieder und oft sogar zur völligen Schließung einer Gemeinde. Angesichts der Abwanderung qualifizierter Prediger, Evangeliker und geistlicher Vorsteher hatten die noch bestehenden Gemeinden erhebliche Probleme, das religiöse Leben aufrechtzuerhalten.

 

Die Mennoniten im heutigen Russland und im postsowjetischen Raum.  Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Gründung neuer unabhängiger Staaten führte einerseits zur Massenübersiedlung der Mennoniten nach Deutschland, andererseits zu einer gewissen Belebung ihrer innerkirchlichen und missionarischen Tätigkeit. In Russland lässt sich die Belebung des Mennonitentums vor allem im Gebiet Orenburg beobachten, wohin mehrere Dutzend deutsch-mennonitischer Familien aus Kazachstan und Mittelasien übersiedelten. 1997 nahm die von deutschen und kanadischen Mennoniten gegründete Mission „Nadežda“ [Hoffnung] ihre Arbeit auf, die von Hans Berger geführt wurde, einem deutschen Staatsbürger russisch-mennonitischer Herkunft. 2001 wurde die Organisation „Vereinigung der mennonitischen Kirchen des Orenburger Lands“ gegründet, dessen Zentrum sich im Dorf Kičkass (Rayon Perevolockij) befindet. Von 2000  an begannen die Mennoniten, im Gottesdienst verstärkt die russischen Sprache zu nutzen, von  2003 an wurden sie vom russischen Pastor Petr Nikolaevič Černyšev geführt. Anfang 2005 gehörten der „Vereinigung der mennonitischen Kirchen des Orenburger Lands“ acht registrierte Gemeinden mit eigenen Pastoren an. Ihre geistliche Grundausbildung erhalten die Mennoniten im Fernstudium der Bibelschule „Emmaus“, an der über 120 Personen lernen. In den Gemeinden gibt es Sonntagsschulen. Bereits seit mehreren Jahren wird in der Nähe des Dorfes Pretorija (Rayon Perevolockij) ein christliches Sommerlager durchgeführt.

            Die heutigen russischen Mennoniten unterscheiden sich kaum von den Baptisten. Nach den Daten der Gesamtrussischen Volkszählung von 2010 gab es in Russland offiziell vier deutsche Mennoniten. Auch wenn diese Zahl ganz offensichtlich falsch ist, zeugt sie doch davon, dass die Mehrheit der Mennoniten, die sich als Deutsche identifizieren, entweder ihre Nationalität oder ihre Religionszugehörigkeit nicht angeben wollte.

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Autoren: Besnossowa O.

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