RU

neue
illustrierte elektronische

VERFASSUNG DER ASSR DER WOLGADEUTSCHEN VON 1926, verabschiedet am 1. Februar 1926 vom III. Sowjetkongress der ASSR der Wolgadeutschen

Rubrik: Republik der Wolgadeutschen

VERFASSUNG DER ASSR DER WOLGADEUTSCHEN VON 1926, verabschiedet am 1. Februar 1926 vom III. Sowjetkongress der ASSR der Wolgadeutschen. Die Ausarbeitung der Verfassung begann unmittelbar nach der Ausrufung der Republik am 6. Januar 1924 auf Beschluss des I. Sowjetkongresses der ASSR der Wolgadeutschen. Zunächst wurde das Verfassungsprojekt vom Volkskommissariat für Justiz der Republik ausgearbeitet, später wurde die Arbeit von einer eigens eingesetzten Kommission fortgesetzt, der W. Kurz, Ja. Suppes und N. Persidskij angehörten. Am 24. November 1924 bestätigte der Rat der Volkskommissare der ASSR der Wolgadeutschen den Verfassungsentwurf und fasste den Beschluss, ihn auf dem II. Sowjetkongress erörtern und bestätigen zu lassen. Aber dieser Plan wurde in letzter Minute gestoppt: Am Tag der Eröffnung des Kongresses erhielt die Führung der Republik vom Organisationsbüro des ZK der WKP(b) die von W. Molotow gezeichnete Anordnung, „den vom Rat der Volkskommissare der Wolgadeutschen ausgearbeiteten Verfassungsentwurf“ von der bereits bestätigten Tagesordnung des Kongresses zu streichen. Motiviert war diese Anweisung dadurch, dass die parallel erfolgende Ausarbeitung einer neuen Verfassung der RSFSR noch nicht abgeschlossen war und das Zentrum nicht zulassen konnte, dass die zur RSFSR gehörende ASSR der Wolgadeutschen ihre Verfassung früher annahm als die Russische Föderation selbst. Zudem sollten alle autonomen Gebietskörperschaften Russlands eine auf den Verfassungen der UdSSR und der RSFSR basierende einheitliche Verfassungsvariante verabschieden, was im Folgenden auch geschah. Die Initiative der Führung der ASSR der Wolgadeutschen widersprach diesen Plänen und wurde deshalb abgewiesen.

Der auf Grundlage der Verfassung der RSFSR erarbeitete und im Mai 1925 angenommene neue Verfassungsentwurf der ASSR der Wolgadeutschen wurde mit dem Gesuch um Prüfung und Billigung dem Präsidium des Allrussischen Zentralexekutivkomitees vorgelegt, das allerdings erst im Oktober-November 1925 eine Kommission einrichtete, die den Entwurf prüfen und mit den zentralen Organen der RSFSR abstimmen sollte. Im Zuge dieses Prozesses kam es zu heftigen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertretern der Deutschen Republik und den zentralen russischen Stellen, die die Rechte der deutschen Autonomie beschneiden wollten und kein Hehl daraus machten, dass sie die Ambitionen der Deutschen von Seiten „einer Republik von der Größe und Bedeutung eines Gouvernements“ als Anmaßung empfanden. Vor diesem Hintergrund sah sich die Führung der ASSR der Wolgadeutschen gezwungen, sich unmittelbar an das ZK der WKP(b) zu wenden und in einer im Namen des Gebietsparteikomitees der ASSR der Wolgadeutschen von E. Gross und F. Gusti [Huszti] gezeichneten Erklärung die zwischen der Führung der ASSR der Wolgadeutschen und den zentralen russischen Stellen bestehenden Meinungsverschiedenheiten darzulegen. In diesem Zusammenhang verwies die Führung der ASSR der Wolgadeutschen auf die Beschlussfassung des Politbüros des ZK der WKP(b) vom 27. August 1925, die der Deutschen Republik eine „wichtige politische Bedeutung“ für die außenpolitischen Pläne der UdSSR attestiert hatte, und bestand darauf, die Rechte und gesetzgeberischen Zuständigkeiten der Deutschen Autonomie zu konkretisieren und eindeutig festzulegen. Im Gegensatz dazu bestanden die zentralen Stellen auf dehnbaren Formulierungen, die Spielraum für eine willkürliche Auslegung boten und dem Zentrum folglich weitgehende Handlungsfreiheit in der Autonomie verschafft hätten. Hauptstreitpunkt war die Frage, ob die sogenannten „gesamtföderalen“ Volkskommissariate (für Finanzen, Arbeit, Binnenhandel, Arbeiter- und Bauerninspektion usw.) unter einer gewissen Kontrolle der Regierung der ASSR der Wolgadeutschen stehen sollten (worauf die Führung der ASSR bestand) oder ausschließlich den entsprechenden Volkskommissariaten der RSFSR und der UdSSR unterstellt sein sollten (wie die Moskauer Stellen forderten). Ein solches System der Subordination hätte nach Auffassung des Büros des Gebietsparteikomitees der WKP(b) der ASSR der Wolgadeutschen die „Integrität der Machtorgane der Autonomen Republik zerstört“ und direkt gegen Artikel 58 der Verfassung der RSFSR verstoßen.

Im Dezember 1925 – Januar 1926 wurde über den Verfassungsentwurf im ZK der WKP(b) und im Allrussischen Zentralexekutivkomitee verhandelt. In einigen Punkten mussten die zentralen Ressorts der RSFSR den Wünschen der Deutschen Republik entgegenkommen und Zugeständnisse machen, in einigen anderen Punkten ließ sich keine Einigung erzielen. In dieser Situation ging die Partei- und Sowjetführung der ASSR der Wolgadeutschen davon aus, dass die Arbeit an dem Verfassungsentwurf fortgesetzt werde, und setzte die Frage der Verabschiedung der Verfassung zunächst nicht auf der Tagesordnung des III. Sowjetkongresses, der vom 25. Januar – 1. Februar 1926 stattfinden sollte. Aber das ZK der WKP(b) zwang die Führer der ASSR der Wolgadeutschen bereits nach Beginn des Kongresses, den Verfassungsentwurf von diesem Forum prüfen zu lassen, und versprach, später Korrekturen einer Reihe von Verfassungsbestimmungen vorzunehmen. So wurde die Frage „Über die Bestätigung der Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen“ auf Vorschlag des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare Kurz am 29. Januar (dem fünften Arbeitstag des III. Sowjetkongresses) kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt. In aller Eile wurden ein Bericht, ein Beschlussfassungsentwurf und eine entsprechende Deklaration vorbereitet, so dass die Verfassung der Deutschen Republik am letzten Tag des Kongresses (1. Februar) verabschiedet werden konnte. Gemäß der entsprechenden Beschlussfassung des Kongresses sollte das Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen eine „endgültige Fassung“ der Verfassung ausarbeiten. So behielt sich die Führung der Republik, die immer noch hoffte, dass das Zentrum seine früheren Versprechungen einhalten würde, das Recht vor, in den Verfassungstext gewisse Korrekturen einzufügen. Aus dem gleichen Grund wurde die Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen nach ihrer Verabschiedung durch den III. Sowjetkongress nicht veröffentlicht, zumal sie nach Artikel 44 der Verfassung der RSFSR noch vom Allrussischen Zentralexekutivkomitee und abschließend vom Allrussischen Sowjetkongress bestätigt werden musste.

Zugleich wurde unmittelbar nach Abschluss des III. Sowjetkongresses der ASSR der Wolgadeutschen die aus Anlass der Annahme der Verfassung vom Kongress verfasste Deklaration veröffentlicht und propagandistisch ausgeschlachtet, in der unter anderem erklärt wurde, dass der Staatsaufbau der Deutschen Republik „das Einzige sei, was die Werktätigen über die Schranken des Kapitalismus und alle Arten von Ausbeutung auf die ihnen gebührende soziale und politische Höhe hebe, der nationalen Ungleichheit ein Ende setze und sie zum einzigen Herren ihres Schicksals mache“.

Derweil ging der Kampf, für die Republik der Wolgadeutschen wenigstens einige verfassungsmäßige Rechte zu erstreiten, auch nach der Verabschiedung der Verfassung weiter. So legte die Führung der ASSR der Wolgadeutschen Anfang 1926 ihren Standpunkt in einer an das ZK der WKP(b) gerichteten Aktennotiz dar, in der sie sich vor allem auf zwei Fragen konzentrierte: Zum einem bestand die Führung der ASSR der Wolgadeutschen unter Verweis auf die „große deklarativ-politische Bedeutung“ der Einfügung der Bezeichnung „Staat“ in den Verfassungstext darauf, die Republik der Wolgadeutschen in Artikel 1 der Verfassung zu einem „Staat innerhalb des Bestands der RSFSR“ und „föderativen Teil der RSFSR“ zu erklären, und betonte zugleich, dass eine solche Bezeichnung nichts und niemanden störe, den Tatsachen entspreche und den bourgeoisen Juristen die Grundlage entziehe, die ASSR der Wolgadeutschen als Gebietskörperschaft ohne die grundlegenden Merkmale von Staatlichkeit zu interpretieren. Das zweite Problem hatte im Unterschied zum ersten erhebliche praktische Bedeutung. Dabei ging es um die Frage, welche legislativen und administrativen Rechte die Volkskommissariate der Autonomie in jenen Fragen bekommen sollten, die nicht unter die ausschließliche Zuständigkeit der gesamtföderalen Gesetzgebung fielen, d.h. um das Recht, selbständig und ohne Einmischung des Zentrums Fragen lokalen Charakters zu entscheiden. Zeitgleich mit der an das ZK der WKP(b) gerichteten Aktennotiz beauftragte die Führung der ASSR der Wolgadeutschen G. König, Kurz, Gross und Persidskij, die die ASSR im Nationalitätenrat des Allrussischen Zentralexekutivkomitees vertraten, auf der Sitzung der Kommunistischen Fraktion des Nationalitätenrats sowohl die allgemeine Frage der Verfassungen der autonomen Republiken als auch einige weitere die Haushaltsrechte der Autonomien, die Führung über die auf deren Territorium befindliche Industrie und die Ordnung der Eingliederung der Autonomen Republiken und Gebiete in die zu dieser Zeit in der UdSSR gegründeten Wirtschaftsrayone betreffende Fragen anzusprechen. Das Zentrum nahm seine zuvor mit Blick auf Status und Rechte der ASSR der Wolgadeutschen gegebenen Versprechen zwar nicht zurück, beeilte sich aber auch nicht, diese zu erfüllen.

Am 15. Oktober 1926 befasste sich das Büro des Gebietsparteikomitees der WKP(b) der ASSR der Wolgadeutschen erneut mit der Frage der „Verfassung der Deutschen Republik“ und beauftragte angesichts der offensichtlichen Untätigkeit des Zentrums die von der Deutschen Republik auf die 15. Allunionsparteikonferenz entsandten Delegierten, die hinsichtlich der Verfassung der Deutschen Republik bestehenden Meinungsverschiedenheiten erneut im ZK anzusprechen und das Präsidium des Allrussischen Zentralexekutivkomitees aufzufordern, die Frage auf die Tagesordnung der Sitzungsperiode des Zentralexekutivkomitees zu setzen. Angesichts dieser Hartnäckigkeit sahen sich die zentralen Partei- und Sowjetorgane der UdSSR und Russlands schließlich gezwungen, sich mit der Frage des Verfassungsstatus der Autonomen Republiken und Gebiete der RSFSR zu befassen und der ASSR der Wolgadeutschen und den anderen innerhalb der RSFSR bestehenden Autonomien einige Rechte bei der Entscheidung der ihre Gebiete betreffenden ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Fragen zu gewähren, die auch in der endgültigen Fassung der Verfassung der Republik der Wolgadeutschen festgehalten wurden.

Die Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen stellte ein umfangreiches Dokument dar, das aus vier Abschnitten, 15 Kapiteln, 27 Teilen und 314 Artikeln bestand.

Der erste Abschnitt („Allgemeine Bestimmungen“) umfasste vier Kapitel. In Kapitel 1 wurden die territoriale Verwaltungsstruktur der ASSR der Wolgadeutschen (14 Kantone) und der Aufbau der staatlichen Organe der Republik dargelegt, der vollständig die Behördenstruktur der RSFSR und der UdSSR kopierte: „Der Apparat der Staatsgewalt der ASSR der Wolgadeutschen wird aus den Ortssowjets, ihren Kongressen, Exekutivkomitees, dem Rat der Volkskommissare, dem Zentralexekutivkomitee und dem Sowjetkongress der ASSR der Wolgadeutschen gebildet» (Art. 2). In der ASSR der Wolgadeutschen wurden elf Volkskommissariate eingerichtet – für Innere Angelegenheiten, Justiz, Bildungswesen, Gesundheitswesen, Finanzen, Landwirtschaft, Arbeitswesen, soziale Fürsorge, Arbeiter- und Bauerninspektion, Binnenhandel und der Zentrale Volkswirtschaftsrat. „Im Fall der Notwendigkeit“ durfte in der ASSR der Wolgadeutschen auf Weisung des Volkskommissariats für Außenhandel der UdSSR ein „entsprechender Apparat für Außenhandel“ bestehen. Beim Rat der Volkskommissare der ASSR der Wolgadeutschen wurden ein Organ der Staatlichen Politischen Verwaltung (GPU) der RSFSR, ein Zentrales Statistikamt, eine Staatliche Planungskommission und eine Zentrale Archivverwaltung gegründet (Art. 3–9).

Kapitel 2 des 1. Abschnitts der Verfassung regelte das Verhältnis zwischen der ASSR der Wolgadeutschen, der RSFSR und der UdSSR im Bereich „Gesetzgebung und Verwaltung“. In diesem wurde festgehalten, dass der Regierung der ASSR der Wolgadeutschen nur die „nicht im Maßstab der RSFSR vereinten“ Volkskommissariate für Innere Angelegenheiten, Justiz, Bildungswesen, Gesundheitswesen, Landwirtschaft und soziale Fürsorge unterstellt sein sollten (Art. 21). Zugleich sollten die auf dem Territorium der Deutschen Republik befindlichen Apparate der Volkskommissariate der UdSSR (Verkehrswesen, Post, Telegraphen, Militär) unmittelbar den höhergestellten Organen dieser Volkskommissariate unterstellt sein. Äußere Angelegenheiten und Außenhandel fielen ebenfalls in die Zuständigkeit der entsprechenden Volkskommissariate der UdSSR (Art. 12). „Im Interesse der Bewahrung der Einheit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der RSFSR“ blieben die sogenannten „im Maßstab der RSFSR vereinten“ Volkskommissariate der ASSR der Wolgadeutschen (Finanzen, Arbeitswesen, Arbeiter- und Bauerninspektion, Binnenhandel, Zentraler Volkswirtschaftsrat) sowie das Zentrale Statistikamt, die GPU und die Archivverwaltung den entsprechenden Volkskommissariaten und Verwaltungen der RSFSR weisungsgebunden (Art. 13).

Auch wenn der Sowjetführung der ASSR der Wolgadeutschen das Recht gewährt wurde, die Tätigkeit, Kontrolle und Revision aller auf dem Territorium der Republik befindlichen Regierungseinrichtungen und unmittelbar dem Zentrum unterstellten Unternehmen zu koordinieren und zu regulieren (mit Ausnahme der Einrichtungen der Armee), hatte sie hinsichtlich der Aufhebung oder Abänderung der einen oder anderen die Deutsche Republik betreffenden Entscheidung lediglich ein Vorschlagsrecht. Gleiches galt für die Berufung bzw. Absetzung der entsprechenden Führungskader. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung der ASSR der Wolgadeutschen und den Vertretern der zentralen Ressorts sollten diese auf Ebene des Zentralexekutivkomitees der UdSSR entschieden werden (Art. 14–20).

Alle von den Unions- und „Vereinigten“ Volkskommissariaten der UdSSR bzw. der RSFSR herausgegebenen Dekrete, Beschlussfassungen und Anordnungen der Regierungen der RSFSR und der UdSSR mussten von den Organen der ASSR der Wolgadeutschen strikt ausgeführt werden (Art. 27). Lediglich hinsichtlich der „nicht vereinigten“ Volkskommissariate hatte die Regierung der Deutschen Republik gewisse Rechte. Im Einzelnen durfte sie auf dem Territorium der Republik die Geltung aller nach Artikel 28  der Verfassung für die ASSR der Wolgadeutschen verpflichtenden Anordnungen der nicht vereinigten Volkskommissariate der RSFSR aussetzen, wenn diese nicht den örtlichen Bedingungen entsprachen (mit Benachrichtigung des zuständigen Volkskommissariats der RSFSR) (Art. 29). Artikel 28 bestimmte, dass dieses Recht nur für einen bestimmten Kreis von Fragen galt, den die Regierungen der RSFSR und der ASSR der Wolgadeutschen durch gesonderte Vereinbarungen festlegen sollten.

Kapitel 3 des ersten Abschnitts der Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen bestimmte die zwischen der ASSR der Wolgadeutschen und der RSFSR im Bereich der Finanzen bestehenden Beziehungen: Alle Einnahmen und Ausgaben der Deutschen Republik waren in gesamtstaatliche und örtliche unterteilt. Der lokale Haushalt der ASSR der Wolgadeutschen sollte der Regierung der RSFSR zur Prüfung vorgelegt werden, bedurfte aber keiner Bestätigung von deren Seite. Die über den Staatshaushalt der RSFSR laufenden Einnahmen und Ausgaben der ASSR der Wolgadeutschen wurden im Haushalt der Republik gesondert ausgewiesen. Die RSFSR nahm die Verpflichtung auf sich, gegebenenfalls auftretende Defizite im lokalen Haushalt der Deutschen Republik auszugleichen (Art. 30-32). Diese Bestimmung war das greifbarste Privileg der Autonomen Republik im Vergleich zu einem Gouvernement. Darüber hinaus wurden das Zentralexekutivkomitee, der Rat der Volkskommissare sowie die „vereinigten Kommissariate und die zentralen Apparate der nicht vereinigten Volkskommissariate der ASSR der Wolgadeutschen“ aus dem Staatshaushalt finanziert (Art. 35).

Kapitel 4 der Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen („Über die Staatssprachen der ASSR der Wolgadeutschen“) legte die Gleichberechtigung der deutschen, russischen und ukrainischen Sprache auf dem Territorium der Deutschen Republik fest, wobei der offizielle Schriftverkehr in den einzelnen Gebietskörperschaften der Republik (Kantone, Städte, Dörfer) in der Sprache der jeweiligen Bevölkerungsmehrheit erfolgen sollte. Dabei sollten die höhergestellten Verwaltungsorgane die Korrespondenz mit den nachgeordneten Instanzen jeweils in der im Schriftverkehr der letzteren gebräuchlichen Sprache führen. Allerdings wurde der Effekt dieser Bestimmung erheblich durch die Anmerkung eingeschränkt, dass vorübergehende Ausnahmen von dieser Regel aufgrund entsprechender Beschlussfassungen des Zentralexekutivkomitees zulässig waren. Wie die weitere Praxis zeigen sollte, wurden derartige „Ausnahmen“ in den Beziehungen zwischen den Führungsorganen der ASSR der Wolgadeutschen und den lokalen Verwaltungen praktisch zur Regel.

Abschnitt 2 der Verfassung („Organisation der zentralen Organe“) legte Aufbau und Funktion der höchsten Organe der Staatsmacht und der Verwaltung der ASSR der Wolgadeutschen fest (Sowjetkongress, Zentralexekutivkomitee und dessen Präsidium, Rat der Volkskommissare). Die gesamte Tätigkeit dieser Organe erfolgte im Rahmen jener wenigen Rechte auf Selbständigkeit, die die Verfassung der Deutschen Republik vorsah. So wurde besonders hervorgehoben, dass „Dekrete und Anordnungen der Zentralmacht, die aufgrund der Verfassung innerhalb der Grenzen der ASSR der Wolgadeutschen ohne Änderung angenommen werden müssen, vom Zeitpunkt des Eingangs dieses Dekrets oder dieser Anordnung im Präsidium des Zentralexekutivkomitees in Kraft treten“ (Art. 144).

Abschnitt 3 der Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen („Aktives und passives Wahlrecht“) übernahm nahezu gänzlich die entsprechenden Abschnitte der Verfassungen der UdSSR und der RSFSR und führte das „Klassenprinzip“ bei der Wahl der Deputierten auf allen Ebenen der Sowjetmacht ein. Kein aktives oder passives Wahlrecht genossen Personen, die „zwecks der Erzielung von Gewinn Lohnarbeiter“ beschäftigten, die von „nicht werktätigen Einkünften“ lebten, Privathändler und kommerzielle Zwischenhändler, „Geistliche der religiösen Kulte aller Bekenntnisse und Sekten“, frühere Polizisten und Gendarmen sowie Personen, die „unmittelbar oder indirekt die Arbeit der Polizei, der Gendarmerie oder der Straforgane leiteten“ (sowohl vor der Oktoberrevolution als auch später in den von den konterrevolutionären Regierungen A.W. Koltschaks, A.I. Denikins und anderer besetzten Gebieten) Alle anderen Beamten und Amtsträger der zaristischen und der „konterrevolutionären“ Regierungen behielten das Wahlrecht, mussten aber ihre Loyalität gegenüber der Sowjetmacht beweisen. (Art. 168, 168a, 168b). Der „Klassenansatz“ fand auch in der ungleichen Repräsentanz von Arbeitern und Bauern auf den Sowjetkongressen Ausdruck. So vertrat auf den Sowjetkongressen der Kantone ein Deputierter 1.000 ländliche Wähler, während in den Städten und Arbeitersiedlungen sowie in den auf dem Land gelegenen Fabriken ein Deputierter nur 100 Wähler vertrat. (Art. 169). Auf den Sowjetkongressen der Republik vertrat ein Delegierter der Stadt- und Siedlungssowjets sowie der Sowjets einzelner Fabriken und Betriebe 500 Wähler, während ein Delegierter der Kantonssowjets 5.000 Wahlberechtigte vertrat (Art. 37).

Abschnitt 4 der Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen bestimmte die Organisation der Macht vor Ort, d.h. in den Kantonen, Städten und Dörfern (Kantonskongresse der Sowjets, Kantonsexekutivkomitees und deren Präsidien, Stadt- und Dorfsowjets). Ihre Funktionen entsprachen denen der entsprechenden Rayons-, Stadt- und Dorfsowjets auf dem gesamten Territorium der RSFSR und der UdSSR.

Die Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen festigte die bestehenden politischen Gegebenheiten des sowjetischen Staatsaufbaus, die vor allem durch eine strenge Zentralisierung der Macht geprägt waren jede staatliche Autonomie ausschlossen, die über eine beschränkte lokale Selbstverwaltung hinausgehen konnte. Viele wichtige Fragen des ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens der Deutschen Republik wurden außerhalb von deren Grenzen in Moskau entschieden. Die Führer der ASSR der Wolgadeutschen sollten lediglich die von oben kommenden Direktiven und Anweisungen ausführen. Aber dieser „sowjetische“ Typ der Autonomie wurde zu jener Zeit als wichtigste Form der Selbstbestimmung der Völker Russlands angesehen, deren Ziel in der „Stärkung der Einheit der Völker unseres Landes“ bestand.

Der weitere Lauf der Ereignisse sollte zeigen, dass die Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen nie in Kraft treten sollte. Zwei Jahre nach der Verabschiedung der Verfassung der ASSR der Wolgadeutschen konstatierte das Gebietsparteikomitee der WKP(b) der ASSR der Wolgadeutschen in einer an das Politbüro des ZK der WKP(b) gerichteten Notiz am 15. Mai 1928: „Das Schicksal dieses Dokuments, das halb Verfassung und halb Verfassungsentwurf ist (denn sie wurde von uns verabschiedet, aber nicht vom Allrussischen Sowjetkongress bestätigt), ist uns nicht bekannt. Ob Juristen es weiter plagen oder Totengräber aus der Kanzlei es begraben, wissen wir nicht“. Die mit der Abkehr von der Neuen Ökonomischen Politik und dem Übergang zur forcierten „Offensive des Sozialismus an allen Fronten“ einhergehenden weiteren Ereignisse sollten die Verfassungsfrage in der ASSR der Wolgadeutschen endgültig begraben, was ganz der Logik der Nationalitätenpolitik der bolschewistischen Führung der UdSSR der 1920er Jahre entsprach. Die von den zentralen Organen der Staatsmacht der RSFSR nicht bestätigte Verfassung von 1926 konnte der multiethnischen Bevölkerung der Deutschen Republik nicht einmal jene begrenzten Rechte geben, die sie verkündete.

 

Literatur

Герман A.A., Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. Ч. 2. 1924–41, Саратов, 1994.

Archive

Конституция АССР немцев Поволжья 1926 г., в кн.: История российских немцев в документах, М., 1993

Autoren: German A.

ЗEINE FRAGE STELLEN