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SOWJETDEUTSCHE KRIEGSGEFANGENE in deutscher Kriegsgefangenschaft

Rubrik: Russlanddeutsche im Ausland

SOWJETDEUTSCHE KRIEGSGEFANGENE in deutscher Kriegsgefangenschaft - Sowjetdeutsche, die in den Jahren 1941-45 im Zuge des Deutsch-Sowjetischen Kriegs in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten.

Die allermeisten der nach vorläufigen Schätzungen maximal 4.000-6.000 in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen sowjetdeutschen Armeeangehörigen wurden bereits in den ersten Kriegsmonaten von den Deutschen gefangengenommen, in denen die Rote Armee verheerende Rückschläge erlitt und von den deutschen Truppen buchstäblich überrollt wurde. So gibt es Aussagen ehemaliger Kämpfer der Roten Armee, die in Gefangenschaft gerieten, als sie bereits von der Frontlinie abgezogen und hinter der Front nicht mehr bewaffnet waren.

Für die allermeisten sowjetischen Kriegsgefangenen ging es in den deutschen Kriegsgefangenenlagern angesichts der dort herrschenden menschenverachtenden Lebensbedingungen ausschließlich darum, irgendwie zu überleben. Zahlreiche Kriegsgefangene fielen der absolut unzureichenden Ernährung, Ruhr- und Fleckfieberepidemien oder anderen gefährlichen Krankheiten zum Opfer. In einzelnen Lagern (Wjasma, Smolensk, Gomel usw.) starben jeden Tag bis zu 350 Kriegsgefangene. Auch die sowjetdeutschen Kriegsgefangenen entgingen nicht zwangsläufig diesem Schicksal, zumal die Lagerleitungen in ihren Reihen gezielt nach Juden suchten und anfänglich davon ausgingen, dass viele der sich als Deutsche ausgebenden Kriegsgefangen eigentlich Juden waren.

In den meisten Fällen bildeten die sowjetdeutschen Kriegsgefangenen ein eigenes Kontingent, für das in den Lagern deutlich mildere Bedingungen herrschten. In einigen Fällen wurden sie aus der Gefangenschaft entlassen und von den rückwärtigen Verbänden der Wehrmacht zu Hilfsarbeiten oder - wenn sie dank ihrer Volkszugehörigkeit und Sprachkenntnisse das Vertrauen der Kommandeure gewinnen konnten - auch zu qualifizierteren Tätigkeiten herangezogen. In der Regel handelte es sich dabei um mit der Instandsetzung und Wartung von Militärtechnik verbundene Aufgaben, in einigen Fällen wurde ihnen sogar das Führen von Transportmitteln anvertraut. Für die sowjetdeutschen Kriegsgefangenen bedeutete dies eine erhebliche Erleichterung ihres Schicksals, da sie zwar einerseits deutlich besser behandelt wurden als die allermeisten anderen sowjetischen Kriegsgefangenen, sich aber andererseits auch nicht zwangsläufig als Verräter fühlen mussten. Weder kämpften sie mit der Waffe in der Hand gegen die Rote Armee noch wurden sie überhaupt nach ihrem Einverständnis gefragt, wenn man sie zu solchen Arbeiten heranzog.

Viele Kriegsgefangene mussten in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisten. Auch hier waren die deutschen im Vergleich zu anderen sowjetischen Kriegsgefangenen in Alltag und Arbeit deutlich besser gestellt und galten wie US-amerikanische, britische, französische, belgische und andere westliche Kriegsgefangene als privilegiert. Später konnten die sowjetdeutschen Kriegsgefangenen zudem den Status von „Volksdeutschen“ erlangen, was in vielerlei Hinsicht einer rechtlichen Gleichstellung mit den Bürgern des Dritten Reichs gleichkam. Nichtsdestotrotz ist durch hunderte schriftliche Zeugnisse belegt, dass sich viele Sowjetdeutsche auch noch nach ihrer „Befreiung“ bis zum Kriegsende als Kriegsgefangene verstanden.

Zugleich gab es aber auch sowjetdeutsche Kriegsgefangene, die ganz bewusst die Seiten wechselten und zur Kollaboration mit dem Feind bereit waren. Für die Deutschen waren dies wertvolle Kader, die in den allermeisten Fällen in Kriegsgefangenenlagern oder Arbeitskommandos als Übersetzer eingesetzt wurden. Einige dienten auch in Spezialeinheiten der Abwehr und Spionage wie „Zeppelin“, „Wanderzirkus“, „Jagdkommando“ oder „Brandenburg“, die z.T. hinter den feindlichen Linien operierten und zahlreiche Auslandsdeutsche mit entsprechenden Sprachkenntnissen in ihren Reihen hatten. Aber auch die sowjetische Seite nutzte die sowjetdeutschen Kriegsgefangenen für Spionagezwecke. So erklärte z.B. der in sowjetische Gefangenschaft geratene Sonderführers der Abteilung 1-Z des 4. Infanteriekorps der Wehrmacht Franz Paul Schuster: „Die sowjetische Spionageabwehr wirft als Kriegsgefangene getarnte Fallschirmjäger ab, die sich freiwillig in Gefangenschaft begeben und dann ihre Dienste als Spezialisten oder Übersetzer anbieten oder in deutsche Truppenverbände eintreten wollen. Viele dieser Personen sind frühere deutsche Kolonisten. Sie können sich in die Stäbe und Organe der Spionageabwehr einschleichen, weil viele Offiziere den deutschsprachigen Kriegsgefangenen gegenüber positiv eingestellt sind oder wegen des Mangels an Übersetzern nur wenig Misstrauen zeigen. Wenn sie so das Vertrauen ihrer Vorgesetzten gewinnen, haben sie als Übersetzer zuweilen Zugang zu geheimen Dokumenten.“

Ungeachtet der Tatsache, dass sie als Deutschstämmige auf eine deutlich bessere Behandlung hoffen konnten, verheimlichten viele sowjetdeutsche Kriegsgefange ihre deutschen Wurzeln und gaben sich im Verhör als Russen aus, um sich nicht den Gesetzen des Dritten Reichs unterwerfen zu müssen, die auch für Sowjetdeutsche galten. Nicht wenige sowjetdeutsche Kriegsgefangene widersetzten sich auch ganz offen der faschistischen Macht und verweigerten jegliche Kooperation, wofür sie in der Regel bestraft und für unterschiedlich lange Zeit in die Arrestzelle gesperrt wurden.

Zu den am weitesten verbreiteten Formen des Widerstands gehörte die Flucht aus der Gefangenschaft. So versuchte z.B. der aus der Kriegsgefangenschaft zur Arbeit abkommandierte einfache Soldat W.A. Herberg, nachdem er im Sommer 1943 für den Mord an einem ukrainischen Polizisten zu sechs Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden war, immer wieder zu flüchten, und ließ sich auch von mehreren gescheiterten Fluchtversuchen nicht abhalten. Schließlich kam er in ein Konzentrationslager, wo er bis zum Kriegsende blieb. Ein anderes Beispiel war der einfache Soldat Heinrich Fritz, der in Weißrussland in Kriegsgefangenschaft geraten war und wenig später in eines der in Osteuropa gelegenen Lager überführt wurde. Ungeachtet der großen Entfernung zur Frontlinie flüchtete Fritz im Sommer 1942 in einem Auto aus dem Lager und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Schließlich wurde er nach sechsmonatiger Flucht 60 Kilometer vor Krasnodar von den Faschisten aufgegriffen und für seine dreiste Aktion in die Arrestzelle gesperrt.

Einige Sowjetdeutsche verweigerten nicht nur jegliche die Kollaboration mit den Nationalsozialisten, sondern leisteten auch aktiven Widerstand. So schloss sich z.B. Martin Schilling, nachdem er im Herbst 1943 zusammen mit vier weiteren sowjetischen Kriegsgefangenen aus der Gefangenschaft geflohen war und dabei zwei Gewehre und zwei Maschinengewehre erbeutet hatte, der im Rayon Mogiljow operierenden Partisaneneinheit von Osmanow an und war an mehreren Überfällen auf in weißrussischen Dörfern stationierte deutsche Garnisonen beteiligt. Das sollte allerdings nichts daran ändern, dass er, als seine Partisaneneinheit im Sommer 1944 aufgelöst und mit Einheiten der Roten Armee zusammengelegt wurde, als verdächtiges Element ins Landesinnere der Sowjetunion gebracht wurde und das Schicksal seiner Landsleute teilen musste.

Der einfache Soldat des 683. Schützenregiments P.P. Geier kämpfte, nachdem ihm zusammen mit seinen russischen Kameraden Borisow und Molokanow die Flucht aus deutscher Kriegsgefangenschaft gelungen war, in den Reihen jugoslawischer Partisanen gegen die deutsch-faschistischen Besatzer.

Die überwiegende Mehrheit der Sowjetdeutschen verweigerte die Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime und zog es vor, in Kriegsgefangenschaft zu bleiben. Nach dem Ende des Deutsch-Sowjetischen Kriegs kehrten viele im amerikanischen und britischen Einflussgebiet befindliche sowjetdeutsche Kriegsgefangene allen Warnungen zum Trotz freiwillig in ihre sowjetische Heimat zurück.

Autoren: Schulga I.

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