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Transkaukasus wirtschaftliche als auch religiöse Motive bewogen eine große Zahl von Württembergern, sich in den Jahren 1816 18 auf den Weg nach Rußland zu machen

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

Transkaukasus. Sowohl wirtschaftliche als auch religiöse Motive bewogen eine große Zahl von Württembergern, sich in den Jahren 1816‑18 auf den Weg nach Rußland zu machen. Die Menschen litten unter den Folgen der napoleonischen Kriege und die Bauern zusätzlich wegen einer Reihe nasser und kalter Jahre, wegen der hohen Grundsteuer und wegen der Zerstückelung der Wirtschaften infolge des schnellen Zunahme der Bevölkerung. Vor allem aber hatten sich unter den württembergischen Pietisten seit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in Protest gegen den aufgekommenen Rationalismus der lutherischen Kirche separatistische und schwärmerische Neigungen verbreitet. Nach Meinung der "Separatisten" leiteten die Französische Revolution und der Atheismus, Positivismus und Materialismus der damaligen Zeit die Herrschaft des Antichrist ein. Nach dieser Schreckensperiode erwarteten diese Chiliasten die baldige Wiederkunft Christi und den Anbruch des Tausendjährigen Friedensreiches der Offenbarung Johannes.

 

Bei der Vorbereitung der Auswanderung spielte die baltische Adelige Juliane Barbara von Krüdener, die seit 1808 unter den schwäbischen Chiliasten wirkte und besonders nach Napoleons Rückkehr von Elba Einfluß auf Zar Alexander I. gewann, eine wichtige Rolle. Er wurde von vielen als "Retter dieser Zeit", die von ihm initiierte "Heilige Allianz" als Gottes Werk verehrt. Die Baronin predigte 1815/16 zu den von Mißernten betroffenen Armen in Südbaden und in der Schweiz. Ihr Begleiter Kellner verkündete, daß sich die gereinigte Kirche in den Kaukasus zurückziehen müsse, sei doch auch die Arche Noahs am Berg Ararat gelandet.

 

Schon im Herbst 1816 fuhr eine Separatistengruppe aus Schwaikheim (Württemberg) die Donau hinunter. Die 281 Personen passierten im Oktober Wien und durchliefen die Quarantäne in Izmail. Einige Familien wollten sich bei Odessa niederlassen, die Mehrheit ersuchte aber den Zaren, sie nach Georgien weiterziehen zu lassen. Sie kamen im Frühjahr des folgenden Jahres in Tiflis an, in dessen Nähe sie das Dorf Mariental gründeten.

 

Anfang April 1817 meldete Golovkin, der russische Gesandte in Stuttgart, daß 5.037 Personen beiderlei Geschlechts ihr Interesse an einer Ansiedlung in Rußland bekundet hätten. Bei diesen handle es sich um "Pietisten", die den Herrnhutern ähnelten und ihre Gemeinschaften als "Harmonien" bezeichneten. Die Statuten der Eßlinger "Harmonie der Gläubigen" hatten ihre Vorsteher im November 1816 ausgearbeitet. In die "Harmonie" sollte nur aufgenommen werden, "wer sich zur Gemeinschaft der Heiligen durch wahren Glauben an Jesum Christum frei bekennt, ohne Hinsicht auf zeitliches Vermögen". Jeder sollte darauf achten, daß "kein Verschwender, noch Spötter, Heuchler, Lügner, Betrüger, Müßiggänger, Unzüchtiger, kurz Ungläubige angenommen werden". Älteste seien zu wählen, die "über das Ganze die Aufsicht haben" sollten, aber auch bei Versagen wieder abgesetzt werden könnten. Die Harmonie sollte auch Männer bestimmen, die für den Gottesdienst und den Schulunterricht zu sorgen hätten.

 

Golovkin gliederte die Auswanderer nach "militärischen Prinzipien" in Kolonnen von 200‑250 Mann und ließ sie Anführer wählen, denen er unumschränkte Gewalt über die gesamte Einheit übertrug. Die Kolonnen fuhren in kurzen Abständen in der Zeit vom 7./19. Mai bis zum 7./19. August 1817 in neun Transporten von Ulm los. Die insgesamt 5.508 Personen beiderlei Geschlechts hatten sich zu 963 "Familien" zusammengeschlossen. Die russische Regierung wollte die Einwanderer in Neurußland ansiedeln, doch bestand die Mehrheit der Einwanderer, die die Quarantäne in Izmail überlebt hatte, darauf, in den Kaukasus zu ziehen. Die Chiliasten entsandten zwei ihrer Anführer nach Moskau. Beeindruckt von ihrer "ungewöhnlichen Leidenschaft, beruhend auf ihrer einmütigen und unbeugsamen Überzeugung", erlaubte der Zar schließlich rund 500 Familien, unter ihnen auch 100 Familien von deutschen Kolonisten, die sich seit 1803/4 im Hinterland von Odessa niedergelassen hatten, die Weiterreise nach Georgien und gewährte ihnen dafür eine Unterstützung von 500.000 R.

 

                           

 

Die Einwanderer trafen zwischen August und November 1818 in Transkaukasien ein und gründeten 8 Kolonien, nämlich in Neu-Tiflis, wo vor allem Handwerker untergebracht wurden und das 1861 in Tiflis eingemeindet wurde, Marienfeld (Rosenfeld), Katharinenfeld (zu sowj. Zeit Luxemburg), Elisabethtal (Asureti), Alexanderdorf (zu sowj. Zeit Liebknechtsdorf) und Petersdorf im Umkreis von Tiflis sowie Annenfeld (russ. Annino, seit 1941 Šamchor) und Helenendorf (russ. Elenino, seit 1938 Chanlar) bei Elisavetpol´ (Gjand a). Die Kolonisten erhielten einen nadel von 35 Desjatinen. Alle Kolonien wurden der Expedition der Reichsdomänen bei der Hauptverwaltung des transkaukasischen Gebiets unterstellt. Bis 1824 gab die Regierung für die noch 480 Familien mit etwa 2.000 Personen fast 1 Million Rubel aus, so daß jede Familie seit 1832 eine Schuld von 2.000 Rubel abzutragen hatte. Wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen, der Epidemien und Viehseuchen und der Überfälle von Muslimen festigte sich die Wirtschaft der Kolonisten nur sehr langsam. In den Jahren 1826-28 wurden Katharinenfeld und Helenendorf völlig ausgeraubt, teilweise zerstört und 142 Kolonisten in die Sklaverei verkauft. Deshalb blieben die Kolonien bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Hilfe der Regierung angewiesen.

 

Deshalb erhöhte sich die Zahl der Kolonisten bis 1850 nur auf 2.864 Personen (562 Familien). Diese besaßen 1.280 Pferde und 3.141 Kühe sowie 333 Pflüge. Während des Krimkrieges (1853-56) hatten die Kolonisten zusätzliche Einnahmequellen. Sie verdienten an der Beförderung von Truppen und Material und verkauften ihre vierrädrigen Planwagen an die Armee. Allein in Helenendorf stellten Handwerker jährlich bis zu 1.600 solcher Wagen her, die sie zum Teil bis nach Persien verkauften. Seit 1864 durften die Kolonisten ihren nadel innerhalb bestimmter Grenzen auf ihre Söhne aufteilen. Dadurch entstanden neben Voll- auch Halb- und Viertelwirte, aber auch Landlose. Nachdem die Kolonisten zwei Tochterkolonien gegründet hatten - Alexanderhilf (1858) und Freudental (Abas-Tuman), verfügten die inzwischen neun Kolonien (ohne Neu-Tiflis) mit 3.927 Personen (688 Familien) 1870 über 24.407 Desjatinen Land. Auch die Zahl ihrer Pferde (1.827), Kühe (4.982) und Pflüge (488) hatte sich erhöht. Die Kolonisten belieferten Tiflis und Elisavetpol´ mit Kartoffeln, Milch, Butter und Käse. 1875 hatten die Kolonien ihre kazennye dolgi getilgt. Seit den 1880er Jahren wurden neue Tochterkolonien gegründet, u.a. Georgsfeld in der Nähe von Annenfeld (1887) und Petrovka in der Nähe von Kars (1891). Zu Beginn des Ersten Weltkriegs lebten in den Kolonien Transkaukasiens schon 12.059 Kolonisten, die über 45.526 Desjatinen verfügten. In einigen Kolonien wohnten zahlreiche postoronnye ljudi, die z.B. in Helenendorf im Jahre 1900 46% der Einwohnerschaft bildeten.

 

Quelle des Reichtums mehrerer Kolonien wurde der Weinbau. Die Kolonien besaßen 1870 fast 2 Millionen Weinstöcke und kelterten etwa 400.000 vedro Wein. Zwei Kolonistenfamilien dominierten den Weinhandel, nämlich die Helenendorfer Familien Vohrer und Hummel. Der Jahresumsatz der Firma “Gebrüder Vohrer” betrug in den 1870er Jahren 1.000 Rubel, 1895 rund 300.000 Rubel und 1911 schon 1,7 Millionen Rubel. 1900 besaß die Familie zwei Güter mit zusammen 2.900 Desjatinen, eine Kognak- und Branntweinbrennerei, eine Brauerei und eine Kunstmühle. Auch das “Handelshaus Gebrüder Hummel” steigerte seinen Umsatz von 50.000 Rubel (1895) auf 1.158.000 Rubel (1913). Ihren Kognak verkauften die beiden Firmen im ganzen Russischen Reich. Um mit diesen mächtigen Handelshäusern konkurrieren zu können, gründeten die Kolonisten eine Reihe von Winzergenossenschaften wie “Eintracht” (1905 in Helenendorf), “Hoffnung” (1906 in der Tochterkolonie Georgsfeld, russ. Georgievsk, später Leninfeld) und “Konkordia” (1908 in Helenendorf). Nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurden die beiden Privatfirmen enteignet und in die Aktiengesellschaften “Zakavkazskoe vinodelie” und “Ju noe vinodelie” überführt und nach der Sowjetisierung Azerbeid ans 1920 verstaatlicht.

 

Die geistliche Betreuung der Kolonisten übernahmen seit 1823 Prediger der Basler Missionsanstalt. Einer von ihnen entwarf eine Kirchenordnung, die 1829 auch vom Zaren bestätigt wurde. Unter den ehemaligen Separatisten bildeten sich mehrere Sekten. Als Barbara Spohr unter einigen Kolonisten die Hoffnung verbreitete, daß das 1000jährige Friedensreich im Jahre 1846 eintreten werde, bereitete sich eine Gruppe von 362 Personen 1843 zur Auswanderung nach Palästina vor, wurden aber von Kosaken zurückgehalten.

 

In zarischer Zeit gab es in den Kolonien siebenjährige Volksschulen, je ein Realgymnasium in Tiflis und Helenendorf und eine höhere Elementarschule in Katharinenfeld. Das Gymnasium in Tiflis wurde nach der Sowjetisierung aufgelöst, die übrigen Schulen wurden ins sowjetische Schulsystem überführt. In der Zeit zwischen der Revolution von 1905 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges sowie in den ersten Nachkriegsjahren besaßen die Transkaukasischen Deutschen in der “Kaukasischen Post” (Tiflis) eine eigene Wochenzeitung..

 

Posle revoljucij 1917 g. Nach dem Zerfall des Russischen Reiches bildete sich ein “Zakavkazskij Nemeckij Nacional´nyj Sovet”, der Kontakt zu den kurze Zeit unabhängigen Republiken Georgien und Azerbajd an (1918-20) unterhielt. Im Nationalrat der “Demokratischen Republik Azerbeid an” waren die Deutschen durch den Helenendorfer Kolonisten Lorenz Kuhn vertreten. Nach der Durchsetzung der Sowjetmacht in Georgien und Azerbaid an schlossen sich die deutschen Winzer im Rahmen der N P zu zwei Genossenschaften “Konkordia” (Helenendorf) und “Union” (Katharinenfeld) zusammen, die auch Schulen und Internate subventionierte und Stipendien vergab. Die Genossenschaften erlebten in den 1920er Jahren mit 160 Verkaufsstellen in der gesamten UdSSR eine Blüte, bis sie im September 1929 gleichgeschaltet wurden. In den errsten vier Jahren der sowjetischen Herrschaft entstanden neue Tochterkolonien, so daß es 1926 17 deutsche Kolonien in Georgien und 8 in Azerbeid an gab.

 

1929 begann die Kollektivierung, gegen die deutschen Bauern im März 1930 protestierten. Der Druck auf die Bevölkerung erhöhte sich jedoch weiter: 1934 wurde eine größere Zahl von Deutschen wegen der Annahme der “Hitler-Hilfe” verhaftet und eine Reihe von Lehrern als “sozial fremd” vom Dienst suspendiert; 1935 wurde die “Konkordia” geschlossen und ein Teil ihres leitenden Personals verhaftet; in jenem Jahr deportierte der NKVD 76 “Kulaken”-Familien na Belomorsko-Baltijskij Kombinat. Alle Pastoren wurden bis 1936 verhaftet und wegen “Spionagetätigkeit” verurteilt. Seit dem Schuljahr 1938/39 konnten die deutschen Kinder nur noch russischsprachige Schulen besuchen. In der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts verbreiteten sich unter den Deutschen Transkaukasiens Gerüchte, daß sie bald nach Deutschland emigrieren dürften. Viele bereiteten sich durch Verkauf ihres Eigentums auf die erhoffte Ausreise vor. Zum Zeitpunkt der Deportation in den asiatischen Teil der UdSSR lebten in der Azerbajd anskaja SSR 25.625, in der Gruzinskaja SSR 20.423 und in der Armjanskaja SSR 212 Deutsche.

Literatur

Schrenk, F.M.: Geschichte der deutschen Kolonien in Transkaukasien. Tiflis 1869; Hoffmann P.: Die deutschen Kolonien in Transkaukasien. Berlin 1905; Auch E.-M.: Unternehmerische Aktivitäten deutscher Kolonisten in Transkaukasien. In: “... das einzige Land in Europa, das eine große Zukunft vor sich hat.” Deutsche Unternehmen und Unternehmer im Russischen Reich im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Hg. v. D. Dahlmann u. C. Scheide. Essen 1998, S. 589-610; D afarli, Mamed: Politi eskij terror i sud´by Azerbajd anskich nemcev. Baku 1998.

Autoren: Brandes Detlef

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