Wolgaregion (Powolschje) – Landschaft am Mittel- und Unterlauf der Wolga und in den ökonomisch auf diese ausgerichteten angrenzenden Gebieten. Die Wolgaregion umfasst das eher hügelige linke Ufer mit der Wolgaplatte, das flache rechte Ufer (das sogenannte Sawolschje) sowie die Kaspische Senke im Süden. Wichtigster landschaftsbildender Faktor ist die Wolga. Das Territorium der Wolgaregion liegt in Wald-, Waldsteppen-, Steppen- und Halbwüstenzonen. Das Klima ist kontinental mit heißen langen Sommern, häufigen starken Dürreperioden und strengen Wintern, wobei die Schneedecke im südlichen Teil nicht durchgängig ist.
Im Russischen Reich wurden die Gouvernements Nischnij Nowgorod, Kasan, Simbirsk, Saratow und Astrachan zur Wolgaregion gezählt. In heutiger Zeit umfasst die Wolgaregion die Autonomen Republiken Kalmückien und Tatarstan sowie die Gebiete Astrachan, Wolgograd, Pensa, Samara, Saratow und Uljanowsk, die die Wirtschaftsregion Wolga bilden.
Die ersten Deutschen, deren Präsenz in den Garnisonen Samara, Saratow, Zarizyn und Astrachan in den Dokumenten Erwähnung findet, kamen bereits unter Zar Aleksej Michajlowitsch als „deutsche Dienstleute“ in die Wolgaregion. Einige von ihnen wurden Wojewoden oder bekleideten andere hohe Posten im Staatsdienst. 1671–72 wurde Samara von dem Wojewoden W.Ja. Ewerlakow (dt.: von Overlacker) verwaltet, auf den mit A.D. Fonwisin ein Vertreter des bekannten Adelsgeschlechts der von Wiesen folgte, der den Posten des Wojewoden bis 1674 innehatte. 1673 wurde auf dem rechten Ufer unter der Leitung von Oberst A. Scheel, der den Befehl erhalten hatte, „auf den Bergen eine neue Stadt“ zu errichten, der Bau des neuen Saratow in Angriff genommen. Scheel zeichnete sich beim Festungsbau aus und galt als Mann der Tat, der Konflikten nicht aus dem Weg ging und sich nicht scheute, den dem Bauvorhaben im Wege stehenden Fischereihof des einflussreichen Nowospasskij-Klosters abreißen zu lassen. Die von Scheel angelegte Stadt wurde zur Keimzelle des heutigen Saratow. Später bekleidete Scheel als dritter Deutscher den Posten des Wojewoden Samaras (1676–78), das unter seiner Führung nicht nur seine Rolle als Festungsstandort festigen konnte, sondern auch zum Zentrums des Handels sowohl über Land als auch auf der Wolga wurde.
Im Zuge der auf die Erschließung der schwach besiedelten Randgebiete ausgerichteten Kolonisierungspolitik des Russischen Reichs kamen nach der Veröffentlichung der Manifeste Katharinas II. vom 4. April 1962 und 22. Juli 1763 die ersten ausländischen Kolonisten in die Wolgaregion. Eine erste größtenteils aus Handwerkern und Spezialisten für Maulbeerzucht bestehende zwanzigköpfige Kolonistengruppe kam im Oktober 1763 nach Astrachan. Im weiteren Verlauf wurden die bei Saratow an beiden Ufern der Wolga gelegenen Gebiete von Kolonisten besiedelt. Zum Vertreter der Fürsorgekanzlei für Ausländer wurde der Assessor I. Reis ernannt, der im Herbst 1763 mit einer aus über 200 Personen bestehenden Kolonistengruppe nach Saratow aufbrach. Die ersten Kolonistengruppen kamen mit Lastfuhrwerken aus Oranienbaum (Lomonossow) über Peterhof, Nowgorod, Twer, Moskau, Rjasan, Pensa und Petrowsk nach Saratow. Von 1764 an nutzten größere Kolonistengruppen den Wasserweg: von St. Petersburg über die Newa, den Ladoga-Kanal und den Fluss Wolchow nach Nowgorod, weiter über den Fluss Msta nach Wyschnij Wolotschok, auf dem Landweg nach Torschok, dann über den Fluss Twerza nach Twer und von dort auf der Wolga über Jaroslawl, Kostroma und Nischnij Nowgorod. Die Kolonisten wurden in einzelnen Gruppen etappenweise in die Wolgaregion geschickt, um an verschiedenen Orten zwischen Twer und Samara überwintern und alljährlich zwischen Mai und August nach Saratow kommen zu können. Der Weg nach Saratow war lang und beschwerlich und kostete 3.300 Menschen das Leben (12,5% aller Personen, die sich auf den Weg an die Wolga begeben hatten).
Nach ihrer Ankunft in Saratow wurden die Kolonisten zunächst bei Stadtbürgern und von 1965 an in eigens für sie gebauten Kasernen einquartiert. Bis April 1764 legte die Mannschaft von Reis die Standorte der ersten fünf Kolonien fest. Drei Kolonien (Dobrinka, Ust-Kulalinka und Sosnowka) lagen südlich von Saratow unmittelbar am rechten Ufer der Wolga, zwei weitere ebendort, aber weiter vom Fluss entfernt. Wie in allen späteren Fällen wurden die Standorte der Kolonien unter Berücksichtigung des Landschaftsprofils ausgewählt und lagen stets in der Nähe von Wasserquellen. Für den Bau der Kolonistensiedlungen gab es zwei typische Grundrisse: für 40 und 64 Höfe (siehe Artikel zum Thema Architektur). 1765 wurden acht Kronkolonien gegründet: Golyj Karamysch, Schtscherbakowka, Werchnjaja Kulalinka, Kamenka und Lesnoj Karamysch auf dem rechten Ufer sowie Podstepnaja, Teljausa und Swonarjowka in der Nähe des linken Ufers der Wolga. Im gleichen Jahr wurde auf der Bergseite mit Rossoschi die erste Werberkolonie gegründet, in der sich auch der Anwerber de Boffe niederließ. In der Nähe der früheren Kolonien, jedoch immer weiter vom Fluss entfernt, wurden 1766 acht Kronkolonien (Ust-Solicha, Kljutschi, Gololobowka, Jelschanka, Werchnjaja Dobrinka auf der Bergseite, Lugowaja Grjaznucha, Stariza und Swonarjow Kut auf der Wiesenseite), sechs Werberkolonien von de Boffe (die allesamt auf dem rechten Ufer gelegenen Potschinnaja, Grjasnowatka, Kopjonka, Kamennyj Owrag, Makarowka und Karamyschewka), die ersten neun Kolonien des Anwerbers Leroy hinter der Wolga (Tonkoschurowka, Susly, Lipow Kut, Chajsol, Osipowka, Lipowka, Krutojarowka, Otrogowka und Raskaty), sowie die ersten zwei Kolonien des Anwerbers Baron Canneau de Beauregard (Katharinenstadt und Beauregard) gegründet. 1767 wurden 55 Kolonien gegründet, von denen viele bereits mehrere Dutzend Kilometer vom Fluss entfernt lagen. Unter diesen waren 21 Kronkolonien (Bujdakow Bujerak, Krestowyj Bujerak, Wodjanoj Bujerak, Werchnjaja Grjasnucha, Panowka, Gniluschka, Semjonowka, Ilawlja, Karaulnyj Bujerak, Popowka, Norka, Splawnucha, Jagodnaja Poljana, Linjowo Osero, Medwedizkij Krestowyj Bujerak, Gretschinaja Lukaw und Peskowatka auf der Bergseite), Krasnyj Jar und Ust-Karaman auf der Wiesenseite), 14 Kolonien des Anwerbers Beauregard (Orlowskaja, Susannental, Baratajewka, Paninskaja, Bern, Zürich, Boisroux, Cäsarsfeld, Ernestinendorf, Canneau, Obermonjou, Niedermonjou, Philipsfeld, Paulskaja, 16 Kolonien des Anwerbers Leroy (Priwalnaja, Krasnopolje, Kotschetnaja, Kustarjowa, Krasnorynowka, Rownaja, Skatowka, Tarlykowka, Tarlyk, Popowkina, Jablonowka, Wolskaja, Stepnaja, Saumorje, Berjosowka, Kosizkaja; vier Kolonien des Anwerbers de Boffe (Werchowje, Pamjatnaja, Werschinka und Oljeschnja. 1768 gründete Beauregard aus Kolonisten, die bereits 1767 gekommen waren und in den bestehenden Kolonien überwintert hatten, auf dem linken Ufer der Wolga nördlich von Saratow zwölf weitere Kolonien (Schaffhausen, Glarus, Basel, Solothurn, Zug, Luzern, Bern, Unterwalden, Baskakowka, Resanowka, Brokhausen und Hockerberg), in denen er etwa hundert 1767 und 1768 von ihm angeworbene Familien ansiedelte. 1773 wurde von der letzten Siedlergruppe die Kronkolonie Pobotschnaja gegründet. 137 Kolonisten ließen sich in Saratow nieder und gründeten dort eine eigene deutsche Vorstadt. Bereits 1765 entstand auf dem rechten Ufer der Wolga 400 km südlich von Saratow bei Zarizyn die Kolonie Sarepta. So wurden in den Jahren 1763–73 in der Wolgaregion 105 Kolonien gegründet (42 Kron- und 63 Werberkolonien), in denen 23.200 Kolonisten angesiedelt wurden, die zu 60% Ackerbauern waren. Die übrigen übten über 150 verschiedene Gewerke aus.
Allen gewaltigen Schwierigkeiten zum Trotz wurden alle Kolonistenfamilien mit eigenen Häusern ausgestattet. Bis Ende 1767 wurden in der Wolgaregion insgesamt 3.453 und im Folgejahr weitere 998 für die Kolonisten bestimmte Häuser gebaut. Nur bei einem Teil der von Anwerbern vermittelten Kolonisten mussten sich in den Jahren 1768–69 jeweils zwei Familien ein Haus teilen. Die für die Kolonisten bestimmten Häuser und Wirtschaftsgebäude wurden von Handwerkern errichtet, die nicht nur in den benachbarten russischen Dörfern, sondern auch in vielen anderen Regionen Russlands angeworben wurden. Der Bau der Wirtschaftsgebäude zog sich über mehrere Jahre hin und wurde erst 1769 abgeschlossen. Eine zentrale Aufgabe des von Reis geführten 1766 in Saratow eingerichteten Fürsorgekontors bestand darin, die Kolonisten mit landwirtschaftlichem Inventar und Vieh auszustatten. Die meisten Kolonistenfamilien erhielten jeweils zwei Pferde und eine Kuh, wofür Vieh nicht nur in der Wolgaregion, sondern auch in anderen Regionen des Landes angekauft werden musste.
Da die Kolonien ursprünglich keine Namen, sondern nur Ordnungsnummern hatten, gingen die Kolonisten bald dazu über, ihren Siedlungen selbst Namen zu geben, bei denen es sich oft um die Familiennamen ihrer Vorsteher handelte. Per Erlass vom 26. Februar 1768 wurden den Kolonien offiziell russische Namen gegeben, die in offiziellen Dokumenten bis 1926 verwendet wurden. Ein großer Teil der Kolonien wurde nach Flüssen, Schluchten oder anderen charakteristischen Landschaftsmerkmalen oder für den Standort der Kolonie typischen Pflanzen benannt. Der Anwerber Beauregard benannte seine Kolonien nach der Zarin (Katharinenstadt), deren Sohn (Paulskoe), seiner Frau und seinen Kindern, dem eigenen Vor- und Familiennamen, den Namen von Verwaltern und anderen Angestellten und Freunden. Den acht nördlichen Kolonien gab er die Namen von Schweizer Kantonen (Bern, Luzern, Basel usw.), da er beabsichtigte, dort eine Selbstverwaltung nach Schweizer Vorbild einzurichten, was sich wie auch einige weitere Projekte aber letztlich nicht umsetzen ließ.
Die Kolonien waren ursprünglich in dreizehn jeweils von einem Kreiskommissar geführte Verwaltungskreise unterteilt, von denen allerdings schließlich nur elf Kolonistenkreise (Sosnowka, Norka, Baron, Tarlyk usw.) blieben, da sich das Fürsorgekontor aus Mangel ein Kreiskommissaren dazu gezwungen sah, einige Kreise zur Vereinfachung der Verwaltung zusammenzulegen. Der Aufteilung lagen drei Prinzipen zugrunde: Konfession, Territorium und behördliche Zuständigkeit.
Nach einigen Jahrzehnten ungeordneter Lebensumstände stieg der Wohlstand sowohl einzelner Familien als auch der Kolonien insgesamt. Allerdings sahen sich die Kolonien mit einem neuen Problem konfrontiert – dem Landmangel. In der Zeit zwischen der fünften (1788) und der achten (1834) Volkszählung verdreifachte sich die Einwohnerzahl der Kolonien, was nicht ohne Auswirkungen auf die Stabilität der Kolonistenhaushalte bleiben konnte. 1834 kamen in den Kolonien der Bergseite auf eine männliche Person gerade einmal 7-8 Desjatinen Land.
Angesichts der Landknappheit waren einige Kolonistenfamilien bestrebt, über die Grenzen der Wolgaregion hinaus umzusiedeln. Anfang der 1830er Jahre siedelten einige Wolgakolonisten eigenmächtig auf die „Kaukasuslinie“ in das Gouvernement Stawropol über und gründeten dort die Kolonie Johannesdorf und zusammen mit schottischen Missionaren die Kolonie Karras. 1850 setzte eine zweite Welle spontaner Übersiedlung in den Nordkaukasus ein. Ungeachtet eines kategorischen Umsiedlungsverbots und der Androhung strenger Strafen gründeten einige aus der Wolgaregion kommende Kolonistenfamilien 1859 bei der im Bezirk Pjatigorsk gelegenen Festung Naltschik die Kolonie Aleksandrowskaja. Die Kolonisten setzten sich sich aktiv dafür ein, die Genehmigung einer Übersiedlung in den Kaukasus zu erhalten, die ihnen am 25. April 1865 schließlich erteilt wurde. Im Zuge der Übersiedlung landloser Kolonisten von der Wolga in das Gouvernement Stawropol wurde als weitere Kolonie Canneau gegründet. Insgesamt siedelten in den Jahren 1838–71 über 1.300 Kolonisten aus der Wolgaregion in den Nordkaukasus über.
Dank hartnäckiger Lobbyarbeit des Saratower Fürsorgekontors in St. Petersburg bestätigte das Departement für Staatsvermögen (I. Departement) schließlich am 12. März 1840 die Verordnung „Über die Zuteilung von Land an die im Gouvernement Saratow ansässigen Kolonisten entsprechend den Daten der 8. Volkszählung“, deren Verabschiedung damit begründet wurde, dass die Kolonisten ungeachtet der in den Saratower Kolonien zu verzeichnenden gestiegenen Bevölkerungszahlen und des spürbaren Landmangels die ihnen aufgrund der 5. Volkszählung (nach dem Höchsten Erlass vom 4. Dezember 1797) zustehenden Pro-Kopf-Anteile von zwanzig Desjatinen noch nicht erhalten hatten. Pro Kopf sollten 15 Desjatinen Land zugeteilt werden. Das Departement ordnete an, die Landzuteilungen so zu bemessen, dass sie eigene Kreise bilden konnten. Infolge bürokratischer Verschleppungen wurde die Umsetzung dieses Beschlusses erheblich verzögert, so dass die Menge des zur Umsiedlung bereitzustellenden Landes erst 1844 festgesetzt wurde. Den Kolonisten der Wiesenseite der Wolga wurden 125.076 Desjatinen, den Kolonisten der Bergseite 246.320 Desjatinen zugeteilt. Im Folgenden wurden diese Zahlen noch etwas geändert. Angesichts der großen Entfernung zu den bestehenden Kolonien mussten Tochterkolonien gegründet werden. Auf den den linksufrigen Kolonien zugeteilten Ländereien wurden von 1848 an (in chronologischer Ordnung) die folgenden neuen Siedlungen gegründet: Rosental, Lilienfeld und Neu Boisroux (1848), Fresental, Sichelberg, Rosendam, Weizenfeld, Alexanderdorf (1849), Gnadenflur (1850), Marienburg, Manheim, Neu Urbach, Alexanderhöh und Neu Tarlyk (1859), Wiesenheim und Lisandrowka (1861), Neu Mariental (1864). Die drei Kolonien Wiesenheim, Lisandrowka und Alexanderdorf wurden aufgelöst und die Einwohner in die Kolonien Rosendam, Marienburg und Alexanderhöh umgesiedelt. Von 1855 an gründeten die auf der Bergseite der Wolga siedelnden Kolonisten Tochterkolonien auf dem linken Ufer. Insgesamt entstanden 32 neue Kolonien: Eckheim, Friedenfeld, Ährenfeld, Gnadenfeld, Neu Sosnowka, Brunnental, Marienberg (1855); Schöntal (1857); Schöndorf und Schönfeld (1858); Katherinental, Jagodnaja, Konstantinowka, Neu Bauer, Rosenfeld, Hoffental, Langenfeld, Beideck und das mit diesem vereinte Kirchheim (1859); Hussenbach, Wiesenmiller, Friedenberg, Gnadentau, Canneau, Morgentau, Straßburg, Blumenfeld und Neu Galka (1860); Frankreich, Alt Weimar, Neu Weimar (1861); Streckerau (1863); Straßendorf (1871). Auf der Bergseite der Wolga wurden dem Saratower Fürsorgekontor die sogenannten Kamyscher Stadtländereien zur Verfügung gestellt, auf denen die elf Kolonien Rosenberg, Erlenbach und Oberdorf (1847); Neu Norka (1861); Marienfeld und Josefstal (1852); Unterdorf und Alexandertal (1853); Neu Balzer, Neu Dönhof und Lisanderdorf (1863) entstanden. Insgesamt siedelte bis zu ein Drittel der Kolonisten in Tochterkolonien über und gründete 61 Kolonien: 50 im Bezirk Nowousensk (Gouvernement Samara) und elf im Bezirk Kamysch (Gouvernement Saratow). Auf dem linken Ufer bildeten die neuen Kolonien die vier Kreise Werchnij Karaman, Nischnij Karaman, Jeruslan und Torgunskij. Acht im Bezirk Kamyschin gelegene Kolonien bildeten den Kreis Ilawlja, drei Kolonien blieben ihrem Ursprungskreis Sosnowka unterstellt. Sowohl auf dem linken als auch auf dem rechten Ufer wurden alle Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen nach dem Muster der Mutterkolonien aufgebaut.
Mit der Unterstellung unter die allgemeine Verwaltung wurden die Kolonistenkreise 1871 zu Amtsbezirken (Wolost), wobei große Kreise in mehrere Amtsbezirke aufgeteilt wurden. So wurde z.B. der Kreis Norka in die Amtsbezirke Norka, Linjowo Osero, Medwediza und Oleschnja, der Kreis Tarlyk in die Amtsbezirke Rownoje, Stepnaja Schentala und der Kreis Jeruslan in die Amtsbezirke Werchnij Jeruslan, Nischnij Jeruslan und Bisjuk aufgeteilt.
Im Zuge der letzten deutschen Migrationswelle an die Wolga kamen Mennoniten aus Preußen in die Bezirke Nowousensk und Samara (Gouvernement Samara). 1853 vereinbarten Vertreter der Mennoniten und der russischen Regierung, 100 Familien geschlossen auf den auf dem linken Wolgaufer gelegenen freien Ländereien anzusiedeln und diesen weitgehende Privilegien zuzugestehen: Jede Familie erhielt mit 65 Desjatinen Nutzland deutlich größere Landzuteilungen als die im 18. Jahrhundert übergesiedelten Kolonisten. In den ersten drei Jahren nach der Übersiedlung waren die Mennoniten von allen Steuern und Gebühren befreit. Darüber hinaus waren sie für 20 Jahre grundsätzlich von der Wehrpflicht befreit und sollten nach Ablauf dieser Frist für jeden nicht eingezogenen Rekruten 300 Rubel zahlen. Im April 1854 trafen die ersten Familien in Russland ein, die zunächst bei ihren Glaubensbrüdern in den an der Molotschna gelegenen Kolonien in Südrussland untergebracht wurden, da im Bezirk Nowousensk die Vermessung der zugeteilten Landstücke noch nicht abgeschlossen war. Nach Prüfung aller angebotenen Varianten stimmten die Übersiedler zu, am Standort der früheren Salzstraße nahe der Mündung des Flüsschens Malyschewka in den Fluss Garlyk zu siedeln. Im Herbst 1854 war die Vermarkung der ersten beiden Kolonien (Hansau und Köppental) abgeschlossen. Nach Erhalt der benötigten Besitzdokumente kehrten die Vertreter der Mennoniten an die Molotschna zurück, wo sich bereits 27 aus Preußen gekommene Familien eingefunden hatten. Am 14. Januar 1855 kamen sie schließlich an die Wolga in die Kolonie Priwalnoje (Warenburg). In die beiden weiteren Kolonien Lipdenau und Fresenheim kamen die Übersiedler in den Jahren 1857–61. Die Bevollmächtigten der in der Kolonie Köppental ansässigen mennonitischen Gemeinschaft Ja. Hamm und D. Dück wandten sich am 17. Juni 1861 mit der Bitte an das Saratower Fürsorgekontor, ihnen weiteres Land zuzuteilen, da die bereitgestellten 6.500 Desjatinen bereits vollständig besiedelt waren und es in Preußen noch zahlreiche Übersiedlungswillige gab. Das Ministerium für Staatsvermögen zeigte sich schnell bereit, ab 1862 für 160 weitere Familien 10.680 Desjatinen Land zur Verfügung zu stellen. Ursprünglich sollten auf dem nördlich der ursprünglichen vier Kolonien gelegenen an die Pokrowsker Vorstadt grenzenden Land sechs neue Kolonien gegründet werden, aber ernsthafte Probleme mit der Wasserversorgung der Kolonie Fresental (das Wasser auf den nördlich gelegenen Ländereien wurde immer salziger) zwangen die Führung der Mennoniten, das Ministerium zu bitten, dieses Landstück gegen geeignetere Ländereien zu tauschen. Nach kurzen Verhandlungen einigte man sich auf ein östlich der ersten Kolonien an der früheren Salzstraße gelegenes Landstück. Den Kolonien Ostenfeld und Medental wurde Neuland, den Kolonien Hohendorf, Lisanderhöh, Orlow und Walujewka bereits erschlossenes Land zugeteilt. Auf Anordnung des Ministeriums für Staatsvermögen wurden die mit den früheren Pächtern für das Jahr 1862 geschlossenen Pachtverträge gekündigt und das Land den mennonitischen Gemeinschaften und der Kontrolle des Saratower Fürsorgekomitees überlassen. Die endgültige Besiedlung der geplanten sechs mennonitischen Kolonien zog sich bis in die 1880er Jahre hin. Zehn mennonitische Kolonien wurden zum Amtsbezirk Malyschewka zusammengeschlossen. Nach der Übersiedlung in die wasserlose, waldlose, salzige und für die landwirtschaftliche Nutzung eigentlich unbrauchbare Steppe verwandelten die Mennoniten ihr Land innerhalb weniger Jahre durch Einsatz spezieller Anbautechniken und beispiellosen Fleiß in eine blühende Oase. Eine Kolonie (Hansau) musste allerdings dennoch aufgegeben werden.
Ihre Namen bekamen die im Bezirk Nowousensk gelegenen mennonitischen Kolonien in den meisten Fällen nach den Familiennamen von Amtspersonen, die in der einen oder anderen Weise an der Übersiedlung der Kolonisten nach Russland und der Gründung der Kolonien beteiligt waren (Hans, Köppen, Freken, Lisander, Osten-Saken, Walujew, Orlow), sowie nach charakteristischen Landschaftsmerkmalen (Lindenau, Höhendorf).
Auch in der Gegend von Samara wurde den Mennoniten Land zur Verfügung gestellt. 1858 gründeten die ersten 15 Familien die Siedlung Aleksandertal (benannt zu Ehren des Zaren Aleksander II.), die zum Zentrum des gleichnamigen Amtsbezirks wurde. Im Verlauf des ersten Jahres wurde das Land verteilt. Bis 1868 entstanden neun neue Siedlungen: Neuhoffnung (1862); Mariental, Grotsfeld, Murawjow (1863); Orlow, Marienau, Lindenau (1866); Liebental (1867) und Schönau (1868). 1870 war die Besiedlung der Kolonien weitgehend abgeschlossen. 1881 hatten die bei Samara gelegenen Mennonitenkolonien 689, im Jahr 1900 1.313 Bewohner.
Bald nach der Gründung des Amtsbezirks Aleksandertal im Jahr 1864 begannen die Behörden, auch auf den benachbarten Ländereien Deutsche anzusiedeln, wo der Amtsbezirk Konstantinow gegründet wurde. Diese zweite Siedlungsgruppe gründeten deutsche Lutheraner und Katholiken, bei denen es sich größtenteils um aus der Gegend von Lodz kommende Weber sowie verarmte Kolonisten aus der Gegend von Warschau und Krakau handelte. Bis 1871 wurden 13 Siedlungen gegründet: Konstantinow, Peterhof, Bergtal, Kaisersgnade, Hoffental, Straßburg, Nikolajew, Romanow, Fürstenstein, Reinsfeld, Rosental, Rettungstal und Wladimirow. 1882 hatten diese etwa 3.000, im Jahr 1900 3.520 Einwohner.
Die im Jahr 1871 vollzogene rechtliche Gleichstellung der Kolonisten mit den russischen Bauern, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1874, das weiterhin bestehende Problem der Landknappheit sowie mehrere Missernten veranlassten eine immer größere Zahl der in der Wolgaregion lebenden Deutschen, in den Westen und insbesondere in die Länder Nord- und Südamerikas zu emigrieren. Besonders hoch waren die Emigrantenzahlen in den Jahren 1876–79, 1888/89, 1891, 1898/99, 1904/05 und 1912–14. Insgesamt kehrten im Zeitraum 1876–1913 etwa 100.000 Personen Russland den Rücken. Eine breite Resonanz fand unter den Wolgadeutschen auch die Agrarreform P.A. Stolypins, in deren Folge in den Jahren 1906–14 Hunderte deutsche Bauernfamilien aus der Wolgaregion nach Baschkirien, in das Gouvernement Orenburg, nach Sibirien und sogar nach Mittelasien umsiedelten.
Laut Volkszählung von 1897 lebten in der Wolgaregion 395.800 Deutsche, die zu einem großen Teil Bauern und frühere Kolonisten waren. Zugleich gab es Anfang des 20. Jahrhunderts in allen mehr oder weniger großen Städten der Wolgaregion deutsche Diasporagruppen, die größte davon in Saratow. Die am Standort der früheren deutschen Vorstadt entstandene Deutsche Straße war eine der Hauptstraßen Saratows, an der die große katholische St. Klementinen-Kathedrale stand. Ganz in der Nähe ragte in der Nikolskaja-Straße der Turm der lutherischen St. Marienkirche in die Höhe. In Samara war die lutherische St. Georgskirche eine Zierde der Stadt. Die Deutschen spielten nicht mehr nur in der Landwirtschaft, sondern auch in Industrie und Handel sowie im Wissenschafts- und Kulturbetrieb der Region eine nicht zu übersehende Rolle. Einige übten wichtige Staatsämter aus. So waren z.B. K.K. Grot (1853–60) und I.L. Blok (1906) Gouverneure von Samara. Letzterer fiel auf tragische Weise einem terroristischen Attentat zum Opfer. In den Jahren 1901–03 war A. Engelhardt Gouverneur von Saratow. Ja. Ditz und W. Schellhorn waren Abgeordnete der 1. Staatsduma.
Als Großunternehmer waren Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem G.K. Wenke (Mechanische Produktion, Samara), A. von Vacano (der „Bierkönig der Wolgaregion“, Stammvater des heutigen Schiguli-Bieres, Samara) O.K. Könizer (Teigwarenherstellung, Samara), Bender und Söhne (Produktion und Handel mit Sarpinka-Textil, Saratow), O.E. Bering (Eisengießerei und mechanische Produktion, Saratow), Borelli, Reineke, Schmidts (Mehlproduktion, Saratow), Glitsch (Senfherstellung, Sarepta) in der Wolgaregion aktiv.
Das architektonische Erscheinungsbild der Wolgastädte wurde durch talentierte Architekten und Städtebauer wie Ju.K. Böhm, A.K. Liverstein, D.A. Werner, Ch.I. Losse, K.L. Müfke, K.W. Tiden, F.I. Schechtel, I.W. Storm und andere maßgeblich mitgeprägt. An der Saratower Universität waren zahlreiche namhafte Wissenschaftler wie z.B. der Mathematiker W.W. Wagner, die Professoren A.W. Worms, P.K. Haller, N.I. Krause und G. Meistner tätig. Darüber hinaus gab in jenen Jahren in den Wolgastädten viele deutsche Ingenieure, Lehrer, Ärzte und Kulturschaffende.
Während des Ersten Weltkriegs wurden die in den westlichen Gouvernements des Russischen Reiches lebenden Deutschen infolge der staatlichen Diskriminierungspolitik unter Polizeiaufsicht in die Wolgaregion und andere grenzferne innere Gouvernements umgesiedelt. Im November 1914 kamen die ersten vor allem aus den Gouvernements Warschau, Łomża, Lublin und Plotzk stammenden Gruppen ausgesiedelter Deutscher in die Gouvernements Samara und Saratow. Die Umsiedlung zog sich bis April 1915 hin. Im Frühjahr 1915 wurden die Weichselkolonisten nach nationalen Kriterien innerhalb der Wolgaregion verteilt und aus den Gouvernements Astrachan, Kasan und Simbisrk in die kompakten Siedlungsgebiete der Wolgadeutschen verbracht. Bis Oktober 1915 kamen jeweils etwa 30.000 Deportierte in die Gouvernement Saratow und Samara. Von September 1915 an kamen aus den Bezirken Nowograd-Wolynski und Schitomir stammende Wolhyniendeutsche in die Wolgaregion, deren Zahl im Gouvernement Saratow Mitte 1916 bei 6.680 Personen lag. Neben den Wolhyniendeutschen kamen auch aus anderen im Westen des Russischen Reichs gelegenen Gouvernements und insbesondere aus den Bezirken Radomyschl (Gouvernement Kiew) und Brest-Litowsk (Gouvernement Grodno) stammende Deutsche. Die größtenteils ungeordnete Rückkehr der Deportierten an ihre Vorkriegswohnorte begann im Sommer 1917 und erreichte nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Brest-Litowsk ihren Höhepunkt. Bis Juli 1918 verließen etwa 50% der aus den westlichen Gouvernements ausgesiedelten Kolonisten die Wolgaregion wieder.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs sahen sich die Wolgadeutschen wie alle im Russischen Reich lebenden Deutschen einer antideutschen Kampagne ausgesetzt. Im Zuge der Kampagne zur Ausmerzung deutscher Ortsnamen wurden die deutschen Siedlungen umbenannt. Deutsche Vereine und Organisationen, deutschsprachige Publikationen und der Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit wurden verboten. Zwar wurden die Wolgadeutschen zum Kriegsdienst einberufen, aber nur in begrenzter Zahl und vor allem an die Kaukasusfront. Im Vergleich zu Petrograd, Moskau, Nischnij Nowgorod und den westlichen Gouvernements blieb die antideutsche Kampagne in der Wolgaregion relativ schwach, was nicht zuletzt darin Ausdruck fand, dass es hier keine antideutschen Pogrome gab. Nichtsdestotrotz fügte die nationale Diskriminierung den Deutschen einen erheblichen materiellen und moralischen Schaden zu. Im Dezember 1915 beschloss die Regierung, die gesamte deutsche Bevölkerung von Frühjahr 1917 an aus der Wolgaregion nach Sibirien auszusiedeln. Am 6. Februar 1917 sanktionierte Zar Nikolaj II. die Anwendung der Gesetze vom 2. Februar 1915, denen zufolge das Land der Wolgadeutschen enteignet werden sollte. Bevor die Zwangsumsiedlung und Enteignung der Deutschen umgesetzt werden konnte, stoppte die Provisorische Regierung nach der Februarrevolution die Liquidationsgesetze.
Nach dem Sturz der Autokratie gründeten die Wolgadeutschen auf der Welle der sich in Russland vollziehenden allgemeinen Demokratisierungsprozesse ihre eigene Autonomiebewegung, deren Anhänger sich in der „Partei der Wolgadeutschen“ zusammenschlossen und für die Abschaffung der gegen die Russlanddeutschen gerichteten Diskriminierungsmaßnahmen, die Möglichkeit einer ungehinderten national-kulturellen Entwicklung (d.h. für eine nationale Kulturautonomie) und für die Wiederherstellung der nationalen lokalen Selbstverwaltung in Form der 1871 liquidierten Kolonistenkreise einsetzten. Zu den Führern der Partei gehörten u.a. F. Schmidt, I. Schleining, K. Justus und G. Schellhorn. Generell wurden die deutschen Kolonien nur in geringem Maße von den revolutionären Leidenschaften des Jahres 1917 ergriffen und blieben ein Hort relativer Stabilität und traditioneller Lebensformen. Der fast zeitgleich mit der „Partei der Wolgadeutschen“ gegründete klassenkämpferische „Bund der Deutschen Sozialisten der Wolgaregion“ hatte nur sehr begrenzten Einfluss auf die soziale und politische Lage in den Wolgakolonien.
Die ersten von den neuen bolschewistischen Machthabern herausgegebenen Dokumente und insbesondere die „Deklaration der Rechte der Völker Russlands“ ließen die deutsche Intelligenz nicht unbeeindruckt und weckten Erwartungen, die maßgeblichen Anteil daran hatten, dass der im Februar 1918 stattfindende Warenburger Kongress beschloss, eine Delegation nach Moskau zu entsenden, die sich für die Gründung einer deutschen nationalen Autonomie in der Wolgaregion einsetzen sollte. Die im Bund der Deutschen Sozialisten der Wolgaregion organisierten örtlichen Bolschewiki, die ideologisch eher den Ideen der Weltrevolution und der „allgemeinen Brüderlichkeit der Völker“ anhingen, sahen sich nach einigem Zögern gezwungen, die Idee der Gründung dieser Autonomie zu unterstützen, um bei den „sozialistischen Umwandlungen“ nicht ins Hintertreffen zu geraten. Der Bund der Deutschen Sozialisten der Wolgaregion erhielt die Macht in den Kolonien unmittelbar aus den Händen der bolschewistischen Landesführung. Es wurde ein Kommissariat für deutsche Angelegenheiten in der Wolgaregion gegründet, dem neben den aus Moskau entsandten E. Reuter und K. Petin auch die deutschen Sozialistenführer G. Klinger, A. Emich und A. Moor angehörten. Wie in vielen anderen Amtsbezirken und Bezirken der Region auch wurde die bolschewistische Ideologie und die Sowjetmacht in den deutschen Kolonien durch administrative Maßnahmen implementiert. Davon zeugt die gesamte Tätigkeit des Wolgakommissariats für deutsche Angelegenheiten, dem explizit die Aufgabe zukommen sollte, das ideologische Zentrum der sozialistischen Bewegung unter den Wolgadeutschen zu sein.
Ursprünglich sollte die national-territoriale Autonomie der Wolgadeutschen aufgrund der Beschlüsse des vom 30. Juni–1. Juli 1918 in Saratow stattfindenden I. Sowjetkongresses der deutschen Wolgakolonien in Form einer „Föderation der Mittleren Wolga“ realisiert werden, bei der die Autonomie nicht über die Ebene nationaler Bezirke hinausgehen sollte, die föderativ miteinander verbunden, aber zugleich den entsprechenden Gouverments unterstellt bleiben sollten. Aber aus Sorge vor möglichen Protestnoten von Seiten Deutschlands, das auf den Prozess der Bolschewisierung und Sowjetisierung der deutschen Wolgakolonien äußerst gereizt reagierte, und infolge des eigenmächtigen Vorgehens der lokalen Machtorgane gegenüber den Kolonisten sahen sich sowohl Moskau als auch das Wolgakommissariat für deutsche Angelegenheiten gezwungen, Kurs auf die Gründung eines Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen zu nehmen, das unmittelbar den Organen der RSFSR unterstellt sein sollte. Am 19. Oktober 1918 unterschrieb der Vorsitzende des Rats der Volkskommissare der RSFSR W.I. Lenin das Dekret über die Gründung des Gebiets, das ausschließlich von Deutschen besiedelte Territorien umfasste und deshalb einem Flickenteppich glich.
Mit Beginn des Bürgerkriegs und der Politik des „Kriegskommunismus“ lastete die von den Bolschewiki betriebene Lebensmittelpolitik, die darauf hinauslief, gewaltige Mengen Getreide, Fleisch und anderer Nahrungsmittel aus den deutschen Dörfern „herauszupressen“, als schwere Bürde auf den Wolgadeutschen. Die Abliefungspflicht wurde (wie die Politik des „Kriegskommunismus“ generell) in der deutschen Autonomie noch schonungsloser durchgesetzt als in den benachbarten Gouverments und ging mit himmelschreiendem Missbrauch, Massenrepressionen und totaler Verarmung der Bevölkerung einher. Wie in allen anderen Getreideregionen des Landes auch provozierte diese Politik nicht nur die Hungersnot von 1920-22, sondern auch den Bauernaufstand von 1920-21, an dem sich auch die verzweifelte Bauernschaft des Gebiets der Wolgadeutschen beteiligte. Besonders tragisch wurde für die Deutschen der Wolgaregion das Jahr 1921, als im Frühjahr in den Kolonien de facto ein Bürgerkrieg herrschte, der zahlreiche Opfer forderte und extrem grausam und zerstörerisch war. Die Ende 1920 einsetzende Hungersnot erreichte im Winter 1921/22 ihren Höhepunkt, als praktisch die gesamte Bevölkerung der deutschen Autonomie hungerte und fast ein Viertel der Bevölkerung des deutschen Gebiets dem Hunger zum Opfer fiel. Die bolschewistische Macht erwies sich als unfähig, den Hunger effektiv zu bekämpfen. Die Folgen hätten noch katastrophaler ausfallen können, wenn nicht ausländische Hilfsorganisationen wie die American Relief Administration (ARA) und die von F. Nansen geleitete Organisation Save the Children International aktiv geworden wären und der Bevölkerung des Autonomen Gebiets und den in den angrenzenden Gouvernements lebenden Deutschen geholfen hätten, die schwierigsten Monate zu überleben. Infolge der Ereignisse der Jahre 1918–21 und insbesondere der Hungersnot brach die Wirtschaft des deutschen Gebiets zusammen und wurde um Jahre zurückgeworfen. Erst mit dem Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik, der mit einer Abkehr von der streng zentralisierten Führung und dem Zugeständnis einer gewissen ökonomischen Selbständigkeit an die Bauern und Unternehmen, der Entwicklung des privaten Kleinbesitzes und verschiedenen Formen von Kooperativen einherging, konnte sich die Wirtschaft erholen. In den Jahren 1922–23 war eine zaghafte, aber spürbare Tendenz zum wirtschaftlichen Aufschwung zu beobachten.
In den Jahren 1918–23 wurde das politische Leben des Gebiets der Wolgadeutschen wie überall im Land durch die allmähliche Festigung des administrativen Kommandosystems und des Totalitarismus geprägt. Die 1919 gegründete Gebietsorganisation der RKP(b), die 1921 eine schwere Krise hatte durchmachen müssen, übte Ende 1923 eine umfassende Kontrolle über Politik und Geistesleben der Wolgadeutschen aus und ließ keinerlei Abweichungen in Denken und Handeln zu. Die Sowjets und alle gesellschaftlichen Organisationen (Gewerkschaften, Komsomol usw.) wurden von der Partei dominiert, alle früheren oder potentiellen politischen Opponenten aus den verbotenen politischen Parteien wurden mit Hilfe der Organe der Tscheka und später der GPU streng überwacht und jegliche „antisowjetische“ Handlungen frühzeitig unterbunden. Die Inhalte von Bildung und Aufklärung standen ebenso unter unablässiger Kontrolle wie alle Massenmedien. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei dem Kampf gegen zwei „ideologische Gegner“, die erheblichen Einfluss auf die Wolgadeutschen ausübten: Emigration und Kirche. So stellte das Gebiet der Wolgadeutschen, als es 1924 zur Republik umgewandelt wurde, eine fest etablierte national-territoriale Autonomie sowjetischen Typs dar.
1922 wurde das bis dahin zersplitterte Territorium des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen durch Anschluss russischer, ukrainischer, estnischer und anderer Dörfer, die zwischen den territorialen Inseln des deutschen Gebiets lagen oder weit in das Gebiet hineinreichende Enklaven darstellten, „abgerundet“. So nahm das neue Territorium des Gebiets der Wolgadeutschen eine kompakte Form an (Fläche – 25.700 km²) und vergrößerte sich um 39%, verlor aber zugleich seinen national homogenen Charakter. Die Deutschen stellten 67,5%, Russen 21,1%, Ukrainer 9,7% und Angehörige anderer Nationalitäten 1,7% der Bevölkerung. Im Januar 1924 wurde das Autonome Gebiet der Wolgadeutschen zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik [ASSR] der Wolgadeutschen umgeformt (siehe: ASSR der Wolgadeutschen), die wiederum 1941 nach Ausbruch des Deutsch-Sowjetischen Krieges aufgelöst wurde, als die gesamte deutsche Bevölkerung aus der Wolgaregion deportiert wurde.
Der Prozess der Besiedlung der von den Wolgadeutschen zurückgelassenen Territorien zog sich viele Jahre hin. Letztlich gelang es nicht, in diesen Orten die Bevölkerungsdichte der Vorkriegszeit zu erreichen. Über hundert deutsche Dörfer, die größtenteils in der Steppe oder weit entfernt von den Bahnhöfen und der Wolga lagen, wurden aufgegeben und verfielen. Alle Migrationsströme in die Wolgaregion lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Evakuierung und Umsiedlung aus frontnahen Gebieten (Ukraine, Weißrussland, Westrussland) sowie Übersiedlung aus nahegelegenen Gegenden in den Gebieten Saratow, Stalingrad, Kujbyschew und aus den an diese angrenzenden Gebieten Woronesch, Tambow, Astrachan, Pensa usw. Die Rückkehr der ersten deutschen Familien in die Wolgaregion begann unmittelbar nach der Aufhebung des Sondersiedlungsregimes im Jahr 1956 und erfolgte halblegal, da offiziell ein Rückkehrverbot bestand. In den meisten Fällen wurde den Deutschen eine offizielle Wonhnsitznahme verweigert. Aber angesichts eines extremen Arbeitskräftemangels waren einige von ideologischen Vorurteilen freie Kolchos- oder Sowchosenleiter und Rayonsfunktionäre dazu bereit, sich über dieses Verbot hinwegzusetzen und die Deutschen am Gesetz vorbei zu registrieren und bei sich arbeiten zu lassen. Eine solche Praxis war im Gebiet Stalingrad (später Wolgograd) recht weit verbreitet. In den 1960er Jahren und insbesondere nach 1972, als das Verbot der Rückkehr der Deutschen an ihre früheren Wohnorte offiziell aufgehoben wurde, stieg die Zahl der zurückgekehrten deutschen Familien spürbar an. Nach den Zahlen der gesamtsowjetischen Volkszählung von 1989 lebten im Gebiet Saratow 17.000, im Gebiet Wolgograd 26.000 und im Gebiet Kujbyschew 700 Deutsche.
Ein wahrer Übersiedlungsboom der Deutschen in die Wolgaregion ließ sich am Übergang zu den 1990er Jahren im Zusammenhang mit der Hoffnung auf eine Wiederherstellung der deutschen Autonomie an der Wolga verzeichnen. Das Scheitern dieses Unterfangens sorgte unter den Deutschen für große Enttäuschung und bewog viele dazu, nach Deutschland auszuwandern. In heutiger Zeit geht die Zahl der deutschen Bewohner der Wolgaregion infolge der Auswanderungsbewegung nach Deutschland recht schnell zurück. Gleichzeitig ziehen viele aus Kasachstan und Mittelasien kommende Deutsche in die Wolgaregion. Ähnlich schnell schreitet insbesondere unter den jungen Deutschen der Prozess der Russifizierung voran.
Seit Ende der 1980er Jahre entwickelte sich vor dem Hintergrund der Perestrojka und des gestiegenen Selbst-Bewusstseins der in der UdSSR lebenden Deutschen eine breite Bewegung, die für die Wiedererrichtung einer autonomen Republik an der Wolga eintrat. In der Wolgaregion wurden lokale Organisationen der gesamtsowjetischen deutschen Gesellschaft „Wosroschdenije“ [Wiedergeburt] gegründet und waren dort politisch aktiv. Die noch kurze Zeit zuvor für die meisten Sowjetbürger völlig unbekannte „deutsche Frage“ war plötzlich in allen Massenmedien präsent und wurde aktiv in der Presse sowie in Fernseh- und Radiosendungen erörtert, was unter den Bewohnern der Wolgaregion für nachvollziehbare Ängste sorgte, die durch aggressive Forderungen und gegenüber den Befindlichkeiten der aktuellen Bevölkerung taktlose Äußerungen einzelner Führer der deutschen nationalen Bewegung noch angeheizt wurden. So entstand eine recht breite und aktive Anti-Autonomie-Bewegung, die von der lokalen Parteinomenklatur orchestriert und heimlich geführt wurde, die durch eine Wiederherstellung der deutschen Autonomie ihre eigene Stellung gefährdet sah. Die Reduktion der zahlreichen drängenden Probleme der in der UdSSR und später der Russischen Föderation lebenden Volksgruppe und einseitige Fixierung ausschließlich auf die Wiedererrichtung der deutschen Autonomie an der Wolga zog einen mehrjährigen fruchtlosen Kampf nach sich, in dessen Verlauf alle anderen Varianten einer konstruktiven Lösung der „deutschen Frage“ nicht ernsthaft verfolgt wurden. Die Spaltung innerhalb der Führung von „Wosroschdenije“ und die im Kampf für die Wiedererrichtung der Autonomie faktisch erlittene Niederlage hatten zur Folge, dass die Führer der deutschen Bewegung in der Wolgaregion mit Ju.A. Haar an der Spitze einen Isolationskurs einschlugen und eigene gesellschaftlich-politische Organisationen gründeten. 1993 wurde die Landsmannschaft der Wolgadeutschen gegründet, die praktisch alle gesellschaftlich-politischen und Kultur- und Bildungsorganisationen der in der Region lebenden Deutschen zusammenschloss. Das Hauptinteresse der deutschen nationalen Bewegung an der Wolga verschob sich vom rein politischen Kampf hin zur Lösung der ökonomischen, sozialen und kulturellen Probleme der Wolgadeutschen.
In heutiger Zeit besteht in der Wolgaregion auf Ebene der Gebiete und Rayone ein von einem in Saratow ansässigen Koordinationsrat geführtes System national-kultureller Autonomien. Parallel sind auch andere Organisationen weiter aktiv: die Landsmannschaft der Wolgadeutschen, die deutsche Vereinigung „Heimat“ im Gebiet Saratow, die Gebietskulturzentren der Deutschen, die Russisch-Deutschen Häuser u.a. Es erscheinen die Zeitungen „Wolgazeitung“ (Saratow), „Rundschau“ (Uljanowsk) und „Nachrichten“ (Engels). Lutherische und katholische Gemeinden wurden wiedererrichtet.
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