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Vorurteile

Rubrik: Ethnographie

ABERGLAUBE - irrationale Elemente des gesellschaftlichen und individuellen Bewusstseins, die unter den Russlanddeutschen im 18.-20. Jahrhundert weit verbreitet waren und durch einen geringen Bildungsstand sowie Überreste vorchristlicher Glaubensvorstellungen bedingt waren. Ihren Aberglauben hatten die Russlanddeutschen zum Teil aus ihrer historischen Heimat mitgebracht und zum Teil von anderen Volksgruppen übernommen. Die abergläubischen Praktiken entstanden aus dem Bedürfnis heraus, Leben, Haus und Wohlstand vor Schaden und bösen Geistern zu schützen. Abergläubische Vorstellungen gingen mit dem christlichen Glauben einher und traten im Alltag, an verschiedenen Feiertagen und zu wichtigen Lebensereignissen in Form des Glaubens an Hexerei, böse Geister und Gespenster, Wahrsagerei und verschiedene Omen und Vorzeichen in Erscheinung.

Magische Kräfte wurden Hexen und Zauberinnen zugeschrieben, die ihre Zauberkünste angeblich einem Bund mit dem Teufel verdankten und sich unsichtbar machen und durch Türen, Fenster und Schornsteine fliegen konnten, um Mensch und Tier Schaden zuzufügen. Als Hexen galten in der Regel freigeistige und unabhängige Frauen. Angeblich flogen sie nachts auf dem Besen durch den Schornstein zum Hexensabbat, um sich mit anderen Hexen und Zauberinnen zu treffen. Wenn Pferde, Hunde oder Kühe am Morgen mit Schweiß bedeckt waren, glaubte man, dass in der Nacht eine Hexe in sie gefahren sei. Wenn ein Kind viel weinte oder krank war, Frauen unheilbar erkrankten, eine Kuh keine oder wenig Milch gab oder Blut in der Milch war oder ein Tier sich auf dem Boden wälzte, hielt man dies für das Werk einer Hexe. Besonders groß war die Angst vor dem bösen Wirken einer Hexe, wenn eine Geburt anstand oder die Tiere Junge bekamen. Um dem Hexenzauber entgegenzuwirken, kamen verschiedene Praktiken zum Einsatz: So wurden z.B. Fenster, Türen und Schornsteine sorgfältig abgedichtet oder ein Reisigbesen an der Tür aufgestellt, der die Hexe herausfegen sollte. Zwischen Tür und Rahmen wurden auf links gewendete Frauenhemden gepresst, um der Hexe das Herz abzuklemmen. Außerdem wurden Eggen mit der Zahnung nach oben aufgestellt oder Strümpfe so auf die Wiege gelegt, dass sie ein Kreuz formten.

Es gab auch die Vorstellung, dass man die Hexen, wenn man am Karfreitag ein von einem schwarzen Huhn gelegtes Ei in die Kirche brachte, mit dem Rücken zum Altar sitzen sehen könne. In diesem Fall musste man das Ei unverzüglich aus der Kirche bringen und kaputtschlagen, da die Hexe einem sonst das Herz brechen ließ.

Boris Pilnjak schrieb in seiner Erzählung „Eine deutsche Geschichte“: „Die Frau Pfarrer war sich gewiss, dass die Frau Schulmeisterin ein 'schwarzes Auge' habe. Einige Tage später trug eine Nachbarin der Frau Pfarrer zu, dass die Frau Schulmeisterin eine Hexe sei. Die Frau Pfarrer suchte noch einmal die Geistheilerin auf, die ihr verriet, wie sie herausfinden könne, ob dem wirklich so sei. Sie solle bei einem in der Nacht von Samstag auf Sonntag zu Mitternacht gefangenen Hecht den Rogen ausnehmen, diesen bis zum dritten Hahnenschrei kochen und beim dritten Hahnenschrei ungesalzt essen. Am Morgen sollte sie dann in die Kirche gehen und ohne den Blick abzuwenden über dem Altar auf die Kuppel schauen. Wenn die Schulmeisterin wirklich eine Hexe sei, werde sie in der Kuppel zu sehen sein und auf einem Besen reiten. Die Frau Pfarrer tat, wie die Geistheilerin ihr geraten hatte, und als der Organist das „Ave Maria“ anstimmte, war in der Kuppel tatsächlich die Frau Schulmeisterin Schwarzkopf zu sehen, wie sie nackt auf dem Besen ritt“.

Zur Bekämpfung des Bösen wurde die Geisterbeschwörerin eingeladen. Einem kranken Menschen zog diese ein auf links gewendetes Hemd an, mit dem sie unter Beschwörungen und Gebeten auch kranke Tiere abrieb. Ein krankes Kind trug die Geisterbeschwörerin auf den Händen durchs Zimmer und schüttelte es im Namen des dreifaltigen Gottes in drei Ecken des Hauses. Alle Krankheiten wurden durch Zauberformeln und magisches Wirken aus dem Körper getrieben. Gegen die Gelbsucht nutzte man eine ausgehöhlte Rübe, die man mit dem Urin von drei männlichen Säuglingen füllte und in den Schornstein hängte. Wenn die Rübe getrocknet war, sollte das Kind wieder gesund sein.

An einer Hexe nahm man für ihr Wirken Rache. So wurde z.B. eine „verdorbene“ Kuh gemolken, indem man die Zitzen der Kuh durch ein Astloch in einem Brettchen zog und die Milch mit der linken Hand in eine Pfanne melkte. Anschließend wurde die Milch auf dem Feuer erhitzt und mit einer Sichel durchschnitten, als würde man das Herz der Hexe durchschneiden. Einem verendeten Tier wurden Herz, Lunge und Leber herausgeschnitten und in der Pfanne gebraten, als wären es die Organe der Hexe. Diese wiederum sollte versuchen, das Ritual zu vereiteln. Galt eine Frau als Hexe, wurde sie vom ganzen Dorf gehasst, ihre Töchter nahm niemand zur Frau, ihre Söhne fanden im Dorf keine Braut. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts konnten der Hexerei bezichtigte Frauen für die „Verhexung“ von Menschen und Tieren zu Prügelstrafen verurteilt werden.

Gegen böse Geister nutzte man Ringe und Amulette, Ohrringe, Armreife, Glasperlen und mit Beschwörungsformeln beschriebene Zettel, die man an einer Schnur auf der Brust trug. Einem kranken Tier legte man einen mit drei Kreuzen versehenen Zettel ins Futter. Überall wurden getrocknete Hechtköpfe aufgehängt. An Weihnachten stellte man nicht nur im Haus, sondern auch auf dem Hof einen Weihnachtsbaum auf, wo er böse Geister und Krankheiten von Mensch und Vieh fernhalten sollte. Man gab dem Vieh Brot und Salz vom Weihnachtstisch, um Krankheiten abzuwehren und für eine gute Brut zu sorgen. In den ersten Tagen nach Weihnachten sollte man sich von Alkohol, Glücksspiel und Flüchen fernhalten und nach Sonnenuntergang nicht auf die Straße gehen.

Elemente heidnischer Glaubensvorstellungen in den christlichen Riten. Wenn die an der Wolga, im Kaukasus, in der Ukraine oder in Sibirien lebenden Deutschen am 1. Januar ihre Verwandten besuchten, feuerten sie vor dem Betreten des Hauses einige Gewehrschüsse in die Luft, schlugen mit einem Stock an die Tür oder stampften laut mit dem Fuß auf, um böse und gefährliche Geister zu vertreiben. In der „Heiligen Zeit” zwischen dem 1. und dem 6. Januar war es verboten, zu spinnen oder zerrissene Kleidung zu flicken. Die Deutschen glaubten, dass sich alles, was in dieser Zeit passierte, im ganzen folgenden Jahr fortsetzen würde, weswegen sie bemüht waren, sich nicht zu streiten oder böse zu sein. Aus Angst vor Strafen bemühten sich die Kinder um gutes Benehmen. In der Weihnachts- und in der Neujahrsnacht legten die Frauen eine Bibel oder ein Evangelium unter ihr Kopfkissen, um sich vor bösen Geistern zu schützen. Am Dreikönigstag, der die winterlichen Feiertage abschloss und bei den deutschen Katholiken als besonders gefährlich für Haus und Hof galt, wurden magische Handlungen vollzogen, die für das ganze Jahr schützen sollten: In der Nacht auf den 6. Januar wurden die Ofenrohre verstopft. Auf die Tür wurden ein Kreuz, die Jahreszahl und die Anfangsbuchstaben der Namen der Heiligen drei Könige Caspar, Balthasar und Melchior geschrieben. Am Palmsonntag wurden im Haus und in den Ställen gesegnete Weidenzweige aufgestellt, um die Erde fruchtbarer zu machen. Auch an den Ecken der Felder wurden Zweige in den Boden gerammt. Die in der Osterwoche gelegten Eier gab man den Männern gegen Rückenschmerzen und zur Stärkung der Manneskraft. Die an Karfreitag gelegten Eier wurden zum Schutz vor Heimsuchungen jeglicher Art auf den Dachboden oder an einen entlegenen Ort im Haus gelegt.

Bei vielen Gruppen der Russlanddeutschen gab es das Ritual, am ersten Dienstag nach Ostern eine Judaspuppe zu verbrennen. Mit der Asche wurde der Acker gedüngt, von dem Feuer der Ofen entzündet und die Kohle in alle Ecken des Hauses und auf den Dachboden gelegt und mit dem Saatgut vermischt. Mit der gleichen Kohle wurden auch Kreuze auf die Türen der Häuser und Ställe gemalt. Aus Quellen oder Brunnen wurde Osterwasser in Flaschen abgefüllt, die man im Haus aufbewahrte.

Am Morgen des Himmelfahrtstags sammelten die Frauen und Mädchen verschiedene Kräuter (z.B. Thymian) und Wurzeln (oft Süßholz), um daraus für Tee zu kochen und das Jahr über allerlei Beschwerden zu heilen.

Auch dem Rauch von Feuer wurden magische Kräfte zugeschrieben. An das in der Nacht auf den Johannis-Tag (24. Juni) entzündete Feuer wurden die kleinen Kinder getragen, um mit ihnen durch den Rauch zu gehen. Junge Männer und Frauen sprangen zusammen durchs Feuer, um ihre Gefühle füreinander zu stärken.

Gebinde aus am Johannistag gesammelten Kräutern, denen man eine Schutzfunktion zuschrieb, beschützten den Hauseingang und wurden auch zwischen den Fensterrahmen befestigt. Ähnliche Gebinde hingen auch das ganze Jahr über auf dem Dachboden, der unter der Kontrolle böser Geister stehen sollte. Wenn eine Kuh wenig oder gar keine Milch gab, wurde ihr beim Melken ein solches Gebinde um den Euter gebunden. Ebenfalls am Johannistag bespritzte man sich gegenseitig mit Heilwasser. Um Glück, Schönheit und Gesundheit zu erlangen, wuschen sich die jungen Frauen am frühen Morgen mit Tautropfen.

An Mariä Geburt (8. September) weihten die Deutschen Kräuter und banden aus Kornähren und Feldblumen Gebinde, die auf dem Dachboden aufgehängt wurden und dem Schutz vor bösen Geistern, Bränden und Blitzeinschlägen dienten. Die Gebinde, die von den Wolgadeutschen „Werzwisch” genannt wurden, wurden jedes Jahr neu aufgehängt, so dass auf dem Dachboden gewöhnlich gleich mehrere Stücke hingen.

In der Ukraine füllten die deutschen Katholiken im Herbst, wenn das Vieh geschlachtet und die Wurst fertig war, einen Schweinemagen mit Fleisch, räucherten diesen und hängten ihn in der Hoffnung auf Schutz auf dem Dachboden auf, wo er bis Ostern hängen blieb. Die im Altai ansässigen Deutschen hängten zum Schutz vor bösen Geistern aus Kornähren der letzten Ernte gebundene Kränze auf dem Dachboden auf.

Gespenster- und Geisterglauben. Man glaubte, dass die Seelen der Verstorbenen ihre Verwandten besuchten und die Seelen der Ermordeten oder Gequälten zu ihren Peinigern ins Haus kamen, um sie anzuspucken.

Als Gespenster traten Mörder, Diebe und Selbstmörder auf, die ihre Seele aus freien Stücken dem Teufel verschrieben hatten und zur Strafe für ihre Sünden dazu verdammt waren, durch dunkle Gassen, Gräber und Schluchten zu irren.

Auch um die Schatzsuche rankten sich viele Mythen. Ein Schatz durfte nur in der Nacht auf den Iwan-Kupala-Tag aus der Erde geholt werden. Wer bei der Schatzsuche stehenblieb, sich umdrehte oder sprach, dem drohte der Tod. Man glaubte, dass einem bei der Schatzsuche zuerst ein alter Mann mit brandroten Augen begegnen und dann eine von drei Rappen gezogene schwarze Kutsche vorbeirasen würde. Auf beiden Seiten der Straße sollten grunzende Schweine aufgereiht stehen und allerlei böse Geister mit Hämmern auf Blechplatten schlagen. Über den Köpfen sollten Eulen und Raubvögel kreisen, um niemanden an den Schatz heranzulassen. Wenn man den Schatz nicht exakt in der Stunde vor Mitternacht fand und hob, versank man im Boden und fuhr in die Hölle. Sobald der Schatz ausgegraben war, sollten alle bösen Geister verschwinden.

Auf die Dienste der zahlreichen Geisterbeschwörer, Wahrsager, Hellseher und Traumdeuter griffen sowohl einfache Bauern als auch Angehörige der gebildeten Schichten zurück.

Omen und Vorzeichen. Aufgrund des Geburtsdatums ließ sich bestimmen, ob ein Mensch glücklich sein würde oder nicht. Trübes Wetter an Karfreitag verwies auf eine schlechte Ernte.

Gestirne und Himmelsereignisse kündeten wichtige Ereignisse an: Färbte der Himmel sich rot, stand ein blutiger Krieg vor der Tür. Sonnen- und Mondfinsternisse ließen Epidemien oder Missernten erwarten, rote Sterne standen für Aufstände oder Revolutionen, flimmernde Sterne für den Tod einer großen Persönlichkeit.

Vögeln wurde die Macht von Orakeln zugeschrieben. Ein Kuckuck im Frühjahr sagte voraus, wie lange ein Mensch zu leben hatte. Der nächtliche Schrei eines Vogels brachte Unglück. Flog ein Schwarm Elstern über dem Haus zusammen, kündete dies von Tod.

Anhand des Verhaltens von Vögeln und Tieren ließ sich das Wetter bestimmen: Flogen die Schwalben tief, gab es Regen, flogen sie hoch, gutes Wetter. Suchte ein Huhn bei einsetzendem Regen keinen Schutz und ging durch das Wasser, waren drei Tage Regen am Stück zu erwarten. Hoben die Bullen beim Laufen den Schwanz, gab es Regen, wälzte sich der Hund auf dem Rücken, war mit Schneesturm und Wind zu rechnen. Kreuzte eine Katze die Straße, gab es Unglück, und wenn ein schwarzer Hund eine Grube grub und dabei jaulte, war jemand gestorben. Wenn sich eine Katze putzte, kam Besuch, wenn sich eine Spinne abseilte, ein Brief.

In der Neujahrsnacht bestimmte sich, was das kommende Jahr bringen würde. War die erste Person, der man im neuen Jahr begegnete, eine Frau, stand ein schlechtes Jahr bevor. Traf man zuerst einen Mann, war ein gutes Jahr zu erwarten. Wenn die erste Person, der ein Kolonist auf dem Weg zu einem geschäftlichen Treffen begegnete, eine Frau war, kehrte er nach Hause zurück, spannte das Pferd aus und machte sich erst ein paar Tage später wieder auf den Weg.

Alle möglichen Arten von Zufällen konnten als Vorzeichen gelten: Zerbrochenes Geschirr brachte Glück, wenn eine Gabel oder ein Messer zu Boden fiel, war Besuch zu erwarten. Wenn die linke Handfläche juckte, winkte Geld, wenn die rechte Handfläche juckte, musste man selbst Geld geben. Wenn es im linken Ohr fiepte, wurde man gelobt, wenn es im rechten Ohr fiepte, schimpfte jemand auf einen. Wenn man abends den Dreck aus dem Haus kehrte, fegte man das Glück weg, weswegen man abends alles zusammenfegen und erst am Morgen aus dem Haus kehren sollte. Ein unförmiges kleines Hühnerei musste man über die linke Schulter werfen, statt es zu essen. Warf man das Nest einer Schwalbe herunter, gaben die Kühe statt Milch Blut. Um gute Butter zu bekommen, musste man einen Kamm unter das Butterfass legen.

In den Heiligen Weihnachtswochen wurde die Zukunft vorausgesagt. Die jungen Frauen warfen einen Schuh in Richtung Tor: Zeigte die Spitze zum Tor, stand noch im gleichen Jahr eine Hochzeit an. Zeigte sie in die andere Richtung, war noch mindestens ein Jahr zu warten. Flüssiges Wachs oder Blei wurde in Wasser gegossen, um anhand der erstarrten Stücke Voraussagen für das kommende Jahr zu machen.

Zur Sommersonnenwende ließen die jungen Frauen ein Blumengebinde ins Wasser. Wenn es fortgetrieben wurde, bedeutete dies eine baldige Heirat. Ging es unter, ließ die Heirat noch mindestens ein Jahr auf sich warten. Bei der Schlachtung eines Schweins begutachteten die in der Ukraine ansässigen Deutschen sorgfältig dessen Innereien. Waren an der Milz die Konturen eines Sarges zu sehen, war im kommenden Jahr der Tod eines Angehörigen zu erwarten.

Um Liebesgefühle zu wecken, zu bewahren oder zu verstärken, gab es einen Liebestrank (sogenannte „Liebmannstropfen“), dessen Zusammensetzung allerdings nicht mehr bekannt ist. Man konnte über einen anderen Menschen Macht erlangen, wenn man ihm anbot, aus einer Tasse zu trinken oder mit einem Löffel zu essen, die man selbst schon benutzt hatte. In diesem Fall ließ sich eine Person von einem selbst verzaubern und „verzehrte sich danach, einem nachzulaufen“.

Junge Frauen durften nicht auf dem Stuhlrand sitzen, weil sie andernfalls in den kommenden sieben Jahren keinen Bräutigam finden würden. Während der Hochzeit wurde die junge Frau vor den Geistern ihrer Vorfahren beschützt, weil sie das väterliche Haus verließ und der Familie kein Nachfolger war. Unter den Schutzmitteln waren Lärm auf dem Polterabend, Schießen während des gesamten Zeitraums zwischen Verlobung und Hochzeit, das Weinen der Braut, die Umkleidung, das Tragen eines Schleiers und die Änderung des Familiennamens. Zum Schutz vor bösen Geistern wurden Wertgegenstände in den Schuh der Braut gelegt. Die Braut musste ein Kreuz anlegen oder wahlweise eine Münze oder ein Amulett um den Hals tragen. Letzteres bestand aus zwei 5х5 oder 5х7 cm großen Säckchen, in die ein Teil eines gesegneten Kranzes, eine Kerze oder ein wertvoller Gegenstand eingenäht wurden.

Regnete es am Hochzeitstag, sollte die Braut in ihrem Leben viele Tränen vergießen.

Wer sich nach der Trauung als Erster von den Knien erhob oder zum Altar ging, sollte das Haupt der Familie sein. Fiel die Braut auf der Hochzeit hin, sollte der Mann nicht lange leben. Wenn in der Kirche eine Kerze verlosch, sollte jener als Erster sterben, auf dessen Seite sie stand.

Eine schwangere Frau sollte nicht mit erhobenen Händen putzen oder durch einen Spalt oder ein Schlüsselloch schauen, weil das Kind sonst zu schielen drohte. Sie sollte nicht über einen Zaun klettern, weil das Kind sonst irgendwelche Missbildungen haben würde. Sie sollte nicht unter etwas hindurchkriechen, weil sich die Nabelschnur sonst verheddern würde. Ihren Rock sollte sie über den Kopf ausziehen, weil sonst das Blut in den Kopf schießen würde. Wenn sich eine schwangere Frau irgendeinen Teil ihres Körpers stieß, würde an ebendieser Stelle des Körpers des Kindes eine Spur bleiben, weswegen sie sich sofort an das Gesäß greifen sollte, damit der Fleck auf das Gesäß des Kindes übergehe. Sie durfte auch nicht auf Leute mit Behinderungen schauen usw. Alle Launen einer werdenden Mutter waren zu befriedigen, weil dem Kind sonst an irgendeinem Körperteil Schaden drohte. War die Hebamme auf dem Weg zu einer Geburt, durfte man sie nicht ablenken oder ansprechen, weil der Gebärenden sonst der Tod drohte. Der Gebärenden wurde der Zopf aufgeflechtet und auch alles andere, was gebunden war. Auf den Bauch legte man ihr einen in Wodka und gelber Seife getränkten Lappen. Kam ein Unbekannter ins Haus, ohne den Hut abzunehmen, konnte das Kind gegen eine Missgeburt ausgetauscht werden. Gleiches galt, wenn eine Hexe ins Haus kam und im Haus nicht drei Nächte nach der Geburt das Licht brannte. Bis zur Taufe des Kindes wurden in die Wiege des Kindes und unter das Kopfkissen der Mutter Männerhosen gelegt. Wenn der Patenonkel oder die Patentante auf dem Weg zur Kirche urinierte, würde das Kind seinen Harn nicht halten können. Im Taufkleid eines Mädchens wurden einige Nadeln versteckt, damit das Mädchen später gut nähen konnte. Kinder, die in der Nacht auf einen Mittwoch geboren wurden, würden nicht glücklich sein, Kinder, die am Abend vor dem ersten Sonntag nach Ostern zur Welt kamen, würden dumm.

Aus einem Haushalt, in dem eine werdende Mutter lebte, durfte nichts entliehen werden. Dies galt insbesondere für scharfe oder spitze Gegenstände, da die Mutter sonst keine Milch haben würde. Bis zum ersten Geburtstag durften die Fingernägel des Kindes nur abgeknippst werden. Haare von Kindern und Erwachsenen (ausgebürstete und abgeschnittene) mussten verbrannt werden.

Man durfte nicht über ein Kind schreiten, da es sonst nicht wachsen würde. Kam man mit einem Säugling ins Haus, musste man sich kurz setzen, damit das Kind nicht weinte. Wurde die Wiege nicht mit einer Decke bedeckt, verlor das Kind Gewicht. Gegen Krämpfe legte man dem Kind ein Evangelium unter den Kopf oder gab ihm Rote Betesaft. Man wickelte das Kind in das Taufkleid des Paten, um Krankheit und Tod abzuwenden. Gegen Albträume halfen Pentagramme auf Tür und Wiege. Zudem legte man dem Kind ein scharfes Messer unter den Kopf und schmierte die Brustwarzen mit Kot ein. Rund um die Geburt durfte die Mutter acht bis fünfzehn Tage nur Steppentee trinken und sich neun Tage nicht kämmen. Wenn eine stillende Mutter keine Milch hatte, musste sie mit dem Schwein aus einem Trog essen oder frischen Schweinemist auf zwei weiße Säckchen legen, von denen sie sich einen auf die Brust und einen auf den Rücken hängte.

Einige der beschriebenen Vorurteile bestehen in der einen oder anderen Weise bis heute fort.

Bildunterschrift: Wolgadeutsche Familie. S. Lauwe, 1928. An dem Haus hängt ein Bündel beschworener Kräuter, das vor bösen Geistern schützen sollte.

Literatur

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