HOCHZEIT – ein Familienritus (Ritual), der die Ehe und die Gründung einer neuen Familie besiegelt. Bei den Russlanddeutschen stellt die Hochzeit den komplexesten Ritus dar, der eine Vielzahl von religiösen, sprachlichen, folkloristisch-poetischen und rituellen Elemente miteinander vereint. Die Hochzeit ist durchdrungen von vielen Glaubensvorstellungen und Omen.
Die Hochzeitsriten der Russlanddeutschen wurzeln in den traditionellen deutschen Bräuchen, haben jedoch je nach Siedlung lokale Besonderheiten angenommen. Der Ablauf der Hochzeit gliedert sich in mehrere Etappen: die Freierei, die Verlobung, die Vermählung und das Hochzeitsfest – neben Taufe und Konfirmation einer der wichtigsten Feste.
Die Freierei, der Ritus des Heiratsantrags, vollzog sich nach einem Ritual. In den Abendstunden oder in der Dunkelheit schlichen sich die sogenannten „Fraierschmener“ – Männer, Paten oder Bekannte, die von den Verwandten des Bräutigams eingeladen worden waren – heimlich zum Haus der zukünftigen Braut. Diese späte Stunde wurde aus zwei wesentlichen Gründen gewählt: Zum einen sollte verhindert werden, dass die Eheschließung verflucht wurde, und zum anderen hatte die zukünftige Braut im Falle einer Ablehnung die Möglichkeit, einen leeren Korb vor das Haus zu stellen. Die Dunkelheit half zudem, Gerüchte und öffentliche Bekanntmachung über eine mögliche Ablehnung zu vermeiden. Im Rahmen der Freierei wurde der rituelle Überraschungsmoment auf vielfältige Weise betont. Die Eltern der Braut, die meist auf indirekte Weise gewarnt wurden, schlossen das Haus ab und taten so, als wären sie bereits zu Bett gegangen. Geduldig warteten sie im Schlafzimmer auf das Eintreffen der Fraier. Als diese anklopften und um Einlass baten, eilten die Gastgeber hastig in ihre Kleidung und luden die Gäste ein, Platz zu nehmen. Die Fraier begannen das Gespräch mit einem scheinbar belanglosen Thema, während die Eltern der Braut schweigend blieben. Nach einer Weile lobten sie die zukünftige Braut und wünschten ihr, einen guten Mann zu heiraten – einen solchen Bräutigam hätten sie bereits im Sinn. Nach den traditionellen Regeln musste der Vater der Braut jedoch zunächst ablehnen, seine Tochter zu verheiraten. Er verwies auf ihr junges Alter und das Fehlen einer Mitgift und bat darum, die Hochzeit um ein weiteres Jahr zu verschieben.
Es wurde weiterhin versucht, die Eltern zu überzeugen, indem man ihnen versicherte, dass die Hochzeit noch in weiter Ferne liege und genügend Zeit für alle Vorbereitungen bleibe. Diese Überredungskunst wurde oft von einem Glas Wodka begleitet, den die Fraier mitbrachten. Nach intensiven Gesprächen stimmten die Eltern schließlich der Heirat zu – oder auch nicht. Vor der Oktoberrevolution war es üblich, dass eine junge Frau nicht mit dem Mann zusammengebracht wurde, der sie liebte, sondern mit einem wohlhabenden Partner. Die Wünsche der Kinder, insbesondere der Mädchen, wurden dabei kaum berücksichtigt. Doch schon damals war man sich bewusst, dass wahres Glück nicht im Geld zu finden ist: „Das Geld gibst du aus, und die Schönheit des Hauses gibst du weg“ (Dialekt: sgelt geptsich aus un dr budze behelt m rim haus).
Nach der Zustimmung der Eltern wurde in einigen Siedlungen zunächst die Braut eingeladen, um ihre Einwilligung zu bestätigen – jedoch erst nach dreimaliger Ablehnung. In anderen Dörfern war es der Bräutigam, der schüchtern bei den Eltern um die Hand der Frau anhielt. Während dieser Verhandlungen saß das junge Paar in einem separaten Raum und wartete auf das Ergebnis. Bei einer positiven Antwort gaben sich die jungen Leute die Hand, und der zukünftige Bräutigam küsste seine Braut. Anschließend überreichte der Bräutigam seiner Zukünftigen einen Betrag zwischen 10 und 25 Rubel oder zahlte dem zukünftigen Schwiegervater eine bestimmte Summe – das sogenannte Freigeld. Sollte die Braut ihre Meinung ändern (Dialekt: rait) und sich zurückziehen (Dialekt: zi git zerik), musste sie das Geld zurückgeben. Doch einmal gezahltes Freigeld führte oft dazu, dass eine Meinungsänderung nicht mehr gewünscht war. Die Freierei endete stets mit etwas Leckerem für die Fraier und den Bräutigam.
Daraufhin wurde der Tag der Besichtigung von Haus und Hof des Bräutigams (Dialekt: Beschau) festgelegt – manchmal bereits am Tag nach der Freierei. An diesem besonderen Tag machten sich die Braut und ihre Eltern auf den Weg, um den Haushalt des Bräutigams zu besichtigen. Wenn der Bräutigam aus einem anderen Dorf stammte und seine Besitzverhältnisse unklar waren, übernahm der Vater der Braut die Aufgabe, die Misthaufen zu inspizieren, die als Indikatoren für den Wohlstand galten. Es war nicht selten, dass die Eltern des Bräutigams Vieh oder sogar Mist von Nachbarn borgten, um einen Eindruck von Reichtum und Fülle zu hinterlassen. Fiel das Ergebnis der Besichtigung positiv aus, wurden Verlobung und Heirat in Aussicht gestellt.
Die Verlobung fand jeden zweiten Tag in der Kirche oder im heimischen Kreis statt. Zu diesen Anlässen wurden die Patenonkel (Dialekt: Pedr) sowie die Patentanten (Dialekt: Geet), enge Freunde und Verwandte der Braut und des Bräutigams eingeladen. Ein zentraler Bestandteil dieser Zeremonie war der Ritus des „Handschlags“. In einer Reihe von deutschen Siedlungen im Wolgagebiet und in Sibirien gab es eine Verbindung zu russischen Hochzeitsriten: Die Braut und der Bräutigam saßen nebeneinander, und in regelmäßigen Abständen wurde lautstark „gorko“ (Anm. d. Übers.: wörtliche Übersetzung „bitter“. Der Brauch symbolisiert, dass die Liebe des Paares nicht bitter, sondern süß ist. Je länger der Kuss dauert, desto mehr glückliche Jahre wünscht man dem Paar) gerufen, woraufhin sich die Verlobten küssen mussten. An den folgenden drei Sonntagen wurde die Verkündigung in der Kirche vorgenommen, nach der schließlich der Hochzeitstag festgelegt wurde. Eine Absage nach dieser kirchlichen Verkündigung galt als Schande; die abgewiesene Braut würde nur schwer einen neuen Bräutigam finden. In den Siedlungen der Russlanddeutschen, insbesondere in Jagodnaja Poljana an der Wolga, gab es einen einzigartigen Brauch: Die Braut schnitt ein Herz aus Papier aus, das sie mit Perlen verzierte und zusammen mit drei Pfauenfedern an der Schirmmütze des Bräutigams befestigte. Dieser Kopfschmuck begleitete ihn an Sonn- und Feiertagen bis zur Hochzeit. Der Bräutigam hingegen beschenkte die Braut mit Stoff für ihr Hochzeitskleid und Schuhe sowie einem neuen Bett. Im Gegenzug nähte die Braut ihm ein Hemd. Vor der Hochzeit wurde ein Fest für die Freunde des Bräutigams (Dialekt: Pollerowet) organisiert, das ursprünglich rituellen Charakter hatte, jedoch bald zu einem fröhlichen Vergnügen für die jungen Leute wurde. Einige Tage vor der Hochzeit machten sich dann zwei festlich gekleidete „Rufer“, auch bekannt als „Hochzeitsbitter“, oder Fraier auf den Weg zu Bekannten und Verwandten, um sie zur Hochzeit einzuladen. Sie hielten lange, mit Bändern geschmückte Stöcke in der Hand. In vielen deutschen Kolonien war es Brauch, dass die eingeladenen Gäste ebenfalls Bänder an die Stöcke knüpften, um ihre Zustimmung zur Teilnahme an der Hochzeit zu signalisieren. Gleichzeitig sprachen die „Rufer“ allerlei humorvolle Sprüche, z. B. in der Kolonie Balzer der Wolgaregion:
Braut und Bräutigam hat uns hierher gesandt.
Seht ihr hier das Stock am Band (sic!)
Die Maus mit ihren Gelenken Knochen,
Die zimpelt und zampelt die ganze Woche.
Darüber darf sich Niemand kränken:
Mir wollen sie lieber am Bastbändel hängen.
Klein Maus in dem Botterfass
Kommt hinein, so kriegt sie was. (Dialekt)
In einigen Kirchdörfern zogen neben den Rufern Frauen mit Körben umher, in denen sie Geschirr für die Gäste sammelten. Zudem begleiteten sie die Einladung mit humorvollen Versen: „Messem und Gabeln dürft ihr nicht vergessen, sonst müsst ihr mit den Fingern essen“. Die Hochzeiten fielen stets in die festliche Zeit der Masleniza (Anm. d. Übers.: Es ist die Woche vor Beginn der orthodoxen Fastenzeit) sowie auf kirchliche Feiertage wie Ostern, Pfingsten und häufig auch auf die Weihnachtsfeiertage (die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr), insbesondere am zweiten Tag nach Weihnachten. Einige Stunden vor der Zeremonie versammelten sich Trauzeugen, Verwandte, Freunde und Musiker im Haus der Eltern des Bräutigams. Nach einer kleinen Stärkung machten sie sich auf den Weg zum Haus der Braut. In einigen Kolonien reisten die Fraier am Morgen in einem von Pferden gezogenen mit Bändern geschmückten Paradewagen zum Haus der Braut, um die Mitgift abzuholen. Im Haus des Bräutigams wurde sie dann von allen Frauen der Familie des Bräutigams begutachtet.
Vor der Vermählung kleidete sich die Braut in ein Hochzeitskleid von weißer, blauer und in manchen Kolonien auch schwarzer Farbe. Auf ihrem Haupt trug sie einen Kranz aus künstlichen Blumen und Wachsperlen (Dialekt: Brautschnatz). Witwen und Jungfrauen mit einem außerehelichen Kind verzichteten auf diesen Kopfschmuck. Der Brautschnatz fand seinen Ursprung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts; zuvor schmückte eine weiße Haube, die sogenannte Betzel, das Haupt der Braut, verziert mit weißen Bändern. Die weißen Wachsperlen im Kranz symbolisierten die Knospen der Pomeranze, auch Fleur d’Oranger genannt. Dieser Kranz wurde von den Russlanddeutschen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Varianten und einer einheitlichen Technik gefertigt und stand für die Reinheit und Unschuld der Braut. Eine besondere Rarität war der geschlossene Hochzeitskranz, dessen Tradition aus Deutschland stammt und der von einer jungen Frau getragen werden durfte, die zum ersten Mal heiratete. In Russland setzte sich diese Tradition nicht durch; hier wurde jeder Kranz nur einmal getragen – unabhängig von seiner Art. In Europa hingegen war es gestattet, bei einer Wiederverheiratung einen offenen Kranz zu tragen oder stattdessen Rosen anstelle von Orangenblüten und -knospen zu verwenden.
Die Kleidung des Bräutigams war von eleganter Schlichtheit geprägt: Er trug einen schwarzen Anzug, ergänzt durch einen „Karotzker“ (aus dem Russischen: städtisch) und einen Kaftan (Anm. d. Übers.: langes Woll- oder Seidenhemd), der an der Taille tailliert und am Rücken gerafft war. Alternativ konnte er auch einen neuen, gelben kurzen Pelzmantel tragen, der manchmal mit schwarzem Walkstoff überzogen war. Auf seiner Brust prangte eine breite, mehrfarbige Seidenschleife, die mit einem Blumenstrauß geschmückt war, ähnlich dem Brautkranz (Dialekt: „Schlup“). Die Bänder dieser Schleife reichten bis unter die Knie. Man glaubte, dass je länger die Enden der Bänder waren, desto beständiger das Familienleben sein würde. In den Kirchdörfern wurde zudem seitlich an den Hut des Bräutigams eine rote Blume gesteckt. Die Trauzeugen trugen gelbe Seidenschleifen um ihre Hüte und hatten ebenfalls eine rote Blume auf der Brust befestigt. Die Brautjungfern hingegen kleideten sich in blaue oder helle Chintz-Kleider, während ihre Zöpfe mit roten oder blauen Schleifen gebunden wurden. Vor der Abreise nahm die Braut Abschied von ihren Verwandten; der Küster (Dialekt: Schulmeister) sprach ein Gebet, und ihre Brautjungfern wünschten ihr Glück.
Die Vermählung fand traditionell an einem Sonntag nach dem Gottesdienst statt (an Weihnachten, am zweiten Tag nach Weihnachten oder auch an einem Dienstag). In der Regel versammelten sich 10 bis 15 Paare zur Vermählung. Wenn die Braut aus einem anderen Kirchdorf stammte, machte sich der Bräutigam am Morgen auf den Weg zu ihr, oft in einer Kutsche, die von zwei oder drei Pferden gezogen wurde. Der Hochzeitszug (Dialekt: Ufzug) variierte je nach Kolonie und Region. Eine der ältesten und beliebtesten Varianten gestaltete sich folgendermaßen: Angeführt von den Musikern ritten diese vorneweg, gefolgt von der Braut, die von zwei Brautführern (Dialekt: Brauttborsch) begleitet wurde. Der Bräutigam kam mit zwei Brautjungfern (Dialekt: Brautmädchen) hinterher, während die Wagen mit den Gästen den Zug abrundeten. Die jungen Gäste hatten ihren Spaß daran, den Zug mit Seilen, Stofffetzen oder Sarpinka (bei den Wolgadeutschen) (Anm. d. Übers.: russischer Baumwollstoff aus Sarepta) zu blockieren und forderten einen Brautpreis. Der Bräutigam zahlte zwischen ein bis drei Rubel für Wodka. Auf dem Weg zur Kirche erfüllten die Klänge der Musiker das Fest mit religiösen Liedern, während auf dem Rückweg fröhliche Lieder mit weltlichem Inhalt angestimmt wurden. Die Fahrt durch das Kirchdorf wurde vom Werfen kleiner Münzen oder Süßigkeiten begleitet, eine Tradition, die entweder der Bräutigam oder seine Verwandten übernahmen. In der Kirche betrat zunächst die Braut den Raum, gefolgt vom Bräutigam. Sie standen nebeneinander in der Nähe des Altars, während die Trauzeugen auf der einen Seite und die Brautjungfern auf der anderen Seite Platz nahmen. Nach einer kurzen Liturgie hielt der Priester eine besondere Predigt für das Brautpaar, da an diesem Tag mehrere Paare gleichzeitig getraut wurden. Es folgte der Austausch der Ringe und der Segen. Nach der Zeremonie machte sich das frisch vermählte Paar zu Fuß oder auf mit Bändern geschmückten Pferden auf den Weg zum Haus des Bräutigams. Als erstes verließ der Bräutigam als Familienoberhaupt die Kirche, gefolgt von der Braut. Danach traten die Trauzeugen in Paaren mit den Brautjungfern aus dem Gotteshaus, während die Gäste die Prozession abschlossen.
In einigen Siedlungen war es Brauch, dass die Gäste zuerst nach Hause zurückkehrten, um sich dann etwa eine Stunde später im Haus des Bräutigams zu versammeln. Nach herzlichen Grüßen wie „Glück und Segen für eure Ehe“ und „Wir wünschen euch viel Glück in eurem gemeinsamen Leben“ antworteten die Braut und der Bräutigam mit den Worten: „Gottes Gnade für alles“. Anschließend nahmen alle Platz am Tisch. Die Braut saß zwischen den zwei Trauzeugen, die dafür sorgten, dass sie stets umsorgt und beschützt war. Der Bräutigam fand seinen Platz in der Regel neben den Trauzeugen, auf der linken Seite der Braut. In der Mitte des Tisches prangte eine große Schale, in der eine Puppe lag – ein symbolisches Zeichen für das zukünftige Kind.
Alle Gäste waren eingeladen, eine Silbermünze für die Kleidung des Babys in die Schale zu legen. Traditionell teilten sich die Eltern der Braut und des Bräutigams die Kosten für die Hochzeit sowie das Festmahl. Auf den Tischen fanden sich Speisen wie Lamm- oder Schweinebraten und Kompott aus fein gehackten Trockenfrüchten (Dialekt: Schnittsuppe). Seltener wurden Fleischsuppe oder selbstgemachte Nudeln serviert. Die Männer genossen Wodka, während die Frauen Rotwein tranken. In manchen Fällen wurden die frisch Vermählten sogar getrennt bewirtet. In einigen Kirchdörfern des 18. und 19. Jahrhunderts saß die Braut oft abseits der Gäste und durfte weder essen noch trinken. Gelegentlich erhielt sie heimlich Essen von ihrer Mutter, ohne dass es jemand bemerkte. In manchen Kirchdörfern war der Bräutigam während der Feierlichkeit gar nicht anwesend. Im Laufe des Tages zog sich die Braut mehrmals um, ebenso wie einige ihrer Brautjungfern und viele der anwesenden Frauen. Die Kleider wurden häufig von Freundinnen geliehen – ein Zeichen der Mitgift und zugleich ein Schutz gegen böse Geister. Während des Essens amüsierten sich die jungen Leute, indem sie Teller für Geld weiterreichten: Auf einem Teller für die Braut lagen Blumen, während auf dem anderen für den Bräutigam der Schlüssel zum Musikinstrument „Hackbrett“ (Dialekt) lag – ein Brett, das zum Hacken von Fleisch verwendet wurde. Es ist ein Instrument, das aus einem trapezförmigen Brett mit gespannten Saiten bestand, auf denen mit zwei kleinen Ahornstäben geschlagen wurde. Auf einem dritten Stab lag ein Stück verbranntes Tuch – ein Symbol für den Fleiß der Köchin. Inmitten der allgemeinen Aufregung schlich sich ein flinker Junge heran und stahl den Schuh der Braut. Vor Beginn des Tanzes wurde er von den Trauzeugen der „schlecht bewachten“ Braut für einige Rubel zurückgekauft, die anschließend der Braut übergeben wurden. Dieser Brauch war nicht nur symbolträchtig, sondern auch weit verbreitet – sowohl unter Russlanddeutschen, als auch in Deutschland. Der Schuh konnte gegen einen beliebigen Geldbetrag eingelöst werden. Es wird seit langem angenommen, dass dieser Brauch sowie das Geschenk von Schuhen durch den Bräutigam an die Braut zur Hochzeit eine tiefere Bedeutung hatten: Sie symbolisierten die Unterwerfung der zukünftigen Ehefrau unter ihren Ehemann.
Nach dem Festmahl wurden die Tische abgeräumt und lange Bänke an den Wänden aufgestellt. Die Musiker – zwei Geiger, ein Flötist und ein Violoncellist – nahmen am Fenster Platz, während der Hauptmusiker das Hackbrett spielte. Der Tanz wurde vom Brautpaar eröffnet, das drei deutsche Walzer in drei Teilen (Dur) tanzte, jeder für etwa fünf Minuten. Während dieser Tänze wurden Braut und Bräutigam mit Geschenken bedacht: Papiergeld wurde mit Sicherheitsnadeln an ihren Kleidern befestigt, und Stoffstücke, Babydecken sowie Handtücher wurden ihnen auf die Schultern gelegt. In einigen Kirchdörfern wurde der erste Tanz mit der Braut traditionell vom Fraier getanzt, gefolgt von einem Tanz mit dem Bräutigam. Anschließend übernahm einer der Trauzeugen den Platz des Bräutigams, und nach drei Tänzen wurde er durch einen anderen Trauzeugen ersetzt. Danach begannen auch die Gäste zu tanzen: Zuerst das frisch vermählte Paar, gefolgt von den jüngeren Eheleuten und schließlich den älteren Gästen. Die Musiker erhielten während der Hochzeit lediglich eine Grundunterstützung vom Gastgeber. Ihre finanzielle Entlohnung kam von den Tänzern selbst; für jeweils drei Tänze legte ein Mann zwischen 50 Kopeken und einem Rubel auf das Hackbrett. So variierte der Verdienst der Musiker zwischen 40 und 100 Rubel. Ein Mann, der eine Frau zum Tanzen einlud, musste sich darauf einstellen, drei Tänze mit ihr zu tanzen; andernfalls könnte sie verärgert sein. Wer mit der Braut tanzen wollte, musste ihr Papiergeld an die Brust stecken. Die Tänze wurden von reichlich Alkohol begleitet, und die Musiker hatten stets Getränke auf ihrem Tisch stehen. Die Tänze wurden durch Tusche unterbrochen, bei dem die Tanzenden zum Tisch der Musiker kamen, tranken und die Musiker bewirteten. Der Bräutigam war gefordert, bis zur Erschöpfung zu tanzen. Um Mitternacht zogen die jungen Leute zum Haus der Braut oder zu den Verwandten des Bräutigams, falls die Braut aus einem anderen Kirchdorf stammte. In der Zwischenzeit feierten die Älteren in einem kleinen Raum ein eigenes Festmahl. Sobald sie mit ihrem Essen fertig waren, schickten sie die jungen Leute hinaus und begannen selbst mit dem Tanzen. In einigen Kirchdörfern trafen gegen Ende des ersten Tages die sogenannten Mummen (Dialekt: Verklader) auf, um das Tanzvergnügen weiterzuführen.
Am nächsten Morgen versammelten sich die Gäste gegen 11:00 Uhr und gingen mit den Musikern zum Haus der Braut. Gemeinsam kehrten sie dann zum Haus des Bräutigams zurück. An diesem Tag wurde auch die Mitgift überbracht, einschließlich des Bettes der Braut. In einigen Kirchdörfern geschah dies bereits am ersten Tag oder sogar am Vortag. Nach einem alten deutschen Brauch betrachteten die Gäste das Bett und warfen Bettwäsche darauf. Im Anschluss daran fand ein weiteres Festmahl statt, bei dem alkoholische Getränke und Tanz nicht fehlen durften. Die Gäste brachten die Getränke mit, während die Gastgeber für das Essen sorgten: herzhafte Kuchen, Essiggurken, Wassermelonen, Kraut, Wurst, Schinken und gekochtes Fleisch.
Am zweiten und dritten Tag der Hochzeit erwartete die Braut und ihre Brautjungfern ein Ausritt auf geschmückten Pferden, die mit bunten Bändern verziert waren. In einigen katholischen Kolonien gab es einen ganz besonderen Brauch: Am zweiten Tag der Hochzeit wurde ein Ritt „zur Beschau“ organisiert. Dem Hochzeitszug voraus fuhr ein gehörnter Schlitten, in dem ein Paar weiße Stiere eingespannt war. Auf diesen thronte ein falsches Brautpaar, das mit Strohkränzen geschmückt und zum Spaß mit schwarzem Ruß bemalt war. Die Luft erfüllte sich mit Musik, während Schüsse abgefeuert wurden. Die Gäste, mit Flaschen in der Hand, standen auf den Wagen und sangen. Nach all dem Lärm und Getümmel begaben sich die Gäste schließlich zum Hochzeitshaus. Der letzte Tag der Hochzeit – bei zweitägigen Hochzeiten war es der zweite Tag, bei dreitägigen der dritte – wurde als „Tag des Katers“ (Anm. d. Übers.: Alkoholintoxikation) gefeiert. An diesem Tag hatten alle, die an der Vorbereitung und Durchführung des Festes beteiligt waren, viel Spaß. Die älteren Gäste, die in dieser festlichen Runde als die „alten Leute“ galten – Menschen über 40 Jahre, viele von ihnen bereits Großeltern – schlossen sich dem Fest an. Die Köchinnen traten mit einer Schüssel voll Wasser in den Raum und boten den ungewaschenen und ungekämmten Gästen an, sie mit einem schmutzigen Lappen zu waschen. Einige zahlten bereitwillig mit einer Silbermünze, während andere unter dem Gelächter der Anwesenden gewaschen wurden. Die Musiker spielten Tuschen und Hochzeitslieder. Allmählich wurden die älteren Gäste betrunken und begannen zu tanzen. Die Lieblingstänze der Russlanddeutschen – der Hopsa-Walzer, der Siebentersprung sowie verschiedene Polkas und der von den Russen entlehnte Kamarinskaja – erfüllten den Raum mit Freude. Der Nasentanz (Dialekt: Nazedans), der Schustertanz (Dialekt: Schusdrdans) und das „Springen auf dem Stock“ (Dialekt: Schtegeljeraide) sorgten für allgemeine Heiterkeit und Unterhaltung.
Gegen Ende des Festes wurde das Brautpaar auf Stühle gehoben, in die Höhe geworfen und wieder heruntergelassen. Nach diesem ausgelassenen Moment wurde der Braut der Hochzeitskranz abgenommen. Manchmal wurde ihr dabei eine Augenbinde angelegt, während ihre Brautjungfer, nachdem sie den Kranz abgenommen hatte, darum bat, ihn „blind“ einer anderen jungen Frau anzulegen. Der Glaube besagt, dass diese junge Frau bald den Bund der Ehe schließen wird. In einigen Dörfern legte die Brautjungfer den Kranz nach dem Abnehmen in eine Truhe und tanzte mit dieser. Sie wurde von den anderen Gästen begleitet. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts saß die Braut während dieses Ritus auf einem Stuhl, der auf einen Tisch gestellt wurde. Beim Abnehmen des Kranzes wurden verschiedene Lieder gesungen, die den Abschied von der sorglosen Jugend symbolisierten. Besonders beliebt war das Lied „Die schönste Jugend“ oder das Lied der Braut:
Ach praut, du duest das
Krendzelain ab,
henks an di want an nayel.
Traur nicht mer tsu ser,
shelft ales nixts mer,
ain waiplain musdu wärden.
Disjar trachst du es
Ain klaines kint.
Traur nicht mer tsu ser,
shelft ales nixts mer,
ain waiplain musdu wärden.
Disjar trachst dues noch
Faine schu.
Iwrschjar schnalsduze
Mit reimjer tsu.
Traur nicht mer tsu ser,
shelft ales nixts mer,
ain waiplain musdu wärden. (Dialekt)
Ach Braut, du tust das
Kränzlein ab,
Hängst es an die Wand an einen Nagel.
Trauer nicht zu sehr,
Es hilft alles nichts mehr,
Ein Weiblein musst du werden.
Dieses Jahr tragst du noch feine Schuhe,
Nächstes Jahr trägst du es
Ein kleines Kind.
Trauer nicht zu sehr,
Es hilft alles nichts mehr,
Ein Weiblein musst du werden.
Dieses Jahr trägst du noch
Feine Schuhe,
Nächstes Jahr musst du sie
Zuschnüren.
Trauer nicht zu sehr,
Es hilft alles nichts mehr,
Ein Weiblein musst du werden.
Am letzten Tag der Feierlichkeiten, je nach Region entweder der zweite oder dritte, neigte sich das Tanzen um sechs Uhr abends dem Ende zu. Der letzte Tanz, der den Abschluss der Hochzeit einläutete, war der „Kehr aus“-Tanz (Dialekt: Keiraus). Dieser Tanz war auch in Deutschland bekannt. Die Musiker stimmten eine fröhliche Polka (Dialekt: Diritsdits) an. Alle tanzten fröhlich und lautstark. Der Familienvater bewegte sich durch den Raum und imitierte die Bewegungen eines Mannes, der den Boden kehrt. Gelegentlich griff er zum Besen, den der erste Tänzer in die Hand genommen hatte, und fegte über den Boden. Daraufhin sagte er:
Keiraus, keiraus,
Keir aus, alle ege raus! (Dialekt)
Kehr aus, kehr aus,
Kehr alle Ecken aus!
Die Hochzeitsnacht der frisch Vermählten war nicht ohne ihre Herausforderungen. In dem Kirchdorf Preis, wie auch in Deutschland, sahen sich die beiden mit allerlei Intrigen konfrontiert. So kam es, dass der Lattenrost des Bettes abmontiert wurde, auf dem das Federbett lag, was unweigerlich zu unerwarteten Folgen führte. Das junge Paar stürzte somit aus dem Bett und verspürte ein tiefes Schamgefühl, da andere Familienmitglieder im selben Raum schliefen. In anderen Kirchdörfern war es sogar Brauch, Steine und Äste ins Federbett zu legen.
So endete das Fest und der Alltag begann für das junge Ehepaar.