BAUERNHOF, aus verschiedenen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden bestehende Hauptform der häuslichen Siedlung der in ländlichen Regionen ansässigen Russlanddeutschen.
Zuschnitt und Größe der Hofstellen hingen in den Mutterkolonien vom Grundriss der Siedlung (Blockbebauung, lineare oder sogenannte „ordnungsgemäße“ Bebauung) und der Größe des zugeteilten Landes ab - zu einer Hofstelle mit Tenne gehörten fünf Desjatinen (5,45 Hektar) Land. In den Siedlungen der zweiten Generation (Tochterkolonien, Gehöftsiedlungen, Einzelhöfe, Farmen, Ökonomien) unterlag die Größe der Hofstellen keiner strengen Reglementierung und variierte je nach Region und Art der Landnutzung. Auch die Anordnung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude war nicht normiert. Lediglich die dem Brandschutz dienenden Abstände zwischen benachbarten Häusern sowie in einigen Fällen die Ausrichtung der Fassade zur Baufluchtlinie waren festgelegt. Für das Wolgagebiet waren rechteckige Hofgrundstücke (mit einem Seitenverhältnis von 1:1,5 bis 1:2) charakteristisch, die aus zwei etwa gleich großen Teilen bestanden: einem Vorhof, auf dem das Wohnhaus, die Sommerküche, der Kornspeicher und der Pferdestall lagen, und einem Hinterhof (mit Schaf- und Geflügelställen, einem Geräte- und einem Brennholzschuppen), an den sich der Gemüsegarten anschloss. Im Wolgagebiet und im Norden zog sich das Haupthaus üblicherweise mit einer langgezogenen Fassade an der Straße entlang. An der Frontseite gab es gewöhnlich eine Einfahrt und eine Sommerküche. In den südlichen Regionen (Schwarzmeerregion) bildete die Hofstelle ein schmales Rechteck (mit einem Seitenverhältnis von 1:2 bis 1:4), an dessen Seitenlinie das Wohnhaus mit dem Kornspeicher, der Scheune und dem Stall einen Block bildete, während sich die sonstigen Wirtschaftsgebäude auf der hinteren Linie befanden. Vorder- und Hinterhof waren durch einen Dreschplatz getrennt. Alle auf dem Hofgrundstück gelegenen Freiflächen wurden als Obstgärten genutzt. In den meisten im Süden gelegenen Kolonien waren die Höfe zur Straße von hohen Mauern gesäumt, hinter denen in einigem Abstand das Wohnhaus lag, dessen Fassade hier (wie auch in Wolhynien sowie in den im Asowgebiet und in Sibirien gelegenen mennonitischen Siedlungen) der Straße zugewandt war. Die Mennoniten hatten vor dem Haus einen Blumengarten. Im hinteren Teil wurden die Hofstellen von einer Querscheune mit einer großen Durchfahrt für Fuhrwerke abgeschlossen. In Sibirien zogen sich die Bauten angesichts der klimatischen Bedingungen um das Hofgrundstück herum.
Das Wohnhaus bildete als Hauptelement der Hofstelle das stabilste Element der materiellen Kultur der Russlanddeutschen. Bei der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und im frühen 19. Jahrhundert erfolgten Gründung der Mutterkolonien wurden die vom Staat errichteten provisorischen „Kronhäuser“ nach einem festen Bauplan errichtet. Dabei handelte es sich in der Regel um einfache Holz- oder Backsteinbauten mit einem einzigen Zimmer (im Wolgagebiet hölzerne Fünfwandhäuser mit zwei durch einen Korridor getrennten Zimmern), die nicht von den Kolonisten, sondern von örtlichen Handwerkern errichtet wurden. Mit ihrem Verschleiß sowie im Zuge des zunehmenden Bevölkerungswachstums gingen die mit dem Bau der Häuser verbundenen Arbeiten auf die Bewohner selbst bzw. ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf spezialisierte Handwerkerkollektive über. Versuche der Verwaltungsbehörden, den Bau erneut zu vereinheitlichen, blieben ohne Erfolg, auch wenn bis Mitte des 19. Jahrhunderts für den Grundriss der Häuser recht strenge Vorschriften galten. So sollten diese eine Größe von 30x50 Fuß (etwa 10x17m) aufweisen und mit der Frontseite zur Straße liegen. Im Haus war eines der Zimmer für handwerkliche Arbeiten vorgesehen. Hinten hatte das Haus einen Anbau, in dem Vieh gehalten wurde. In größtem Maße blieb ein solcher Grundriss in der Baupraxis der Mennoniten erhalten, die „langgezogene Häuser“ mit einem Wohnteil und Wirtschaftsräumen unter einem Dach errichteten.
Gestaltung und Zuschnitt der Innenräume der Wohnhäuser wurden durch die Lebensweise der Kolonisten, ihre Vorstellung von Komfort und die in den verschiedenen Regionen herrschenden klimatischen Bedingungen bestimmt. Für die im Norden (Gouvernement Petersburg) und im Wolgagebiet gelegenen Siedlungen war ein zentrischer Plan charakteristisch, bei dem sich die Wohnräume um einen mittig gelegenen Ofen gruppierten. In der Wolgaregion bildete die Sommerküche typischerweise einen eigenen Block. In den südlichen Regionen (Schwarzmeerregion, Asowregion, Kaukasus) wiesen die Häuser eine lineare Struktur auf, bei der mehrere Räume vom Eingang bis zu Wirtschaftsräumen hintereinander gereiht waren (Wohnstallhaus).
In den Häusern der Kolonisten gab es ein als „Gute Stube“ bezeichnetes Wohnzimmer, 1-2 Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und eine Speisekammer. Statt eines russischen Ofens gab es eine Kochstelle oder einen an der Wand platzierten Ofen. In der Wolgaregion waren in die Kochstelle Kessel für das Kochen von Wasser und Essen eingelassen. Im Wohnzimmer stand ein mit einem Baldachin geschmücktes Paradebett (Himmelbett). Anders als in den russischen Hütten hatten die Tische und Bänke keine geraden, sondern gebogene Beine was ihnen größere Stabilität verlieh. Im Schlafzimmer standen Klappbetten und Sofas, von denen das Bettzeug tagsüber abgenommen wurde. Die Decken wurden nicht geweißt, sondern wie auch die Türen mit Ölfarbe gestrichen (letztere ursprünglich braun, um die in Deutschland typische Eiche zu imitieren, später fanden auch grün und andere Farben Verwendung). Die Außentüren sowie die zu den Wirtschaftsräumen führenden Türen waren häufig geschlitzt, so dass sich ihre obere Hälfte unabhängig von der untereren öffnen ließ, was einen Schutz gegen das Eindringen des Viehs oder ungebetener Besucher in den Wohnraum bot. An den Wänden der Zimmer hingen häufig dekorativ gestaltete Sprüche (Stickereien oder bemalte Tafeln). Mit den gleichen Sprüchen wurden auch die Kissenbezüge auf dem Himmelbett geschmückt.
Die Raumaufteilung variierte in den Wohnhäusern in Abhängigkeit vom Grundriss und der Zahl der Etagen (im Wolgagebiet und in den Schwarzmeerregionen herrschten einstöckige Häuser vor, im Kaukasus zweistöckige). In allen Fällen gab es aber meist ein hohes und plastisch entwickeltes Dachgeschoss über den Wohn- (einschließlich Mansarden) und Wirtschaftsräumen (Heuboden, Räucheranlage).
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden hinsichtlich der verwendeten Materialien und Bautechniken erhebliche regionale Unterschiede: Im Norden und in Wolhynien waren Holzhäuser verbreitet, im Wolgagebiet, in der Schwarzmeer- und Asowregion Lehmhäuser oder gemischte Holz- und Lehmhäuser. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in einigen Regionen der Backsteinbau, im Kaukasus der Steinbau. Den größten Anteil (bis zu 47%) großer feuerfester Häuser gab es im Wolgagebiet. An den Orten der neuen Siedlungen in Sibirien wurden anfänglich halbe Erdhäuser gebaut, deren Wohnräume unter der Erde lagen und oben mit Holzbarren abgedeckt waren, die mit Lehm verschmiert wurden und von einem Lehmdach gedeckt waren. Die niedrigen Wände waren mit Grasplatten ausgelegt. Später wurden diese primitiven Behausungen allmählich durch Lehm-, Schilf- und Backsteinbauten ersetzt.
In architektonischer Hinsicht blieben die massenhaften, nicht professionellen Bauten der Wohnhäuser in den deutschen ländlichen Siedlungen wenig ausdrucksstark. Das Dekor war durch regionale Traditionen geprägt. Die relativ verbreitete Aktivierung traditioneller deutscher Ansätze und stilistischer Motive (Ornament, Charakter des Mauerwerks usw.) fiel in das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert, eine Zeit der flächendeckenden Verbreitung des Backsteinbaus und der Nutzung von Dachziegeln zur Deckung der Dächer.
Малиновский Л.В., Жилище немцев-колонистов в Сибири, «Советская этнография», 1960, № 3; Koch E., Die deutschen Kolonien Nordrusslands, Würzburg, 1931; Fuchs J., Die Siedlungsformen der Kaukasusdeutschen, «Deutsche Post aus dem Osten», 1940, № 7; Schnurr J., Die Siedlung, der Hof und das Haus der Russlanddeutschen, in: Heimatbuch der Deutschen aus Russland. 1967/1968, Stuttgart, 1968; Terjochin S., Entstehung und Entwicklung der Umsiedler-Architektur in den deutschen Wolga-Kolonien, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 57, Heft 1, München, 1991.