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FORSTWESEN , (Forstwirtschaft, Forstwissenschaft)

Rubrik: Wirtschaftsgeschichte

FORSTWESEN (Forstwirtschaft, Forstwissenschaft), 1) Teilgebiet der Botanik, das sich mit Fragen des Waldes befasst, 2) Wissenschaft, die sich mit Fragen der Aufforstung und Bewirtschaftung von Wäldern sowie der Steigerung der Produktivität der Waldwirtschaft befasst.

Theoretische Grundlage der Forstwirtschaft ist die Forstwissenschaft, die sich mit der Entstehung und Aufforstung von Wäldern, Waldbeständen und biologischen Besonderheiten einzelner Baumarten, verschiedenen Waldarten, den Zusammenhängen zwischen Wald und Umwelt sowie mit Fragen der Regeneration und Pflege des Waldes befasst. Praktische Grundlage der Forstwirtschaft ist die Aufforstung, also die künstliche Anlegung von Wald auf Flächen, auf denen es zuvor keinen Wald gab.

Die Russlanddeutschen leisteten einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der in den Steppen betriebenen Forstwirtschaft.

Erste Aufforstungen wie der von Peter I. an der Bolschaja Tscherepacha im heutigen Taganrog angelegte Eichenhain sowie die von Hetman Kirill Rasumowski in den Gouvernements Priluki und Poltawa und Fürst Potjomkin in der Nähe von Nikolajew angelegten Eichenwälder erfolgten bereits im 18. Jahrhundert. Darüber hinaus wurden auch auf den Dnepr-Inseln der Saporoger Sitsch Wald- und Obstbäume angepflanzt.

Nach der im Jahr 1775 erfolgten Auflösung der Saporoger Sitsch und dem im Jahr 1783 erfolgten Anschluss der Krim an Russland wurden in Neurussland und der südlichen Ukraine nicht nur zahlreiche russische und ukrainische Bauern, sondern auch ausländische Kolonisten (Deutsche, Serben, Bulgaren, Griechen und andere) angesiedelt, was die nahezu vollständige Abholzung der ohnehin spärlichen Waldbestände der Region zur Folge hatte. 1787 ordnete Zarin Katharina II. an, in den südlichen Steppengouvernements Wälder anzulegen, aber der entsprechende Erlass wurde nicht umgesetzt.

Im 19. Jahrhundert wurden in den Steppengebieten zahlreiche großangelegte Aufforstungsprojekte durchgeführt, hinter denen im Gouvernement Charkow die Großgrundbesitzer I.Ja. Danilewski (nach 1804) und I.I. Karasin, im Gouvernement Cherson Wiktor Skarschinski (nach 1818) und Wassili Lomikowski sowie im Gouvernement Jekaterinoslaw der frühere Oberförster des Gouvernements Woronesch B.B. Freireis (nach 1814) standen. Die Anpflanzungen erfolgten im Fall von Freireis und Danilewski auf Streusand, im Fall von Lomikowski und Skarschinski in der offenen Steppe und im Fall von Karasin auf Erosionsflächen. Zur Aufforstung wurden vor allem Kiefern, Lärchen, Eichen, Linden, Pappeln, Weiden, Akazien und Feldulmen angepflanzt.

Auch die Bewohner der in der sogenannten Sloboda-Ukraine gelegenen Militärsiedlungen betrieben aufgrund einer entsprechenden Anordnung A.A. Araktschejews aktive Aufforstungsarbeit: So wurden bis 1855 in den Gouvernements Charkow, Cherson und Jekaterinoslaw auf einer Fläche von insgesamt 13.096 Desjatinen Laub- und Nadelwälder angelegt.

Für die Aufforstung der Steppengebiete spielten Botanische Gärten und Baumschulen wie der 1819 gegründete Botanische Garten der Stadt Odessa, der 1811/12 gegründete Botanische Garten der Siedlung Nikita, die von dem Gutsbesitzer Wiktor Skarschinski angelegte Baumschule sowie die Baumschulen der Städte Kertsch, Kischinjow und Simferopol eine wichtige Rolle, die die für die Aufforstung benötigten Setzlinge bereitstellten. Auch die „Südrussische Landwirtschaftliche Gesellschaft“, der so herausragende Persönlichkeiten wie Wiktor Skarschinski, Ja. Desmet, Alexander Langéron, Dmitri von der Osten-Sacken, Alexei Nikitin und Michail Woronzow angehörten, stellte für alle Interessierten kostenloses Pflanzgut bereit.

Bei der Entwicklung der bei den Aufforstungen zum Einsatz kommenden forstwirtschaftlichen Methoden kam den deutschen und mennonitischen Kolonisten eine Vorreiterrolle zu. Aufgrund der 1801 erlassenen „Instruktion über die innere Ordnung und Verwaltung der Kolonien“ waren die Ansiedler verpflichtet, jeweils eine halbe Desjatine Wald pro zugeteiltes Landstück anzulegen. Bei der Umsetzung der in der Instruktion enthaltenen Vorgaben spielten der Vorsitzende des Fürsorgekomitees für Ausländische Ansiedler in Südrussland Jewgeni Hahn und seine Helfer Baron Stempel und Johann Cornies eine entscheidende Rolle. Waren die ersten Aufforstungsversuche noch weitgehend erfolglos verlaufen, sorgte die auf der gesamten Fläche durchgeführte Auflockerung des Bodens schließlich für erfolgreiche Anpflanzungen und hatte Vorbildcharakter für alle weiteren in der Steppe vollzogenen Aufforstungsprogramme.

Die ersten beispielgebenden Waldpflanzungen wurden von den Mennoniten in den Jahren 1806-10 in der Nähe der am Ufer der Molotschna gelegenen Kolonien Altnassau und Weinau (Bezirk Berdjansk) getätigt. Die großflächige Aufforstung wurde durch Aussaat von Samen und Anpflanzung von Setzlingen erzielt. Auf höher gelegenen Flächen wurden in der Regel Eichen, Eschen, Akazien und Maulbeerbäume, auf tiefer gelegenen Flächen Pappeln, Linden und Eschen gepflanzt. Die Bäume wurden in Reihen mit 3,2 Meter Abstand gesetzt, Unkraut wurde systematisch vernichtet. Eine bedeutsame Rolle spielten auch Büsche und Sträucher.

1831 gründeten die im Bezirk Molotschna ansässigen Kolonisten die von Johann Cornies geleitete „Gesellschaft für richtige und methodische Bewaldung“, in deren Pflanzungen 46 verschiedene Baum- und Straucharten kultiviert wurden. Insgesamt wurde im Molotschnaer Kolonistenbezirk eine Fläche von über 600 Desjatinen Land aufgeforstet, auf denen im Jahr 1853 3,4 Millionen Bäume (davon 1,4 Mio. Maulbeerbäume) gezählt wurden.

Weitere große Waldflächen, an deren Aufforstung die deutschen Übersiedler aktiv beteiligt waren, lagen auf Chortiza, wo eine Fläche von über 215 Desjatinen aufgeforstet wurde, sowie in den deutschen Kolonien der im Gouvernement Cherson gelegenen Bezirke Liebental und Kutschurgan. Anfang 1850 gab es in den deutschen und bulgarischen Kolonien dieses Gouvernements insgesamt 290.000 auf 48 Pflanzungen verteilte Waldbäume, 276.000 Bäume in Baumschulen und 240.000 Heckensträucher. Im Gouvernement Jekaterinoslaw pflanzten die Mennoniten auf einer Fläche von insgesamt 1.425 Desjatinen Wald an.

Die ersten in der Steppe unternommenen Aufforstungsversuche waren extrem arbeits- und kostenintensiv. Die Mennoniten und in erster Linie Cornies entwickelten die wichtigsten bei der Aufforstung zu beachtenden Regeln. Als unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Aufforstung galten die Anlage von Baumschulen, das Aussetzen der Bäume in speziell vorbereiteten Pflanzbetten, die Aussaat im Herbst (mit Ausnahme von Akazien), eine tiefgehende Auflockerung des Bodens sowie der Schutz der Saat gegen östliche und nördliche Winde. Die Bäume wurden in von Nord nach Süd verlaufenden Reihen ausgesetzt, wobei zwischen den einzelnen Bäumen ein fester Abstand gelassen wurde. Für einige schwer sprießende Arten wie z.B. Pappeln und Birken wurden eigene Regeln ausgearbeitet. Mit der Aufforstung von Wald waren Mennoniten unter anderem in den Amtsbezirken Chortiza (Bezirk Jekaterinoslaw), Gnadenfeld, Halbstadt (Bezirk Berdjansk) und Prischib (Bezirk Melitopol) befasst. Bekannte mennonitische Forst- und Gartenwirte waren Wilke, F.F. Wibbe, Ch. Klassen, S. Kerber, Ja. Werle, I. Braun und D. Reimer.

In den deutschen Kolonien wurden bevorzugt Eichen gepflanzt, deren hartes Holz für die Fertigung von Landmaschinen und Fuhrwerken verwendet wurde.

Eine neue Etappe der in der Steppe betriebenen Forstwirtschaft markierte die 1839 erfolgte Gründung des von Pawel Kisseljow geführten Ministeriums für Staatsdomänen, in dessen Zuständigkeitsbereich auch die staatliche Forstwirtschaft fiel. Nach einer durch Neurussland führenden Inspektionsreise erachtete es Kissiljow als angebracht, sich die forstwirtschaftliche Erfahrung der Mennoniten zu Nutzen zu machen, und wandte sich 1841 mit dem Vorschlag an Cornies, eine forstwirtschaftliche Musterschule aufzubauen, an der vor allem Bauernkinder ausgebildet werden sollten. Zudem wurden im gesamten Russischen Reich zahlreiche der Aufforstung dienende Maßnahmen wie z.B. die Gründung von Baumschulen, die Befestigung und Bewaldung der im Gouvernement Taurien gelegenen Oleschky-Sande, der Aufbau von Förstereien sowie an diese angeschlossener Forstschulen ergriffen. Per Verfügung des Ministeriums für Staatsdomänen vom 27. Mai 1841 wurde der Maßnahmenplan zur mustergültigen Aufforstung des Gouvernements Jekaterinoslaw bestätigt. Im gleichen Jahr wurden elf Gouvernements verpflichtet, ausreichende Mengen Saatgut der benötigten Baumarten in das Gouvernement Jekaterinoslaw zu liefern.

Die im November 1843 erfolgte Gründung des für die Anpflanzung des Weliko-Anadol-Waldes zuständigen ersten russischen Forstreviers markierte den Beginn der gezielten Aufforstung der Steppengebiete des Russischen Reiches. Viktor Graff machte das von ihm in den Jahren 1843-66 geführte Weliko-Anadol-Forstrevier zu einer „Schule“ der unter Steppenbedingungen betriebenen Forstwirtschaft, akklimatisierte Dutzende Baum- und Straucharten und lieferte den praktischen Beweis, dass sich in der offenen Steppe Wald anlegen ließ. Allerdings sollten sich die von Graff zum Einsatz gebrachten Aufforstungsmethoden als überaus kostenintensiv erweisen.

Im Jahr 1846 wurde an der Molotschna das Berdjansker Forstrevier angelegt, das einige Zeit lang von Cornies geführt wurde, der wie vor ihm schon Graff auf einen gartenbaulichen Ansatz setzte, bei dem der Boden vor der Einpflanzung der Setzlinge im Verlauf von zwei Jahren viermal tief gepflügt und geeggt wurde. Die Fläche wurde in etwa 2,1 x 2,1 Meter große Quadrate unterteilt, in denen 5-6-jährige Setzlinge in tiefe Pflanzlöcher gesetzt wurden, denen unter anderem durch regelmäßige Auflockerung des Bodens und Vernichtung des Unkrauts eine intensive Pflege zukam. Dies wiederum hatte zur Folge, dass eine Desjatine dieses Waldes (2.400 Bäume) Kosten in Höhe von 700 Rubeln verursachte, was ausgesprochen teuer war und nur vom Staat finanziert werden konnte.

Die Versuche, die mit der Aufforstung einhergehenden Kosten zu senken, sind mit dem Namen Karl Ludwig Heinrich Bark verbunden, der das Weliko-Anadol-Forstrevier in den Jahren 1866-78 leitete und auf eine dichte Setzung, eine intensive Auflockerung des Bodens auf der gesamten Fläche sowie eine kürzere Pflege des Bodens setzte. In solchen von Eschen, weißen Akazien, Spitzahorn und Tatarischem Ahorn, Ulmen und gelben Akazien dominierten Pflanzungen ließen sich die Kosten auf 160-180 Rubel pro Hektar senken. Später kam Bark zu dem Schluss, dass sich Stieleichen für die Aufforstung besonders eigneten. Spaten-Pflanzungen wurden durch Pflock-Pflanzungen ersetzt. Als besonders robust und kostengünstig erwies sich auch, im Frühjahr ohne vorherige Häufelung zu pflanzen.

Barks Nachfolger auf dem Posten des Direktors des Weliko-Anadol-Forstreviers Ch.S. Poljanski (1878-95) erarbeitete die sogenannte „Normal-Variante“ der Aufforstung, durch die sich die für einen Hektar Neuwald anfallenden Kosten auf 50 Rubel senken ließen. Bei dieser Art der Pflanzung wurden jeweils zur Hälfte hochwertige Baumarten wie Eichen, Eschen und Spitzahorn sowie eher minderwertige Baumarten wie Ulmen und Feldulmen angepflanzt. Angesichts der bei den ersten derartigen Aufforstungsprojekten erzielten Erfolge empfahl der Allrussische Forst-Kongress die „Normal-Variante“ im Jahr 1884 für alle weiteren Aufforstungen. Später wurde diese Methode vor allem von den in den Revieren des Bezirks Berdjansk und des Donkosaken-Gebiets tätigen Forstwirten Pawel Siwizki und Fjodor Tichanow weiterentwickelt.

Später entwickelte Nikolai Dachnow, der in den Jahren 1895-1908 das Weliko-Anadoler Forstrevier leitete, die nach ihm benannte Aufforstungsmethode, bei der Eichen das obere Stockwerk des Waldes bildeten, in deren Schatten weitere Baumarten wuchsen. Auf ihn geht auch die Anpflanzung in Forstbaumschulen zurück. Zur gleichen Zeit entwickelte Georgi Wyssozki im Razinskaja Datscha-Forstrevier (Gouvernement Cherson) die Einstrauch-Methode, bei der sich jeweils ein Strauch mit der Hauptbaumart abwechselte. Auf Ju.G. Lehmann ging die Gruppenpflanzung von Eichen zurück, bei der Eichengruppen im Schachbrettmuster mit Gruppen von Spitzahorn, Honigdorn, Ulmen oder Eschen variierten.

Einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der in der Steppe betriebenen Forstwirtschaft leistete die von Wassili Dukatschajew geleitete „Sonderexpedition zur Prüfung und Bewertung unterschiedlicher Methoden und Ansätze der Wald- und Wasserwirtschaft in den Steppen Russlands“ (1892-99), die neue Baum-Schatten- und Baum-Strauch-Anpflanzungsvarianten erarbeitete und später aktiv zum Einsatz brachte.

Anfang des 20. Jahrhunderts durchlebte die in der Steppe betriebene Forstwirtschaft angesichts der Austrocknung der künstlich angelegten Wälder eine Krise. Die an der Methode von Bark und Poljanski orientierte Aufforstung genügte schon nicht mehr den Ansprüchen. 1908 wies der im Weliko-Anadoler Forstrevier abgehaltene Kongress der in der Steppe tätigen Förster explizit auf die erfolgversprechenden Ansätze von Wyssozki und Dachnow hin und lobte die gute Qualität der 60 Jahre zuvor von Graff gesetzten Pflanzungen.

Zu dieser Zeit wurden in zahlreichen neugegründeten Forstrevieren Aufforstungsprojekte durchgeführt (Welikaja Michailowka und Werchnedneprowsk im Gouvernement Jekaterinslaw, Razinskaja Datscha und Wladimirskoje im Gouvernement Cherson sowie Asow und Jewpatorija im Gouvernement Taurien). Insgesamt wurden nach Angaben Wyssozkis in den Jahren 1843-1916 in den Steppen Russlands auf einer Fläche von 12.000 Hektar Staatswälder aufgeforstet.

Autoren: Savčuk V., Bobyleva S.I.

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