MÜHLENWESEN UND MEHLPRODUKTION – Produktionsprozess der Verarbeitung von Getreide zu Mehl, der in einem Mühlenbetrieb (Mühle) stattfindet. Die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Mehlproduktion reicht mehrere Tausend Jahre zurück. Die Grundlagen der modernen Technologie des Mahlens von Getreide wurden Ende des 19. Jahrhunderts durch die Entwicklung von Walzenstühlen sowie Sieb- und Putzmaschinen gelegt.
Im Manifest vom 22. Juli 1763 wurde den Übersiedlern das Recht auf den Bau eigener Mühlen zugesprochen. Zur Umsetzung dieser Pläne stellte die Regierung der Zarin Katharina II. Kredite in Höhe von 800 Rubeln in Aussicht, die innerhalb einer Frist von 15 Jahren zurückgezahlt werden sollten.
Unter den ersten Kolonisten waren auch Müller, die einige über zylinderförmige Mahlwerke verfügende holländische Windmühlen bauten, deren Siebgewebe aus Haaren und später Seide bestanden. Dabei handelte es sich um eine in Russland neue Technologie, da das Mehl in den dortigen Mühlen bis dahin nur grob gemahlen und anschließend von Hand durch Bast- und Drahtsiebe gesiebt worden war. Vor diesem Hintergrund ließen auch russische Bauern und Gutsbesitzer ihr Getreide in den von den deutschen Kolonisten errichteten Windmühlen mahlen. Angesichts der steigenden Nachfrage begannen die Kolonisten, auch Wassermühlen zu bauen, die sie von den 1770er Jahren an an den Flüssen Medwediza, Karamysch, Dobrinka, Schtscherbakowka, Kulaninka, Danilowka, Tarlyk, Bolschoj Karaman und Malenki Karaman sowie an deren Zuflüssen errichteten. Lange Zeit hatten die Kolonisten im Wolgagebiet ein Monopol auf den Mühlenbau und wurden auch von russischen Gutsherren eingeladen, auf deren Gütern Mühlen zu errichten. Außerdem bauten die Kolonisten an den an ihren Landbesitz angrenzenden, auf freiem Staatsland gelegenen Flüssen und Quellen eigenmächtig Mühlen, die später aufgrund eines Erlasses vom 26. November 1808 zugunsten der Kolonistengemeinden enteignet und diesen im Zuge der 5. Revision zugeschlagen wurden. In einer Anordnung des Fürsorgekontors der ausländischen Siedler wurde der Bau von Mühlen in den deutschen und mennonitischen Kolonien für ökonomisch unverzichtbar erklärt.
In den deutschen Kolonien wurden zunächst vor allem Windmühlen und nur sehr wenige Wassermühlen gebaut, wobei sich drei Konstruktionstypen unterscheiden ließen: 1) Bockwindmühlen, die ebenso zuverlässig wie kostengünstig waren und vor allem in den Chortiza-Kolonien Verbreitung fanden; 2) sogenannte „Hemdmühlen“, deren Mechanismus sich ganz an der Spitze des Baus befand; 3) Turmmühlen, deren gemauerter Korpus eine runde Form aufwies. Letztere waren vor allem in den auf der Krim und in den an den Flüssen Molotschna und Sagradowka gelegenen Kolonien verbreitet.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die Kolonisten Reisich, Beisel, Quint und Schira im Wolgagebiet bei in der Stadt Kamyschin ansässigen privaten Besitzern entlang der Flüsse Kamyschinka, Jelschanka, Sestrenka gelegene Gartengrundstücke aufzukaufen, auf denen sie Mühlen errichteten. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts waren alle innerhalb der kolonistischen Besitzungen gelegenen Flüsse und Quellen mit Wassermühlen übersät, die die gesamte Wolgaregion von Rybinsk bis Astrachan mit Mehl versorgten.
Von den 1850er Jahren an weiteten die Kolonisten die Produktion durch den Bau neuer Mühlen aus, indem sie bei privaten Besitzern an Flüssen gelegene Grundstücke pachteten, auf denen sie neue Mühlen errichteten oder bereits bestehende ausbauten. Die Nachfrage nach deutschem Weißmehl war einige Jahre lang recht hoch: Der Preis lag bei etwa drei Rubeln für einen Fünf-Pud-Sack (80 kg; 1 Pud = 16 kg).
Zu den Mühlenbesitzern gehörten auch die Kolonisten Kindsvater, Schmidt und Reineke, die am Fluss Latryk erste Grießmühlen errichteten. 1842 pachteten die Brüder Peter, Andreas und Jakob Schmidt zusammen mit Konrad Reineke bei Fürst W.P Kotschubei die am Fluss Latryk gelegene Pojarkowo-Mühle. 1845 pachteten die gleichen Familien eine weitere, bei dem Dorf Nekljudowo gelegene große Wassermühle. Drei Jahre später teilten sie ihre Mühlen untereinander auf und pachteten zugleich immer neue Mühlen an. Im Verlauf der 1860er–1870er Jahre kauften die Familien Reineke, Schmidt und Borell im gesamten Gouvernement Saratow größere Mühlen auf. So erwarb z.B. Konrad Reineke, der seinen Brüdern Andreas und Lukas mehrere gepachtete Mühlen überlassen hatte, beim Grafen Gurjew eine am Fluss Medwediza gelegene Mühle, deren täglicher Ausstoß bei 700 Pud Mehl lag.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Mühlenwesen einen eher kleingewerblichen Charakter gehabt, und die zahlreichen im Besitz der Kolonien stehenden kleineren Mühlen hatten das Getreide vor allem für den regionalen Bedarf gemahlen, während das für den Markt bestimmte Getreide von russischen Kaufleuten aufgekauft und über die Wolga nordwärts in die Großmühlen von Nischni Nowgorod und Rybinsk verschafft wurde, von wo aus das dort gemahlene Mehl auf den Markt kam.
Auch an den Flüssen Medwediza, Tschardym, Karabulak, Karamysch und Tereschka entstanden zahlreiche neue Mühlen. Gegen Ende der 1860er Jahre mieteten Kolonisten an den genannten Flüssen zwanzig große Mühlen an, die zusammen über insgesamt 193 Mahlgänge verfügten und etwa 3.000.000 Pud Getreide (Weizen und Roggen) mahlen konnten. Nichtsdestotrotz überstieg die Nachfrage aber noch immer das Angebot. Ende der 1860er Jahre errichteten die Kolonisten Seifert und Sauer in Saratow erste Dampfmühlen. In den 1870er Jahren errichtete der Kolonist Asmus auch in Katharinenstadt eine Dampfmühle. In den Jahren 1878/79 bauten schließlich sowohl K. Reineke als auch die Brüder Schmidt in Saratow riesige Dampfmühlen, deren täglicher Ausstoß bei 8.000 bzw. 12.000 Pud Mehl lag. Anfang der 1880er Jahre wurde die ursprünglich von Seifert gegründete Mühle von den Brüdern Schmidt und Sauers Mühle von Borell übernommen. Anfang des 20. Jahrhunderts mahlten die umgebauten und modernisierten Mühlen von Schmidt, Borell und Reineke täglich bis zu 70.000 Pud Weizen.
Der Umfang der Mehlproduktion in den von diesen drei Familien betriebenen Mühlen war beeindruckend. So wurden z.B. in den Mühlen E.I. Borells in den Jahren 1892–1908 in Saratow insgesamt 25 Millionen Pud Weizen und in Dobrinka 36 Millionen Pud Weizen verarbeitet. Noch größer war der Ausstoß jeder einzelnen der beiden Mühlen der Firma Schmidt, der in jedem einzelnen Jahr bei 3,3–3,5 Millionen Pud Weizen lag. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs nahm Saratow hinsichtlich des Umfangs der Mehlproduktion den ersten Platz in Russland ein.
In den Mühlen der deutschen Unternehmer waren sehr viele Arbeiter beschäftigt. So waren allein in den beiden Mühlen der Familie Schmidt 58 Angestellte und 510 Arbeiter tätig. Und auch in den Mühlen Borells arbeiteten bis zu 500 Arbeiter und Angestellte, wobei in diesen Zahlen noch nicht einmal all jene Beschäftigten enthalten sind, die auf den Dampfschiffen und Lastkähnen, in den zahlreichen in verschiedenen Städten bestehenden Vertretungen oder als Agenten für den Aufkauf von Getreide tätig waren.
In den 1890er Jahren nahmen die deutschen Müller über die Mehlproduktion hinaus auch dessen Verkauf in ganz Russland unter ihre Kontrolle. Die ersten, die diesen Schritt machten, waren die Brüder Schmidt, deren im Jahr 1888 gegründetes Handelshaus umgehend eine eigene Vertretung in Moskau aufbaute. 1892 folgte das Handelshaus „Emanuel Borell & Söhne“. 1899 eröffnete schließlich auch Konrad Reineke ein eigenes Handelshaus.
Ende der 1890er Jahre unterhielten diese drei Firmen Repräsentanzen in Petersburg, Astrachan, Rybinsk, Nischni Nowgorod und zahlreichen anderen Städten Russlands.
Da die Wolga auch nach dem Anschluss Saratows an das Eisenbahnnetz die Hauptverkehrsader des Handels blieb, war es für die großen Handelshäuser geboten, sich eigene Schiffe und Lastkähne zuzulegen. Die größten Erfolge erzielte in dieser Hinsicht die Firma der Brüder Schmidt, die einen eigenen Schifffahrtsbetrieb unterhielt, der die fünf Dampfschiffe „Karamysch“, „Josior“, „Kolonist“, „Kruptschatnik“ und „Russalka“, 32 Lastkähne und zwei schwimmende Silos umfasste. Die Firma Borell verfügte über zwei Dampfschiffe und 18 Lastkähne, Reineke über zwei Dampfschiffe („Konrad“ und „Elisabeth“) und 17 Lastkähne.
Die Erfolge der Saratower Müller wurden Ende des 19. Jahrhundert auch auf verschiedenen Industrieausstellungen anerkannt. Die erste hohe Auszeichnung erhielt in Form der Silbernen Medaille der Kaiserlichen Freien Ökonomischen Gesellschaft 1880 die Firma Reineke, der 1882 auf der Russischen Industrie- und Kunstausstellung auch das Recht zuerkannt wurde, auf ihren Produkten das Staatswappen zu nutzen. Auch die Firmen Schmidt und Borell erhielten Ende der 1880er Jahre auf verschiedenen russischen Ausstellungen hohe Auszeichnungen.
In den 1890er Jahren fanden die großen Verdienste dieser Firmen auch im Ausland Anerkennung. In den Jahren 1892 und 1900 wurde die Firma Reineke auf den Pariser Ausstellungen und im Jahr 1897 auf der Stockholmer Ausstellung mit einer Goldenen Medaille ausgezeichnet. Auf der gleichen Stockholmer Ausstellung erhielt auch die Firma Schmidt eine Goldene Medaille. In Paris wurde Borell der Grand Prix sowie eine Goldene Medaille verliehen.
Auch in den in Südrussland gelegenen Kolonien entwickelten sich die Mehlproduktion und das Mühlenwesen in ähnlicher Weise. In den 1790er Jahren wurde dort in dem auf der Insel Chortiza gelegenen Dorf Rosental eine erste Wassermühle errichtet, die etwa zehn Jahre in Betrieb war und von den Kolonisten als „Gemeinschaftsmühle“ bezeichnet wurde, da sie der Gemeinde als Ganzem gehörte. 1803 gründete Jakob Niebuhr, der Stammvater einer Dynastie, zu der auch dessen Söhne Abraham und Hermann gehörten, im Dorf Kronsweide den ersten privaten Mühlenbetrieb in der Region. 1819 gab es in den auf Chortiza gelegenen Siedlungen 22 und 1828 bereits 33 Windmühlen. In den an der Molotschna gelegenen Kolonien gab es in den 1830er Jahren 38 moderne holländische Windmühlen. Zur gleichen Zeit kamen in Person der Kolonisten Bock (Schönwiese) und Friesen (Sparrau) auch auf den Mühlenbau spezialisierte Handwerker in die Kolonien.
Die Entwicklung der Mehlproduktion wurde maßgeblich durch den agrarischen Charakter der Kolonien angestoßen. In der Anfangsphase entwickelte sich die Mehlproduktion in den südrussischen Kolonien wie auch im Wolgagebiet auf kleingewerblichem Niveau. Jeder Mühlenbesitzer war zugleich auch Eigentümer großer Landstücke. So verfügte Jacob Niebuhr z.B. in dem Dorf Kronstal über Landbesitz und investierte einen Großteil seiner Gewinne in den Ankauf weiterer Landstücke.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte praktisch jede Kolonie ihre eigene Mühle. So gab es in den 49 im Gouvernement Jekaterinoslaw gelegenen deutschen und mennonitischen Kolonien 93 Wind- und Wassermühlen, in den vierzig im Gouvernement Cherson gelegenen Kolonien 222 Wind- und eine Wassermühle und im Gouvernement Taurien 86 Wind- und Wassermühlen. Eine qualitativ neue Etappe der Entwicklung des Mühlengewerbes begann in den deutschen Kolonien in den 1860er Jahren. Bereits in den späten 1820er und frühen 1830er Jahren produzierten die deutschen Kolonien deutlich mehr Getreide, was sowohl der immer besseren Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten als auch dem technischen Fortschritt der eingesetzten Landmaschinen geschuldet war. Von Beginn der 1830er Jahre an erhöhte die Regierung zudem die Brotpreise, was der weiteren Entwicklung der Mehlproduktion ebenfalls einen großen Schub gab. Nach der im Jahr 1825 erfolgten Gründung der Stadt Berdjansk, deren Hafen schon bald zu einem Hauptumschlagplatz wurde, stieg der Getreidehandel und in der Folge auch die Notwendigkeit, eine Getreide verarbeitende Produktion aufzubauen.
Für die Mehlproduktion markierte das Aufkommen dampfbetriebener Mühlen einen entscheidenden Durchbruch, in dessen Folge das Mühlengewerbe zu einem eigenen Industriezweig wurde. Als besonders produktiv erwiesen sich Walzenkonstruktionen, die erstmals in den Unternehmen von Johann Tissen (Jekaterinoslaw) und Herrmann Niebuhr (Chortiza) zum Einsatz kamen. Die ersten Dampfmühlen wurden in den deutschen und mennonitischen Kolonien von G. Tews (1867/ Rosental), H. Niebuhr (1872/ Chortiza), P. Fast (1879/ Chortiza) und I. Pauls (1879/ Einlage) sowie von den Brüdern Klassen (1878/ Melitopol) gegründet. In Grünfeld und Neu-Chortiza (Schljachtin-Baratow) gab es drei von Rempel und Schellenberg betriebene Windmühlen. Wurden die ersten Dampfmotoren noch im Ausland erworben, produzierte die Firma „Lepp & Wallman“ diese wenig später auch in Russland selbst.
Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts wird in der mennonitischen Geschichtsschreibung als „Mühlen-Ära“ bezeichnet und war eine Zeit, in der man beste Wünsche für die Zukunft in dem Ausspruch „Ich wünsche dir, eine Mühle zu besitzen“ ausdrückte. Um die Wende zum 20. Jahrhundert gab es in den bei Chortiza (Gouvernement Jekaterinoslaw) gelegenen Siedlungen 21 Mühlen (acht in Chortiza selbst, vier in Einlage, drei in Osterwik, eine in Nieder-Chortiza und vier in Schönwiese), die allesamt zwischen 1869 und 1898 gebaut worden waren. Zehn dieser Mühlen hatten einen Dampfmotor. Während die Windmühlen täglich 25-78 Pud Getreide verarbeiten konnten, lag der entsprechende Wert bei den Dampfmühlen bei 80-360 Pud Getreide.
Einen massiven Schub erhielt der Bau von Dampfmühlen sowohl durch den Ausbau der Eisenbahn als auch durch die Entwicklung des Steinkohlebergbaus, da die Dampfmühlen mit Kohle betrieben wurden.
Daten über die Einführung der Dampftechnik in den deutschen und mennonitischen Kolonien Südrusslands in den Jahren 1875-78:
Gouvernement |
Zahl der Mühlen |
Zahl der Dampfmaschinen |
Leistung (in Pferdestärken) |
Kiew |
13 |
13 |
213 |
Podolsk |
34 |
34 |
337 |
Tschernigow |
4 |
5 |
42 |
Charkow |
27 |
24 |
308 |
Poltawa |
9 |
9 |
123 |
Jekaterinoslaw |
33 |
35 |
744 |
Cherson |
57 |
61 |
1237 |
Taurien |
10 |
11 |
124 |
Insgesamt |
187 |
192 |
3128 |
Im Jahr 1878 lagen die Hauptzentren der industriell betriebenen Mehlproduktion in der Ukraine in Odessa (21 Mühlen), Jekaterinoslaw (9 Mühlen) und Cherson (4 Mühlen). Das Mühlengewerbe war so gewinnträchtig, dass Investitionen sich innerhalb von 3–4 Jahren amortisierten, so dass sich die Anschaffung einer Mühle auch mit geliehenem Kapital lohnte. Zur Krise kam es in der Mehlproduktion im Jahr 1884, als die Mehlpreise fielen, die Produktion heruntergefahren werden musste und ein erheblicher Teil der Produktion nicht verkauft werden konnte.
In den Sagradowka-Kolonien wurde im Jahr 1880 im Dorf Alexanderfeld die mit einem Pferdezug betriebene mechanische Mühle von J. Köhn gegründet. Die gleiche Konstruktion wies auch eine im Dorf Altenau errichtete Mühle auf. Die erste Dampfmühle der Region wurde 1898 im Dorf Tiege von G. Gerzen und P. Dorlow gebaut, die diese später an P. Deck verkauften, der sie zur bedeutendsten Dampfmühle der Sagradowka-Kolonien machte. Kleinere Dampfmühlen gab es auch in anderen Siedlungen der Sagradowka-Kolonien, so z.B. in Steinfeld, Alexanderfeld und Franzfeld. Besitzer von Dampfmühlen waren Wilms (Molotschansk/ Halbstadt), Schatz und Neiser (Reichenfelde), Glöckler (Lichtenau) und Ulmer (Kronsfelde) sowie die Brüder Grüner (Friedrichsfelde).
Im Jahr 1890 gründete D. Letkeman in der Siedlung Franzfeld (Jasykowo) eine zweistöckige Dampfmühle, die bis 1940 in Betrieb war. Auf der Krim (Spat) betrieben J. Langeman, J. Janz und F. Tews Dampfmühlen. In Odessa nahm im Jahr 1879 die Dampfmühle von E. Maas ihren Betrieb auf.
Auch in den Städten entstanden schon früh deutsche Mühlen. So wurde bereits in den Jahren 1806-08 in Jekaterinoslaw die mit einem Pferdezug betriebene Mühle von Heinrich Tissen in Betrieb genommen, die 1856 dessen Sohn Johann übernahm, der 1861 den Bau einer Dampfmühle in Angriff nahm, mit deren Planung er die englischen Ingenieure Graham und Greves beauftragte. Die Ausstattung dieser 1863 in Betrieb genommenen Mühle wurde aus England und Frankreich bezogen. In den Jahren 1863-1880 war G. Gies und von 1880 an Johann Tissen (Enkel) Miteigentümer der von J. Tissen gegründeten Mühle, deren Produktion 1910 auf der Südrussischen Industrie- und Gewerbeausstellung mit einer Goldenen Medaille ausgezeichnet wurde. Der tägliche Ausstoß lag bei 5.500 Pud Mehl. Im Jahr 1880 eröffnete Gies eine eigene Mühle, deren Inventar er aus Deutschland bezog.
Von 1844 an betrieb Johann Fast in Jekaterinoslaw eine Mühle, aus der 1866 eine Dampfmühle hervorging, die zwischen 1890 und 1895 komplett umgebaut wurde. In den Jahren 1817-67 betrieb G. Tews in Jekaterinoslaw eine Windmühle, die von dessen Söhnen später erheblich vergrößert und umgebaut wurde (Firma „Brüder Tews“).
In Cherson gründete Jakob Tissen Ende der 1850er Jahre eine Dampfmühle, in der eine amerikanische Reinigungstechnologie zum Einsatz kam.
Auch in den Städten Nikopol und Poltawa, in dem bei Charkow gelegenen Gehöft Schewtschenko sowie in diversen in Bessarabien und im Gebiet der Donkosaken sowie in Südwestsibirien gelegenen Siedlungen waren es deutsche Kolonisten, die Dampfmühlen errichteten. Im Bezirk Isjum wurden Dampfmühlen von den Brüdern Frese und von den Kolonisten Krause, Bickert, Bergen, Dien, Wiege und Epp betrieben.
An der Wende zum 20. Jahrhundert entstanden die ersten Mühlengesellschaften, unter denen sich bald einige lokale Spitzenreiter herausbildeten: So gründeten Hermann Niebuhr und Johann Deck 1895 die Gesellschaft „Niebuhr & Co“, die wiederum 1904 eine eigene Bank gründete und im Jahr 1915 elf der der insgesamt 26 im Amtsbezirks Chortiza bestehenden Mühlen kontrollierte, deren jährlicher Ausstoß bei 18-125 Tonnen lag. Die größte von Niebuhr betriebene Mühle wurde 1906 im Dorf Schönwiese errichtet und produzierte im Jahr 7.000 Pud Mehl. 1906 wurde auch in Einlage eine „Mühlengesellschaft“ gegründet.
Im Jahr 1892 gründeten F. Orlow und L. Durjan nach der Übernahme der früheren Mühle von Mann das „Handelshaus F. Orlow & L. Durjan“, zu dem ab 1896 auch eine im Dorf Tiege (Sagradowka) errichtete Dampfmühle gehörte. Durch den Einsatz modernster Technik und Analysemethoden konnte das in Odessa ansässige Unternehmen auch kleinste Verunreinigungen entfernen und dadurch den Anteil an Weißmehl erheblich steigern. Die Produkte des Handelshauses wurden nach Skandinavien und in die Region Fernost exportiert.
1902 gründete Ja. Neufeld, ein bekannter Spezialist im Mühlenwesen, die Firma „Klassen & Neufeld“, die in der Stadt Melitopol drei Dampfmühlen besaß, die täglich 6.000 Pud bzw. jährlich 2.000.000 Pud Weizen verarbeiteten.
Insgesamt gab es 1914 im Amtsbezirk Chortiza jeweils dreißig Wasser- und Windmühlen, im Amtsbezirk Halbstadt 37 Wind- und 27 Dampfmühlen und im Amtsbezirk Gnadenfeld 38 Wind- und 16 Dampfmühlen. Jedes Jahr verarbeiteten die von den Kolonisten und Mennoniten gegründeten Mühlenbetriebe mehrere Millionen Pud Getreide zu Mehl.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Mehlproduktion der Rüstungsindustrie gleichgestellt. Diese Maßnahme ermöglichte in den meisten Fällen, einer Zwangsverwaltung im Kerngeschäft zu entgehen. So verlor z.B. die Gesellschaft „Niebuhr & Co“ nur ihre Einnahmen aus dem Bank- und Minengeschäft. Ungeachtet eines gewissen Rückgangs der Getreideproduktion waren selbst zuvor verlustbringende Mühlen voll ausgelastet. So nahm etwa 1914 das bereits für insolvent erklärte „Handelshaus F. Orlow & L. Durjan“ seine Tätigkeit wieder auf.
Nach der Oktoberrevolution von 1917 und der Etablierung der Sowjetmacht wurde die Mehlproduktion nach und nach verstaatlicht, was zunächst (1919/20) nur die großen Mühlen betraf, von denen es im Amtsbezirk Chortiza insgesamt neun gab, die unter die Führung der örtlichen Komitees der Sowjets gestellt und an kollektive Genossenschaften „sozialistischen“ Typs verpachtet wurden.
Ein Teil der Mühlen wurde in den Jahren des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs zerstört. Zur Zeit der Neuen Ökonomischen Politik wurden einige betriebsfertige Mühlen mit meist eher geringer Leistung wieder an ihre früheren Besitzer verpachtet, wobei die durchschnittliche Pachtzeit in der Regel drei Jahre nicht überschritt. Allein im Jahr 1926 flossen von sieben Pächtern insgesamt 24.248 Rubel Pachtzahlungen in den Haushalt des Rayons Chortiza. Nach 1928 waren alle Mühlenbetriebe Teil des staatlichen Systems der Mehlproduktion.