SCHAFHALTUNG, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige insbesondere der in Südrussland gelegenen deutschen Kolonien (mit Ausnahme Transkaukasiens), der eine ganze Klasse überaus wohlhabender Grundbesitzer hervorbrachte.
Die Produktion für die Tuchmanufakturen und Textilfabriken bestimmter Wolle hatte eine enorme wirtschaftliche Bedeutung, da sowohl die Armee als auch der Beamtenstand Wollmäntel trug. Erste Versuche, die Haltung „spanischer“ Schafe in den Kolonien zu etablieren, wurden bereits im Jahr 1802 unternommen, als Regierungsbeamte in Spanien Zuchtböcke ankauften, die sie an den in der Kolonie Chortiza lebenden Mennoniten Barg und andere Kolonisten verteilten. Im Jahr 1803 erhielten die im Bezirk Chortiza ansässigen Mennoniten eine für den Ankauf von Rasseschafen bestimmte Hilfe in Höhe von 4.200 Rubeln, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt selbst über durchschnittlich vier einfache Schafe pro Familie verfügten. Da sie den Nutzen und die mit dem Ankauf der neuen Rasse verbundenen gewaltigen Verdienstmöglichkeiten nicht erkannten und die Wolle der Rasseschafe für den Alltagsgebrauch nicht geeignet war, schlachteten die Kolonisten die Zuchtböcke kurzerhand für den Verzehr, was in der Folge Gegenstand langwieriger Untersuchungen werden sollte.
Später wurden in allen im Süden des Russischen Reichs gelegenen Kolonistenbezirken für die Schafhaltung bestimmte Flächen (das sogenannte Schäfereiland) ausgewiesen und gemeinschaftlich genutzte Schafställe errichtet, in denen eigens aus Sachsen eingeladene Spezialisten tätig waren. Zugleich wurde in Jekaterinoslaw eine große Wollmanufaktur aufgebaut, die sehr hohe Preise für Rohwolle zahlte. Die Kolonisten sollten das für die gemeinschaftlichen Schafherden benötigte Futter produzieren und später auch die Schafe erhalten. Es sollte sich allerdings schon bald zeigen, dass die Schafställe kaum die mit ihrem Betrieb verbundenen Kosten einbrachten und auch die Kolonisten bestenfalls die für die Zucht ungeeigneten minderwertigen Schafe erhielten.
Bis 1816 entwickelte sich die Schafzucht in den Kolonien nur langsam, auch wenn es im Bezirk Chortiza bereits 5.808 Rasseschafe gab, die in den Kolonien Josefstal und Jamburg 63,3%, insgesamt aber nur 9,4% der gesamten Schafherde stellten. Nach Berechnungen für die Jahre 1823-24 brachten die gemeinschaftlichen Schafherden in den vier Kolonistenbezirken lediglich 1.068 Rubel ein und stellten nur etwa ein Drittel aller Schafe, von denen es etwa 2,5 Tiere pro Familie gab.
Auch wenn sich der Aufbau gemeinschaftlicher Schafherden letztlich als wenig probates Mittel erwies, unter den Kolonisten die Haltung von Feinwollschafen zu etablieren, und die Schafzucht im Verlauf des 19. Jahrhunderts vor allem von Gutsbesitzern und Großpächtern betrieben wurde, waren es eben diese gemeinschaftlichen Herden, die Pächtern wie Cornies und Falz-Fein als Beispiel dienten. Diese pachteten zu günstigen Preis von der Regierung oder den deutschen Kolonisten große Steppenflächen bzw. das sogenannte Reserveland, um dort große Schafställe (sogenannte Ökonomien) zu errichten, in denen abhängige Arbeitskräfte und eigens rekrutierte Spezialisten tätig waren. Diese Ökonomien waren überaus profitabel und belieferten die Manufakturen und Fabriken mit gewaltigen Mengen Wolle. So verkaufte die Ökonomie Miller bereits 1805 mit Unterstützung der Staatskasse 200 Pud Rohwolle zum Preis von 33 Rubel pro Pud, deren Preis nach der Wäsche auf 91 Rubel und 36 Kopeken stieg, während türkische Importwolle zum gleichen Zeitpunkt für 42 Rubel pro Pud gehandelt wurde.
Auf dem ihnen zugeteilten Land konnten selbst Vollbauern nur einige Dutzend Schafe halten, was es nahezu unmöglich machte, kostendeckend zu wirtschaften. Der Verkauf kleiner Partien Wolle an weit entfernt gelegene Fabriken oder Manufakturen lohnte sich nicht. Die alles andere als pflegeleichten Importschafe waren zudem für die in den Bauernwirtschaften üblichen dürftigen Futternormen und schlechten Haltungsbedingungen nicht robust genug. 100 Schafe kosteten, selbst wenn es sich um in den gemeinschaftlichen Schafherden aussortierte Tiere handelte, etwa 500 Rubel. Im Verlauf von fünf Jahren verursachten sie Kosten in Höhe von 222 Rubeln, denen Einnahmen in Höhe von 394 Rubeln gegenüberstanden, so dass nur 32 Rubel bzw. 32 Kopeken pro Tier und Jahr Gewinn blieben (Angaben von Schmidt für die Mitte des 19. Jahrhunderts).
Die Kolonisten standen den als Belastung empfundenen gemeinschaftlichen Schafherden ablehnend gegenüber und waren bestrebt, diese in private Hände zu geben. Nur die finanzkräftigen Unternehmer waren in der Lage, die mit dem Bau großer Schafställe verbundenen Investitionen zu tätigen, die Schafe in die Steppe zu führen und für ihre großen Herden verantwortliche Schäfer anzuheuern. Am Anfang der überaus erfolgreichen Geschäftstätigkeit von Johann Cornies standen Zuchterfolge bei der örtlichen Rasse, die feinste Wolle mit hoher Haltbarkeit verband. In seinem am Juschanly, einem Nebenfluss der Molotschna, gelegenen Musterbetrieb hielt er 8.000 Schafe. Im Jahr 1809 pachtete er 4.000 Desjatinen Weideland und kaufte für die Zuchtveredlung bestimmte Rauhwollschafe. Im Jahr 1818 kaufte er insgesamt 3.470 Desjatinen Land zum Preis von fünf Rubeln pro Desjatine. Für die Pacht zahlte er 32 Kopeken. Die für ihn tätigen nogaischen Hirten erhielten die Hälfte der Nachzucht als Lohn. In den ersten 4-6 „Jahren“ arbeiteten russische und nogaische „Lehrlinge“ für Kost und Kleidung. 1836 hatte Cornies 10.000 Schafe in nogaischer Unterpacht.
Wenig später traten weitere Kolonisten auf die Bühne, die dem Beispiel der großen Schafzüchter zu folgen versuchten und sich der Zucht von Feinwollschafen widmeten. Doch blieb der Umfang dieser Tätigkeit meist überschaubar. Als im Jahr 1827 im Bezirk Liebental aus der gemeinschaftlichen Herde aussortierte Schafe verkauft wurden, kaufte nur ein einziger Kolonist fünf Tiere, während sich alle anderen auf jeweils 2-3 Tiere beschränkten. Beim Verkauf der Beresaner Schafherde erwarben die unter anderem aus Rohrbach und Speyer stammenden Käufer jeweils höchstens zehn Tiere. Nur ein einziger Kolonist kaufte 280 Tiere zum Preis von 2 Rubeln und 50 Kopeken pro Stück. 1825 verkaufte der in den Odessaer Kolonien ansässige Dorfvorsteher Britner 406 Pud Wolle für 12.555 Rubel, was 42,5% des gesamten in den vier Kolonistenbezirken erzielten Erlöses entsprach, in denen 2.882 Familien lebten. Bei den an der Molotschna ansässigen Mennoniten besaßen 18 Großzüchter (etwa 1.000 bis 1.300 Tiere) fast 40% aller Schafe (70.000 Tiere). Alle anderen Kolonisten besaßen 172.000 Tiere. Die gemeinschaftliche Schafherde bestand aus 6.500 Tieren.
Die Kleinwirtschaft war arbeitsintensiv und nicht rentabel. So hielten im Jahr 1834 zwar 70 von insgesamt 169 in der Kolonie Speyer ansässigen Kolonisten Schafe, die aber angesichts der Tatsache, dass sie die Wolle selbst zum Verkauf in das 70 Kilometer entfernt gelegene Odessa bringen mussten, kaum in der Lage gewesen sein dürften, auch nur ihre Ausgaben zu decken. In der Mennonitenkolonie Pastwa hielten im Jahr 1847 alle 18 ortsansässigen Kolonisten bis zu 70 und in der Kolonie Margenau sogar durchschnittlich 94 Schafe. Einigen Vertretern dieser „Mittelklasse“ gelang es später, zu Großunternehmern aufzusteigen. So pachtete z.B. der in Pastwa ansässige I. Penner im Jahr 1836 4.186 Desjatinen Land und widmete sich als „einer der besten Landwirte“ der Schafhaltung. Die für die Staatskasse verlustreiche Pacht in Höhe von 15 Kopeken pro Desjatine wurde verlängert.
Einige Autoren überschätzen Rolle und Gewicht der von den Kolonisten betriebenen Schafhaltung für Südrussland als Ganzes. Bei aller Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs für die Kolonien selbst (1836 erzielten die im Bezirk Chortiza ansässigen Kolonisten 79% ihrer im Bereich der Tierhaltung erzielten Einnahmen mit Schafen, 1841 machten Schafe im Bezirk Chortiza 78% und im Bezirk Molotschna 72% der gesamten aus der Viehzucht erzielten Einnahmen aus), war ihr Anteil an der Wollproduktion in Südrussland insgesamt eher gering: 1842 verfügten alle deutschen Kolonien zusammen über 735.000 Feinwollschafe, während der Gesamtbestand in den drei Gouvernements bei 2.442.000 Tieren lag, so dass die Kolonisten etwa ein Drittel aller Schafe besaßen. Klaus setzt für das Jahr 1841 allerdings nur 385.500 Kolonistenschafe an, was deren Anteil am Gesamtbestand auf etwa 15% sinken lässt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Produktivität in den Kolonistenwirtschaften größer war, lag deren Anteil an der Wollproduktion bei allenfalls 15-20%. Rechnet man drei Pfund pro Tier, kommt man auf 26.000 Pud Wolle, was angesichts der Tatsache, dass allein aus Odessa zu dieser Zeit 1.060.000 Pud exportiert wurden, nur einem Anteil von 2,6% gleichkam (mit der Einschränkung, dass über Odessa auch an anderen Orten produzierte Wolle exportiert werden konnte).
In den Wolgakolonien wurden ebenfalls acht gemeinschaftliche Schafherden aufgebaut, deren Zustand allerdings deutlich schlechter war als in Südrussland, weswegen sie bereits in den 1820er Jahren an Privatpersonen verkauft wurden. Schafe machten im Wolgagebiet 1834 in Relation zum Gesamtpreis des Viehs gerade einmal 4,8% aus. Auf eine Familie kamen acht Tiere.
So waren die ursprünglich von der Regierung verfolgten Pläne, in jeder Kolonistenfamilie spanische Feinwollschafe zu etablieren, zum Scheitern verurteilt. Als nicht rentabel erwiesen sich auch die gemeinschaftlichen Schafherden. Nur einzelne Großpächter und Gutsbesitzer konnten die Branche in eine Quelle gewaltigen Reichtums verwandeln, die örtliche Rasse durch importierte Zuchtböcke veredeln und die von der Regierung gegründeten Fabriken und Manufakturen mit hochwertigen Rohstoffen beliefern. Aber die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung Südrusslands, die hohen durch die Getreideproduktion zu erzielenden Erträge, die Urbarmachung der Steppen für den Getreideanbau sowie die Mechanisierung der landwirtschaftlichen Arbeit führten zum Niedergang zunächst der bäuerlichen und später auch der von den Gutsbesitzern betriebenen Schafwirtschaft, deren wirtschaftliche Bedeutung weit hinter der für den Export bestimmten Getreideproduktion zurückblieb.
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