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HANDWERK UND GEWERBE

Rubrik: Wirtschaftsgeschichte

HANDWERK UND GEWERBE kleinteilige, größtenteils in Handarbeit erfolgende Herstellung von Gütern, für die der Einsatz einfacher Werkzeuge, die handwerklichen Fertigkeiten des Handwerksmeisters sowie eine individuelle Fertigung charakteristisch sind. Die Ausübung einer handwerklichen Tätigkeit dient in der Regel der Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts. Seiner Arbeit geht der Handwerker entweder allein oder in einer Gruppe nach, die als Artel (Kooperative) oder seltener als Brigade bezeichnet wird

Sowohl für ihre rasch wachsende Landwirtschaft als auch zur Befriedigung ihres täglichen Bedarfs waren die deutschen Kolonien auf die Dienste von Handwerkern angewiesen. So waren unter den an der Wolga, im Nordkaukasus und in Südrussland angesiedelten Kolonisten auch zahlreiche Handwerker unterschiedlicher Gewerke, deren Dienste allerdings nicht immer in gleichem Maße nachgefragt waren. So konnten Konditoren, Weber, Dreher, Mühlenmeister, Juweliere, Uhrmacher oder Waffenmacher in den noch im Aufbau befindlichen Kolonien kaum mit einem stabilen Einkommen rechnen, während Zimmerleute, Tischler, Stellmacher oder Schmiede durchaus auskömmlich leben konnten. So gab es im 19. Jahrhundert in jeder größeren deutschen Siedlung vier bis fünf Schmieden. Die verschiedenen Gewerke, die sich Ende des 18. Jahrhunderts in einigen größeren Kolonien wie z.B. Katharinenstadt, Grimm oder Warenburg etablierten, trugen noch lange Züge vorindustrieller Tätigkeit.

Im Zuge des Aufbaus der im Kaukasus und in Südrussland gelegenen Kolonien kamen auch dorthin Handwerksmeister unterschiedlicher Gewerke, die jeweils ihre Lehrlinge und Gesellen mitbrachten. Der Jahresverdienst eines deutschen Handwerkers lag bei 500–900 Rubeln. Schuster verdienten etwa 300 Rubel. Das hohe Niveau der handwerklichen Fertigkeiten, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Pünktlichkeit der in den deutschen Kolonien tätigen Handwerker machte diese auch über die Grenzen der eigenen Kolonie hinaus konkurrenzfähig, so dass ihre Dienste oft auch von den Bewohnern nichtdeutscher Nachbarorte in Anspruch genommen wurden. Nichtsdestotrotz zielten sowohl die Art der angefertigten Güter als auch der Umfang der Produktion anfänglich fast ausschließlich auf den lokalen Markt. Die einzige Ausnahme bildete Schafwolle, die für die Anfertigung von Mänteln und groben Stoffen sowie später von Walkstoffen verwendet wurde und auch weit über die Kolonien hinaus auf eine große Nachfrage stieß. Für die Verarbeitung der Wolle gründete der Staat in Jekaterinoslaw eine staatliche Manufaktur, die für die Wolle gutes Geld zahlte. Parallel zur Landwirtschaft entwickelte sich auch das Handwerk in kapitalistischen Formen, was in einer Zunahme von Kooperation und Handel Ausdruck fand. Überall in den deutschen Kolonien entstanden Gerbereien, Molkereien, Fettschmelzbetriebe, Käsereien, Zucker- und Stärkefabriken, Seifensiedereien, Sägewerke, Landmaschinenfabriken, Ziegeleien usw. Überall stieg der Bedarf an industriell gefertigten Gütern wie z.B. Möbeln, Spielzeugen, aus Holz oder Metall gefertigten Haushaltsgeräten, Werkzeugen, Arbeitsgeräten und Lederwaren wie z.B. Pferdegeschirr oder Schuhen. In der im Gebiet Kuban gelegenen Kolonie Welikoknjascheskaja gab es zum Beispiel eine Fabrik für die Produktion von Kornfegen und Sortiermaschinen, eine Butterei, eine Käsefabrik sowie Werkstätten für die Wartung und Reparatur von Landmaschinen. Die Kolonisten waren aktiv auf den Messen und Märkten des Nordkaukasus präsent. In jeder Kolonie gab es mindestens einen Laden, in den größeren Siedlungen sogar gleich mehrere.

Von den 1850er Jahren an verkauften die in den Gouvernements Jekaterinoslaw und Taurien ansässigen deutschen Handwerker ihre Waren aktiv an ihre nichtdeutschen Nachbarn. Eine große Nachfrage herrschte nach mit hochwertigen Grundachsen ausgestatteten Fuhrwerken und Pflügen, die vor allem von Mennoniten produziert wurden. Während des Krimkriegs (1853–1856) verkauften die an der Molotschna ansässigen Mennoniten und Kolonisten ihre Fuhrwerke an die Armee, nach dem Krieg an die in Südrussland ansässigen Gutsbesitzer und Bauern. Bald wurden auch im Bezirk Kutschurgan Fuhrwerke produziert, deren Produktion sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer weiter entwickelte. Die Fuhrwerke wurden arbeitsteilig hergestellt: die einen fertigten die Fahrgestelle, andere (Schmiede) beschlugen sie oder machten den Anstrich. Reiche Schmiede und Stellmacher ließen einen Teil der Arbeiten von ärmeren Handwerkern ausführen und konnten die produzierten Stückzahlen auf diese Weise erheblich steigern. Aus kleineren Handwerksbetrieben wurden auf die Produktion von Landmaschinen und landwirtschaftlichem Inventar spezialisierte Industriebetriebe. Im Jahr 1879 wurden in Noworossija insgesamt 14,5% und im Gouvernement Jekaterinoslaw insgesamt 10,5% aller im Russischen Reich hergestellten Landmaschinen gebaut, wobei ¾ der gesamten Produktion dieses Gouvernements zu dieser Zeit auf die vergleichsweise kleine Kolonie Chortiza entfielen, die landwirtschaftliche Maschinen und Gerätschaften im Wert von 300.000 Rubeln produzierte und damit lediglich von Warschau übertroffen (500.000 Rubel) wurde.

In den nördlichen Siedlungsgebieten der deutschen Kolonisten wurde Flachs angebaut, der im Prikamje-Gebiet und im Rayon Tara gute Ernteerträge erzielte. Im Herbst wurden die Flachsstängel aus der Erde gezogen, auf dem Feld abgelegt, eingeweicht und getrocknet. Anschließend wurden sie gestampft, gezaust und gehechelt. Aus dem Flachswerg wurde Garn gesponnen, das dann gewebt wurde.

Am weitesten waren handwerkliche Nebenerwerbstätigkeiten unter den auf dem rechten Ufer der Wolga ansässigen deutschen Kolonisten verbreitet, was sich auf die schlechte Bodenqualität und einen durch das starke Bevölkerungswachstum bedingten Mangel an Ackerland zurückführen ließ. Der wichtigste Produktionszweig unter den Wolgadeutschen, der Ende des 18. - Mitte des 20. Jahrhunderts auch landesweite Bedeutung erlangte, war die Herstellung von Sarpinka-Gewebe.

Angesichts der Tatsache, dass die Landwirtschaft immer auf dem neuesten Stand der Technik sein musste, entwickelten sich vor allem jene Bereiche des Handwerks besonders schnell, deren Produkte in der Landwirtschaft zum Einsatz kamen. Der amerikanische Historiker J. Long bezeichnete die Wolgadeutschen als unübertroffene Meister der Herstellung und Optimierung einfacher Arbeitsgeräte. Als die Deutschen Ende des 18. Jahrhunderts an die Wolga gekommen waren, hatten sie das Getreide noch mit Hilfe von Wagen und Fuhrwerken gedroschen. Die fortschrittlichere Methode, das Getreide mit Steinwalzen zu dreschen, war zu dieser Zeit auch in Europa gerade erst im Entstehen begriffen. An die Wolga kamen Dreschsteine erst mit späteren Übersiedlern – den landwirtschaftlich beschlagenen Mennoniten, die im Jahr 1866 ein Muster aus Südrussland mitbrachten. Da es im rechtsufrigen Wolgagebiet die als Ausgangsprodukt benötigten „wilden Steine“ im Überfluss gab, wurden im Bezirk Kamyschin (Gouvernement Saratow) schon recht bald Steinwalzen produziert. Anfang der 1880er Jahre waren in der Kolonie Werchnjaja Dobrinka 150 Arbeiter damit beschäftigt, die Steine zu brechen und zu bearbeiten. Später dehnte sich dieses Gewerbe auch auf die nahegelegenen Siedlungen aus, in denen in nahezu jeder Familie mindestens ein Familienmitglied mit der Herstellung von Dresch- und Mühlsteinen beschäftigt war. Dreschsteine hatten einen Durchmesser von 70–80 cm und eine Länge von 70–120 cm und wiesen 6-8 Kanten auf. Erst mit den im 20. Jahrhundert aufkommenden Eisenbetonwalzen verlor dieses Handwerk seine Bedeutung, bevor es schließlich ganz verschwand. Zwischen 1880 und 1914 sank der Preis für einen Stein von zwanzig auf gerade einmal fünf Rubel. An zweiter Stelle nach der Herstellung von Sarpinka-Gewebe stand die Produktion von Kornschwingen, die unter der Bezeichnung „Kolonistinnen-Schwingen“ bekannt wurden.

Einer der unter den Wolgadeutschen am weitesten verbreiteten Nebenerwerbszweige war die Herstellung von Flechtsträngen aus Bruchstroh, die dann für die Herstellung von verschiedenen Produkten wie z.B. Hüten, Mützen, Taschen, Teppichen oder Läufern verwendet wurden. Erstmals gewerbsmäßig betrieben wurde das Strohflechten Anfang des 19. Jahrhunderts in den bei Katharinenstadt gelegenen Kolonien, wo vor allem für den Eigenbedarf der Bauern bestimmte Strohhüte produziert wurden. Anfang der 1880er Jahre erkannte der aus dem Baltikum stammende Schneider O. Simonson das kommerzielle Potential des Flechthandwerks und entwickelte ein neues Geschäftsmodell, das den Bauern einen Nebenerwerb in der von der Feldarbeit freien Zeit und ihm selbst eine Perspektive gab, seinen Lebensunterhalt auf einfachere Weise zu verdienen als mit dem Schneiderhandwerk. Er kaufte bei den Bauern Flechtwerk auf, nähte daraus eigenhändig Hüte und verkaufte die erste Partie von 200-300 Stück zu sehr günstigen Preisen. Das gab den Anstoß für einen ganzen Gewerbezweig. Innerhalb kürzester Zeit erfasste das Flechthandwerk nicht nur die Kolonie Kano, sondern auch zahlreiche Nachbarkolonien wie Unterwalden, Schaffhausen und andere in den Amtsbezirken Katharinenstadt und Panino gelegene Dörfer (Gouvernement Samara). Die höchste Blüte erreichte es in den Jahren des Ersten Weltkriegs, als in diesem Bereich etwa 10.500 Personen beschäftigt waren. Pro Saison wurden bis zu 4.000.000 Stück Flechtwerk produziert (vor allem grobe Sorten). In dem Gewerbe waren vor allem Frauen, Kinder und Heranwachsende aus den ärmsten Bevölkerungsschichten beschäftigt. Vor allem in schlechten Erntejahren konnten die Bauernhaushalte ihre Verluste durch die im Nebenerwerb betriebene Produktion von Flechtwerk kompensieren. Zwischen dem Abschluss der Roggenernte und dem Beginn des Dreschens wurden die nach Länge und Farbe besten Strohgarben ausgewählt, bei denen das Korn von Hand ausgeklopft wurde, um das Stroh nicht zu beschädigen. Im Herbst wurde das getrocknete Stroh zum Knoten geschnitten und eingeweicht, um elastisch zu werden. Je nach Breite des Flechtwerks konnte die Zahl der Halme bei 3-12 liegen. Das fertige Geflecht wurde mit einer Schere ausgeputzt und und noch im Rohzustand auf ein 70 cm langes Brettchen gespannt. Nach dem Austrocknen wurde es von dem Brettchen genommen und ging in den Verkauf. Für das Flechten des Strohs wurden mit Ausnahme des für das Spalten des Strohs verwendeten Löffels keinerlei Hilfsmittel genutzt, im Verlauf von 40 Jahren wurde ausschließlich von Hand geflochten. Der Arbeitstag eines Flechters begann um 3.00 Uhr morgens und endete um 22.00-23.00 Uhr. Die Händler bezahlten das Geflecht meist mit Kerosin oder Streichhölzern, während Geldzahlungen eher die Ausnahme bildeten. Der Preis eines Geflechts schwankte zwischen drei und fünf Kopeken. Der übliche Preis lag bei vier Kopeken. Ein Flechter verdiente vor dem Ersten Weltkrieg 16 Kopeken am Tag, drei Rubel 84 Kopeken im Monat bzw. 23 Rubel vier Kopeken in der Saison. Für das Nähen eines einfachen Hutes bekam der Näher 6-7 Kopeken. Ein Hutnäher verdiente 60 Kopeken am Tag, 14,40 Rubel im Monat und 57,60 Rubel in der etwa sechs Monate währenden Saison. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Katharinenstädter Werkstätten mechanisiert, woraufhin sich die Qualität der Hüte, die auf den Märkten Südrusslands für 70–90 Rubel pro 1.000 Stück verkauft wurden, schlagartig besserte. Im Verlauf eines Jahres wurden auf den Märkten und Messen ganz Russlands mehrere zehntausend derartige Hüte verkauft. In den 1920er Jahren wurde in der mittlerweile in Marxstadt umbenannten Stadt Katharinenstadt die Kooperative „Prima“ gegründet, die bis 1941 bestand und alle in dem Kanton tätigen Kleinhandwerker zusammenschloss. Die Hüte wurden aus qualitativ besserem, in speziellen Schwefelkammern gebleichtem Geflecht gefertigt und maschinell gepresst und geprägt. Die für die Hüte gezahlten Preise stiegen, so dass die Kleinhandwerker deutlich höhere Einkünfte erzielen konnten, zumal sie durch den genossenschaftlichen Zusammenschluss von den Diensten der Vermittler unabhängig wurden, die zuvor einen Großteil des Gewinns abgezweigt hatten. Die Fertigung von Strohgeflechten und das Nähen entsprechender Hüte war auch unter den Orenburger Mennoniten verbreitet, auch wenn diese Beschäftigung dort einen rein häuslichen Charakter hatte und ausschließlich der Befriedigung des eigenen Bedarfs diente.

 

Das Töpferhandwerk existierte in vielen deutschen Siedlungen sowohl in Südrussland als auch in Sibirien. Gewerbsmäßig betrieben wurde es aber vor allem in den beiden auf dem linken Ufer der Wolga gelegenen Kolonien Kukkus und Preiss, was vor allem dadurch bedingt war, dass es im dortigen Uferstreifen hochwertigen roten Ton gab. Das Handwerk entstand Mitte des 19. Jahrhunderts und erreichte Anfang des 20. Jahrhunderts und insbesondere in den 1920er Jahren seinen Höhepunkt. Anfänglich wurde einfaches, für den Eigenbedarf bestimmtes Geschirr produziert: Teller, Schüsseln und Krüge unterschiedlicher Form, Spielzeug, Pfeifen usw. In den 1920er Jahren wurde mit verschiedenfarbiger Glasur unter Beigabe von Bleimennige bedecktes Geschirr produziert, das über die unmittelbare Umgebung hinaus auch in den Nachbargebieten verkauft wurde.

 

Das ungewöhnlichste in den deutschen Siedlungen betriebene Handwerk war die Fertigung von Pfeifen, die Ende des 18. - Anfang des 19. Jahrhunderts in dem im Bezirk Nikolajew (Gouvernement Samara) gelegenen Dorf Paulskoje entstand und sich später in die im Bezirk Kamyschin (Gouvernement Saratow) gelegenen Kolonien Lesnoj Karamysch und Popowka ausbreitete. Ausgangsmaterial waren die vergleichsweise billigen und auf dem rechten Wolgaufer im Überfluss vorhandenen Birken- und Ahornwurzeln bzw. -stämme sowie Birkenstümpfe. Es gab bis zu neunzehn Pfeifenarten – von ganz einfachen (für vier Kopeken pro Stück) bis zu kompliziert gefertigten mit einer Einfassung aus Messing oder Silber, die bis zu vier Rubel pro Stück kosten konnten. Einige dieser Pfeifen hatten besondere Namen: Ungarische, Tschuwasische oder Kalmückische Pfeife (aus alten Eichenwurzeln), Rettinger oder Rissing (nach dem Namen der ersten Handwerker, die sie gefertigt hatten), Pamperknipper, Hengel, Stiefelpfeife, Sefzmaul oder Schuster. Die Pfeifenstiele:waren entweder aus Holz gefertigt und verfügten dann über eine innen ausgebrannte Öffnung oder aus Draht gefertigt, der mit einem Ledergeflecht eingefasst war. Die Pfeifen wurden in großen Mengen produziert (bis zu 800.000 Stück pro Jahr) und hatten einen Gesamtwarenwert von 300.000 Rubeln. Sie wurden über den regionalen Markt hinaus auch in Städten wie Morschansk, Tambow, Pensa, Sysran, Orenburg oder Astrachan verkauft. Die Pfeifen waren mit einem Sicherheitsdeckel ausgestattet, damit die Asche nicht wegfliegen und Feuer verursachen konnte. Insgesamt waren etwa 250 Handwerksmeister auf die Produktion von Pfeifen spezialisiert. Auf den Messing- und Silbereinfassungen waren oft Zeichnungen eingraviert, die verschiedene Alltagsszenen aus dem Leben der Kolonisten darstellten. Eine große Nachfrage herrschte auch in den Kolonien selbst, da der weitverbreitete Tabakanbau viele Leute zum Rauchen animierte und die Angst vor Bränden zur Einführung der Regel geführt hatte, dass zur Arbeit nur Pfeifenraucher eingestellt wurden, da der Gebrauch einer Pfeife weniger feuergefährlich war als das Rauchen von Papirossen oder selbstgedrehten Zigaretten.

Das Flechten von Weidengerten entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem eigenständigen Gewerbe, was nicht zuletzt dadurch bedingt war, dass einerseits in den Auen der Wolga und ihrer linksufrigen Zuflüsse zahlreiche Weiden wuchsen und andererseits auf den Märkten von Astrachan eine große Nachfrage nach Körben herrschte, in denen sich Gemüse, Obst oder Fisch transportieren ließen. Nachdem lange Zeit vor allem einfache und grob geformte Körbe aus ungeputzten grünen Gerten gefertigt worden waren, kamen Anfang des 20. Jahrhunderts auch aus von der Rinde befreiten Gerten geflochtene Varianten auf («weiße Flechtung»). Neben Körben wurden auch Tische und Stühle, Kinderwagen, Vasen, Schatullen und Regale geflochten. Im Wolgagebiet gab es drei Orte, an denen sich das Flechten aus rindenfreien Gerten lernen ließ: die Schule des Grafen Olsufjew in dem im Gouvernement Saratow gelegenen Dorf Achmat (1896–1912), die Kolonie Brabander (1902–1914) und die im Gouvernement Samara gelegene Kolonie Preiss (1913–1914). Anfang des 20. Jahrhunderts gab es mehrere Werkstätten. Darüber hinaus waren in den deutschen Dörfern etwa 4.000 Personen in Heimarbeit mit dem Flechten beschäftigt, davon 70% erwachsene Männer, 20% Heranwachsende und 10% Frauen. Geflochtene Möbel und Kinderwagen wurden oft mit Strohgeflechten verziert. Pro Jahr wurden auf den Messen und Märkten mehrere Zehntausend Körbe und mehrere Tausend Regale und Sessel verkauft.

Insbesondere in den in Sibirien und Orenburg gelegenen deutschen Siedlungen waren zudem zahlreiche Handwerker im Nebenerwerb tätig, die für den Eigenbedarf Betten, Schränke, Vitrinen, Wiegen, Truhen, Stühle, Kinderspielzeug oder Haushaltsgeräte anfertigten. Außerdem übten vor allem Frauen zahlreiche handarbeitliche Tätigkeiten wie zum Beispiel das Stopfen und Flicken von Kleidung, das Häkeln oder das Spitzenklöppeln aus.

Literatur

 

Autoren: E.A. Arndt Saratow

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