RU

neue
illustrierte elektronische

SARPINKA-PRODUKTION

Rubrik: Wirtschaftsgeschichte

SARPINKA-PRODUKTION, Herstellung von Sarpinka-Stoffen, die vor allem aus Baumwolle, seidenartigen, halbseidenen oder Seidenstoffen, Bastseide oder Drillich gewebt wurden.

Die Farbmuster waren kariert, gestreift oder einfarbig in mehreren Varianten. Das Weben von Sarpinka-Stoffen gehörte zu den ersten Gewerben, die in den 1770er–1780er Jahren in der Kolonie Sarepta entstanden, von der sich auch der Name des Stoffes ableitet. Die Bewohner der von Nachkommen der Mährischen Brüder als Missionszentrum gegründeten Kolonie waren weniger in der Landwirtschaft und vor allem in verschiedenen Handwerken tätig, so auch in der Weberei. Ihre Fertigkeiten hatten sie aus Deutschland mitgebracht.

Die Produktion von Sarpinka-Gewebe nahm eine rasante Entwicklung, da das schnelle Bevölkerungswachstum in der Region nicht nur für eine große Nachfrage sorgte, sondern der hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl relativ kleinen Kolonie auch immer wieder zahlreiche abhängig beschäftigte Arbeitskräfte aus den im Norden gelegenen deutschen Kolonien zuführte. So lebten etwa 300-400 aus den Saratower Kolonien stammende Arbeiter dauerhaft in Sarepta, dessen eigene Gemeinde ursprünglich gerade einmal 200 Personen zählte.

Der Stoff wurde vor allem über die in Moskau und St. Petersburg bestehenden Agenturen sowie über in zahlreichen Städten (u.a. auch in Saratow und Samara) eröffnete Handelskontore verkauft, die die Ware in Kommission nahmen. Ein Teil der Ware wurde zudem im Süden an Kalmücken verkauft. Sarepta war einer der ersten Standorte für die Produktion von Baumwollgeweben in Russland, wo zu dieser Zeit vor allem Leinenstoffe verbreitet waren. Angesichts einer solchen nahezu konkurrenzlosen Stellung konnte die Kolonie für ihre Stoffe hohe Preise fast auf dem Niveau von Seidenstoffen verlangen. Die Rohware wurde in Westindien, Südamerika und Persien sowie zum Teil in Großbritannien angekauft, das als Transitpunkt für amerikanische Baumwolle diente. Die für die Produktion besonders hochwertiger Sarpinka-Stoffe genutzte Seide versuchten die Kolonisten zunächst bei sich selbst zu produzieren, bestellten sie später aber in Italien. Die für das Garn benötigte Farbe kam aus Deutschland, wobei zunächst nur Rot und Dunkelblau Verwendung fanden. Das für das Färben benötigte Soda wurde vor Ort durch die Verbrennung von Sodenpflanzen gewonnen.

Anfänglich fand der gesamte Produktionsprozess vom Spinnen der Baumwolle über das Färben des Garns und die Produktion der Kettfäden bis zum Weben in Sarepta selbst statt. Das Spinnen besorgten die Mädchen und jungen Frauen, alle übrigen Arbeitsprozesse die Männer. Die Arbeitskräfte wurden vor allem in den deutschen Kolonien angeworben, unter deren Bewohnern es zahlreiche Handwerker und Manufakturarbeiter gab. Die Zahl der benötigten Arbeitskräfte war so groß, dass für deren Ausbildung in Sarepta zwei Schulen gegründet wurden – eine für die erwachsenen Arbeiter und eine andere für deren Kinder.

Die stetig steigende Nachfrage nach Sarpinka-Stoffen überstieg das Angebot deutlich und konnte nur zu einem Viertel befriedigt werden, so dass sich die Sareptaer Gemeinde in den 1790er Jahren veranlasst sah, die Produktion auszuweiten und die Garnproduktion in die auf der Bergseite der Wolga gelegenen deutschen Kolonien zu verlegen, wo es in den von der Feldarbeit freien Wintermonaten viele billige Arbeitskräfte gab. Die Gemeinde entsandte ihre Mitglieder in diese Kolonien, wo sie den deutschen Kolonisten das Rohmaterial (Baumwolle) übergaben und im Gegenzug das fertige Garn erhielten. Diese Form der Heimarbeit fand unter anderem in den Kolonien Sewjastanowka, Sosnowka, Norka und Splawnucha Verbreitung. Grundsätzlich wurde das Baumwollgarn nur in den auf dem rechten Wolgaufer gelegenen Kolonien gesponnen, wo der Mangel an Ackerland der Gründung sogenannter „Verteilungskontore“ Vorschub leistete. Die Bewohner der auf dem linken Ufer der Wolga gelegenen Kolonien waren infolge der besseren Verfügbarkeit von Land kaum im Handwerk tätig, so dass auch die Sarpinka-Produktion erst deutlich später zu ihnen kam.

Die Blüte Sareptas als Zentrum des Weberhandwerks hielt bis in das frühe 19. Jahrhundert an. Mit der Zeit kehrten immer mehr in den Sareptaer Manufakturen tätige Kolonisten in ihre angestammten Kolonien zurück und gründeten dort auf Grundlage ihrer in Sarepta erworbenen Fertigkeiten eigene Produktionsstätten. Diese in einem aus dem Jahr 1808 stammenden Dokument als „freie Weber“ bezeichneten „Schüler“ Sareptas legten in den auf der Bergseite der Wolga gelegenen Kolonien sowie in Saratow die Grundlagen für eine eigene Sarpinka-Produktion. So wurden auch in der Deutschen Vorstadt Saratows im Jahr 1812 in zwei von drei Wohnblocks Handwerker angesiedelt, die in Heimarbeit Sarpinka-Stoffe produzierten. Die „Gemeinde der Evangelischen Brüder“ Sareptas versuchte, den Aufbau von Webereien nördlich von Sarepta zu unterstützen, und eröffnete in der Kolonie Norka (1810) sowie in Saratow (1816) Manufakturen, von wo aus die Produktion schließlich im Jahr 1819 nach Lesnoj Karamysch verlegt wurde, wo es mehr billige Arbeitskräfte gab. Schon sehr bald gingen die Weber zu englischem Maschinengarn über, das sie allerdings weiter selbst färbten. Die Produktion, die vor allem von eigenen Familienmitgliedern und nur in geringerem Umfang von angestellten Arbeitskräften getragen wurde, fand in einem sehr geringen Maßstab statt. Die Ware wurde vor allem in Saratow selbst verkauft. Erst in den 1820er Jahren entstanden größere auf den Aufkauf der Stoffe spezialisierte Handelsfirmen, unter denen vor allem die Firma der Brüder Schechtel hervorstach. Mit der Zeit kamen einige „freie Weber“ zu Wohlstand und gründeten eigene kleine Sarpinka-Manufakturen, in denen der Einsatz abhängiger Arbeitskräfte die Norm war.

Hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Technologie waren die in Saratow ansässigen Manufakturen den Sareptaer Unternehmen überlegen. In besonderem Maße galt dies für die Manufaktur der Brüder Schechtel, deren einer Besitzer das Petersburger Technologische Institut absolviert hatte. Das Unternehmen warb im Ausland erfahrene Handwerksmeister an, erwarb neue Stoffmuster und ließ Sarpinka aus einem besonders dünnen Garn mit einer Fadenstärke von 80–100 produzieren, während die Norm zu dieser Zeit bei Garn mit einer Fadenstärke von 38–40 lag, aus dem die „freien Weber“ grobe und billige Sarpinka herstellten. Die Sareptaer Fabrikbesitzer ihrerseits nutzten einige im Ausland entwickelte, optimierte Webmaschinen, durch deren Einsatz sich die Produktionsgeschwindigkeit verdreifachen und die Kosten entsprechend reduzieren ließen.

Die Sarpinka-Produktion war in den Kolonien in Form eines Verteilungssystems organisiert, bei dem „selbständige“ deutsche Kolonisten die in den Manufakturen produzierten Kettfäden in Heimarbeit webten und den „Fabrikanten“ anschließend den fertigen Stoff übergaben. Dieses auch von den Saratower Unternehmern praktizierte System erlaubte im Vergleich zu einer reinen Manufaktur-Produktion massive Einsparungen bei den Arbeitskosten. Die hauptberuflich in der Landwirtschaft tätigen Kolonisten widmeten sich in der von den Feldarbeiten freien Zeit dem Weben, zu dem sie alle Familienmitglieder hinzuzogen, und verursachten im Vergleich zu den in der Manufaktur tätigen Arbeitern deutlich geringere Lohnkosten. Sowohl für die Manufakturen als auch für die „freien Weber“ entwickelte sich die schnell um sich greifende Heimindustrie zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz, die große Unternehmen hervorbrachte, die umfangreiche Investitionen tätigten und zahlreichen Webern Heimarbeit gaben. So eröffneten die Brüder Schmidt im Jahr 1820 in Ust-Solicha ein „Verteilungskontor“, aus dem später eines der größten im Bereich der Sarpinka-Produktion tätigen Unternehmen hervorgehen sollte. In den 1830er Jahren fand die Sarpinka-Produktion auch in den Kolonien Goly Karamysch (Balzer), Popowka und Sosnowka weite Verbreitung.

In den 1820er Jahren gründeten die Familien Borrell und Reineke, in deren Händen Mitte des 19. Jahrhunderts ein Großteil der Sarpinka-Produktion konzentriert sein sollte, ihre in Balzer bzw. Kutter ansässigen Firmen und eröffneten wenig später auch in den Kolonien Lesnoj Karamysch, Huck, Norka, Dönhof und Schilling weitere Werkstätten. In insgesamt 69 Unternehmen wurden jährlich Waren im Wert von 1.156.000 Rubeln produziert.

Auch wenn die Saratower Manufakturen bei der Einführung verbesserter Arbeitsmethoden oder technischer Neuerungen meist einen Schritt voraus waren, fanden diese doch schnell ihren Weg in die Kolonien. Auch nach der Schließung der von den Brüdern Schechtel betriebenen Manufaktur brachten deren im Ausland angeworbenen Handwerksmeister ihr Wissen und zahlreiche technische Neuerungen in die Kolonien, was der Qualität der dort betriebenen Sarpinka-Produktion einen gewaltigen Schub verlieh Nachdem sie ihren technischen Vorsprung eingebüßt hatten, konnten die Saratower Unternehmen letztlich der Konkurrenz der in den Kolonien betriebenen großangelegten Heimproduktion nichts mehr entgegensetzen, deren Geschäftsgrundlage extrem niedrige Arbeitskosten waren. So waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts alle in Saratow ansässigen Webereien gezwungen, ihre Tätigkeit einzustellen.

Die Heimweberei war insbesondere in den auf der Bergseite der Wolga gelegenen Kolonien weit verbreitet und wurde dort bereits in den 1840er Jahren in großem Umfang betrieben. Baumwollgarn und Sarpinka spielten im Warenverkehr des Gouvernements Saratow eine immer größere Rolle. Insgesamt wurden dort über 800.000 Arschin (1 Arschin = 0,7112 Meter) Sarpinka-Stoff hergestellt, von denen 40.000 Arschin auf die beiden verbliebenen Manufakturen und etwa 760.000 Arschin auf die Heimweber entfielen. In den Kolonien produzierten die Siedler in Heimarbeit auf insgesamt 1.807 Webstühlen Sarpinka-Stoffe. Etwa 30% aller Familien waren in der ein oder anderen Weise in diesem Bereich tätig. Und auch in den folgenden Jahren weitete sich die Sarpinka-Produktion in rasantem Tempo aus. So stieg die Zahl der Webstühle in den Jahren 1845–1866 fast auf das 4,5-fache (von 1.800 auf 8.000), während die Menge des produzierten Sarpinka-Stoffes im gleichen Zeitraum sogar auf das 15–20-fache stieg (von 800.000 Arschin auf 12–16 Millionen Arschin). Im Jahr 1859 gab es in den Kolonien bereits etwa vierzig Sarpinka-Webereien und etwa 25 Färbereien.

Aus einer Nebenerwerbstätigkeit entwickelte sich die Sarpinka-Produktion für die auf der Bergseite lebenden Kolonisten zu einer höchst wichtigen Einnahmequelle, die für einige Haushalte infolge des Landmangels und der schlechten Qualität des Ackerlandes sogar zum einzigen Lebensunterhalt wurde. Ein Weber erhielt 2–5 Kopeken für einen gewebten Arschin, d.h. im Durchschnitt 15-40 Rubel für die gesamte Arbeitsperiode. Etwa die Hälfte der Bevölkerung kehrte der Landwirtschaft den Rücken und widmete sich ganz der Produktion von Sarpinka-Gewebe. So waren nach Angaben der Führung des Amtsbezirks und der Auflistung der Ortschaften des Gouvernements Saratow im Jahr 1894 etwa 8.000 Kolonisten im Sarpinka-Handwerk beschäftigt. Der Warenwert der produzierten Stoffe lag bei etwa 1,4–1,5 Millionen Rubeln.

Ein Zeitgenosse schrieb: „Die meisten Kolonistenhäuser sehen innen wie kleine Fabriken aus, in denen ein oder zwei Webstühle für die erwachsenen Arbeiter und einige kleinere Haspeln stehen, an denen die Jungen und Mädchen sitzen und wickeln“. August Lonsinger beschrieb den Prozess des Webens folgendermaßen: „Ein weiterer Akt ist das sogenannte Schlichten, das vor dem eigentlichen Webvorgang (und manchmal während des Abwickelns des aufgezogenen Kettfadens) durchgeführt wird. Es besteht darin, dass der Weber den Kettfaden mit zwei weichen langborstigen Bürsten glättet und stärkt: Er taucht die Enden der Bürsten in einen pastenartigen Kleber aus Mehlklebe, trägt den Kleister auf die gezogenen Fäden auf und führt die Bürsten solange daran entlang, bis sie alle gleichmäßig angefeuchtet sind. Dann wischt er den fertigen Teil des Kettfadens mit einem Gänseflügel ab, damit er schneller und gleichmäßiger trocknet. Das macht den Faden glatter und stabiler und das Sarpinka-Gewebe fester. Die Fäden reißen nicht so oft, was viel Zeit spart, da das Zusammenführen der gerissenen Fäden eine ermüdende und zeitaufwendige Arbeit ist.“

Der gesamte Prozess der Sarpinka-Produktion war arbeitsteilig organisiert: Zunächst kauften die Besitzer der Verteilungskontore oder die Unternehmer das Garn und gaben dieses zum Färben an eine Färberei. Anschließend wurde das Garn von Kindern oder Heranwachsenden in Heimarbeit auf Spulen gewickelt. Die fertigen Spulen kamen dann wieder über den Besitzer in die Schärerei, wo die Kettfäden gefertigt wurden. Nach Aussage von Zeitgenossen stellte dies den einzigen Schritt des Produktionsprozesses dar, der unter fabrikartigen Umständen vollzogen wurde. Im Haus war gewöhnlich ein Zimmer als Werkstatt oder Manufaktur eingerichtet, wo an einem oder mehreren Webstühlen (in Form hoher zylinderförmiger Haspeln, die sich um eine vertikale Achse drehten und von Hand in Bewegung gesetzt wurden) der Kettfaden hergestellt wurde. Das Weben wurde von den Arbeitern in Heimarbeit verrichtet und war nach dem „Verteilungssystem“ organisiert. Nur das Färben des Garns und die Herstellung des Kettfadens trugen Manufakturcharakter, da die Färber und Schärer in der Werkstatt des Fabrikanten arbeiteten.

Der Konzentrationsprozess der Sarpinka-Produktion führte recht schnell dazu, dass das Geschäft von einigen wenigen Familien wie den Schmidts, den Borells und den Reinekes dominiert wurde. 1870 gab es 80–85 Fabrikanten. 60–68% der gesamten Sarpinka-Produktion entfielen auf acht große Firmen, unter denen: Borell mit einem jährlichen Produktionswert von 150.000 Rubeln den größten Anteil hatte, gefolgt von Schmidt (100.000 Rubel), Kum (60.000 Rubel), Weber (60.000 Rubel), Bender (50.000 Rubel), Tefer (30.000 Rubel), Späth (15.000 Rubel) und Idt (12.000 Rubel). Etwa 150 Tage im Jahr waren die Kolonisten mit dem Weben beschäftigt, wobei im Winter durchgängig und im Sommer nur in der von Feldarbeit freien Zeit gearbeitet wurde. Der Arbeitstag dauerte von 5.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr, im Winter vierzehn Stunden am Tag, im Sommer bis zu neun Stunden. Ein guter Weber produzierte am Tag je nach Breite des Stoffes 7-15 Arschin Sarpinka. Der an die Weber ausgezahlte Lohn hing von der Menge des von diesem produzierten Sarpinka-Stoffes ab und unterlag je nach Nachfrage Schwankungen. Der Durchschnittslohn eines guten Webers lag bei 36 Kopeken pro Tag.

Was das maschinengesponnene Garn betraf, bezog man die gröberen Sorten (mit einer Fadenstärke von 38-40) aus Moskau und feinere Sorten (mit einer Fadenstärke von 60–70) aus Großbritannien, wobei letzteres auch besser gebleicht war als das Moskauer Garn. In den Kolonien wurde das Garn in allen Farben gefärbt. Die einzige Ausnahme bildete Rot, mit dem in den Kolonien nicht gefärbt werden konnte, weswegen man das englische Garn zum Färben nach Deutschland in die Stadt Elberfeld brachte, wo in der Färberei Rabenéck auch das in Moskau gekaufte Garn gefärbt wurde. Dabei war das Färben in Elberfeld deutlich günstiger als in Moskau. War das Garn rot gefärbt, verdoppelte sich sein Preis.  

Das Sortiment der in den Kolonien produzierten Sarpinka-Stoffe war überaus vielfältig. Die fertigen Stoffe wurden nach Fadenstärke, Festigkeit, Breite, Färbung und Muster in verschiedene Sorten unterteilt. Aus einem dicken Garn (Fadenstärke. 38-40) wurde billiger Stoff gefertigt (vor allem Sarafan), der vor allem von russischen Bäuerinnen gekauft wurde, um daraus Sarafanhemden zu nähen. Mittlere Sorten wurden aus Garn der Stärken 44, 46 und 50 gefertigt. Für feine und hochwertige Sarpinka-Stoffe wurden die Fadenstärken 60 und 70 verwendet. Der Preis des Sarpinka-Stoffes wurde unter anderem durch Dichte und Dicke des Stoffes bestimmt. So kostete z.B. die Sorte „Sarafan“ bei einer Dicke von 1,5 Arschin und roter Färbung (die teurer als andere war) im Verkauf 35 Kopeken pro Arschin, während zum gleichen Preis einige andere Stoffe nur in einer Breite von einem Arschin verkauft wurden. Am meisten wurden die Sorten allerdings nach Färbung und Muster unterschieden. Unter allen Farben dominierten Blau und Gelb als die billigsten Varianten. Höherwertige Sorten waren rot, violett, grün, wobei oft andere Farben beigemischt wurden, um den Stoff billiger zu machen. Nach Mustern gab es z.B. bei Borell bis zu 80 Varianten. Als besonders schön galten Stoffe mit den Farbkombinationen Rot und Weiß oder Gelb und Weiß. Als weniger schön galten blaue und rot-gelbe Sorten. Neben dem Stoff wurden auch Sarpinka-Tücher produziert, die unterschiedliche Größen und Qualitätsstufen aufwiesen und ein wenig höher geschätzt wurden als der reine Sarpinka-Stoff. Die hochwertigsten Tücher wurden mit einer Beigabe Seide gefertigt (Kettfaden aus Baumwolle und Querfaden aus Seide). Es wurden auch Tücher mit einem Seidensaum gefertigt. Halbseidene Tücher waren deutlich teurer als Baumwollvarianten.

Mit der Zeit wurden auch in den zentralen Gouvernements des Russischen Reiches immer mehr Sarpinka-Stoffe produziert. So gab es im Jahr 1868 in Moskau bereits sechs Webereien, die neben verschiedenen Baumwollstoffen auch Sarpinka-Gewebe produzierten. Im Gouvernement Wladimir waren acht von 64 Unternehmen mit der Produktion von Sarpinka-Stoffen beschäftigt. Aber obwohl es den in den Saratower Kolonien ansässigen Webern angesichts dieser Konkurrenz immer schwerer fiel, ihre Waren auf den zentralen Märkten zu verkaufen, konnten sie ihre Produktionszahlen insgesamt deutlich steigern, da der Gesamtmarkt für Sarpinka-Produkte immer größer wurde und sich die territoriale Verengung der Absatzmärkte auf diese Weise mehr als kompensieren ließ.

Hauptumschlagsplatz für den Großhandel mit Sarpinka-Stoffen war die Messe in Nischni Nowgorod. In den 1860er Jahren konnten die Sarpinka-Produzenten ihre Marktanteile innerhalb des Textilhandels von Jahr zu Jahr steigern. Während sich der Absatz von Sarpinka innerhalb von acht Jahren verdoppelte, lagen die entsprechenden Steigerungsraten bei Baumwollstoffen im gleichen Zeitraum nur bei 6–8%. In den 1870er Jahren erstreckte sich der Absatzmarkt für Saratower Sarpinka-Stoffe über das gesamte Gebiet der Unteren und Mittleren Wolga sowie auf die an den östlichen Zuflüssen der Wolga gelegenen Gebiete. Wichtige Umschlagsplätze für Sarpinka-Produkte waren im Nordosten Wjatka und im Osten Orenburg. Über Astrachan und Orenburg gelangten Sarpinka-Stoffe auch in größeren Mengen nach Mittelasien, wo sich vor allem helle rote und gelbe Stoffe gut verkaufen ließen. Im Südwesten spielte vor allem das im Gebiet der Donkosaken gelegene Urjupinsk eine wichtige Rolle, auf dessen vier Mal im Jahr stattfindenden Jahrmärkten in großen Mengen Sarpinka-Stoffe gehandelt wurden, wobei insbesondere die an Mariä Schutz und Fürbitte und zur Taufe Christi abgehaltenen Märkte von großer Bedeutung waren. Eine gewisse Menge an Sarpinka-Produkten wurde auf den im Gouvernement Saratow selbst stattfindenden Märkten abgesetzt, von denen es im Jahr 1867 insgesamt 123 gab (23 städtische und 100 ländliche Märkte, unter denen vor allem zwei im Bezirk Kamyschin abgehaltene Märkte besondere Bedeutung hatten). Dabei lag der Warenwert der auf diesen Märkten angebotenen Stoffe bei 6.074 Rubeln, von denen letztlich Waren im Wert von 2.823 Rubeln verkauft wurden. Insgesamt wurden auf diesen regionalen Märkten allerdings nur etwa zehn Prozent der gesamten Sarpinka-Produktion verkauft.

In den 1870er Jahren hatte der Sarpinka-Handel in immer größerem Maße unter der Konkurrenz maschinell produzierter Stoffe zu leiden, die einen Preisverfall nach sich zog und sowohl die Produktionszahlen als auch die Gewinne der Weber massiv absinken ließ. In den 1880er Jahren überlebten nur dreißig von ursprünglich achtzig Sarpinka-Webereien. Die Gesamtproduktion ging um 43–45% zurück. Die von den Wolgadeutschen produzierten Sarpinka-Stoffe konnten weder mit den von Morosow und anderen russischen Industriellen in ihren Großfabriken produzierten Stoffen noch mit der billigen englischen Importware konkurrieren.

Nachdem es schließlich doch noch gelungen war, den Verfall der Sarpinka-Produktion zu stoppen, kam es in den 1890er Jahren erneut zu einem Aufschwung. Da es in den deutschen Kolonien an Arbeitskräften mangelte, gingen die Fabrikanten auch in die russischen Dörfer, um die dort lebenden Bauern mit Webstühlen auszustatten und anzulernen, was insbesondere nach den Missernten des Jahres 1898 auf einige Resonanz traf. Ende des 19. Jahrhunderts fand die Sarpinka-Produktion auch in den jenseits der Wolga gelegenen Kolonien Verbreitung. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Sarpinka-Produktion das wichtigste Gewerbe in der Region und blieb sogar weitgehend von der Krise der Jahre 1900–1903 verschont. Tatsächlich konnten die im Gouvernement Saratow ansässigen Sarpinka-Produzenten nicht nur Rückgänge vermeiden, sondern ihren Warenausstoß sogar noch ausweiten.

Ein voll ausgestatteter Webstuhl kostete laut „Untersuchung des handwerklichen Gewerbes im Gouvernement Saratow“ 21 Rubel, von denen zehn Rubel auf den Webstuhl selbst und elf Rubel auf alle sonstige Ausstattung entfielen. Andere Quellen nennen einen Preis von 13–15 Rubeln. Die gesamten Anschaffungskosten mussten die Weber selbst tragen. 30% des Gewinns wurden von den Unternehmern einbehalten. Das Durchschnittseinkommen eines Webers lag im Gouvernement Saratow deutlich über dem in anderen Regionen des Russischen Reiches üblichen Durchschnitt, wo insbesondere die für ein  Verteilungskontor arbeitenden Weber nur 63% des im Gouvernement Saratow üblichen Lohns erhielten. In den Jahren 1910–1911 waren 12.626 Personen im Sarpinka-Gewerbe beschäftigt. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs stieg die Zahl der Verteilungskontore auf 64. 1918 waren etwa 15.000 Personen in derSarpinka-Produktion tätig. Nach der Oktoberrevolution wurde die Sarpinka-Produktion industriell betrieben und war in den Hauptproduktionszentren Balzer (Goly Karamysch) Frank (Medwedizkoje) und Kratzke (Potschinnaja) konzentriert.

Literatur

Autoren: E.A. Arndt Saratow

ЗEINE FRAGE STELLEN