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Kolonialstatut von 1857 , Statut über die Ausländerkolonien im Zarenreich

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

Kolonialstatut von 1857

 

In der Zeit der Einwanderung der deutschen Siedler unter Katharina II. und Alexander I. wurden den Kolonisten durch kaiserliche Erlasse weitgehende Rechte zugesichert und Pflichten auferlegt, die 1857 im „Gesetz über die Kolonien der ausländischen Ansiedler im Russischen Reich“ zusammengefaßt und im Svod zakonov Rossijskoj Imperii veröffentlicht wurden. Das Gesetz besteht aus 9 Teilen und 577 Paragraphen mit einigen Anmerkungen.

1.  Teil: Einteilung der Kolonien und ihre Verwaltungseinrichtungen. Für die Kolonien wurden besondere Verwaltungs- und Gerichtsorgane geschaffen: Für das Wolgagebiet des „Saratover Kontor der ausländischen Ansiedler“; für die drei neurussischen Gouvernements und Bessarabien das „Fürsorgekomitee für ausländische Ansiedler im südlichen Gebiet Rußlands“, für die St. Peterburger Kolonien ein „Inspektor der St. Petersburger Kolonien“ und für jene in Transkaukasien die „Expedition der Reichsdomänen bei der Hauptverwaltung des Transkaukasischen Gebiet“; die kleineren Kolonistengebiete wurden besonderen Abteilungen der Reichsdomänenverwaltung unterstellt. Für alle Kolonien und die genannten Verwaltungsstellen war das Ministerium der Reichsdomänen (Ministerstvo gosudarstvennych imuščestv) die höchste Instanz. Dem Fürsorgekomitee und dem Saratover Kontor unterstanden „Aufseher“ (smotriteli), die einen oder mehrere Bezirke (okruga) beaufsichtigten. An der Spitze jedes Bezirks stand ein Bezirksvorsteher (okružnoj starosta), an der Spitze der jeder Kolonie ein Schulz (starosta) mit jeweils zwei Besitzern. Die Vorsteher wurden von allen Kolonisten, die eine eigene Wirtschaft besaßen, auf jeweils drei, die Beisitzer auf zwei Jahre gewählt. Jede Bezirks- und Dorfverwaltung stand ein bezahlter Amtsschreiber (pisar´) zur Verfügung. Zu den Pflichten des Fürsorgekomitees bzw. des Kontors gehörten die Aufnahme und Ansiedlung von Kolonisten, die Verwaltung ihrer Ländereien, der Schutz ihrer Rechte und die Aufsicht über die Einhaltung ihrer Pflichten. Das Fürsorgekomitee sollte die Verbesserung der Landbearbeitung, des Gartenbaus, der Viehzucht und von Fabriken anregen. Das Komitee und das Kontor verteilten die Kronsschuld (kazennye dolgi) unter den Familien und stellte Pässe aus. 

2. Teil: Der bürgerliche Stand der Kolonisten. Als Kolonisten galten nur Ausländer, die auf Kron-, Privat- oder als Eigentum erworbenen Ländereien sich als Bauern oder „für die Kolonien nützliche Handwerker“ niederließen. Die Kolonisten genossen Glaubensfreiheit, durften Kirchen bauen und Geistliche anstellen.

3. Teil: Die Bürgerrechte der Kolonisten. In diesem Teil wurde die Fragen der Eheschließung und -scheidung sowie die Bestellung von Vormündern für Waisen geregelt. Die Ländereien wurden den Kolonisten „zugeeignet als unbestreitbares ewiges und erbliches Besitztum, jedoch nicht als Eigentum irgendeiner Person, sondern als Eigentum der ganzen Gemeinde“. Deshalb konnten sie keinen Teil ihres Landes, „ohne Einwilligung der ganzen Gemeinde und ihrer vorgesetzten Behörden verkaufen, abtreten oder verpfänden, damit diese Ländereien nie in fremde Hände gelangen können.“ Den Kolonisten wurde gestattet „zur Erweiterung und Verbesserung ihrer Wirtschaften von Privatpersonen Land käuflich als Eigentum zu erwerben“. Die von der Krone zugeteilten Ländereien sollte im allgemeinen der jüngste Sohn erben, und nur bei dessen Unfähigkeit sollte der Vater einen anderen Erben einsetzen. Erbschaftsteilungen waren nur mit Genehmigung der Ortsbehörde zulässig.

4. Teil: Pflichten, Steuern und Abgaben. Alle Kolonisten wurden „auf immer“ von der Militärpflicht und eventuellen Ersatzzahlungen befreit. Die Kolonisten wurden für eine bestimmte, unterschiedlich lange Zeit von Steuern und Abgaben befreit. Nach Ablauf dieser Frist mußten die Kolonien Steuern und Abgaben zahlen sowie Dienste leisten, wie den Bau und die Reparatur der Wege und Brücken, die Gewährung von Quartier für durchziehende Truppen, die Stellung von Fuhren für die Post, die Eskortierung von Arrestanten, durchreisende Beamte, den Unterhalt der Feuerwehr. Die Steuern, Abgaben und Dienste konnten sie nach eigenem Ermessen auf die einzelnen Kolonisten verteilen. Festgelegt wurde auch, welcher Teil der Ausgaben für die Ansiedlung als Kronsschulden von den Kolonisten zu tilgen war (Kazennye dolgi). Zu den Abgaben an die Gemeinde gehörten die Kosten für den Unterhalt der Kolonialverwaltung, der Patres, Pastoren und Lehrer, die Gehälter für die Bezirks- und Dorfschulzen.

5. Teil: Die wirtschaftlichen Einrichtungen der Kolonien. Zur Verhütung von Getreidemangel im Fall einer Mißernte mußten die Kolonien Getreidemagazine anlegen. Eine große Zahl von Vorschriften betraf die rationelle Bodenbearbeitung und Hebung des Wein-, Obst-, Tabaksbaus und der Seidenzucht sowie die Förderung der Viehzucht. Diese Weisungen gingen sehr weit ins Detail. So sollten die Schulzen zum Beispiel darauf achten, daß „alle Einwohner schon in den frühesten Morgenstunden auf die Äcker fahren und dort fleißig arbeiten“. Während des Winters sollten die Schulzen dafür sorgen, daß die Kolonisten „ihr Vieh und die Pferde gut halten und füttern, die Frauen Butter herstellen und Geflügel züchten“.

6. Teil: Kirchliche und innere Einrichtungen in den Kolonien.

Die Kolonien hatten das Recht, ihre Geistlichen und Lehrer selbst zu wählen. Die Patres und Pastoren sollten jede Gemeinde wenigstens einmal im Jahr besuchen und einen Monat bleiben, „um die Kolonisten in den Glaubenslehren zu festigen und die Kinder in den Anfangsgründen der christlichen Lehre zu unterrichten“. Auch im kirchlichen Bereich wird der patriarchalische Umgang mit den Kolonisten deutlich. So forderte das Gesetz, daß die Geistlichen und Schulzen die „Ansiedler zur Frömmigkeit, zum Kirchenbesuch an Sonn- und Feiertagen, zum Beten und zum Abendmahl ermahnen“ müßten. Die Schulzen sollten die Ansiedler dazu anhalten, „die Jugend den Eltern und Alten gegenüber zu Ehrfurcht und Folgsamkeit zu erziehen und durch Fleiß, Ehrlichkeit, Enthaltsamkeit und friedliches Zusammenleben den Jungen als Beispiel zu dienen“. Die Schulzen sollten darauf achten, daß die Kolonisten „ein nüchternes, ruhiges und arbeitsames Leben führen, wie es ihrem Stand zukommt“.

7. Teil: Eintreibungen und Strafen.

Zur Verhängung von Strafen in Form von Geldbußen oder Zwangsarbeit war nur der Bezirksschulze befugt. Bestraft wurden nicht nur Eigentumsdelikte oder unpünkliche Zahlung von Abgaben und Erfüllung von Pflichten, sondern zum Beispiel auch, wer Amtspersonen beleidigte, die Kirche an Sonn- und Feiertagen nicht besuchte, wer seine Äcker nicht pflügte oder wer einen lasterhaften Lebenswandel führte.

Der 8. Teil betraf die Gerichtsführung und Selbsthilfe und der 9. Teil die 1857 noch wenigen auf eigenem und Gutsländereien angesiedelten Kolonisten.

 

Literatur

Svod zakonov Rossijskij Imperii. Izdanie 1857 goda. Tom 12, čast´ 2, S. 1-100; Hummel Th.: 100 Jahre Erbhofrecht der deutschen Kolonisten in Rußland. Berlin 1936.

Autoren: Brandes Detlef

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