(CHORTITZA) (OBERCHORTITZA), eine mennonitische Ansiedlung, Verwaltungszentrum des Kolonistenbezirks Chortitza im Gebiet Jekaterinoslaw des Deutschen Nationalrayons Chortitza (1929–1930). Wurde 1790 gegründet (den Winter 1789 verbrachten die Siedler in Jekaterinoslaw) im Ergebnis der Auswanderung von Mennoniten aus Polnischem Preußen.
Die Zahl der mennonitischen Bevölkerung betrug: 254 (1814), 250 (1844) 752 von 1200 der Gesamtzahl der Bevölkerung (1911); 1800 von 2860 (1914); 981 von 1041 (1923); 3040 (1925); 2178 von 11507 (1941); 2022 von 8607 (1942).
Zahl der Gehöfte: 34 (1790); 40 (1814); 68 (1844); 74 (1848); 114 (1911); 120 (1914); 120 (von 129) (1923).
Ländereien: 2860 Dessjatinen (1844); 3007 Dessjatinen (1914).
Geschichte der Siedlung:
Das Dorf Chortitza war ein Verwaltungs- und religiöses Zentrum der ersten Gruppe mennonitischer Mutterkolonien, die im Russischen Reich entlang des Dnepr im Raum des Gouvernements Jekaterinoslaw entstanden. Diese Gruppe von Siedlungen erhielt die Bezeichnung „Chortitza-Kolonien“ oder „Alte Kolonien“ (8 Kolonien in 1790; 17 im Jahr 1824): Baburka (Burwalde), Wladimirowskoje (Kronsweide), Dolinskoje (Kronstal), Kapustjanka (Blumengart), Kitschkas (Einlage), Malaschewka (Neuenburg), Nischnjaja Chortitza (Nieder-Chortitza), Nowoslobodka (Rosengart), Ostrow Chortitza (Insel Chortitza), Pawlowka (Neu-Osterwick), Rutschajewka (Schönhorst), Smoljanaja (Schöneberg), Ternowatoje (Neuhorst), Siedlung Udelnenskij (Kronsfeld), Schirokoje (Neuendorf), Warwarowka (Franzfeld), Dolinowka (Adelsheim), Nowo-Petrowka (Eichenfeld), Polowitzy (Kronsgarten), Morosowo (Hochfeld), Nikolajpole (Nikolaifeld), Schenwise (Schönwiese). Kurz danach (1790) wurde unweit vom Dorf Chortitza entlang des Chortitza-Flusses ein weiteres Mennoniten-Dorf Kanzerowka (Rosental) gegründet. Bald darauf verschmolzen die beiden nahe beieinander liegenden Siedlungen zu einem einheitlichen Ort, das sich zu einem Verwaltungszentrum entwickelte. 1871 wurde der Bezirk in Wolost Chortitza des Amtsbezirks (Ujezd) Jekaterinoslaw des Gouvernements Jekaterinoslaw umgestaltet. Für die Mennoniten hatte der Begriff „Chortitza“ symbolische Bedeutung. Er umfasste eine ganze Palette der Begriffe und Stimmungen. Während „Chortitza“ für erste Siedler den Anbruch eines neuen Abschnitts in der Geschichte bedeutete, war es für spätere Generationen richtiges Zentrum eines gesamten Mikrokosmos und wurde als eine Gewähr für den Schutz religiöser und wirtschaftlicher Interessen, intellektuelles Zentrum und ein reales Symbol der von den Kongregationen in Russland erzielten Erfolge empfunden. Der besondere Status der Siedlung entstand bei der Entwicklung der Kolonien und wurde in einem gewissen Maße durch die geographische Lage und den Gründungszeitpunkt vorbestimmt.
Erste Siedler (34 Familien von Chortitza und 20 Rosentaler Familien) kamen aus Preußen. Als Sprache des täglichen Lebens wurde der von ihnen zuvor erworbene niederdeutsche Dialekt (Plattdeutsch) genutzt. Im Zuge ihrer Flucht vor religiöser Unterdrückung und Landmangel zogen sie ins Russische Reich in der Hoffnung wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand zu finden. Wie sich jedoch herausstellte, waren die Siedler auf die Strapazen Russlands schlecht vorbereitet. Die meisten Neusiedler waren gezwungen, eine neue für sie Betätigung – den Ackerbau – zu meistern.
Die den Siedlern zugesprochenen Konditionen der Starthilfe und Vergünstigungen wurden in den „Bittkapiteln“ festgehalten (unterschrieben von Katharina II. am 3. März 1788 auf der Grundlage von Verhandlungen des Fürsten G. Potjomkin mit den Vertretern der Mennonitengemeinden Ja. Hopper und J. Bartsch). Laut den „Bittkapiteln“ und einem gesetzgeberisch verankerten „Verleihungsurkunde“ von Paul I. (1800) wurden den Mennoniten großzügige Bodenanteile (65 Dessjatinen) pro Familie zugesichert. Fürs Einleben wurde ihnen vergünstigte Schonfrist von 10–15 Jahren bewilligt (während diese für andere ethnische Kolonistengruppen von 3 bis 30 Jahren ausmachte) sowie eine niedrige Bodensteuer von 4,5 Kopeken pro Dessjatine ackerbares Land angesetzt. Die Mennoniten wurden von der Zahlung der Nähr- und Reisegelder, von der Quartierpflicht und sonstigen Pflichten befreit. Ihnen wurden leihweise Getreide, Mittel für die Beschaffung von Agrarinventar und Errichtung von Brauereien und Mühlen zur Verfügung gestellt. Im Zusammenhang mit Anpassungsschwierigkeiten wurde diese Schonfrist um 5 Jahre verlängert, was seinen Niederschlag im Erlass „Über Eintreibung budgetärer Schulden von Chortitza-Mennoniten und Josephstaler Kolonisten und Zahlung von Bodengebühren“ fand.
Diese Konditionen schufen optimale Rahmenbedingungen für die Schonfrist, was seinerseits eine der wichtigsten Voraussetzungen für recht hohen Wirtschaftsstand von Chortitza und Rosental schuf und ein festes wirtschaftliches Fundament für die weitere Entwicklung der beiden Siedlungen bildete. 1802 besaß jede Mennoniten-Familie im Durchschnitt 5 Pferde, 6–7 Stck. Vieh, einen gewissen Bestand an Inventar, in jeder Familie wurde Spinnrad genutzt.
Wirtschaftsentwicklung der Kolonie
Die Gegend von Chortitza und Rosental entwickelte sich zu einem Ballungsgebiet der handwerklichen Produktion und keimenden Industrie. Bereits 1802 funktionierten in den Dörfern Chortitza und Rosental 3 Windmühlen. Die ersten Müllermeister waren Gerhard Neufeld (Rosental), Johann Batsch (Rosental) und Johann Berg (Chortitza).
In Chortitza waren 13 der insgesamt 52 Haushalte und in Rosental 14 der insgesamt 44 Haushalte handwerklich tätig, dabei besaßen nahezu alle von ihnen Grund und Boden und kombinierten verschiedene Betätigungsarten. 1802 gab es in Chortitza 3 Zimmerer, 4 Schneider, einen Böttcher, einen Dreher, 2 Weber und 2 Schuster, während das Dorf Rosental 2 Zimmerer, 2 Schneider, einen Böttcher, einen Dreher, 8 Weber und 2 Schuster zählte. Später wuchs die Zahl der Handwerker weiter.
Die wirtschaftliche Spezialisierung der Siedlungsbewohner war unterschiedlich und umfasste Schafzucht, Seidenproduktion, Weberei, was insbesondere in den Jahren der Missernte eine wesentliche Überlebenshilfe bedeutete. 1824–1825 hat Chortitza recht gut eine harte Dürre überstanden. Die Wirtschaftserfolge wirkten sich auf die Bevölkerungszunahme aus, so dass die Kolonien Chortitza und Rosental 1848 jeweils 39 und 35 Haushalte zählten. Laut Angaben von 1841 wiesen die Kolonisten von Chortitza im Vergleich zu anderen Gruppen von Kolonien die höchsten Einkommenszahlen pro Siedlung auf (s. Tabelle 2).
In den 1860er Jahren zählte die Siedlung bereits 27 Produktionsbetriebe, darunter 2 Schälmühlen, 2 Brauereien, 2 Ziegeleien, 2 Färbereien, 1 Essigproduktion, 14 Mühlen, 4 Warenläden. 1848 betrug der Jahresumsatz der Ziegelei in Chortitza 11 725 Rubel.
Im Weiteren etablierte sich Chortitza im Süden des Russischen Reiches als ein anerkanntes Zentrum der Maschinenbauproduktion und Verarbeitungsindustrie. Laut den Angaben von 1879 war Chortitza nach Warschau (505 284 Rubel) und Moskau (320 000 Rubel) der drittgrößte Standort Russlands nach der Herstellung der Erzeugnisse des Landmaschinenbaus.
Chortitza war ein Zentrum des Wirtschaftslebens des gesamten Wolost. Dies wurde durch die günstige geographische Lage der Chortitza-Kolonien bedingt. Diese lagen im Raum des Gouvernement Jekaterinoslaw, wo es zwei wirtschaftlich aussichtsvolle Regionen wie der Donezk-Kohlenbecken und die Erzregion Kriwoj Rog gab. Zum Jahr 1895 zählte die Region Jekaterinoslaw 12 Eisenbahnstrecken, wobei eine von ihnen durch Chortitza verlief. Das Vorhandensein von Transportmagistralen trug zur beschleunigten Einzug des Gouvernements in den kapitalistischen Markt bei und begünstigte damit das Wirtschaftspotential der Siedlungen, in erster Linie in Chortitza.
In Chortitza befanden sich große Maschinenbaufabriken wie z. B. die Produktionsstätten von „Lepp und Wallmann“, K. Hildebrand und Ja. Koop.
Die Landmaschinenfabrik „Lepp und Wallmann“ wurde 1850 von Peter Lepp (1817–1871) gegründet. 1853 wurde in der Produktionsstätte die erste Mähmaschine hergestellt. 1867 machte der Produktionsausstoß 115 Mähmaschinen, 50 Kornschwingen, 175 Pferderechen, 125 Strohschneide-und 12 Kornschneidemaschinen aus. Nach dem Tod von Peter Lepp ging die Verwaltung der Fabrik an seine Söhne Abraham und Peter Lepp und seit Ende 1879 an seinen Enkel Johann Lepp über. Seit 1880 wurde ein Großgrundbesitzer von Chortitza Andreas Wallmann (und später seine Nachkommen) Mitbesitzer der Fabrik. Zu Beginn der 1880er Jahre machte der Umsatz der Fabrik 200 000 Rubel aus, gegen 1903 bezifferte sich der Gesamtwert des beweglichen und unbeweglichen Vermögens (einschließlich der Produktionen in Schönwiese und Pawlowgrad) mit 1 150 000 Rubel. Seit der Mitte der 1880er Jahre wurde mit der Herstellung erster Dampfmaschinen und -kessel sowie Ölpressen, Maisdresch-, Getreidemäh-, Wurzelschneide-, Grasmähmaschinen, Getreideschwingen, Sämaschinen, Ausrüstungen für Sägemühlen begonnen. Seit 1880 lief das Unternehmen unter der Firma „Handelshaus Lepp und Wallmann“, seit 1903 als „Aktiengesellschaft „Lepp und Wallmann“ und seit 1903 als Handelsgesellschaft „Lepp und Wallmann“. Die günstigste Zeit für die Wirtschaftsentwicklung des Unternehmens fiel in den Zeitraum von 1900–1910. Damals wuchs der Jahresgewinn von 100 617 Rubel auf 224. 991 Rubel. Das Unternehmen hatte Konten in 8 Banken des Russischen Reiches wie z. B. in der Petrograder Kommerzbank, Russischen Außenhandelsbank, „Kommerzbank Asow-Don“, „Diskontbank Odessa“. Die Vertriebsbüros befanden sich in den Gouvernements Taurien und Samara, in Litauen, Bessarabien, Sibirien. Das Kapital des Unternehmens bezifferte sich in den Jahren 1903–1913 mit 1 200 000 Rubel und 1916 mit 2 400 000. Rubel Das Unternehmen „Lepp und Wallmann“ nahm 1860–1912 auf ständiger Basis an Agrarmessen teil. Das Sortiment der hergestellten Produkte veränderte sich je nach Marktbedarf. 1882 wurde in Moskau eine Kunst- und Produktionsmesse abgehalten. Im Bereich „Landmaschinen, Agrargeräte, Fuhrwerk“ stellten 73 Produzenten aus, der erste Preis wurde dem Werk „Lepp und Wallmann“ zuerkannt. Die Produktionstätigkeit des Unternehmens wurde insgesamt mit 33 Medaillen in Gold, Silber und Bronze geehrt und mit Anreizdiplomen und zahlreichen lobenden Rückmeldungen gewürdigt. In den Jahren des Ersten Weltkrieges fertigte die Fabrik Produkte für Verteidigungszwecke. 1917 wurde Kampfmunition im Wert von 1 350 000 Rubel hergestellt.
Der Produktionsbetrieb von K. Hildebrand entstand 1878. Kornelius Hildebrand leistete seine Lehre bei Peter Lepp ab. Der Betrieb der Produktionsstätte begann mit der Fertigung von Komponenten für Windmühlen. Im Alter von 78 Jahren zog sich Kornelius Hildebrandt von der Leitung des Unternehmens zurück, die an die Söhne übertragen wurde. Das Werk wurde ins Handelshaus „K. Hildebrands Söhne und Priess“ (1. Juli 1902) umgewandelt. 1896 wurden 250 Mähmaschinen (im Wert von 30 000 Rubel), 255 Pflüge (im Wert von 5 000 Rubel), 10 Drescher (im Wert von 38 500 Rubel) produziert. 1900 zählte die Produktion 150 Beschäftigte. Das Kapital des Unternehmens umfasste im Jahre 1905 9000 Rubel, während der Jahresumsatz 116 000 Rubel erreichte. 1915 wurde das Unternehmen in offene Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Arbeit der Produktionsstätte wurde mit den Auszeichnungen von Agrarmessen in London (1908) und Jekaterinoslaw (1910) geehrt. Besondere Nachfrage bei den Abnehmern genossen Getreideschwingen. Laut Angaben von 1917 hatten die Maschinen und Anlagen den Wert von 161 214 Rubel. Nach der Nationalisierung lief die Produktionsstätte unter der Firma „Staatliches Landwirtschaftswerk Nr. 4 „F. Engels““.
Maschinenbauwerk A. Ja. Koop (Chortitza, Schönwiese, Kitschkas). Das Werk wurde 1864 gegründet. Darin wurden Dreschmaschinen, Mäh- und Garbenbindemaschinen des russischen und amerikanischen Typs, Mähmaschinen, mit Petroleum getriebene liegende Motoren für Industrie und Landwirtschaft, Komponenten für Windmühlen, Säpflüge gefertigt. 1874 eröffnete Ja. Koop eigene Gießerei. 1877 wurde die Produktion mit einem Dampfmotor ausgerüstet. 1877 wurden im Werk von Koop 32 Dreschmaschinen hergestellt, zum 1887 stieg die Produktion auf 600 Stck. 1908 wurden in 3 Werken von Koop (in Chortitza, Schönwiese und Kitschkas) Erzeugnisse im Wert von 610 000 Rubel hergestellt. Nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft hieß das Unternehmen „Handelshaus Ja. Koop – Werke für Landmaschinen und -inventar“. Das Unternehmen hatte Konten in 5 Banken des Landes und besaß im Januar 1918 ein Guthaben von 147 944 Rubel. Der Kassenbestand machte 7 982 Rubel aus. Bis 1914 wurden die Werke von Koop bei Landwirtschaftsmessen mit acht Medaillen ausgezeichnet. Die Produktlager des Unternehmens befanden sich in den Gouvernements Taurien, Cherson, Saratow, Samara. Nach Eigenangaben der Unternehmer wurden in den 50 Jahren des Produktionsbetriebs 186 560 Maschinen und Anlagen produziert.
Entwicklung der Verarbeitungsindustrie
Zu Beginn des 20. Jh. gab es in Chortitza 12 Mühlen. Chortitza war ein Zentrum der dampfgetriebenen Mehlproduktion und hatte regionale Bedeutung für Südrussland. Die erste dampfgetriebene Produktion wurde in den Kolonien von G. Toews (1867) (im früheren Raum von Rosental) eingerichtet. Danach folgten G. Niebuhr (1872) und P. Fast (1879). Die Tagesleistung der Dampfmühlen lag bei 80–360 Pud (bei Windmühlen machte sie 25–80 Pud aus).
Die größte Dynastie der Müllereifachleute war die Familie Niebuhr, die ihre unternehmerische Tätigkeit 1810 aufnahm. Die Firma „Niebuhr und Co.“, deren Mitbesitzer Hermann Niebuhr und Johann Deck waren, wurde 1895 registriert. Zum Jahr 1915 gab es im Eigentum des Unternehmens 11 und später 10 Mühlen, 3 davon befanden sich in Chortitza. Der Tagesumsatz der beiden größten davon, die jeweils 1894 und 1895 errichtet wurden, machte 225–406 Rubel aus. Das Kapital des Unternehmens lag bei 3 000 000 Rubel.
Die Holzbearbeitungsindustrie war in Chortitza durch das Unternehmen von Ja. Dyck (seit 1887) vertreten. Das Unternehmen besaß ein Lager in Chortitza und eine Sägemühle in Rosental. Das Holz wurde abgeschwemmt, auf Plattformen geladen und von Pferden gezogen. Die Sägemühle wurde mit Dampf angetrieben, die Schneideblätter für die Sägeanlage kamen aus Deutschland. Der Umsatz der Produktion machte 1910 100 000 Rubel und 85 000 Rubel (1914) aus.
Gegen Ende des 19. Jh. erlangte die Siedlung die Merkmale einer Provinzstadt mit entwickeltem Produktions- und Geschäftssektor. Auf Anregung des Stadtverordneten von Alexandrowsk Heinrich Janzen wurde auf der Strecke zwischen Chortitza und Schönwiese der Automobilverkehr eröffnet. Von weiteren Entwicklungsperspektiven von Chortitza zeugt auch die Gründung 1910 eines Kreditverbandes mit 40 Mitgliedern (1912). In Chortitza hatte die Filiale einer von Niebuhr 1904 gegründeten Bank ihren Sitz.
Religiöses Leben
Die religiöse Praxis machte den wichtigsten Bereich im Alltagsleben der Gemeinden und in der Weltanschauung der Mennoniten aus. Die Suche nach Glaubensunabhängigkeit war generell einer der wichtigsten Beweggründe für die Auswanderung der Mennoniten nach Russland. Erst in ihren neuen Siedlungsstätten angekommen, kümmerten sich die Mennoniten sofort um die Errichtung eines Bethauses. Die ersten religiösen Versammlungen fanden in Chortitza in einer stillgelegten Mühle statt. Für die schnellstmögliche Errichtung eines gesonderten Raums wurde eine Geldreserve angelegt und der Bezug der Baustoffe organisiert. Jedes Gemeindemitglied sollte für die Errichtung des Bethauses 5 Kopeken Geld und einen Holzbalken beisteuern. Der Großteil der Siedler, die Chortitza gründeten, gehörte zur Gruppe flämischer Mennoniten. Der erste Gemeindevorsteher war Behrend Penner (1788–1791), danach bekleideten diesen Posten Johann Wiebe, Jakob Dyck, Isaak Dyck. 1835 wurde ein neues Gebäude errichtet, das in seiner Funktion bis 1933 genutzt wurde. Der Entwurf wurde von der Kongregation des Dorfes Heubuden (Preußen) übernommen. Das erste Gebäude, das für die Zwecke der Gemeinde zu knapp wurde, wurde ausgebaut und ins Dorf Schirokoje (Neuendorf) verlegt. Die Kirche von Chortitza entwickelte sich zum Zentrum des religiösen Lebens des gesamten Wolost. 1898 unterhielt der Hauptprediger der Kirche Kontakte zu 50 Predigern und Diakonen. 1907 zählte die Kirchengemeinde 3500 Mitglieder.
Die letzten mennonitischen Gemeindevorsteher waren Peter Neufeld (1914–1922), David Epp (1927), Heinrich Winter (1941).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an der Stelle des zerstörten Bethauses ein Kulturhaus errichtet, in dessen Räumen am 27. Mai 1999 während der Internationalen Wissenschaftskonferenz „Chortitza-99“ eine Gedenktafel mit der Information über die dort einst errichtete Kirche angebracht wurde.
Chortitza als Kultur- und Verwaltungszentrum
Im Raum von Chortitza befand sich die Chortitzaer Bezirksbehörde der Mennoniten, von der die Fragen des internen Lebens der Gemeinde im gleichzeitigen Kontakt mit der Bevölkerung und der Zentralverwaltung geregelt wurden. Hierher kamen aus der gesamten Wolost zahlreiche Zuschriften, Klagen und Bittschriften. Chortitza war Sinnbild und Visitenkarte der gesamten Wolost. In Chortitza steht auch heute das Gebäude der Wolost-Verwaltung, das früher in der Mitte der Siedlung stand. Gerade dort wurde anlässlich des 100. Gründungstages der Kolonien ein Denkmal für erste Siedler aufgestellt.
Nach und nach entwickelte sich Chortitza zu einem Verwaltungs- und intellektuellen Zentrum. Laut der für Mennoniten üblichen traditionellen Erziehungs- und Bildungspraxis wurden bei den Bethäusern Schulen für Kinder aufgemacht, die für Gemeindemittel finanziert wurden. In den ersten Jahren des Bestehens der Kolonien in Chortitza und Rosental wurden 4 Schulen eröffnet. 1842 wurde auf Anregung von Heinrich Heese und auf Beschluss der Chortitzaer Bezirksbehörde der Mennoniten eine zentrale Fachschule eröffnet, wo die Lehrkräfte mit Russischkenntnis für zahlreiche in einzelnen Siedlungen eröffnete Mennoniten-Schulen herangebildet wurden.
Im gleichen Jahr erhielt die Fachschule ein neues Gebäude. Als erste Lehrer waren H. Heese, H. Franz, H. Epp, W. Penner, J. Epp, P. Rediger, Ja. Klassen, J. Penner, А. Neufeld tätig. Bis 1914 unterrichteten dort P. Penner, D. Epp, Ja. Klassen, H. Dyck, J. Frese, A. Vogt, A. Wiebe, Schalawskij, J. Klein, P.W. Busuck, H. Dyck. Die Zahl der Lernenden in den Schulen machte 52 (1872–1873); 90 (1876–1877); 183 (1900–1901); 180 (1906) aus. Das Budget der Schule belief sich 1903–1904 auf 13750 Rubel. Im Zeitraum von 1891–1903 wurden hier 90 Lehrer ausgebildet. 1920–1930 funktionierte auf der Basis der Schule eine deutsche 7-Klassen-Schule für Arbeiterjugend.
1890 wurde bei der zentralen Fachschule eine pädagogische zweijährige Musterschule eröffnet. Für diese Musterschule wurde ein gesondertes Gebäude erbaut, wo die Lehrkräfte ihr pädagogisches Können in der Praxis unter den Bedingungen einer Musterschule verbessern konnten. 1906 zählte die Musterschule 180 Studierende, 1910 waren es 35. Seit 1911 wurde die Ausbildungszeit auf 3 Jahre erhöht. Bis zum 20. Oktober 1913 wurde auf der Grundlage dieser Musterschule ein pädagogisches Lehrerseminar eröffnet. Seine Eröffnung fand anlässlich des Jahrestages der Regierungszeit der Dynastie Romanow statt. Das 1912 errichtete Gebäude des Lehrerseminars kostete die Gemeinde 20 000 Rubel. In der Zeit zwischen den Kriegen wurde dieses Gebäude in die deutsche pädagogische Fachschule von Chortitza umgewandelt (es ist erhalten geblieben und wird als eines der Gebäude der Mittelschule Nr. 81 von Saporoschje genutzt). Zu damaliger Zeit war dies die führende Bildungsstätte für die Heranbildung der Deutschlehrer und sonstigen Lehrkräfte für deutsche und Mennoniten-Siedlungen.
1895 wurde auf Initiative der Lehrer der zentralen Schule Neufeld und der Kongregation von Jekaterinoslaw ein Mädchengymnasium gegründet, das 1904 in Hochschule für Frauen umgewandelt wurde. Zum Präsidenten des Projekts wurde der erbliche Ehrenbürger von Jekaterinoslaw Johann Thiessen ernannt, als Schatzmeisterin fungierte Katharina Wallmann, Ehefrau eines renommierten Unternehmers, die 100 000 Rubel für die Errichtung der Schule spendete. Zu gleicher Zeit wurde das Gebäude dieser Schule errichtet, das bis heute erhalten geblieben ist und als eines der Gebäude der Mittelschule Nr. 81 von Saporoschje genutzt wird (Kominternowskaja Str.). Der Unterricht in den Bildungseinrichtungen wurde bis 1938 deutschsprachig und danach auf Russisch erteilt. Nach der Revolution von 1917 wurde in Chortitza eine Fachschule für Maschinenbau eröffnet. Die Bildungseinrichtungen von Chortitza dienten gleichzeitig als Quellen kultureller Innovationen in der Region. So wurde z. B. 1910 in der Hochschule für Frauen in Chortitza die erste Gesellschaft der Naturschützler Russlands eröffnet (davon informiert eine im Schulgebäude angebrachte Gedenktafel). In der Zeit der Modernisierung der gesamten Region wurden von den Bewohnern der Kolonie dank einem recht hohen Bildungsniveau im Raum der Mennoniten-Kolonien und insbesondere in Chortitza beträchtliche wirtschaftliche Erfolge erzielt.
Zwischennationale Beziehungen
Lange Zeit hatte Chortitza den Charakter einer konfessionell geschlossenen Siedlung. Jedoch öffnete sich das Leben nach und nach. Zum Jahr 1914, als die Bevölkerungszahl von Chortitza und Rosental jeweils 1 594 und 1 773 Personen ausmachte, lebten dort ca. 500 Ukrainer und Russen. Die meisten von ihnen waren in zahlreichen Produktionsbetrieben beschäftigt. Von örtlichen Gutsbesitzern, die einerseits am ethnischen Frieden und andererseits an der Loyalität lokaler Behörden interessiert waren, wurde im Raum Chortitza die orthodoxe St..-Nikolaus-Kirche (1899) errichtet. Dabei wurde eine Abendschule für Arbeiter und eine Kirchenschule für ihre Kinder eröffnet.
Zu Beginn des 20. Jh. entfalteten die Adventisten ihre Tätigkeit im Raum der Siedlung. Etwas früher wurde um die Jahrhundertwende eine Synagoge erbaut. Die Juden in Chortitza waren meistens als Handwerker tätig.
Von der örtlichen Bevölkerung wurde den Mennoniten oft vorgeworfen, dass diese in Chortitza nach ihrer Niederlassung alle Bäume im Siedlungsraum abholzten. Möglicherweise war Vorwurf nicht unbegründet. Bekanntlich hatte für die Kolonisten die Errichtung der Wohnhäuser vorrangige Bedeutung, denn davon hing das Überleben ihrer Familien im kalten Winter ab. Zu damaliger Zeit bestand ein Mangel an Baustoffen. Jedoch nahmen die Mennoniten auf Forderung des Fürsorgekontors an der Baumpflanzung teil. Im Raum von Chortitza stand eine uralte „Saporoscher“ Eiche, die von den Mennoniten in erster Linie als ein Sinnbild von Chortitza und daher auch als ihr ureigenstes Sinnbild empfunden wurde. In den Jahren des Bürgerkrieges wurde diese Eiche von den Mennoniten vor Vernichtung gerettet.
Chortitza in den Jahren des Ersten Weltkrieges
Die früher verborgen bleibenden Widersprüche der zwischennationalen und zwischenkonfessionellen Beziehungen kamen in den Jahren der deutschfeindlichen Kampagne von 1914–1917 zur Geltung. Im Januar 1916 beschloss die Semstwo-Versammlung des Gouvernements Jekaterinoslaw, eine Ausdehnung des Gesetzes vom 13. Dezember 1915 auf den gesamten Raum des Reiches einschließlich des Gouvernements Jekaterinoslaw zu beantragen. Die Liquidationsgesetze von 1914–1915 eröffneten Möglichkeiten für Missbrauch und Willkür der Behörden gegen das Eigentum der Mennoniten an Grund und Boden sowie gegen private Produktionsunternehmen, 1916 wurde von der Verwaltung von Alexandrowsk dem Gouvernement-Semstwo ein Vortrag mit der Begründung der Notwendigkeit vorgelegt, den Mennoniten die Kolonien Chortitza, Kitschkas und Kanzerowka abzukaufen. Zu gleicher Zeit erfolgte eine Bewertung von Bauten dieser Kolonien, bei der ihr Wert mit 2 210 705 Rubel angesetzt wurde. Darin war auch der Wert von Produktionsstätten der Kolonien enthalten. Die Ergebnisse der Tätigkeit dieser Kommission sind in Tabelle 3 aufgeführt.
Obwohl von den Siedlern bei einer Dorfversammlung von Chortitza und Kitschkas beschlossen wurde, die Kolonie nicht freiwillig zu verkaufen, fand am 29. Dezember 1916 eine gemeinsame Sitzung der Stadtverwaltung Alexandrowsk und einer Sonderkommission für käuflichen Erwerb durch die Stadtverwaltung von Ländereien mit allen darauf stehenden Bauten der Eigentümer statt. Am 2. Februar lief die gesetzlich festgesetzte Frist für den freiwilligen Verkauf des Vermögens durch die Siedler aus. In Falle einer Weigerung sollte die Veräußerung des Vermögens an Dritte Person nach Ermessen der Behörden ohne Berücksichtigung seines realen Wertes erfolgen. Die Kommission gelangte zum Schluss über die Anwendung auf das Vermögen der Mennoniten prozentueller Nachlässe (30% für Werke und Produktionsbetriebe, 20% für Grund und Boden und kleinere Hofbauten). Besondere Beachtung wurde von der Regierung den im Eigentum der Mennoniten liegenden Maschinenbauproduktionen geschenkt. In einem 1917 erstellten Bericht des Komitees der Südwestfront „Über Herstellung durch den Semstwo von Landmaschinen und -geräte“ hieß es, dass sich die meisten Produktionen dieser Erzeugnisse im Eigentum der Ausländer befinden. Der Verfasser dieses Berichts gab zu, dass „unpraktisches Wesen und besondere seelische Veranlagung der Russen“ den Aufbau der Fabriken, Werke und sonstigen Produktionen behinderten. Die Besitzer vieler Mennoniten-Unternehmen versuchten mit allen Kräften, ihren Patriotismus zu zeigen. Im Herbst 1914 stellte „Lepp und Wallmann“ einen Motor und eine Dreschmaschine an 60 Bauernfamilien zur Verfügung, deren Männer an der Front kämpften. 1916 stellten die Besitzer der Produktionsstätte Mittel für den Unterhalt von Forsttrupps (6 564 Rubel), Hilfsgelder für Soldatenfrauen (144,75 Rubel), für ein mobiles Lazarett (100 Rubel), für die Behandlung der verwundeten Soldaten (2 400 Rubel), materielle Hilfe für die Waisenkinder in den Familien der gefallenen Soldaten (225 Rubel), für eine Kirche in Kopy (53 Rubel), zur Verfügung, übergaben kostenfrei einen Motor und eine Dreschmaschine für die Nutzung durch die Reservistenfamilien, Außerdem wurden die Soldatenfamilien mit monatlicher materieller Hilfe versorgt.
Die Produktionsstätten der Mennoniten übernahmen Fertigungsaufträge der Militärbehörden. Die Militäraufträge für die Fabrik „Lepp und Wallmann“ wie auch die für andere im Besitz der Mennoniten befindlichen Produktionen kamen durch die Tätigkeit des Militär-Industrie-Komitees von Alexandrowsk zustande, der sich als aktivste Einrichtung im Raum der südlichen Gouvernements engagierte. Für strategische Zwecke wurden die Werke „Lepp und Walmann“ und die Fabriken von A. Ja. Koop im November 1916 zusammengelegt. Das daraus entstandene Konzern „Lepp, Wallmann und Koop“ unterzeichnete eine Reihe der Verträge mit der Petersburger Hauptverwaltung für Artillerie und dem Militär-Industrie-Komitee von Alexandrowsk über die Fertigung der Geschosse verschiedener Modifikationen. 1916 wurden vom Werk „Koop“ Produkte im Wert von 1 366 651 Rubel hergestellt, dabei machten die Militärerzeugnisse einen Wert von 1 326 651 Rubel aus; 1917 produzierte das Werk Erzeugnisse im Wert von 1 467 979 Rubel (Werk in Alexandrowsk) und 178 723 Rubel (Werk in Kitschkas). Das Produktionsvolumen des Unternehmens „Koop“ verfünffachte sich gegenüber dem Vorkriegsstand. Neben den Geschoßkörpern wurden in der Fabrik Fuhrwerke von zwei Typen hergestellt. Kurz vor dem Krieg wurden von den Eigentümern der Fabriken „Koop“ neue Gießerei- und Schmiedehalle aufgebaut, was eine Grundlage für die Zusammenlegung von „Lepp-Walmann“ und „Koop“ bildete. Der Jahresumsatz von „Lepp und Wallmann“ erreichte 1917 den Wert von 1 557 530 Rubel. Das Kapital ihrer Aktiengesellschaft verdoppelte sich und erreichte 2 400 000 Rubel.
Ferner wurden in die Produktion der Verteidigungserzeugnisse das Unternehmen „Hildebrand und Priess“ und die Mühlen von Niebuhr einbezogen.
Chortitza in der Zeit nach der Revolution
Die Ereignisse der Revolution und des Bürgerkrieges wirkten sich ebenfalls auf das Schicksal der Siedlung aus. Unter den Umständen von 1917–1920 gerieten die Mennoniten-Siedlungen in eine Situation, die mit allmählichem Verlust konfessioneller Identität verbunden war, sie hatten keine freie Wahl und konnten auf das Geschehen keinen Einfluss nehmen. Beim Bürgerkrieg erlitt die Kolonie keine großen Zerstörungen, obwohl sie mehrmals von der „Bauernarmee“ von N. Machno heimgesucht wurde, wobei den Siedlern bei diesen Überfällen Nahrung und Vieh massiv weggenommen wurden. Nach einem solchen Überfall von 1919 blieb in Chortitza ein einziger Pferdewagen übrig. Im Laufe dieser Ereignisse von 1919 kamen 13 Mennoniten ums Leben.
1921–1923 musste die Siedlung an Hunger leiden, jedoch blieben den Siedlern dank der Tätigkeit der Wohlfahrtsorganisationen „Amerikanische Mennonitenhilfe“ und „Holländische Mennonitenhilfe“ seit dem Frühjahr von 1922 große Opfer erspart. Die erste kostenfreie Kantine wurde im Haus des Besitzers einer Sägemühle Ja. Dyck eröffnet, in der täglich 120 Personen kostenfrei verpflegt wurden.
Der wirtschaftliche Höhepunkt von 1913 war in Chortitza in der Sowjetzeit schon nicht mehr erreichbar. Überdies wurden hier während der Kollektivierung (1929–1932) 16 Haushalte der Entkulakisierung unterzogen, den Betroffenen wurden 231 Dessjatinen Land, eine Mühle, Landmaschinen im Wert von 2 210 Rubel, 29 Pferde und 10 Kühe weggenommen. Insgesamt wurden aus der Siedlung Chortitza in der Zeit von 1929–1941 327 Personen in verschiedene Gebiete des Landes verlegt.
In der Mitte der 1920er Jahre nahmen die Bewohner von Chortitza aktiv am Auswanderungsprogramm des „Verbandes der Nachkommen holländischer Auswanderer in der Ukraine“, einer Mennoniten-Agrargenossenschaft mit geschlossenem ethnischen Charakter teil, die im Raum der Kolonie eine ihrer Niederlassungen hatte. Die Aktivitäten der Genossenschaft hatten Kompromiss-Charakter und stellten einen Versuch dar, die durch die Neue Ökonomische Politik (NÖP) gewährten politischen und ökonomischen Rechte wahrzunehmen. Für die Wiedergeburt der Wirtschaft übernahm der Verband die Funktion der wirtschaftlichen und politischen Interessenvertretung der mennonitischen Bevölkerung. Die Auswanderung war für die Mennoniten eine notgedrungene Maßnahme sowie eine Möglichkeit, ihre religiöse Identität unter den Bedingungen der atheistischen, wirtschaftlichen und politischen Kontrolle seitens der bolschewistischen Macht zu bewahren. 1923 und 1924 wanderten aus Chortitza und Rosental jeweils 93 Familien (154 Personen) und 28 Familien (145 Personen) aus.
1925 zählte Chortitza 167 Gehöfte und 1 654 Bewohner, in Rosental gab es 139 Gehöfte und 1 386 Bewohner. Im Vorfeld der Massenkollektivierung entstanden im Dorf mehrere Kollektivwirtschaften wie „Rote Fackel“, „Eintracht“ (1928), „Kolonist“ (1929), „Zusammenschluss“ (1929), „Die Ähre“ (1929), „1. Mai“. Dabei hatten sie bereits multinationalen Charakter. Geleitet wurden sie von speziell ernannten Funktionären, den vorwiegend die aus der Stadt entsandten Arbeiter (die sogenannten 25-Tausend-Kommissare). Diese Wirtschaften betätigten sich vorwiegend im Bereich der Viehzucht. Die neue Macht bemühte sich, die in Russland gesammelten Erfahrungen der Mennoniten im Bereich der Viehzucht zu nutzen. In der Zeit der Kollektivierung wurden in Chortitza bei einer der Kollektivwirtschaften die Kurse der Traktorfahrer (1931) eröffnet, wo sowohl Deutsche wie auch Ukrainer geschult wurden.
Im Laufe der Massenkollektivierung entstanden die ersten Kolchosen (Kollektivwirtschaften) wie „3. Internationale“, „Friedrich Engels“, und „Rote Fahne“. Die Kolchosen zeichneten sich durch wirtschaftliche Stabilität aus und wurden von der Macht als wohlhabend anerkannt.
Gegen Ende der 1930er Jahre funktionierten in Chortitza ein Kino für 170 Plätze, eine Bibliothek, 3 Chöre, ein Blas- und ein Streichorchester.
In der Zwischenkriegszeit veränderte sich mehrmals die administrativ-territoriale Zuordnung der Siedlung. 1923 ging die Wolost Chortitza in den Bezirk Chortitza des Kreises Saporoschje ein, am 19. September wurde der Deutsche Nationalrayon Chortitza mit einer Bevölkerungszahl von 18 485 Personen gegründet, von denen 11 815 Personen deutschsprachig waren. In den Rayon gingen deutsche Dorfsowjets der um Chortitza liegenden Siedlungen ein. Chortitza wurde zum Verwaltungszentrum des Bezirks und des Dorfsowjets Oberchortitza, jedoch wurde der Deutsche Nationalrayon Chortitza bereits am 2. September 1930 laut Erlass des Gesamtukrainischen Zentralen Exekutivkomitees aufgelöst und die dazugehörenden Dorfsowjets an den Stadtsowjet Saporoschje angeschlossen. In den Dokumenten der Staats- und Parteiorgane fehlen jegliche Angaben über die Gründe dieser administrativen Änderungen. Eine der Annahmen lautete, dass dies angeblich durch seine Nähe zur DneproGES (Wasserkraftwerk) bedingt war.
Die Errichtung von DneproGES übte auf das Bestehen von Chortitza als einer Mennoniten-Siedlung keinen eindeutigen Einfluss aus. Nach Chortitza kamen zahlreiche Arbeiter, die für die Baustelle engagiert wurden. Dort wurden viele Produktionsobjekte errichtet, deren Betrieb mit der Bedienung dieses strategischen Vorhabens verbunden war, was auch den Charakter der Siedlung veränderte. Von den Behörden wurde die deutschstämmige Bevölkerung als Bedrohung der politischen Stabilität des Staates betrachtet. Deutsche Kolonien unterhielten enge Beziehungen zu geistesverwandten Gemeinden Deutschlands, der USA, Kanadas, Hollands, was sie aus der Sicht der Behörden zu möglicher Basis für die Sabotage des kapitalistischen Westens gegen den Sowjetstaat machte.
Chortitza in den Jahren des Zweiten Weltkrieges
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und des Großen Vaterländischen Krieges begann die Deportation der deutschstämmigen Bevölkerung der UdSSR in östliche Bezirke des Landes. Am 31. August 1941 wurde vom Politbüro des ZK der WKP(b) die Frage „Über die im Raum der Ukrainischen SSR lebenden Deutschen“ erörtert, dabei wurde eine Verordnung beschlossen, der zufolge in 9 Gebieten (einschl. Gebiet Saporoschje) alle „antisowjetischen Elemente“ unter der deutschstämmigen Bevölkerung zu verhaften und alle deutsche Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren in Bau-Bataillons einzuziehen. Am 22. September 1941 wurde vom Staatlichen Komitee für Verteidigung die Verordnung Nr. GKO-702сс „Über Übersiedlung der Deutschen aus den Gebieten Saporoschje, Stalino und Woroschilowgrad“ verabschiedet. Jedoch blieb die deutschstämmige Bevölkerung aus Chortitza und den naheliegenden Kolonien wegen stürmischer Entwicklung der Kampfhandlungen zum größten Teil von der Deportation verschont, es wurden nur 187 Personen deportiert.
Laut den Angaben des Sonderkommandos unter Dr. K. Stumpp zählte das Dorf 1942 557 deutsche Familien (vor dem Krieg waren es 586). Die nationale Zusammensetzung der Bevölkerung war wie folgt: 2 022 Deutsche, 6 180 Ukrainer, 402 Juden sowie 3 Vertreter weiterer Nationalitäten. Im Dorf wurde eine Kommandantur und die Bezirksverwaltung unter Vorsitz von J. Epp eingerichtet, ein Lazarett für deutsche Soldaten eröffnet und Polizeidienst eingeführt. Die Mennonitenkirche nahm den Gottesdienst wieder auf (der letzte mennonitische Prediger, der den Gottesdienst in den Kriegsjahren durchführte, war Jegor Sawadskij), in Chortitza funktionierten 5 mennonitische Gemeinden. 1941–1943 arbeiteten im Dorf 3 Schulen mit 375 Lernenden, der Unterricht wurde von 17 deutschstämmigen Lehrern erteilt. Im Dorf funktionierte ein spezielles Lehrerlager für die Heranbildung der Lehrkräfte. 1942 wurde das 100. Jubiläum der zentralen Schule von Chortitza begangen. Dies wurde als politischer Anlass genutzt und wurde unter der Leitung des Generalkomissariats von Dnepropetrowsk begangen. 1942 wurde das Dorf von den Vertretern der obersten Macht Hitlerdeutschlands und dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete A. Rosenberg und dem Reichskommissar der Ukraine E. Koch besucht.
1943 wurde die deutschstämmige Bevölkerung nach Deutschland verlegt. Dies fand vom 29. September bis 20 Oktober 1943 statt. Insgesamt wurden ca. 11 700 Personen verschoben. Von der gesamten verlegten Bevölkerung zogen ca. 4000 Personen nach Kriegsende nach Kanada und in die USA, manchen weiteren gelang es, sich in Deutschland niederzulassen, ca. zwei Drittel wurden jedoch zurück nach Russland deportiert und in die Ostgebiete des Landes geschickt. 1956 konnte nur A. D. Kampen als einziger Dorfbewohner in sein Heimatdorf zurückkehren.
Zurzeit sind die beiden früheren Siedlungen Chortitza und Rosental ein Teil des Bezirks Leninskij der Stadt Saporoschje und gehören am rechten Ufer des Dnepr zum Nordwestteil der Stadt.
Als Erinnerung an die einstige Mennoniten-Siedlung blieben zahlreiche Denkmäler der materiellen Kultur wie Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Schulen, Produktionsanlagen, Wirtschaftsbauten etc. bestehen.