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DER AUFSTAND DER KOLONISTEN von 1919 im Gouvernement Cherson

Rubrik: Politische Geschichte

DER AUFSTAND DER KOLONISTEN von 1919 im Gouvernement Cherson, ein bewaffneter Aufstand der deutschen Kolonisten in den Ujesds (Kreisen) Odessa, Tiraspol und Wosnessensk im Gouvernement Cherson (26. Juli – 20. August 1919) gegen die Sowjetmacht.

Nach der Errichtung der Sowjetmacht Ende März – Anfang April 1919 im gesamten Gouvernement Cherson hat man begonnen, die Politik des „Kriegskommunismus“ in den deutschen Kolonien dieser Region umzusetzen. Die Kolonien standen unter Lebensmittel-Ablieferungspflicht. Außerdem waren die Kolonisten zu allerlei Diensten, wie etwa Arbeits- und Spanndienst, verpflichtet. Die wichtigsten „Verbreiter“ der Politik des „Kriegskommunismus“ in den deutschen Kolonien waren ehemalige deutsche und österreichisch-ungarische Kriegsgefangene – Mitglieder der kommunistischen Gruppe „Spartakus“. Personen, deren Bodenbesitz fünf Dessjatinen überstieg, wurden zur Wahl der Deputierten zu den Dorf- und Wolostsowjets nicht zugelassen. Das Wahlrecht wurde somit den meisten Kolonisten aberkannt. Ein Teil von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Geschäftsleuten, Großgrundbesitzern und Priestern aus den Reihen der deutschen Kolonisten wurde auf Urteile des Außerordentlichen Revolutionstribunals, die unter dem Vorsitz von Ja. B. Gamarnik in Odessa traf, verhaftet und Repressalien ausgesetzt.

Im Zusammenhang mit der beginnenden Offensive der Weißen Armee unter General Anton Denikin im Sommer 1919 im Süden von Russland ordneten sowjetische Behörden eine Zwangseinberufung der Kolonisten zur Roten Armee an. All dies führte zu einer tiefen Unzufriedenheit bei der Mehrheit der deutschen Kolonisten.

Den Anlass zum bewaffneten Aufstand der Kolonisten lieferten gewalttätige Handlungen der „Spartakisten“ in der Kolonie Großliebental. Am Morgen des 26. Juli 1919, als die meisten Einwohner der Kolonie beim Gottesdienst in einer örtlichen Kirche waren, drang eine Gruppe von 16 „Spartakisten“ in die Kolonie ein und begann mit Hausdurchsuchungen und Plünderungen. Die empörten Kolonisten, geleitet vom Vorsteher der Wolost Großliebental des Ujesds Odessa, töteten fast alle Gruppenmitglieder. Aus Owidiopol kam ein Panzerzug mit chinesischen Rotarmisten, die den Aufstand unterdrücken sollten. Die Aufständischen zerstörten die Gleisanlage, nahmen dem Panzerzug auf diese Weise die Möglichkeit für den Rückzug und erbeuteten ihn. Eine etwa 300 Mann starke Strafabteilung, die von Odessa nach Großliebental beordert wurde, erlitt bei einem erbitterten Gefecht ebenfalls enorme Verluste. Von der gesamten Abteilung kehrten nur 75 Mann lebend nach Odessa zurück. Unter den Gefallenen befand sich auch der Kommandant von Odessa, der namhafte Bolschewik P.P. Misikewitsch.

Die Ereignisse in Großliebental lieferten eine Art Signal zum Aufstand in den Kutschurganer Kolonien. Am 29. Juli 1919 brach der bewaffnete Aufstand im Amtsbezirk Mannheim, in dem sich der zentrale Mobilisationspunkt befand, aus. Die Aufständischen waren junge Kolonisten, die zum Wehrdienst in der Roten Armee einberufen wurden. Auf eine besonders grausame Weise töteten sie „Spartakisten“ und chinesische Rotarmisten. Am 30. Juli griff der Aufstand auf die benachbarten Kolonien Selz, Straßburg, Kandel und Baden über.

Die Aufständischen besetzten die Eisenbahnstation Kutschurgan und haben damit den Zugverkehr zwischen Tiraspol und Odessa lahmgelegt. Die Kutschuganer Kolonisten wurden von dem Einwohner der Kolonie Selz K. Keller und seinen Helfern, dem Lehrer Schewelej aus der Kolonie Kandel und Kolonist Rotecker, geleitet. Die meisten Aufständischen waren mit Jagdgewehren bewaffnet, nur wenige hatten Gewehre mit einer begrenzten Menge an Munition. Die Kampffähigkeit der Aufständischen erhöhte sich dank den Kolonisten Wangler und Schlosser, die sich den Aufständischen anschlossen. Sie wurden zur Roten Armee einberufen und gehörten zu einer Panzerfahrzeugbesatzung.

Anschließend griff der Aufstand auf die nördlich gelegenen Kolonien der Wolost Glückstal und Wolost Hoffnungstal über. In mehreren Gegenden wurden die deutschen Aufständischen von bulgarischen Gemüsegärtner-Kolonisten der Wolost Sewerinowka tatkräftig unterstützt. Die Aufständischen errichteten einen Sonderstab, den sogenannten „Zehnerrat“ mit Kolonisten Weimer, Fucks und Pehr an der Spitze. Versuche, die Zusammenarbeit mit rumänischen Behörden in Bessarabien in Gang zu bringen, erwiesen sich jedoch als ergebnislos. Rumänische Machtorgane erklärten ihre Neutralität.

Der Aufstand der Kolonisten führte dazu, dass die sowjetischen Behörden die Kontrolle über weite Gebiete verloren haben. Eisenbahnlinien nördlicher Richtung wurden permanent angegriffen, die Lebensmittel-Ablieferung wurde unterbrochen. Die Einberufung zur Roten Armee wurde zum Scheitern gebracht und es gab in den schon vorher aufgestellten Truppenteilen Militärflüchtlinge. So hat sich die 46. Schützendivision, die in hohem Maße aus deutschen Kolonisten bestand, nach dem Aufstand völlig aufgelöst. All dies geschah vor dem Hintergrund militärischer Erfolge der Armee unter General Denikin, deren Einheiten bereits den Fluss Dnjepr erreicht hatten. Daher war das Kommando der Roten Armee gezwungen, die an der Front dringend benötigten Truppenteile abzuziehen und in das eigene Hinterland zwecks schnellstmöglicher Niederschlagung des Kolonistenaufstandes zu verlegen. Eingesetzt wurden Teile der Schützendivisionen 45, 47, 58 sowie Einheiten aus Otschakow, Odessa und Nikolajew. Dadurch wurde die Verteidigung der Seeküste geschwächt. Anfang August 1919 gelang es einem großen Truppenteil Rotarmisten mit Geschützen und Maschinengewehren ausgerüstet, Abteilungen der aufständischen Kolonisten unter Großliebental auseinanserzutreiben. Durch Kämpfe aber auch durch Erschießungen der Gefangenen sind 138 deutsche Kolonisten in Großliebental ums Leben gekommen. Am 4. August brach die Kavallerie-Brigade von G. I. Kotowski, mit Unterstützung der Artillerie, durch die Verteidigungslinie der Kutschurganer Kolonisten und eroberte die meisten Siedlungen in der Gegend. In den besetzten Kolonien kam es zu Erschießungen aufständischer Kolonisten und friedlicher Bürger. Nach unvollständigen Angaben wurden 72 Menschen in Selz, acht Menschen in Baden und vier Menschen in Kandel erschossen. In Straßburg wurde ein Mensch erschossen. In zwei Dörfern der Wolost Kutschurgan – Fischer-Franzen und Neu-Schlössel – wurden 17 Menschen erschossen. Gleichzeitig unterdrückten die Rotarmisten den Aufstand in Glückstal und Hoffnungstal. In diesen Kolonien wurden bei den Gefechten und Strafaktionen etwa 150 Menschen getötet.

Nachdem der Aufstand der Kolonisten in den Ujesds Odessa und Tiraspol unterdrückt worden war, kam es überraschenderweise zum bewaffneten Aufstand der Kolonisten van Berezan’. Am 7. August 1919 entwaffneten die Aufständischen eine Gruppe von 22 sowjetischen und Parteifunktionären, die sich mit der Einberufung zur Roten Armee beschäftigten. Einige von ihnen wurden erschossen. Die aus Nikolajew und Odessa beorderten Einheiten von Tschekisten und Miliz konnten die Aufständischen nicht aufhalten und waren gezwungen, sich zurückzuziehen. Dabei mussten sie einige ihrer Waffen, einschließlich Maschinengewehre, einfach liegenlassen.

Zur Niederschlagung des Aufstandes war das Kommando der Roten Armee gezwungen, zusätzliche Einheiten aus den Standorten von Otschakow und Nikolajew sowie aus der 2. Brigade der 47. Schützendivision einzusetzen. Am 9. August, nach einem siebenstündigen Gefecht, gelang es den sowjetischen Truppenteilen, die Aufständischen aus den Kolonien Krasna, Popelnaja (Hoffnungsburg), Wassiljewka (Wilhelmstal) und Adamowka (Alexandertal) zu verdrängen.

Bei einem weiteren Vormarsch stieß die Rote Armee jedoch auf einen starken Widerstand der Kolonisten der Wolost Landau, die von Offizieren der ehemaligen Russischen Armee geleitet wurden. Erst mit zusätzlichen Einheiten und Artilleriewaffen konnte das sowjetische Kommando durch die Verteidigung der Kolonisten brechen. Bei den Gefechten erlitten die Kolonien einen erheblichen Materialschaden. Bei der Artilleriebeschießung wurden in Karlsruhe 45, in Waterloo 83 und in Katharinental 56 Wohnhäuser zerstört. Bis zum 21. August wurde der organisierte Widerstand der Kolonisten von Landau komplett gebrochen.

Der Abzug und die Verlegung vieler Truppenteile der Roten Armee zwecks einer Niederschlagung des Kolonistenaufstandes war einer der Gründe für die erfolgreiche Offensive von Denikins Truppen an der Schwarzmeerküste. Am 13. August verließen Einheiten der Roten Armee Cherson, am 18. August Nikolajew und am 23. August Odessa. An den Gefechten in westlichen und südlichen Vororten von Odessa nahmen die Aufständischen von Großliebental und Kutschurgan teil, die ihre in schweren Kämpfen arg mitgenommenen Formationen wieder aufgefüllt hatten. 

Literatur

Лекишвили С. В застенках у белых и желтых, Тифлис, 1930, с. 7–10; Безносов А.И. К вопросу об участии немецких колонистов и меннонитов в гражданской войне на юге Украины (1917–1921), в кн.: Вопросы германской истории. Немцы на Украине. Материалы украинско-германской научной конференции, Днепропетровск, 26–29 сентября 1995 г., Днепропетровск, 1996; Безносов А.И. Защита или нападение: участие причерноморских немцев в вооруженной борьбе в годы гражданской войны 1918–1920 гг. // Два с половиной века с Россией: актуальные проблемы и дискуссионные вопросы истории и историографии российских немцев: Материалы 14-й Международной научной конференции, Кисловодск, 25–29 сентября 2013 г. – М.: МСНК-пресс, 2014. – С. 356–358; Щетенко Л.Л. Iз iсторii нiмецьких колонiй на Пiвднi Украïни, Заселення Пiвдня Украïни: проблеми нацiонального та культурного розвитку. Науковi доповiдi. Мiжнародна конференцiя. Частина друга, Херсон; Шкляев И.Н. К оценке мятежа в немецких колониях Южного Поднепровья, в кн.: Проблемы истории и археологии Нижнего Поднепровья. Тезисы, доклады и сообщения научно-практической краеведческой конференции, ч. 1, История, Белгород-Днестровский, 1990; Beznosov A. Für sich selbst: Selbstschutz und bewaffnete Formationen der deutschen Kolonisten in der Ukraine (1918–1921) // Loyalität, Legitimität, Legalität Zerfalls-, Separations- und Souveränisierungsprozesse in Ostmittel- und Osteuropa. 1914–1921. Hg. von Alfred Eisfeld und Konrad Maier, Wiesbaden, 2014. – S. 44–47; Heimatbuch der Deutschen aus Rußland. 1956, Stuttgart, 1956, S. 35–36; Heimatbuch der Deutschen aus Rußland. 1962, Stuttgart, 1962, S. 51; Neusatz H., Erka D. Ein deutscher Todesweg, Berlin, 1930, S. 87–89.

Archive

ГА Николаевской обл., ф. р–2737, оп. 1, д. 1; ГА Одесской обл., ф. р. 1083, оп. 1, д. 180а.

Autoren: Besnossow A.

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