“KAMPF GEGEN DIE FÄLSCHUNG DER GESCHICHTE“ (“Kampf gegen die Fälschung der Geschichte der ASSR der Wolgadeutschen und ihrer Parteiorganisation), in den 1930er Jahren aufgrund eines der Geschichte der WKP(b) gewidmeten Schreibens J. Stalins („Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus“, 1931) betriebene ideologische und politische Kampagne zur Revision der Geschichte der ASSR der Wolgadeutschen und der Gebietsparteiorganisation der WKP(b). Das Ziel der Kampagne bestand darin, die Geschichte der deutschen Wolgaautonomie und ihrer Parteiorganisation auf Grundlage des von Stalin vorgegebenen Schemas zu revidieren. Dabei wurden sämtliche nationalen Aspekte konsequent entfernt und zahlreiche konkrete historische Ereignisse, Fakten und Personen neu bewertet. Besonders starker Verfälschung wurde die Geschichte der Gründung der deutschen Autonomie und insbesondere die Rolle der nichtkommunistischen Kräfte und Organisationen unterzogen. Im Einzelnen wurde der Warenburger Kongress von 1918 als Kongress der deutschen Bourgeoisie und Kulaken dargestellt und der Bund der deutschen Sozialisten des Wolgagebiets zu einer konterrevolutionären, menschewistisch-trotzkistischen Organisation erklärt, die den Bolschewiki bei der Durchführung der Revolution in den deutschen Kolonien im Weg gestanden habe. Entsprechend wurden alle Organisatoren des Bundes und insbesondere A.G. Emich zu Konterrevolutionären und Ideologen des Kleinbürgertums und des „national-konterrevolutionären“ Lagers erklärt. Jegliche Erwähnung der Tatsache, dass die bolschewistische Organisation der ASSR der Wolgadeutschen innerhalb des Bundes der deutschen Sozialisten entstanden war und sich erst im Herbst 1918 als eigenständige Organisation von diesem getrennt hatte, wurde verboten. Stattdessen wurde behauptet, dass die noch vor der Oktoberrevolution gegründete bolschewistische Organisation der deutschen Wolgakolonien die Sowjetmacht in den Kolonien gestützt auf das deutsche Proletariat und die deutsche Armbauernschaft im harten Kampf gegen die nationale Bourgeoisie, das Kulakentum und deren SR-menschewistischen Anhängsel aufgebaut habe und zum Initiator der deutschen Autonomie geworden sei. Die Zeit des „Kriegskommunismus“ wurde zu einer Zeit des „rasenden Klassenkampfes des Proletariats und der Dorfarmut gegen die verrohte konterrevolutionäre deutsche Kulakenschaft um Brot“ erklärt. Die Bauernaufstände von 1921 wurden als „konterrevolutionäre kulalisch-sozial-revolutionäre Rebellion“ klassifiziert usw.
Die verfälschende Neuschreibung der Geschichte der ASSR der Wolgadeutschen und ihrer bolschewistischen Organisation ging mit dem Verbot früher erschienener Bücher, Broschüren, Artikel einher, die die jüngste Vergangenheit der Deutschen Republik zum Thema hatten. Historiker, die sich nicht schnell genug „umorientieren“ konnten, wurden harten Verfolgungen ausgesetzt. So wurden im Rahmen der Kampagne zur Erörterung von Stalins der Geschichte der WKP(b) gewidmetem Schreiben z.B. die geschichtswissenschaftlichen Arbeiten „Unsere Parteiorganisation“ von I. Schmidt und „Abriss der Geschichte der Wolgadeutschen“ von D. Schmidt auf einer am 6. Januar 1932 stattfindenden gemeinsamen Sitzung des Büros des Gebietskomitees und des Präsidiums der Gebietskontrollkommission der WKP(b) der ASSR der Wolgadeutschen scharfer Kritik unterzogen, weil sie angeblich einen „kulakischen, SR-menschewistischen Charakter“ aufwiesen. Die Sitzung beschloss, diese Bücher „als schädlich einzustufen und aus dem Verkehr zu ziehen“. I. Schmidt wurde aus der Partei ausgeschlossen. Beim Gebietskomitee wurde eine spezielle Kommission eingerichtet, die sich der Durchsicht der die Geschichte der Deutschen Republik behandelnden Literatur widmen sollte.
Am 28. Dezember 1933 wurde der Leiter der Abteilung für Kultur und Propaganda des Gebietsparteikomitees A. Eirich auf einer geschlossen Sitzung des Büros des Gebietsparteikomitees von seinem Posten entfernt, weil er in den Zeitungen“ Nachrichten“ und „Trudowaja Prawda“ den dem fünfzehnten Jahrestag der Gründung der Deutschen Republik gewidmeten Artikel „Kampf für die Sowjets“ veröffentlicht hatte, der nach .Ansicht des Büros einen „opportunistischen“ Charakter aufwies und die Geschichte der Gründung der bolschewistischen Organisation der Wolgadeutschen verfälschte. Aus dem gleichen Grund wurde auch der von der Staatlichen Planungsbehörde der ASSR der Wolgadeutschen herausgegebene statistische Sammelband „Fazit des wirtschaftlichen Aufbaus der ASSR der Wolgadeutschen für 15 Jahre“ verboten und aus dem Verkehr gezogen (gegen die Herausgeber des Sammelbandes wurden Strafen verhängt).
Im Auftrag des Gebietsparteibüros der WKP(b) schrieb und veröffentlichte A. Loos 1934 das Buch „Gegen die Fälschung der Geschichte der bolschewistischen Parteiorganisation der ASSR der Wolgadeutschen“, in dem er die offizielle Version der Geschichte der Parteiorganisation darlegte. Im Einklang mit dieser Version wurden im Folgenden die der ASSR der Wolgadeutschen gewidmeten Artikel in den ersten Ausgaben der Großen und der Kleinen Sowjetenzyklopädie sowie in einer aus Anlass des Jahrestags der Gründung der Republik erschienenen Broschüre (1934) verfasst und die Lehrpläne für den Geschichtsunterricht in den Lehranstalten der Republik der Wolgadeutschen umgeschrieben.
Герман А. А., Немецкая автономия на Волге, ч. 2, Саратов, 1994.