RU

neue
illustrierte elektronische

WEHRPFLICHT IN DER RUSSISCHEN FÖDERATION gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Bürger, das Heimatland zu verteidigen, die die Wehrdiensterfassung, die Grundausbildung, den Antritt und die Ableistung des Wehrdienstes sowie den Stand in der Reserve und die militärische Ausbildung in Kriegszeiten umfasst

WEHRPFLICHT IN DER RUSSISCHEN FÖDERATION gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Bürger, das Heimatland zu verteidigen, die die Wehrdiensterfassung, die Grundausbildung, den Antritt und die Ableistung des Wehrdienstes sowie den Stand in der Reserve und die militärische Ausbildung in Kriegszeiten umfasst. Hauptbestandteil der Erfüllung der Wehrpflicht ist die Ableistung des Wehrdienstes. Erstmals wurde die Wehrpflicht in dieser Form in Russland nach der Oktoberrevolution von 1917 eingeführt und trat an die Stelle der in den Jahren 1874-1917 geltenden gesetzlichen Regelung. Eines der ersten die Wehrpflicht betreffenden Dokumente war die Beschlussfassung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees der RSFSR „Über den Übergang zur allgemeinen Mobilisierung der Arbeiter und Armbauern in die Rote Arbeiter- und Bauernarmee“ vom 29. Mai 1918. Die Wehrpflicht wurde in der Verfassung der RSFSR von 1918 sowie in den Verfassungen der UdSSR von 1924, 1936 und 1977 festgelegt. In den ersten Jahren der Sowjetmacht wurde das „Ehrenrecht, die Revolution mit der Waffe in der Hand zu verteidigen“, nur Werktätigen gewährt. Bürger, die den sogenannten Ausbeuterklassen angehörten oder aus politischen oder sittlichen Gründen nicht zum Wehrdienst eingezogen wurden, waren nicht von der Wehrpflicht befreit, sondern mussten diese in besonderer Form ableisten (in der Regel in den sogenannten „Arbeitsarmeen“). In den Jahren des Bürgerkriegs verabschiedeten die höchsten Organe der Sowjetmacht einige Dutzend gesetzgeberische Akte, die die Ableistung der Wehrpflicht ausführlich regelten. Aufgrund dieser Akte wurde auch die auf dem von der RSFSR und den anderen Sowjetrepubliken kontrollierten Territorium lebende deutsche Bevölkerung in großer Zahl zum Wehrdienst einberufen (dies betraf vor allem das Wolgagebiet, das praktisch im gesamten Verlauf des Bürgerkriegs unter der Kontrolle der bolschewistischen Macht stand). Auf dem Territorium des Gebiets der Wolgadeutschen wurden deutsche nationale militärische Einheiten gegründet, bei denen es sich formal um Freiwilligenverbände handelte, die aber de facto durch Mobilisierung des deutschen Einberufungskontingents aufgestellt wurden (Siehe: Zweites Freiwilliges Infanterieregiment Balzer, Katharinenstädter Regiment, Deutsche Kavalleriebrigade).

Infolge der in den Jahren 1924–28 durchgeführten Militärreform gingen die sowjetischen Streitkräfte zu einem gemischten System der Rekrutierung und des Betriebs über, das 1925 im Gesetz der UdSSR „Über den verpflichtenden Wehrdienst“ festgelegt wurde. Im Einzelnen konnten die Bürger den Grundwehrdienst in Einheiten der festen Armee, in territorialen Milizverbänden sowie im Rahmen von Wehrübungen ableisten. Die Verfassung der UdSSR von 1936 hob die für die Erfüllung der Wehrpflicht durch Sowjetbürger geltenden sozialen Klasseneinschränkungen auf.

Wie alle anderen Bürger der UdSSR erhielten die Deutschen ihre militärische Grundausbildung im Rahmen der vormilitärischen Ausbildung und im aktiven Wehrdienst. Zur vormilitärischen Ausbildung wurde die gesamte männliche Bevölkerung, die bis zum 1. Januar eines jeden Jahres das 19. Lebensjahr erreicht hatte, herangezogen und musste diese im Verlauf von zwei Jahren durchlaufen. Mit Erreichen des 21. Lebensjahrs (zum 1. Januar) wurden die jungen Männer zum aktiven Wehrdienst eingezogen.

Nach dem Gesetz über die Wehrpflicht betrug die Dauer des Wehrdienstes für Wehrdienstleistende, die nicht dauerhaft eingezogen waren, fünf Jahre, innerhalb derer diese im ersten Jahr bis zu drei Monate und in den Folgejahren jeweils fünf Wochen pro Jahr zur militärischen Ausbildung eingezogen wurden. Die Gesamtdauer der Ausbildung sollte während der gesamten Wehrdienstzeit zwölf Monate nicht überschreiten.

Um die deutschen Rekruten effektiver ausbilden zu können, wurden eigene nationale deutsche Einheiten gegründet. So wurde im Oktober 1925 innerhalb der 32. Saratower Infanteriedivision das 96. deutsche Infanterieregiment aufgestellt. Versuche der Partei- und Wirtschaftsführung der ASSR der Wolgadeutschen, das Regiment auf das Gebiet der Deutschen Republik zu verlegen, waren nicht von Erfolg gekrönt: Das Regiment blieb in Saratow. Erst 1932 wurde das deutsche Regiment im Zusammenhang mit der Verlegung der 32. Saratower Infanteriedivision in den Fernen Osten in Engels stationiert. Im Verlauf der gesamten Zeit seines Bestehens wurde das Regiment mehrfach umbenannt.

Neben der Ableistung der Wehrpflicht in Milizverbänden dienten die Deutschen auch in regulären Einheiten der Roten Armee. So gab es innerhalb des stehenden Heers mehrere nationale deutsche Einheiten. Ein Teil der Deutschen leistete seinen Wehrdienst in der 1. (Deutschen) Schwadron des 31.  Kavallerieregiments Beloretschensk der in Gomel (Weißrussische SSR) stationierten 6. Tschongarer Kavalleriedivision und im in der Stadt Spassk (Bezirk Wladiwostok, Region Fernost) stationierten 77. Nowgoroder Infanterieregiment ab. Nach Stand zum 1. Februar 1927 dienten in dem insgesamt 1.280 Mann starken Regiment 1.156 größtenteils aus der ASSR der Wolgadeutschen stammende Deutsche.

Ende der 1930er Jahre ergriff die Sowjetführung angesichts der gestiegenen Kriegsgefahr eine Reihe von Maßnahmen, die die Verteidigungsfähigkeit des Landes erhöhen sollten. 1939 wurde ein neues Gesetz „Über die allgemeine Wehrpflicht“ verabschiedet, das für die Rekrutierung in Heer und Flotte das Kaderprinzip festlegte. Noch davor fasste das Verteidigungskomitee beim Rat der Volkskommissare der UdSSR den Beschluss, die Einziehung unzuverlässigen Nationalitäten angehöriger Sowjetbürger (zu denen auch die Deutschen gehörten) zum Wehrdienst zu beschränken. Der Beschluss fand in einer eigenen Direktive Niederschlag, der zufolge die aus der ASSR der Wolgadeutschen stammenden Deutschen ihren Wehrdienst wie alle anderen Sowjetbürger in der Roten Armee ableisten sollten, während die in den Grenzregionen der UdSSR lebenden Deutschen nicht zum Wehrdienst einberufen und gesondert erfasst wurden. Aus anderen Regionen der UdSSR stammende Deutsche wurden zur Armee einberufen, mussten aber vor allem in Infanterieeinheiten der inneren Bezirke dienen. Infolge dieser Direktive waren zu Beginn des Deutsch-Sowjetischen Krieges gerade einmal 33.500 Deutsche in der Roten Armee, die größtenteils aus der ASSR der Wolgadeutschen stammten.

Von den ersten Kriegstagen an wurde die Einberufung der Deutschen zur Armee (von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die vor allem Sonderaufgaben erfüllen sollten) gestoppt. Ungeachtet der Tatsache, dass die deutschen Soldaten in der Anfangsphase des Krieges größtenteils Loyalität und Patriotismus an den Tag legten, entschieden die politische und militärische Führung, sie aus der kämpfenden Truppe zu entfernen.

Diese Aktion lässt sich in drei Phasen unterteilen. In der ersten Phase (30. Juni – 7. September 1941) wurden Deutsche aufgrund der am 30. Juni 1941 erlassenen Direktive Nr. 02367 aus der Armee ausgeschlossen, der zufolge „nicht vertrauenswürdige“ Soldaten entfernt werden sollten (Personen, die eine defätistische Einstellung an den Tag legten, Unzufriedenheit mit der Sowjetmacht äußerten oder den Wunsch, sich in Gefangenschaft zu begeben, zum Ausdruck brachten). Die Direktive war nicht explizit gegen Deutsche gerichtet, wurde von vielen Kommandeuren aber so ausgelegt, dass sie alle Deutschen als unzuverlässig einstuften. Die zweite Phase (8. September bis Ende 1941) war durch die massenhafte Entfernung der Deutschen aus der Armee gekennzeichnet. Grundlage dafür war die Direktive des Volkskommissariats für Verteidigung der UdSSR Nr. 35105s vom 8. September 1941, die als „Befehl Stalins“ in das kollektive Gedächtnis der deutschen Frontkämpfer einging. Die Umsetzung dieser Direktive fiel zeitlich mit der Massendeportation der Deutschen aus dem europäischen Teil der Sowjetunion zusammen. 1941 wurden die deutschen Frontkämpfer in spezielle Baubataillone verlegt, die später den Grundstock der sogenannten Arbeitsarmee bildeten. In der dritten und längsten Phase (Januar 1942 – Mai 1945) war die Zahl der weiterhin in der Armee dienenden Deutschen verschwindend gering. Die Entfernung deutscher Soldaten aus der Armee trug lokalen Charakter und wurde im Unterschied zu den ersten beiden Phasen nicht von den Kommandeuren, sondern von den bei den Armee-Einheiten bestehenden Sonderabteilungen des NKWD durchgeführt.

Nach dem Krieg wurden die Sowjetdeutschen, solange sie sich noch in der Sondersiedlung befanden, nicht zum Wehrdienst einberufen. Erst nach der Aufhebung des Regimes der Sondersiedlung  wurden die Deutschen ab Ende der 1950er Jahre auf gleicher Grundlage wie alle Sowjetbürger zum Wehrdienst einberufen. Aber auch im Folgenden gab es eine Reihe von Befehlen und Direktiven, die das Bürgerrecht der in der Sowjetunion lebenden Deutschen auf Ableistung ihrer Wehrpflicht einschränkten (Beschränkungen hinsichtlich der Orte der Ableistung des Wehrdienstes, eingeschränktes Recht, an militärischen Lehranstalten zu studieren usw.).

Der letzte die Wehrpflicht betreffende gesetzgeberische Akt der UdSSR war das Gesetz „Über die allgemeine Wehrpflicht“ vom 12. Oktober 1967.

In der Russischen Föderation besteht weiterhin Wehrpflicht. Die Hauptprinzipien ihrer Umsetzung werden durch die den Wehrdienst betreffenden Bestimmungen der Verfassung von 1993 (Art. 59) und das Gesetz „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ vom 11. Februar 1993 festgelegt. Die Wehrpflicht gilt für alle Bürger der Russischen Föderation, von der Wehrpflicht befreit sind alle männlichen Bürger im Alter von unter 16 und über 60 Jahren und alle weiblichen Bürger im Alter von unter 18 und über 50 Jahren. Es besteht das Recht der Bürger, statt des Wehrdienstes einen Alternativdienst zu leisten. Die rechtliche Stellung der Wehrdienstleistenden wird durch das föderative Gesetz „Über den Status der Wehrdienstleistenden“ vom 22. Januar 1993 bestimmt.

 

Literatur

Шульга И.И. Немцы Поволжья в российских вооруженных силах: воинская служба как фактор формирования патриотического сознания. М.: МСНК-пресс, 2008; Герман А.А., Шульга И.И. «Не бывать фашистской свинье в нашем советском огороде»: Советские немцы на фронте и в тылу врага // Родина. 2010. №. 5. С. 26-31; Герман А.А. «Не за такие порядки мы боролись»: 1-й Екатериненштадтский коммунистический немецкий стрелковый полк // Родина. 2011. № 2. С.56–57; Герман А.А. Кавалерийская бригада немцев Поволжья на фронтах Гражданской войны (1919 – 1921 гг.) // Военно-исторические исследования в Поволжье. Выпуск 12. М.: Квадрига, 2018. С. 189–194.

 

Autoren: German A., Schulga I.

ЗEINE FRAGE STELLEN