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ANTIRELIGIÖSE KAMPAGNE IN DER ASSR DER WOLGADEUTSCHEN

Rubrik: Politische Geschichte

ANTIRELIGIÖSE KAMPAGNE IN DER ASSR DER WOLGADEUTSCHEN (Ende der 1920er – Anfang der 1940er Jahre), im Rahmen der zur Zeit des „Aufbaus und der Festigung des Sozialismus“ eingeleiteten aggressiven antireligiösen Offensive von der Sowjetmacht durchgeführte Kampagne, die den Aufbau der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung ideologisch festigen sollte. Da die Religion den ideologischen Hauptgegner der atheistischen kommunistischen Doktrin darstellte, sollte sie in der neuen Gesellschaft keinen Platz mehr haben.

Nach der Machtübernahme nahmen die Bolschewiki gegenüber den einzelnen in Sowjetrussland aktiven Kirchen, Konfessionen und Sekten zunächst unterschiedliche Haltungen ein (siehe: Antireligiöse Kampagnen). So versuchten sie z.B., sich der Loyalität der Muslime zu vergewissern, und nahmen auch gegenüber Lutheranern, Baptisten, Evangelisten und Adventisten des Siebten Tags zunächst eine vergleichsweise tolerante Haltung ein. Auch die gegenüber den Katholiken verfolgte antireligiöse Politik war zunächst in geringerem Maße durch aggressives und brutales Vorgehen geprägt, da die noch nicht endgültig gefestigte Sowjetführung ihre Beziehungen zur einflussreichsten und größten Konfession der Welt und insbesondere zum Vatikan nicht verderben wollte.

Die Situation änderte sich 1929 mit dem Übergang der Sowjetführung zur „großflächigen Offensive des Sozialismus an allen Fronten“. Die Herausgabe des von L.M. Kaganowitsch verfassten Rundschreibens des ZK der WKP(b) „Über Maßnahmen zur Stärkung der antireligiösen Arbeit“, die „Beschlussfassung über religiöse Vereinigungen“, die Gründung der Ständigen Kommission für Religionsfragen sowie der nach dem Zweiten Kongress der Militanten Atheisten erfolgte Übergang zum aggressiven Atheismus – all diese und weitere im Jahr 1929 zu verzeichnende Ereignisse bildeten die Grundlage der antireligiösen Kampagne. Der gegen Religion und Kirche gerichtete Kreuzzug begann im Jahr 1929 zeitgleich mit der Kollektivierung und stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser. Von diesem Zeitpunkt an machten die Machthaber im Unterschied zu ihrer in den Vorjahren betriebenen Politik schon keinerlei Ausnahmen für einzelne konfessionelle Gemeinschaften mehr und verfolgten eine auf die vollständige Zerstörung sämtlicher Religionen und Kirchen abzielende Politik.

Bezogen auf die gesamte Sowjetunion stellte die Russisch-Orthodoxe Kirche sowohl nach der Zahl ihrer Mitglieder als auch hinsichtlich ihres Einflusses den Hauptgegner der Sowjetführung dar, gegen den auch der Hauptschlag gerichtet war. Im Gegensatz dazu gehörte ein erheblicher Teil der im Saratower Wolgagebiet und insbesondere in der ASSR der Wolgadeutschen ansässigen Bevölkerung nationalen Minderheiten an (etwa 25%). So waren die Deutschen die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe und stellten in der ASSR der Wolgadeutschen mit einem Bevölkerungsanteil von über 60% sogar die Mehrheit. Die Deutschen und andere in der Region ansässige nationale Minderheiten wiesen eine große konfessionelle Vielfalt auf. So gab es z.B. Altgläubige, Muslime und Juden, deren Zahl allerdings noch deutlich von den Angehörigen westlicher Kirchen, Sekten und Denominationen (Katholiken, Lutheraner, Mennoniten, Baptisten, Betbrüder, Tanzbrüder u.a.) übertroffen wurde. Die überwältigende Mehrheit der westkirchlichen Christen lebte in der Republik der Wolgadeutschen. Aber auch in den sonstigen Gebieten des Saratower Wolgagebiets ging ihre Zahl in die Zehntausende. Die religiöse Vielfalt der in der Region lebenden Bevölkerung bedingte einige bei der Durchführung der von den Machthabern betriebenen atheistischen Offensive zu verzeichnende Besonderheiten.

Die in der ASSR der Wolgadeutschen durchgeführte antireligiöse Kampagne wies vor allem die folgenden zwei Hauptelemente auf:

1) Bestreben der zentralen, regionalen und lokalen Machtorgane, den Kirchen auf dem Verwaltungsweg (sowohl innerhalb als auch jenseits der bestehenden Rechtsnormen) die materielle Basis des Gemeindelebens zu entziehen: Beschlagnahmung von Gotteshäusern, erdrückende Steuer- und Abgabenlast, künstliche Beschränkung sowohl der Registrierung als auch der Tätigkeit der religiösen Gemeinden, Zerschlagung des kirchlichen Schul- und Bildungswesens, Vertreibung, Verhaftung und Repressierung von Geistlichen und aktiven Gemeindemitgliedern;

2) Bestreben der Organe aller Machtebenen, Informationen über die in den religiösen Gemeinden bestehende Lage zusammenzutragen, die „antisowjetische“ Tätigkeit ihrer Mitglieder und insbesondere der Geistlichen und aktiven Gemeindemitglieder zu kontrollieren sowie mit den Kräften der regionalen und lokalen Organisationen der WKP(b), des Leninschen Komsomol und des Bundes der Militanten Atheisten („Verband der kämpfenden Gottlosen“) antireligiöse Agitation und Propaganda zu organisieren und durchzuführen.

Bei der Umsetzung der im Rahmen der antireligiösen Kampagne betriebenen Agitation und Propaganda spielte der Bund der Militanten Atheisten die zentrale Rolle, dessen Vertreter unter den Gläubigen agitierten und Unterschriftenlisten zusammenstellten, in denen sich die Werktätigen für die Schließung von Kirchen und Gotteshäusern aussprachen. Allerdings musste die Saratower Gebietsorganisation des Atheistenverbands in ihrem an den Zentralrat des Bundes der Militanten Atheisten der UdSSR adressierten Rechenschaftsbericht für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 1. Dezember 1934 konstatieren, dass die an den Schulen geleistete Arbeit insbesondere in der Republik der Wolgadeutschen nur schwach entwickelt sei, die Geistlichkeit auch weiterhin einen großen Einfluss auf die Jugend ausübe und zahlreiche Konfirmationen durchgeführt würden. Auch unter Arbeitern und Werktätigen sei der Einfluss der Religion weiterhin groß.

Die Mitglieder der Saratower Organisation des Atheistenverbands beteiligten sich aktiv an allen mit dem antireligiösen Kampf, der Propagierung des Atheismus und entsprechenden Agitationskampagnen verbundenen ideologischen Maßnahmen der Machthaber. So nahmen sie z.B. in den Jahren 1932/33 an einer in der gesamten Sowjetunion durchgeführten Spendenkampagne teil, bei der 2 Mio. Rubel für den Bau des U-Boots „Militanter Atheist“ gesammelt werden sollten, und trugen in der ASSR der Wolgadeutschen insgesamt 12.000 Rubel Spendengelder zusammen. Der Kampf gegen die Gläubigen verlief oft subtil und schloss auch auf den ersten Blick unverdächtige Kampagnen wie z.B. die Sammlung von Alteisen ein. Tatsächlich diente diese Kampagne in der Republik der Wolgadeutschen allerdings dem Ziel, auf den Friedhöfen Metallzäune und Grabmäler zu beschlagnahmen oder die Metalldächer der Kirchen zu demontieren. Ein besonders barbarischer Akt war im Dorf Grimm (Kanton Balzer) zu verzeichnen, wo die Arbeiter der örtlichen Motoren-Traktoren-Station unter dem Vorwand, wertvolles Buntmetall zu sammeln, in der lutherischen Kirche zwei Orgeln beschlagnahmten und zerstörten. Nach dem gleichen Prinzip wurden auch Kirchenmauern und ganze Kirchengebäude zerstört, um die Ziegel als Baumaterial zu verwenden.

In den Jahren 1929–31 fanden Massenverhaftungen von Geistlichen statt, woraufhin viele in der Wolgarepublik gelegene Dörfer schon keine Pater, Pastoren und Schulmeister mehr hatten. So mussten z.B. die in Beideck, Bauer, Schilling, Anton und vielen anderen Dörfern bestehenden religiösen Gruppen und Gemeinschaften zur „Selbstversorgung“ übergehen, also ihr Gemeindeleben selbständig organisieren. Nichtsdestotrotz praktizierten die Gläubigen allerdings auch weiterhin ihre Religion, führten religiöse Zeremonien und Gottesdienste durch und versuchten, Kirche und Glaube aktiv zu verteidigen.

Der auf Kirche und Glauben ausgeübte Druck provozierte auf Seiten der Gläubigen zum Teil heftige  Gegenwehr. So leisteten insbesondere die Katholiken erbitterten Widerstand. In über dreißig im rechtsufrigen Teil der Wolgarepublik gelegenen katholischen Dörfern kam es zu organisierten Massenprotesten, die sich gegen die flächendeckende Kollektivierung und Entkulakisierung sowie gegen Kirchenschließungen richteten und vom 20. Dezember 1929 bis zum 15. Januar 1930 anhielten. In den in den Kantonen Frank und Kamenka gelegenen Dörfern nahmen die Proteste besonders heftige Formen an: Die Bauern befreiten Verhaftete, lösten die Kolchosen auf, nahmen sich ihren eigenen Besitz bzw. gaben den entkulakisierten Bauern deren Besitz zurück und führten die gewohnte kirchliche Gemeindearbeit wieder ein. In Marienfeld wuchs sich ein solcher Protest zu einem bewaffneten Aufstand aus, der die Sowjetmacht vorübergehend ganz aus dem Dorf vertrieb (siehe: Marienfelder Aufstand). Nachdem sich die Aufständischen fast einen Monat lang hatten halten können (26. Dezember 1929 - 21. Januar 1930), wurde der Aufstand schließlich von einem Kampftrupp der GPU brutal niedergeschlagen. Auch in anderen rebellierenden Dörfern wurden Militärkräfte eingesetzt, um die Proteste zu unterdrücken.

Im Gegensatz zu den Katholiken führten die Lutheraner vor allem friedliche Massenversammlungen auf der Straße durch, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Aber auch sie sahen sich durch die brutalen und provozierenden Aktionen der deutschen kommunistischen Aktivisten in einigen Fällen zur Gewaltanwendung gezwungen.

In den Jahren 1929–30 sorgte sowohl in der Wolgarepublik als auch über deren Grenzen hinaus der „Fall Kamphausen“ für großes Aufsehen, der sowohl die im Zuge der Kirchenschließungen und Kollektivierungsmaßnahmen von den örtlichen Vertretern der Staatsmacht verübten Exzesse als auch die Reaktionen der Gläubigen in besonders eklatanter Weise illustriert.

Der in Marxstadt ansässige örtliche Parteifunktionär und Lehrer der Fachoberschule Lorenz Kamphausen übte zahlreiche Funktionen im Partei- und Staatsapparat des Kantons Marxstadt aus und war unter anderem für die Durchführung der Sowjetwahlen, die Getreidebeschaffung und die Schließung der Kirchen verantwortlich. Abgesehen davon war er auch Leiter der örtlichen Organisation des Bundes der Militanten Atheisten im Kanton Marxstadt. Seine erhebliche Machtfülle fand in zahlreichen Willkürakten Ausdruck: So verübte er im Zuge der Getreidebeschaffungsmaßnahmen regelmäßig brutale Gewaltakte gegen Bauern, die die Abgabenormen nicht erfüllten. Den Pater des Dorfes Obermonjou zwang er, die Mitglieder seiner Gemeinde vom Altar aus zur aktiven Teilnahme an den Wahlen aufzurufen. Eines Nachts kam er mit zwei Aktivisten zur Wohnung des Schulmeisters von Obermonjou, feuerte unter dem Fenster einen der Einschüchterung dienenden Warnschuss ab und forderte den verängstigten Schulmeister ultimativ auf, bis zwölf Uhr mittags des folgenden Tages das Dorf zu verlassen. Den Pater und die Mitglieder des Kirchenrats der Marxstädter katholischen Kirche zwang er mit vorgehaltener Waffe, eine Erklärung zu unterschreiben, der zufolge diese dem Staat das Gotteshaus für „kulturelle Zwecke“ überschrieben. Zudem war er auch Initiator und Organisator der Schließung der in Marxstadt gelegenen größten lutherischen Kirche des Wolgagebiets. Letzterer Akt brachte das Fass schließlich zum Überlaufen. So gingen am 5. Juni 1930  Tausende Leute in Marxstadt auf die Straße, um ihrer Empörung über die von den Machthabern betriebene Antikirchenpolitik Ausdruck zu verschaffen. Nach Einschätzung des Büros des Gebietsparteikomitees der WKP(b) der ASSR der Wolgadeutschen trug dieser Protest einen eindeutig „antisowjetischen Charakter“. Die Gläubigen stürmten die zu einem Kulturhaus umgebaute frühere lutherische Kirche und rissen die Porträts der bolschewistischen Führer von den Wänden. Später wurden die „Organisatoren“ und aktiv an der Erstürmung der früheren Kirche beteiligten Personen repressiert. Am gleichen 5. Juni kam es einem Wunder gleich, dass in Marxstadt kein „antisowjetischer Terrorakt“ verübt wurde: Die Bewohner der Stadt brachten Kamphausen und einen weiteren Parteiarbeiter namens Kinas in ihre Gewalt, übergossen sie mit Benzin und versuchten, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Aber letztlich siegte doch die Vernunft.

Für seine zahlreichen gegen Gläubige und Geistliche gerichteten Aktionen, die auch nach sowjetischer Gesetzgebung illegal waren, wurde Kamphausen in der ASSR der Wolgadeutschen zunächst verurteilt. Doch das Oberste Gericht der RSFSR hob das ohnehin schon sehr milde Urteil mit der unmissverständlichen Begründung auf, dass das „Bestreben, die Direktiven der Partei und der Sowjetführung zu vollen 100 Prozent umzusetzen, schwerer zu gewichten sei, als die ein oder andere „dumme Handlung“ Kamphausens.

Einige Konfessionen und Sekten wie z.B. die Baptisten und Molokane reagierten auf die gegen sie gerichteten Angriffe, indem sie ihrerseits agitierten und mit dem Komsomol und den Pionieren konkurrierende Jugendorganisationen wie z.B. den Christomol (Christliche Jugend) gründeten.

Die in der ASSR der Wolgadeutschen vergleichsweise kleine Gemeinde der Mennoniten lebte kompakt in zehn etwa 70 km südöstlich der Hauptstadt Engels gelegenen Dörfern. Ihre Zerstörung begann im Zuge der Kollektivierung, da der Verlust ihres Eigentums für die Mennoniten schon nicht mehr mit ihren religiösen Prinzipien vereinbar war. Im Zuge der Entkulakisierung wurden mehr als ein Viertel der mennonitischen Familien aus der Region verbannt (in den europäischen Norden, nach Sibirien, in den Ural, nach Kasachstan usw.). Ein weiterer erheblicher Teil der Familien wurde innerhalb der Wolgarepublik aus den mennonitischen Dörfern in sogenannte „Kulakensiedlungen“ ausgesiedelt. Auf diese Weise wurden die Mennoniten verstreut und konnten als einheitliche Gemeinschaft schon nicht mehr fortbestehen.

In einigen deutschen Siedlungen waren Bet- und Tanzbrüder sehr aktiv, die sich der antireligiösen Politik der Sowjetmacht ebenfalls widersetzten. Betbrüder gab es unter anderem in Pallasowka, Marxstadt, Kamenka und Seelmann. Unter dem Druck der Repressionen gingen sie wie auch die Baptisten in den Untergrund, aber ihre Aktivitäten wurden vom NKWD der ASSR der Wolgadeutschen aufgedeckt. Nichtsdestotrotz bestanden die Untergrundgruppen der Baptisten, Betbrüder und Tanzbrüder selbst nach ihrer Zerschlagung in sieben der 22 Kantonen (15 Dörfer) weiter. Insgesamt gab es sieben baptistische, neun Betbrüder- und vier Tanzbrüdergruppen. In fünf Dörfern agierten gleich zwei protestantische Gruppen gleichzeitig.

Am 2. August 1937 ordnete das ZK der WKP(b) per Sonderbeschluss an, die Aushebung der „Anführer der deutschen Sektengruppe der Betbrüder“ zu sanktionieren und die im NKWD der Wolgarepublik tätigen Deutschen durch „Nichtdeutsche“ auszutauschen. Im Zuge der Umsetzung dieses Beschlusses wurden die im Saratower Wolgagebiet aktiven Gruppen der Tanzbrüder, Betbrüder und Baptisten endgültig zerschlagen (in den örtlichen Archiven ließen sich keine Spuren einer weiteren Existenz dieser religiösen Gruppen finden).

Der von den Angehörigen der westkirchlichen Konfessionen an den Tag gelegte Widerstand gegen die antireligiöse Kampagne unterschied sowohl in seiner Intensität als auch durch seine breite Basis in weiten Teilen der Bevölkerung merklich von den weniger stürmischen Reaktionen der anderen religiösen Bekenntnisse, was wiederum ein härteres Vorgehen der Machthaber provozierte. Eine Rolle spielte bei den Repressionen auch der außenpolitische Faktor.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden ausnahmslos alle im Saratower Wolgagebiet aktiven katholischen und protestantischen religiösen Organisationen beschuldigt, mit den Faschisten in Verbindung zu stehen und Helfershelfer des Faschismus zu sein. Dies wurde noch durch den Umstand verstärkt, dass sie zur Zeit der Hungersnot Hilfe aus dem Ausland bezogen hatten, die die Machthaber nach 1933 als „faschistisch“ bezeichneten. Die Hilfe diskreditierte die Sowjetführung in den Augen der Weltöffentlichkeit, da sie den sorgfältig verschwiegenen Umstand für alle Welt sichtbar machte, dass in der Sowjetunion eine Hungersnot herrschte.

Allein im Jahr 1935 fabrizierten die Organe des NKWD in der Wolgarepublik 14 Fälle, in die insgesamt mehr als 50 Personen verstrickt waren. In acht dieser Fälle ging es um Gruppen, an deren Spitze angeblich Kirchendiener und Schulmeister standen, in sechs Fällen um von Sektenpredigern geführte Gruppen (fünf davon Betbrüder, eine Gruppe der Tanzbrüder). Alle diese Leute wurden der Spionage, der Sabotagetätigkeit in der Kolchose und der konterrevolutionären Tätigkeit beschuldigt.

Angesichts der Tatsache, dass die katholischen und lutherischen Geistlichen unter der Bevölkerung hohes Ansehen genossen, empfahl die Unterabteilung für Nationale Minderheiten des ZK der WKP(b) den für Agitation und Propaganda zuständigen Kräften, Diskussionen mit Pastoren und Patern zu vermeiden, da „Dispute mit Popen“ faktisch zu einer „Bühne für die Popen würden und gegenteilige Effekte“ zeitigten. Aus diesem Grund wurden die Geistlichen auch mit besonderer Härte verfolgt.

In der ASSR der Wolgadeutschen wurden alle westkirchlichen Organisationen bis Mitte der 1930er Jahre offiziell zerschlagen (die katholische Kirche 1935, die lutherische Kirche 1936/37). Alle den entsprechenden Konfessionen angehörenden Geistlichen wurden verhaftet und repressiert. Einige auf dem Gebiet der Deutschen Autonomie aktive orthodoxe Kirchen existierten noch einige Zeit weiter, wurden bis 1941 allerdings auch ausnahmslos alle geschlossen.

In den Jahren 1937/38 wurden im Zuge der „Deutschen Operation“ des NKWD 55.000 überwiegend deutschstämmige Sowjetbürger verhaftet, von denen wiederum etwa die Hälfte erschossen wurde. In der ASSR der Wolgadeutschen wurden in jenen Jahren 6.700 Personen verhaftet, von denen 3.600 erschossen wurden. Unter den Opfern waren auch die meisten Geistlichen und aktiven Gemeindemitglieder der katholischen, lutherischen und sonstigen westkirchlichen Konfessionen.

Auch wenn es den Machthabern gelang, auf dem Gebiet der ASSR der Wolgadeutschen jegliche legale Tätigkeit aller Konfessionen stoppen, ließ sich die Religionsausübung an sich nicht vollständig unterbinden. Die Religion wurde in einem halblegalen oder illegalen Rahmen auch weiterhin praktiziert. De facto entstand im Saratower Wolgagebiet eine zwischen Religion und Atheismus schwankende Übergangsgesellschaft, in der das Bedürfnis nach emotionalem Halt und eschatologischer Hoffnung weiterbestand und neue religiöse Mythen sowie einen schnell um sich greifenden Aberglauben hervorbrachte, der sich z.B. in den Aktivitäten zahlreicher „Zauberer“, Wunderheiler und Wahrsager manifestierte. Eine solche Wiederkehr heidnischer und archaischer religiöser Vorstellungen war nicht allein durch die Zerschlagung der Kirche bedingt. Eine große Rolle spielte auch der Zusammenbruch alter und das Fehlen neuer sozialer Bindungen.

Infolge sowohl der allgegenwärtigen Agitation und Propaganda als auch real erzielter ökonomischer, sozialer und kultureller Fortschritte beim Aufbau der neuen Gesellschaft wurden die hergebrachten religiösen Vorstellungen wie auch der Aberglaube zunehmend durch das kommunistische Weltbild in seiner Stalinistischen Variante verdrängt, dessen Erfolg vor allem unter der Jugend in erheblichem Maße durch seinen Dogmatismus und eine extreme Vereinfachung bedingt war, die ihm quasireligiöse Züge verliehen.

Literatur

Яковлева Ж.В. Религиозная жизнь в Саратовском Поволжье в 1930-е гг. // Известия Саратовского университета. Новая серия. Серия История. Международные отношения. Саратов, 2015. Т. 15. Выпуск 3. С. 95–100; Яковлева Ж.В. Борьба с церковью на местах в 1930-е годы. К вопросу о поведении партийно-советских функционеров низового звена и рядовых верующих. // Известия Саратовского университета. Новая серия. Серия История. Международные отношения. Т. 14. Выпуск 1. Саратов, 2016 . С. 99–102; Яковлева Ж.В. Организации Союза Воинствующих безбожников Саратовского Поволжья в антирелигиозной кампании1930-х гг. // Современные исследования социальных проблем. Красноярск, 2016. С.85–104; Яковлева Ж.В. Особенности антирелигиозной кампании в немецких селах Саратовского Поволжья в конце 1920-х – первой половине 1930-х гг. // Образование, жизнь и судьба немецких поселений в России: Материалы 15-й международная конференция. М.: РусДойч Медиа, 2016. С.205–215.

Autoren: Jakowlewa Sch.W.

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