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GRIEB, Edwin Alexandrowitsch * 28. August 1925 im Dorf Sergejewka (Priasowje), † 6. August 2018

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien)
Э.А. Гриб
Эдвин Гриб весной 1941 г. Фотография на Аттестат зрелости
Эдвин Гриб с сыном Александром. 1956
Вернулся я на Родину. 2007

GRIEB, Edwin Alexandrowitsch, * 28. August 1925 im Dorf Sergejewka (Priasowje), † 6. August 2018. Exponierter Vertreter der nationalen Bewegung der Russlanddeutschen, Mitglied des Präsidiums der Föderalen Nationalen Kulturautonomie (2009–2018), Stellvertretender Vorsitzender des Internationalen Verbands Deutschen Kultur IVDK (2003–2016), Leiter der Nationalen Kulturautonomie der Stadt Solikamsk (Gebiet Perm).

Edwin Grieb wurde in dem etwa 35 Kilometer südwestlich von Mariupol in der Nähe des Asowschen Meeres gelegenen deutschen Dorf Sergejewka (Heibuden Nr. 4, heute Ukraine) geboren. Sein Vater Alexander Gotlibowitsch Grieb war als Grundschullehrer an der örtlichen Schule tätig und zugleich Küster der lutherischen Gemeinde. Seine Mutter, eine Krankenschwester, hat Edwin praktisch kaum kennengelernt, da er noch sehr jung war, als sie an Leukämie erkrankte und nach Charkow ins Krankenhaus kam, wo sie im Jahr 1932 verstarb. Sie liegt auf dem Dorffriedhof von Sergejewka begraben.

Edwins Vater war von Natur aus ein experimentierfreudiger Mensch, der seinen drei Söhnen schon im Alter von fünf Jahren die Aufgabe stellte, zuerst die deutschsprachige Grundschule, dann die mittleren Klassen einer ukrainischsprachigen Schule und schließlich die höheren Klassen einer russischsprachigen Schule zu besuchen, was letztlich auch erfolgreich gelang. In der Folge beherrschte Edwin nach Abschluss der zehnten Klasse alle drei Sprachen auf muttersprachlichem Niveau, wofür er seinem Vater ein Leben lang dankbar war: „Ich erinnere mich, wie mein Vater mich zwang, Karamsins 'Arme Lisa' in drei Sprachen durchzuarbeiten: lesen, übersetzen und nacherzählen.“

Die 1920er Jahre verliefen für die Familie vergleichsweise glimpflich, bis im Jahr 1929 die „Große Wende“ kam und die flächendeckende Kollektivierung begann. Auch wenn Edwin zu dieser Zeit gerade einmal 5-7 Jahre alt war, konnte er sich doch an Vieles erinnern, was in diesen Jahren geschah. In seinem Kindergedächtnis blieben die Jahre der Kollektivierung als „Zeit des Schreckens“ gespeichert. Unter den Opfern der flächendeckenden Kollektivierung waren die meisten Hofbesitzer von Sergejewka, zu denen auch die große Familie der Griebs gehörte, die nicht nur entkulakisiert wurde, sondern auch aus ihrem eigenen Landhaus ausziehen musste. Einige enge Verwandte, die mit ihren Familien in eigenen Häusern lebten (wie etwa die Familie der Schwester des Vaters Pauline), wurden in eine spezielle „Kulakensiedlung“ ausgesiedelt, was hieß, dass den Entkulakisierten eine mitten in der Einöde gelegene, mit Dornbüschen zugewachsene Schlucht zugewiesen wurde, wo sie sich Erdhütten graben mussten, um mit ihren Kindern irgendwie über den Winter zu kommen. Ihnen in irgendeiner Weise Hilfe zu leisten, war strengstens verboten.

Als Edwins Vater nach dem dem Tod seiner Frau ein zweites Mal heiratete, kamen seine Kinder aus erster Ehe zu Verwandten. Edwin und seine beiden jeweils ein Jahr jüngeren Brüder Erich und Edgar lebten bei den Geschwistern des Vaters (Julia, Katharina und Gotthilf), die selbst noch zu jung waren, um eine eigene Familie zu gründen, und deshalb wie eine Familie zusammenlebten. Nach der Entkulakisierung hatten sie  im Nachbardorf Nowokrasnowka eine neue Unterkunft finden können, in der sie auch ihre Neffen aufnahmen, um die sie sich liebevoll kümmerten. Edwin besuchte die Schule. Das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber diesen bemerkenswerten Leuten hat Edwin ein Leben lang bewahrt.

Sein Vater zog mit seiner neuen Familie in den Donbass in die bei der Stadt Charzysk (Gebiet Stalino, heute Donezk) gelegene Siedlung Sugres, wo er im örtlichen Schuldienst tätig war. Als seine Ehe wenig später zerbrach und seine zweite Frau mit den Kindern zu ihren Verwandten ging, holte der Vater seine Kinder aus erster Ehe zu sich. So kam Edwin Mitte der 1930er Jahre in die Arbeitersiedlung Sugres, deren Bewohner das Kohlekraftwerk, auf den der Name des Ortes zurückgeht (SuGRES – Sujewkaer Staatliches Rayons-Elektrizitätswerk), zunächst bauten und dann betrieben.

Edwins Vater arbeitete in der neuen geräumigen Mittelschule, die auch Edwin und sein Bruder Erich besuchten. Sie wohnten in einem neben der Schule gelegenen Steinhaus im zweiten Stock, wo sie zwei Zimmer in einer aus drei Zimmern bestehenden Gemeinschaftswohnung hatten. Bald kam Edwin zu den Pionieren, was ihn mit großem Stolz erfüllte. Die Sommermonate verbrachten Edwin und seine Brüder bei ihren Verwandten im Dorf. So war es auch 1937. Als sie aber in diesem Jahr am Ende des Sommers nach Hause zurückkehrten, waren ihr Vater und 16 andere an der Schule tätige Lehrer als „Volksfeinde“ verhaftet worden, weil sie angeblich einer antisowjetischen Untergrundgruppe angehört hatten, die für das faschistische Deutschland tätig gewesen sein sollte. Die Mitglieder der Gruppe hatten die Kinder angeblich angestiftet, Hakenkreuze an die Wände der Schule zu schmieren. Tatsächlich waren die in Sugres und einigen Nachbardörfern verhafteten Lehrer Opfer einer großangelegten Operation, die die Organe des NKWD zu jener Zeit unter dem Namen „Deutsche Operation“ in der gesamten Sowjetunion durchführten. Seinen Vater sollte Edwin nie wiedersehen. Später wurde bekannt, dass alle in Sugres verhafteten Lehrer wie so viele andere Opfer der Stalinschen Willkür erschossen wurden (13. November 1937). Nach der Verhaftung des Vaters waren die Kinder zunächst auf sich allein gestellt. In diesen schweren Tagen kümmerte sich zunächst ihre Wohnungsnachbarin um sie (eine gutherzige ukrainische Frau), bis sie wenig später auf die Verwandten aufgeteilt wurden. Die Älteren kamen zu ihrer Stiefmutter, der Jüngste zu den Geschwistern des Vaters. Aber schon bald liefen Edwin und Erich von ihrer Stiefmutter weg, um mit ihrem kleinen Bruder bei den Verwandten des Vaters zu leben. Als Edwin die Schule abschloss, war der Krieg gerade ausgebrochen. Im Juli 1941 wurde er mobilisiert, um in den folgenden zwei Monaten Panzerabwehrgräben auszuheben.

Angesichts der rapiden Verschlechterung der Lage an der Front und des schnellen Vormarschs des Feindes tief auf das Gebiet der Sowjetunion leitete die Sowjetführung Ende August präventive Repressionsmaßnahmen gegen die in der Sowjetunion lebende deutsche Bevölkerung ein. Am 31. August 1941 fasste das Politbüro des ZK der WKP(b) den Geheimbeschluss „Über die auf dem Gebiet der Ukrainischen SSR lebenden Deutschen“, dem zufolge auf dem Territorium der Gebiete Dnepropetrowsk, Woroschilowgrad, Saporoschje, Kiew, Poltawa, Stalino Sumy, Charkow und Tschernigow: 1) unter den Deutschen das gesamte „antisowjetische Element“ zu verhaften war; 2) alle deutschen Männer im Alter von 16-60 Jahren in militärische Baubataillons mobilisiert und ins Landesinnere auf volkswirtschaftlich wichtige Objekte verschafft werden sollten. Am 12. September 1941 wurde Edwin Grieb zusammen mit den anderen vor Ort ansässigen deutschen Männern in einen Militärzug verladen und in den Ural gebracht.

Mit der Ankunft des Zugs in Solikamsk (24. September 1941) begann für Edwin Grieb das Leben in der Arbeitsarmee, wo der junge Mann körperliche Schwerstarbeit verrichten musste: Anlage von Maschinenfundamenten, Heranschaffen von Heu (für die Pferde) aus der Taiga ins Dorf, Verlegung von Rohren, Arbeit in der Ziegelei. Im August 1943 wurde er als einer der wenigen Leute im Lager, die die Mittelschule abgeschlossen hatten, zum Sicherheitstechniker der Ziegelei ernannt und arbeitete wenig später auch als Sekretär des Fabrikdirektors D.T. Schetkin, wo er sich als engagierter und kreativer Arbeiter den Respekt seiner Vorgesetzten und Kollegen verdiente und immer öfter mit schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben betraut wurde, die er gewissenhaft ausführte.

Als der Direktor der Ziegelei D.T. Schetkin in den Jahren 1943–44 zusammen mit zahlreichen anderen Direktoren der zum Solikamsker Baukombinat gehörenden Unternehmen an die beim Stadtkomitee der WKP(b) bestehende Abenduniversität für Marxismus-Leninismus entsandt wurde, nahm er Edwin auf alle Lehrveranstaltungen mit, der dort neben ihm saß, gewissenhaft zuhörte und fleißig mitschrieb. Nach dem Unterricht kopierte Edwin seine Mitschriften in das Heft des Direktors. Bald baten die anderen Direktoren, die Schetkin um seinen „Sekretär“ beneideten, Edwin, seine Mitschriften auch für sie zu kopieren, was dieser natürlich nicht ablehnen konnte. So besuchte Edwin an der Abenduniversität schließlich das volle Programm und hörte den vollständigen Kurs der dort gelehrten Wissenschaften. Als die Direktoren ihr Lehrprogramm abschlossen, ihre Prüfungen ablegten und ihre Diplome entgegennahmen, vergaßen sie Edwin nicht und erklärten der Leitung der Universität gegenüber, dass es ungerecht sei, dass „Edik“, der mit ihnen zusammen gelernt und ihnen bei der Vorbereitung der Prüfungen geholfen habe, kein „Papierchen“ bekomme.

So bekam der parteilose Arbeitsarmist Edwin Grieb im Jahr 1944 ein Dokument, das ihm bestätigte, den vollen Kurs der Abenduniversität für Marxismus-Leninismus beim Solikamsker Parteikomitee gehört zu haben.

Mehr und mehr sah D.T. Schetkin in Edwin seinen Gehilfen, wenn nicht gar seinen Stellvertreter. Sein Vertrauen in den jungen Burschen wuchs in einem solchen Maße, dass er Grieb, als er selbst auf einen höheren Posten versetzt wurde (Direktor des Kombinats für Baubedarf und Bauteile), den Auftrag erteilte, die Geschäfte der Ziegelei abzuwickeln und aufzulösen. So wurde der junge Arbeitsarmist Edwin Grieb zum Vorsitzenden der Liquidationskommission berufen, wo er diese schwierige Aufgabe innerhalb von drei Monaten (Juni-August 1944) erfolgreich erledigte.

Anschließend sollte Edwin auf Initiative Schetkins dessen Bürochef und Sekretär werden, wogegen die örtliche Abteilung der Staatssicherheit aber ihr Veto einlegte, da Grieb bei der Arbeitsarmee war. Also entschied Schetkin, Grieb an die Abteilung für Beschaffung und Absatz zu entsenden, wo E.A. Grieb schon bald zum Chef der Abteilung für Materialbeschaffung aufstieg. So kam es, dass die Organisation der Materialbeschaffung eines riesigen Kombinats im August 1944 in die Hände des gerade einmal zwanzigjährigen Arbeitsarmisten Edwin Grieb gelegt wurde.

Ungeachtet seiner deutschen Herkunft und seines Status als Arbeitsarmist konnte sich der blutjunge Mann mitten im grausamen Krieg gegen Deutschland Bekanntheit, Autorität und Respekt unter seinen Kollegen erarbeiten. So etwas lässt sich nicht allein durch Zufall oder glückliche Umstände erklären, sondern war Resultat seiner Erziehung und seiner gewissenhaften Arbeitseinstellung, Ergebnis von Eigenschaften wie Anstand und Würde, Prinzipientreue, Pflichtbewusstsein und Fleiß und daraus folgend Organisationstalent und vernünftigem Denken.

In seiner neuen Funktion arbeitete Edwin sich schnell ein und konnte die Dokumentation des Warenein- und ausgangs rationaler gestalten, woraufhin auch die Führung der dem Kombinat für Baubedarf und Bauteile übergeordneten Hauptverwaltung auf ihn aufmerksam wurde, so dass er schließlich die Dokumentation der gesamten Hauptverwaltung überarbeiten sollte, der insgesamt 18 Unternehmen unterstellt waren. Er bekam Zugang zu vertraulichen Informationen und wurde mehrfach nach Moskau abkommandiert.

Nach dem Ende des Krieges wurden die Lebensbedingungen der Mitglieder der Arbeitsarmee nach und nach (wenn auch sehr langsam) liberalisiert. Im Frühjahr 1946 wurde in Griebs Lager das Wachpersonal abgezogen und die Arbeitsarmisten durften sich frei in der Stadt bewegen. An die Stelle der Arbeitsarmee trat das Sondersiedlungsregime.

Die befreiten Arbeitsarmisten begannen, ihre Familien nach Solikamsk zu holen oder (sofern sie Junggesellen waren) die jungen Frauen vor Ort zu heiraten. So wurden in Solikamsk viele gemischtnationale Ehen geschlossen.

Im Zuge der neuerlichen Verschärfung des politischen Regimes erließ das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR am 26. November 1948 das Dekret „Über die strafrechtliche Verantwortung für die Flucht aus den dauerhaften Siedlungsorten von während des Vaterländischen Kriegs in entfernte Regionen der Sowjetunion ausgesiedelten Personen“, das der aufkeimenden Hoffnung der Russlanddeutschen einen ersten großen Schlag versetzte. Das Dekret, dass die Deportierten faktisch „auf ewig“ an ihre Deportationsorte band, wurde jedem volljährigen Sondersiedler zur Unterschrift vorgelegt. E.A. Grieb war einer der wenigen, die sich weigerten, ihre Unterschrift unter das Dokument zu setzen.

Schon bald sollte Edwin die Folgen dieses Dekrets am eigenen Leib zu spüren bekommen. Als leitender Mitarbeiter des Kombinats für Baubedarf und Bauteile, das im Mai 1946 unmittelbar der Hauptbauverwaltung des Innenministeriums der UdSSR unterstellt worden war, hatte E.A. Grieb die höchste Zugangskategorie zu geheimen Objekten und Dokumenten seines Ministeriums auf dem gesamten Gebiet der Sowjetunion und verfügte über einen entsprechenden Sonderausweis mit Foto und Stempel. Und das hatte auch seine volle Berechtigung, wenn man bedenkt, das es just Edwins Kombinat war, das im Jahr 1947 Stalins am Riza-See gelegene Datscha baute. Im gleichen Jahr verbrachte Edwin Grieb einige Monate in dem Geheimobjekt „Tscheljabinsk 40“, hatte Kontakte zum Stellvertretenden Innenminister W. Tschernyschow und dem Chef der Hauptbauverwaltung des Innenministeriums Komarowski, denen er weisungsgebunden war. Nach Erscheinen des Dekrets vom 26. November 1948 wurde Edwin Grieb ohne jede Erklärung jeglicher Zugang entzogen, so dass er sich eine neue Arbeit suchen musste und als Ökonom bei einem Sägewerk anfing. In dieser Situation fasste er den Entschluss, ein Studium aufzunehmen.

Allerdings lagen alle in Frage kommenden Hochschulen (Molotow (heute Perm), Moskau, Leningrad) von Solikamsk weit entfernt und selbst bei einem Fernstudium musste man vor Aufnahme des Studiums persönlich bei der ausgewählten Hochschule vorsprechen und Eingangsprüfungen ablegen, was für einen Sondersiedler praktisch unmöglich war. Edwin dachte über alles eingehend nach und sein angeborener Mutterwitz sollte ihm auch dieses Mal helfen. Nachdem er zahlreiche Varianten durchgespielt hatte, fand er schließlich einen Ausweg. Er musste lediglich verheimlichen, bereits das Abitur zu haben, und die Abschlussklasse einer Abendmittelschule für die Arbeiterjugend besuchen, die er ein Jahr später mit einer Silbernen Medaille abschloss (er hatte nur in einem Fach keine Bestnote), was ihn wiederum dazu berechtigte, ohne vorherige Prüfungen ein Studium aufzunehmen.

Edwin entschied sich für das Polytechnische Nordwest-Institut in Leningrad, wo es an der Fakultät für Bauwesen eine Abteilung für Fernstudien gab und mit einer Medaille ausgezeichnete Schüler vor der Aufnahme des Studiums nicht persönlich vorsprechen mussten, sondern auch schriftlich auf bestimmte Fragen antworten und die entsprechenden Dokumente einreichen konnten. So bereitete Edwin im Sommer 1951 alle Papiere vor und schickte sie an das Polytechnische Institut in Leningrad, von dem er wenig später die Zusage erhielt, für den ersten Kurs aufgenommen worden zu sein. Freude und Stolz erfüllten ihn: Er hatte in einer nahezu ausweglos scheinenden Situation einen Ausweg gefunden. Wie sich allerdings bald herausstellen sollte, war es noch verfrüht, sich zu freuen.

Als Edwin Grieb im Dezember vom Institut zur ersten Prüfungsrunde eingeladen wurde, schrieb er eine entsprechende Erklärung an seinen Direktor, der diese unterschrieb und vorschriftsgemäß an den Chef der Städtischen Verwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit weiterleitete, der Griebs Fahrt nach Leningrad genehmigen musste. Damit nahmen die Probleme ihren Anfang.

Grieb wurde in die Städtische Verwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit vorgeladen, wo er mit der Anschuldigung konfrontiert wurde, „in grober Weise gegen das Sondersiedlungsregime verstoßen“ zu haben und eigenmächtig und ohne den Sonderkommandanten darüber in Kenntnis zu setzen nach Leningrad gefahren zu sein, um sich am dortigen Institut einzuschreiben. Edwin wies die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe kategorisch zurück und konnte nach einer immerhin drei Tage währenden Überprüfung tatsächlich belegen, gegen keinerlei Anweisungen oder Regeln verstoßen zu haben, was die Vertreter der Staatssicherheit allerdings erst recht in eine verzwickte Lage brachte. Einerseits gab es keinerlei gesetzliche Grundlage, Grieb die Reise nach Leningrad zu verweigern, da er sich in allen Schritten strikt an die Gesetze gehalten hatte, andererseits war es nicht vorgesehen, einen Sondersiedler allein und zudem noch so weit reisen zu lassen. Also entschied der örtliche Chef der Staatssicherheit nach Rücksprache mit dem Direktor des Kombinats, Grieb die Fahrt „in Begleitung“ zu genehmigen.

Edwin wurde ein örtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit zur Seite gestellt, der ihn nach Leningrad brachte und bei der dortigen Sonderkommandantur ablieferte, die ihm wiederum eine Sondersiedlungskarte ausstellte und ihn verpflichtete, sich einmal wöchentlich (jeden Dienstag) persönlich bei der Sonderkommandantur zu melden. Nach dem erfolgreichen Abschluss aller Prüfungen wurde Grieb diesmal ein Leningrader Mitarbeiter der Staatssicherheit zur Seite gestellt, der ihn wohlbehalten in Solikamsk ablieferte. Edwin selbst zeigte sich ob dieser Situation nicht sonderlich desillusioniert und sah die ganze Geschichte eher ironisch.

Insgesamt musste Edwin Grieb vier Mal in Begleitung nach Leningrad fahren, um dort diverse Prüfungen abzulegen. Nach Stalins Tod im Jahr 1953 durfte er zwar schon ohne Begleitung nach Leningrad reisen, war aber laut Reisekarte an die Route Solikamsk-Molotow-Leningrad gebunden. Für den Fall, dass er außerhalb dieses Wegs aufgegriffen wurde, sollte er sofort verhaftet und in das Gefängnis von Solikamsk gebracht werden. Da ihm verboten war, den direkten Weg über Moskau zu nehmen, musste er zahlreiche Unannehmlichkeiten, häufige Zugwechsel und lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Erst im Jahr 1956 wurden die entsprechenden Beschränkungen für den Sondersiedler Grieb aufgehoben.

Edwins Studium an der Fakultät für Bauwesen des Polytechnischen Nordwest-Instituts dauerte von Herbst 1951 bis Januar 1958. An der Abteilung für Fernstudien musste man sechs Kurse absolvieren, was etwas mehr als sechs Jahre in Anspruch nahm. Von November 1957 bis Januar 1958 lebte Edwin in Leningrad, um dort seine Diplomarbeit zu verfassen, die er erfolgreich verteidigte. Alles in Allem war sein Studium erfolgreich und verlief ohne ernste Probleme. Noch während des Studiums wechselte Edwin von seinem Posten im Sägewerk an die Abteilung für Großbauprojekte des Kombinats für Baubedarf und Bauteile, wo er als Projektentwickler tätig war.

Im September 1954 heiratete E.A. Grieb Soja Nikolajewna Satschkowa, eine Ingenieurin, die ebenfalls im Kombinat angestellt war. 1955 wurde ihr Sohn und 1960 ihre Tochter geboren.

Praktisch unmittelbar nach Abschluss seines Studiums wurde E.A. Grieb zum Chef der Produktionstechnischen Abteilung des Kombinats ernannt. Somit blieb er dem Bauwesen treu, war nun aber hauptsächlich mit Organisations- und Führungsaufgaben betraut und musste den Bau von Objekten organisieren und leiten. Dank seiner erfolgreichen Arbeit wurde Edwin Grieb im Jahr 1961 innerhalb des Kombinats auf den sehr wichtigen und verantwortungsvollen Posten des Chefs der Bau- und Montageverwaltung versetzt, wo er seine Bestimmung fand und insgesamt 17 Jahre blieb. Innerhalb des Solikamsker Kombinats für Baubedarf und Bauteile stellte die Bau- und Montageverwaltung eine große und schwierige Produktionseinheit dar, die für den Bau von Industriebauten, Wohnungen und Objekten der sozialen und kulturellen Infrastruktur (Geschäfte, Kantinen, Bibliotheken usw.) zuständig war. Dabei wickelte die Bau- und Montageverwaltung den gesamten Arbeitszyklus von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines Objekts ab, was konkret hieß, dass ihre Spezialisten selbst alle Montage-, Installations- und sonstigen Arbeiten durchführten und z.B. auch für den Bau der Lüftungsanlagen zuständig waren. Insgesamt waren bei der Verwaltung für Bau- und Montagearbeiten über 1.000 Menschen beschäftigt. Den Großteil der Belegschaft stellten dabei Bauarbeiter und Handwerker aus den Reihen der früheren deutschen Arbeitsarmisten, bei denen es sich nach den Erinnerungen Griebs durchgängig um zuverlässige, disziplinierte, einwandfrei arbeitende, fleißige und gewissenhafte Arbeiter ohne schlechte Angewohnheiten handelte. Grieb selbst wurde in einem Arbeitszeugnis aus jener Zeit als technisch versierter Bauingenieur mit großer praktischer Erfahrung beschrieben, der immer an sich arbeitete: „Er hat viel Arbeit und Mühe in Aufbau und Sanierung des Kombinats investiert, erfüllt gewissenhaft alle Aufgaben und hat Initiative und Findigkeit bei der Lösung von Produktionsfragen gezeigt. Er geht fürsorglich mit den Kadern der Bauarbeiter um und lässt sie gerne an seinem Wissen und seiner Erfahrung teilhaben. Freundlich, taktvoll und bescheiden.“

Im Herbst 1970 druckte die Zeitschrift „Technik - der Jugend“ in ihrer Oktoberausgabe unter dem Titel „Der Baumeister ist eine atomare Sprengung“ einen zuvor in dem Bulletin der IAEA (Internationale Atomenergie-Organisation) erschienenen Artikel nach, in dem unter anderem Folgendes zu lesen war: „In der Sowjetunion wurde das Projekt ausgearbeitet, das Wasser der in den nördlichen Landesteilen gelegenen Flüsse mit Hilfe atomarer Sprengungen in die Wolga umzuleiten. In den letzten 35 Jahren ist der Wasserstand des Kaspischen Meeres um 2,5 Meter gesunken, was der Fischwirtschaft, dem Schiffsverkehr und einigen anderen in der Küstenzone angesiedelten Zweigen der Volkswirtschaft erheblichen Schaden zugefügt hat.

Der steigende Wasserbedarf der zentralen und südlichen Regionen des europäischen Landesteils und eine Stabilisierung des Wasserstands des Kaspischen Meers lässt sich durch die überschüssigen Wasserreserven der im Norden gelegenen Flüsse befriedigen, insbesondere durch die Umleitung des Flusslaufs der Petschora. Für die gesamte Strecke werden etwa 250, in einer Tiefe von 150-285 Metern angebrachte atomare Sprengsätze benötigt [...] Durch den Einsatz atomarer Sprengungen sinken die bei den Aushubarbeiten anfallenden Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Bauverfahren um das 3-3,5-fache.“

Der Artikel war mit einer Karte illustriert, auf der die geplante Umleitung des Wassers der Petschora in das Einzugsgebiet der Wolga dargestellt war. Im Rahmen des Projekts war der Bau eines vierzig Kilometer langen Kanals zwischen den Flüssen Petschora und Kolwa vorgesehen, dessen Lauf laut Erklärung mit Hilfe atomarer Sprengungen ausgehoben werden sollte.

Nur wenige gut informierte Leute, die Einblick in die inneren Abläufe des sowjetischen Militärisch-Industriellen Komplexes hatten, verstanden, dass der Abdruck eines solchen Artikels in der Zeitschrift „Technik - der Jugend“ nur möglich war, wenn die Umsetzung des darin beschriebenen Projekts bereits begonnen hatte.

Letztlich ergab es sich, dass auch E.A. Grieb als eine der für die Umsetzung dieses unter dem Codenamen „Taiga“ firmierenden Projekts verantwortlichen Personen aufs Engste in die Ereignisse involviert sein sollte.

Ende der 1960er – Anfang der 1970er Jahre war das Solikamsker Kombinat für Baubedarf und Bauteile ein riesiges über modernste Technik und leistungsstarke Maschinen verfügendes Bauunternehmen. Seit 1955 war es zudem dem für Nukleartechnik zuständigen Ministerium für Mittleren Maschinenbau der UdSSR unterstellt, hinter dem sich eine der größten Militärbehörden des Landes verbarg, die über die nötigen Ressourcen verfügte, auch höchst komplizierte Großprojekte umzusetzen. So war es nur folgerichtig, dem Ministerium auch die Umsetzung des Projekts „Taiga“ anzuvertrauen.

Das Solikamsker Kombinat für Baubedarf und Bauteile wiederum hatte seinen Sitz in unmittelbarer Nähe des für den Bau des Kanals vorgesehenen Standorts, erfüllte alle technischen Anforderungen und verfügte (was ebenfalls alles andere als unwichtig war) über Erfahrung bei der Ausführung „verantwortungsvoller Partei- und Regierungsaufträge“, so dass es zum Generalauftragnehmer des Projekts „Taiga“ bestimmt wurde. Als Chef der Bau- und Montageverwaltung trug E.A. Grieb dabei die Hauptlast der Arbeit. Auch wenn die  unmittelbar mit dem Projekt verbundenen Vorarbeiten vor allem von auswärtige Spezialisten ausgeführt wurden, war das Kombinat nach den Erinnerungen Griebs bereits zu diesem Zeitpunkt involviert, da es für deren Versorgung sorgen musste.

Im weiteren Verlauf des Projekts „Taiga“ war auch der Bau eines Atomkraftwerks vorgesehen, weswegen E.A. Grieb und seine Leute auf Weisung von oben mit dem Aufbau der benötigten Infrastruktur betraut wurden: Bau einer Fabrik für Stahlbetonteile mit einer Produktionsleistung von 20.000 Kubikmetern, Ausbau der von der Abteilung für Arbeiterversorgung unterhaltenen Infrastruktur, um die Versorgung der für den Baueinsatz aus anderen Regionen abgestellten Arbeiter mit Lebensmitteln zu gewährleisten, Ausweitung des Fuhrparks des Kombinats in einem für die Bauarbeiten benötigten Umfang. Bei der Umsetzung dieser Aufgaben konnte das Kombinat auf Pläne zurückgreifen, die noch vor dem Projekt „Taiga“ für den geplanten Bau eines Wasserkraftwerks ausgearbeitet worden waren.

Die erste große Aufgabe, die das Kombinat nach seiner Bestimmung zum Generalauftragnehmer ausführen sollte, bestand darin, auf dem für den Bau des Kanals vorgesehenen Terrain den Wald zu roden. Da das Kombinat auch schon vorher pro Jahr 360.000 Kubikmeter Holz produziert hatte, lag dieser Auftrag  durchaus im Rahmen seiner üblichen Tätigkeit.

Anschließend wurde eine für die im Rahmen des Projekts eingesetzten Arbeiter und Angestellten bestimmte Siedlung gebaut, für deren Errichtung die von E.A. Grieb geführte Bau- und Montageverwaltung unmittelbar zuständig war. Alle für diese Siedlung vorgesehenen Häuser wurden im Kombinat hergestellt, als Fertigteile vor Ort gebracht und dort montiert. Die Siedlung (die keinen offiziellen Namen hatte und von den Bauarbeitern ironisch als Wasjuki oder New Wasjuki bezeichnet wurde) lag etwa anderthalb Kilometer von dem geplanten Petschora-Kolwa-Kanal entfernt, bei dessen Bau atomare Sprengungen zum Einsatz kommen sollten. Nach dem Bau einer in diese Siedlung und zum Ort der geplanten Sprengungen führenden Straße wurden am geplanten Verlauf des Kanals drei Löcher gebohrt, in denen die atomaren Sprengsätze deponiert werden sollten. Die entsprechenden Arbeiten wurden von auswärtigen Bohrarbeitern verrichtetet,  für die E.A. Grieb und seine Leute in ausreichendem Umfang Lebensmittel, Wohnraum, Hilfstechnik und Material bereitstellen mussten. Bei jedem der Sprenglöcher wurde ein hangarartiges Gebäude errichtet, in das die einzelnen Teile des „Produkts“ (d.h. des atomaren Sprengsatzes) gebracht werden sollten, um dort vollständig zusammengebaut zu werden.

Da man mit diesen Arbeiten Neuland betrat, waren zahlreiche Atomwissenschaftler und andere Spezialisten (Elektroingenieure, Meteorologen usw., im unmittelbaren Vorfeld der Sprengungen bis zu 500 Personen) vor Ort, die nach den Worten E.A. Griebs ständig auf der Baustelle „herumwuselten“, alles Mögliche überprüften, irgendwelche Messungen durchführten usw. Bei diesen Leuten handelte es sich um Spezialisten des Instituts für Atomphysik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, für deren Verpflegung, Unterbringung und Freizeitgestaltung E.A. Grieb ebenso zuständig war wie für seine eigenen an dem Projekt beteiligten Arbeiter und Angestellten.

Nach den Plänen der Atomwissenschaftler sollte durch die geplanten drei unterirdischen atomaren Sprengungen eine 800 Meter lange, 400 Meter breite und 20 Meter tiefe Ausschachtung ausgehoben werden. Durch die bei der Explosion entstehende hohe Temperatur sollte sich zudem die Oberfläche der ausgehobenen Fläche zusammenbacken und eine wasserundurchlässige glasartige Masse bilden. Aber nicht alles verlief nach Plan. Die Sprengkraft erwies sich als zu niedrig, die Gegend war sumpfig, so dass die Verglasung der Oberfläche nicht eintrat. Abgesehen davon wurde die Fläche nicht gleichmäßig ausgehoben:  Während die Ausschachtung an den Rändern 18 Metern tief war, waren es im Zentrum nur gerade einmal sechs Meter. E.A. Grieb führte dies darauf zurück, dass die Wissenschaftler angesichts fehlender Erfahrungswerte keine genauen Voraussagen hatten machen können. Der durch die beiden seitlichen Sprengungen aufgeworfene Boden bildete in der Mitte der Grube eine Erhebung, was die Legende entstehen ließ, der mittlere Sprengsatz habe nicht gezündet. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler sich aber davon überzeugen, dass es drei Explosionen gegeben hatte. Die Telemetrie funktionierte gut, so dass die Explosion des mittleren Sprengsatzes durch Hunderte Sensoren fixiert wurde.

Im Jahr 1975 wurden die Arbeiten wieder aufgenommen. Während die Sprengsätze 1971 in Sumpfgrund gesetzt worden waren, wählte man dieses Mal eine Erhebung mit festem Steingrund als Ort der Sprengung. E.A. Griebs Bauarbeiter kamen erneut in die Kanalzone, um wie schon beim ersten Mal alle für die Vorbereitung des neuerlichen Experiments nötigen Arbeiten zu verrichten. Dann bohrte man erneut Sprenglöcher, brachte die Sprengsätze und deponierte sie in den Löchern. Letztlich kam es dieses Mal allerdings zu keiner Sprengung, da die USA und die Sowjetunion just zu dieser Zeit ein Moratorium für die Durchführung unterirdischer atomarer Sprengungen vereinbarten. Nachdem man noch einige Zeit auf Anweisungen von oben gewartet hatte, wurden die Sprengsätze schließlich wieder abgebaut und die Löcher mit Schotter gefüllt. Nichtsdestotrotz sind die Gerüchte, die Sprengsätze seien noch immer in der Erde, seitdem nicht verklungen.

Im Jahr 1977 wurde E.A. Grieb zum Stellvertretenden Direktor des Kombinats für Großbauprojekte ernannt.

Der bald darauf einsetzenden Perestroika stand E.A. Grieb ablehnend gegenüber. Wie alles andere, was über viele Jahre unter gewaltigen Anstrengungen aufgebaut worden war, brach auch das Kombinat zusammen. Die Bauindustrie kollabierte, hochqualifizierte Kader gingen verloren. Edwin Grieb schämte sich vor seinen Leuten, als ob er für den allgemeinen Verfall persönlich verantwortlich sei. Und doch sah und spürte er, dass die Leute ihm auch weiter Respekt zollten. Sie wussten ja nur zu gut, dass Edwin Grieb nie in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte und die Entwicklung ihm selbst nicht weniger zu schaffen machte als ihnen. Außerdem hatte er seinen Führungsposten im Kombinat zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen.

„Es betrübt mich ungemein, dass wir die grandiosen Pläne im Wohnungsbau und bei der Sanierung der Produktion nicht haben umsetzen können.“

An diesen Worten lässt sich Griebs ganzes Wesen ablesen - als Mensch, dem es immer vor allem darum ging, konkrete Dinge zu schaffen, die Glück und Wohlstand der Menschen wirklich mehren, was seines Erachtens viel wichtiger war als politische Kämpfe und alles andere, was sich an der Spitze der Staatsmacht abspielte.

Im Juli 1989 schied Edwin Grieb aus dem Arbeitsleben aus und ging in Rente. Aber auch dieses einschneidende Ereignis sollte ihn nicht daran hindern, auch weiterhin gesellschaftlich tätig zu sein. So blieb E.A. Grieb Vorsitzender des Rats der Veteranen.

In den Jahren der Perestroika wurde E.A. Grieb, der in Solikamsk auch noch als Rentner gewaltiges Ansehen genoss, zu einem der Gründer und Führer der örtlichen nationalen deutschen Bewegung, der er nun seine ganze unbändige Energie widmete.

Ende September 1990 genehmigte der Stadtsowjet von Solikamsk die Gründung der städtischen Vereinigung der Russlanddeutschen „Wosroschdenije“ („Wiedergeburt“), die Edwin Grieb auf ihrer ersten Vollversammlung einstimmig zum Vorsitzenden wählte, was kaum mehr als eine Formalie war, da Edwin Grieb de facto schon seit den 1970er Jahren informeller Führer der in der Stadt lebenden Deutschen war.

Vom Tag seiner Wahl an folgte Edwin streng dem Prinzip, eng mit der Stadtverwaltung zu kooperieren. Einer seiner ersten Schritte bestand darin, Juristen zu konsultieren und um eine Aufstellung aller die Beziehungen zwischen den einzelnen Nationalitäten regelnden Gesetze zu bitten. Nach Lektüre dieser Zusammenstellung verstand Grieb, dass die Gründung einer städtischen Vereinigung der Deutschen durch die bestehenden Gesetze gedeckt war, und ließ eine auf den entsprechenden Gesetzen basierende Satzung ausarbeiten und registrieren, die den in anderen Städten gegründeten analogen Vereinigungen später als Vorbild diente, die in deren Text nur den Namen der eigenen Stadt einsetzen mussten. Die Satzung bildete die Arbeitsgrundlage der Vereinigung, bis sich diese aufgrund einer entsprechenden Gesetzesänderung nicht mehr beim Stadtexekutivkomitee, sondern bei der Justizverwaltung des Gebiets Perm registrieren lassen musste. Für die Ausarbeitung der neuen Satzung lud Grieb eigens einen Spezialisten aus Deutschland ein.

Im gleichen Jahr 1990 fand in der Stadt ein erstes von „Wosroschdenije“ organisiertes Festival der deutschen Kultur statt, für dessen Durchführung den Deutschen das Gebäude des Kulturhauses „Prikamje“ zur Verfügung gestellt wurde. Jeden Freitag fanden Veranstaltungen statt. Als im Dezember 1990 am gleichen Ort erstmals eine Weihnachtsfeier durchgeführt wurde, war der Saal bis zum Anschlag gefüllt. Die Stimmung war feierlich, und die städtischen Behörden und verschiedene gesellschaftliche Organisationen übermittelten wohlwollende Grußworte. Für viele Deutsche war das ein unvergesslicher Moment.

Im folgenden Frühjahr (März-April) fanden in Solikamsk erstmals in der Geschichte der Stadt Tage der Deutschen Kultur statt, in deren Rahmen auch Sprach- und Bibliotheksseminare sowie Laienkonzerte durchgeführt wurden. An der Veranstaltung nahmen Delegationen und Laienkünstler aus allen Teilen der Sowjetunion und sogar eigens aus Bayern angereiste Musiker teil. Seit dieser Zeit sind die regelmäßig veranstalteten Tage der Deutschen Kultur in Solikamsk eine liebgewonnene Tradition.

E.A. Grieb arbeitete den Entwurf der von der Stadtverwaltung zu verabschiedenden Beschlussfassung „Über die Schaffung der für das Erlernen der Nationalsprachen nötigen Voraussetzungen in Solikamsk“ aus, was deutlich macht, dass er vom ersten Tag an keine Ausnahmen für die Deutschen, sondern eine für alle nationalen Minderheiten geltende Regelung anstrebte. Seinen Entwurf stimmte er mit allen zuständigen städtischen Stellen (Bildung, Kultur usw.) ab, wobei er die entsprechenden Auszüge aus den die Rechte der nationalen Minderheiten regelnden Gesetzen der UdSSR vorlegte. So legte er der Städtischen Abteilung für Volksbildung beispielsweise das entsprechende Bildungsgesetz vor. Schon bald wurde die entsprechende Beschlussfassung angenommen, in der es unter anderem hieß, dass man die Initiative der Vereinigung „Wosroschdenije“ begrüße und Bedingungen für den Spracherwerb schaffen wolle.

Über seine Verbindungen zu bundesdeutschen Organisationen lud Grieb Deutschlehrer ein, die für einen qualitativ hohen Deutschunterricht sorgten und anregten, ihre Solikamsker Kollegen Praktika in Deutschland absolvieren zu lassen. Während der gesamten Zeit des Bestehens der Vereinigung „Wosroschdenije“ machten über zwanzig in Solikamsk und den benachbarten Städten ansässige Deutschlehrer Praktika in Deutschland. Darüber hinaus wurden zwölf Lehrer für einen zweiwöchigen Kurs an das Informations- und Bildungszentrum der Russlanddeutschen in Mamontowka entsandt. In Solikamsk selbst wurden für die Deutschlehrer alljährlich Weiterbildungsseminare organisiert und durchgeführt, zu denen Fachkräfte des Goethe-Instituts aus Deutschland eingeladen wurden.

Die nächste auf eine entsprechende Initiative E.A. Griebs zurückgehende und von diesem entworfene Beschlussfassung der  Stadtverwaltung bezog sich auf die „Schaffung der für die Entwicklung der Kultur der nationalen Minderheiten in der Stadt Solikamsk nötigen Voraussetzungen“. Anfänglich war das Kulturzentrum im Kulturhaus des Kombinats für Bauteile untergebracht, wo Deutschkurse durchgeführt wurden und in mehreren Arbeitskreisen deutsches Kulturgut gepflegt wurde. Die in diesen Arbeitskreisen geleistete Arbeit war so erfolgreich, dass sogar die unionsweit erscheinende Zeitschrift „Klub“ lobend über deren Erfahrungen berichtete.

So organisierte E.A. Grieb die gesamte dem Aufbau des Solikamsker Zentrums der deutschen Sprache und Kultur dienende Arbeit in enger Kooperation mit der städtischen Verwaltung und im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt geltenden Gesetze.

Vom ersten Tag seiner Arbeit als Leiter der städtischen deutschen Gesellschaft ließ sich E.A. Grieb von einigen grundlegenden Prinzipien leiten, denen er in den Folgejahren immer treu bleiben sollte:

„Bei meiner Arbeit war mir immer klar, dass wir die Deutschen unter keinen Umständen aus der Masse der übrigen Leute herausheben sollten. Wir leben in Russland, wo es sehr viele Nationalitäten gibt, die allesamt die gleichen Rechte genießen wie die Russlanddeutschen. Wir, die Russlanddeutschen, können für uns nicht irgendwelche Sonderrechte fordern. Als ich mich mit den Opfern der Repressionen beschäftigt habe, habe ich verstanden, dass auch die anderen Völker, die Russen, Ukrainer usw. in nicht geringerem Maße als die Deutschen unter dem Stalinschen Regime und seinen Repressionen gelitten haben. Es gab eine ganze Armee von Entkulakisierten, die in den Norden, in den Ural, nach Sibirien usw. verbannt wurden. Hatten die es etwa leichter als die Deutschen? Bei uns gab es einen klaren Grund, weswegen wir deportiert wurden. Wir standen mit Deutschland im Krieg. Deshalb war es für mich nie eine Option, die Deutschen aus der Masse der Opfer der Repressionen herauszuheben, von denen es in Solikamsk sehr viele gibt. Deshalb habe ich es für unmöglich erachtet, ein rein deutsches Kulturzentrum zu gründen. In der Stadt weiß man, dass es die deutsche Vereinigung „Wosroschdenije“ gibt, aber dort kann jeder beitreten, der deren Ziele und Aufgaben teilt und Mitgliedsbeiträge zahlt. So ist es auch mit dem Kulturzentrum. Wenn ich ein deutsches Kulturzentrum gegründet hätte, wären Fragen gekommen, warum es kein russisches, ukrainisches tatarisches usw. Kulturzentrum gibt. Ich bin anders vorgegangen.“

Was die Organisation der täglichen Arbeit des deutschen Kulturzentrums betraf, fand Edwin Grieb eine ebenso unerwartete wie originelle Lösung: Er verabredete mit der Stadtverwaltung die Gründung einer  Schachschule (!), die in den leerstehenden Räumlichkeiten eines früheren Kindergartens untergebracht wurde. So fanden dort nach der Eröffnung und Anmeldung der Schule bei der für Bildungsfragen zuständigen Abteilung der Stadtverwaltung tagsüber Schachkurse für Kinder statt, während „Wosroschdenije“ die Räumlichkeiten nur am Abend und an den Wochenenden nutzte. Der deutschen Gesellschaft standen zwei Räume zur Verfügung, in denen sie eine Bibliothek und einen Computerraum einrichtete, die von der Schachschule mitsamt Ausstattung mitbenutzt werden konnten. So arbeitete Edwin Grieb viele Jahre einvernehmlich mit der Schulverwaltung zusammen. Das von ihm geleitete Kulturzentrum verfügte zwar offiziell über keine Räume, hatte aber nichtsdestotrotz nie ein Platz- oder Raumproblem.

Als die Schachschule im Jahr 2003 aufgrund äußerer Umstände, die in keiner Weise mit der Tätigkeit der deutschen Organisation in Zusammenhang standen, schließen musste, gründete die Bildungsverwaltung auf Initiative E.A. Griebs umgehend eine unter dem Namen „Wachstum“ firmierende neue Bildungseinrichtung, die sich um hochbegabte Kinder kümmern sollte. Mit dieser neuen Institutionen wurden die gleichen Absprachen getroffen wie zuvor mit der Schachschule. Auch „Wachstum“ war bei der Bildungsverwaltung offiziell registriert, während „Wosroschdenije“ mit dieser neuen Einrichtung in der bereits bewährten Weise kooperierte.

Einige Veranstaltungen wie z.B. die Weihnachts- und Osterfeiern führten die beiden Organisationen gemeinsam durch. Das deutsche Kulturzentrum sparte sich Ausgaben für Miete und Nebenkosten und sorgte im Gegenzug für eine angemessene Ausstattung der Klassen. E.A. Grieb war Vorsitzender der Solikamsker deutschen Vereinigung „Wosroschdenije“, seine damalige Stellvertreterin Tatjana Jurina (eine Russin und hervorragende Deutschlehrerin) stand als Direktorin in Personalunion „Wachstum“ vor.

In seiner Funktion als Leiter des „deutschen“ Zentrums konnte Edwin Grieb zahlreiche praktisch orientierte Projekte realisieren:

-) Organisation regelmäßiger Fahrten von Solikamsker Kindern nach Deutschland, um dort Deutsch zu lernen;

-) Organisation alljährlicher Sommer- und Wintersprachlager für Deutsch lernende Schüler mit insgesamt über 1.200 Teilnehmern (Kinder aus den Städten Solikamsk, Beresniki und Perm sowie aus den bei Perm gelegenen Rayonen Krasnowischersk, Tschardinsk und Alexandrowsk);

-) Einladung bundesdeutscher Kultur- und Musikensembles (Orchester aus München und Hannover sowie die bekannten Sänger und Interpreten deutscher Volkslieder Wieser und Stauch);

-) Organisation von Auslandsaufenthalten der Akkordeonspieler der örtlichen Kunstschule, des Leiters des deutschen Chors und des Leiters des Tanzkreises zu Fortbildungszwecken.

-) Organisation und Durchführung von Seminaren für die Leiter der in der Region Perm ansässigen Kindertheater (unter Beteiligung des bundesdeutschen Regisseurs Stefan Müller).

-) Organisation von Gastspielen deutschsprachiger Kindertheater aus Stollberg (Deutschland) und Turgi (Schweiz).

-) Einladung erfahrener bundesdeutscher Deutschlehrer, um am Pädagogischen Institut und an der  Pädagogischen Fachoberschule einheimische Muttersprachler zu unterrichten. Einer der letzten dieser in Solikamsk tätigen Pädagogen war Helmut Graf, der als führender Spezialist für die Vermittlung der deutschen Sprache an der Universität Bonn tätig ist.

Diese Auflistung konkreter Projekte ließe sich noch lange fortführen.

Großen Raum nahm unter den Aktivitäten des Solikamsker Deutschen Kulturzentrums und konkret ihres Leiters E.A. Grieb die Erinnerungsarbeit ein, deren Ziel darin bestand, die historische Erinnerung an die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit sowohl unter der deutschen als auch der gesamten Bevölkerung der Stadt aufrechtzuerhalten. Diesem Ziel diente unter anderem auch die Zusammenarbeit mit Presse und Medien vor Ort, die über deutsche Themen berichteten, Werbung für die deutsche Sprache und Kultur machten und die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Deutschen in Russland allgemein und insbesondere in Solikamsk förderten. Einige Jahre lang arbeitete „Wosroschdenije“ mit der Zeitung „Nasch Solikamsk“ („Unser Solikamsk“) zusammen, die der deutschen Organisation unter dem Titel „Guten Tag“ eine ganze Doppelseite zur Verfügung stellte, um dort der Geschichte, dem heutigen Leben, der Kultur und den Traditionen der örtlichen Deutschen gewidmetes Material zu veröffentlichen.

Den wohl eindrucksvollsten Erfolg im Bereich der Geschichtsarbeit markierte die Beteiligung des Zentrums an einem gemeinsamen Projekt mit Wissenschaftlern der Permer Hochschulen und Mitarbeitern des Staatlichen Archivs für Gesellschaft und Politik und des Staatlichen Archivs der Region Perm, dessen Ziel darin bestand, den Dokumenten- und Erinnerungsband „Die Deutschen in der Kama-Region. 20.  Jahrhundert“ zusammenzustellen. Dieser 2006 erschienene, schon von seinem Umfang her imposante und hervorragend gestaltete zweibändige Sammelband (veröffentlicht in drei Büchern) fand in wissenschaftlichen Kreisen weit über die Region Perm hinaus russlandweit große Beachtung und enthielt zahlreiche, der breiteren Öffentlichkeit zuvor nicht bekannte Archivdokumente, die vom Schicksal jener Leute zeugen, die es infolge der historischen Umstände in die Region Perm verschlagen hatte: Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs, deutsche Ingenieure und Arbeiter aus der Zeit der Industrialisierung und vor allem Sowjetdeutsche, die in den Jahren des Deutsch-Sowjetischen Kriegs zur Arbeitsarmee eingezogen wurden und in der Sondersiedlung waren.

E.A. Griebs wohl größter Erfolg war die Gründung eines Gesundheits- und Rehabilitationszentrums für die Opfer der politischen Repressionen. Durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressionen wurden diese (bei denen es sich in Solikamsk mehrheitlich um Deutsche handelte) hinsichtlich der ihnen gewährten Vergünstigungen bei der medizinischen Versorgung rechtlich den Kriegsveteranen gleichgestellt, was für einige unschöne Szenen sorgte, als die Veteranen des Krieges und der Stalinschen Lager beide die örtlichen Krankenhäuser belagerten. Zum einen missfiel es den Kriegsveteranen prinzipiell, mit den früheren Lagerinsassen in einen Topf geworfen zu werden, zum anderen stellten beide Kategorien zusammen eine recht große Gruppe dar, was wiederum jenen missfiel, die kein Recht auf bevorzugte Behandlung genossen und in der gewöhnlichen Schlange warten mussten.

In dieser Situation wandte sich E.A. Grieb mit einem Vorschlag an den Verwaltungschef, der die Lage entspannen sollte. Die Verwaltung von Solikamsk sollte eines der städtischen Krankenhäuser für die Opfer der politischen Repressionen zur Verfügung stellen, um dort ein Gesundheits- und Rehabilitationszentrum zu errichten, dessen ambulante (Poliklinik) und stationäre Behandlung ausschließlich früheren Repressionsopfern vorbehalten sein sollte.

Am 14. April 1994 wurde das Rehabilitationszentrum aufgrund einer Beschlussfassung der Stadtverwaltung gegründet, der zufolge die Vereinigung „Wosroschdenije“ unter anderem zur Bereitstellung von Medikamenten und Präparaten verpflichtet war. Edwin Grieb erfüllte diese Verpflichtung in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Organisation. Er lud pensionierte Ärzte aus Deutschland, die in ihrem Arbeitsleben herausragende Spezialisten gewesen waren, nach Solikamsk ein, um die dortigen Patienten zu untersuchen und zu behandeln. Später organisierten diese deutschen Ärzte eine Spendenaktion, mit deren Erlös Medikamente für die Patienten des Rehabilitationszentrums gekauft wurden. Mit vielen dieser Ärzte verband Edwin Grieb auch später noch eine enge Freundschaft.

In den Jahren 1993-2005 wurden dem Rehabilitationszentrum Medikamente im Gesamtwert von 62.000 D-Mark und 23.000 Euro sowie unter anderem zwei moderne Ultraschall- und EKG-Geräte, 15 Rollstühle, zahlreiche Elektroden für Langzeit-EKG-Aufzeichnungen und Katgut-Darmsaiten (für Operationen an inneren Organen) überlassen. Ohne Verwaltungs-, Zoll- und sonstige bürokratische Hürden hätten die genannten Sachspenden noch sehr viel höher ausfallen können.

Im Zeitraum des Bestehens des Rehabilitationszentrums durchliefen Hunderte Veteranen, unter denen auch zahlreiche Veteranen des Deutsch-Sowjetischen Kriegs waren, (teils mehrfach) die dreiwöchige Vorsorgebehandlung. Die dem Rehabilitationszentrum gespendeten Medikamente wurden kostenlos an die  Patienten ausgegeben.

Wenn Deutsche Grieb gegenüber darüber klagten, dass es ihnen schlecht gehe, gab ihnen dieser zur Antwort, dass es zur Zeit des Stalinschen Regimes allen schlecht gegangen sei: den Entkulakisierten, den politischen Gefangenen und vielen anderen. In Solikamsk und Umgebung lebten bis zu 18.000 Opfer der politischen Repressionen, von denen die Hälfte (insbesondere unter der dörflichen Bevölkerung) keinerlei Zugang zu Vergünstigungen hatte. Von der anderen Hälfte, die in den Genuss von Vergünstigungen kam, konnte wiederum nur ein Viertel diese in vollem Umfang in Anspruch nehmen. Deshalb setzte sich E.A. Grieb in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Veteranenrats schon lange dafür ein, die Vergünstigungen abzuschaffen und durch Kompensationszahlungen zu ersetzen. Während die Dorfbewohner ihn dabei unterstützten, bedurfte es im Fall der Städter langer Überzeugungsarbeit, die schließlich aber doch wirkte. Als Ende 2004 der Übergang zur Monetarisierung der Vergünstigungen verkündet wurde, verlief dieser Prozess in Solikamsk ohne große Verwerfungen. Es gab weder Streiks noch Demonstrationen. Die Leute verstanden, dass diese Änderungen ihren eigenen Interessen entsprachen.

Aus dem Gesagten geht deutlich hervor, dass die von Grieb und der örtlichen Organisation „Wosroschdenije“ geleistete Arbeit dem Wohl der ganzen Stadt diente. Deshalb stellte sich nach Aussage Griebs nie die Frage, was die Deutschen da eigentlich trieben. Vielen in der Stadt war nicht einmal bewusst, dass es sich bei „Wosroschdenije“ um eine deutsche Organisation handelte. Das Geheimnis seines Erfolgs sah Edwin Grieb selbst vor allem darin, dass er den Behörden gegenüber unter allen Umständen respektvoll auftrat, immer die Verständigung suchte, nie Sonderrechte geltend zu machen versuchte, nicht fordernd auftrat und ruhig und sachlich seine Anliegen verfolgte, statt sich zu empören.

Ein höchst wertvoller Erfolg seiner Tätigkeit bestand in der Anbahnung der Beziehungen zum Senior Experten Service (SES), der die Arbeit qualifizierter bundesdeutscher Senioren organisierte, die auch nach dem Übertritt in den Ruhestand weiter in ihrem Beruf tätig sein wollten, um ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben oder ehrenamtlich zu helfen.

Für Edwin Grieb eröffneten die Kontakte zu den von SES vermittelten Fachkräften ganz neue Horizonte. Es reichte, einen Brief an den SES schicken und um die Entsendung eines Spezialisten bitten, und schon kam dieser, lebte und arbeitete eine Zeit lang vor Ort, verschaffte sich einen Überblick über den Stand der Dinge und gab dann seine Empfehlungen. Über seine Kontakte zum SES hat E.A. Grieb im Laufe der Jahre in seiner Eigenschaft als Leiter der Vereinigung „Wosroschdenije“ insgesamt 21 qualifizierte Senioren aus Deutschland nach Solokamsk eingeladen, bei denen es sich um herausragende Spezialisten in ihrem jeweiligen Bereich handelte, die ehrenamtlich tätig waren. Die Reisekosten zum Einsatzort und zurück übernahm die Europäische Union, Edwin Grieb musste sich vor Ort darum kümmern, sie zu empfangen und für Kost und Logis zu sorgen.

Den ersten Spezialisten lud E. Grieb für die Vereinigung „Wosroschdenije“ selbst ein. Dabei handelte es sich um den Juristen Karl-Heinrich Bork aus Krefeld, der die Vereinssatzung ausarbeiten sollte. Er fing damit an, eine Liste der Mitglieder anzufordern und dann mit jedem von diesen mindestens eine Stunde zu sprechen. Am Tag empfing er acht Personen. Nach einem Monat hatte er eine Vorstellung von deren Bedürfnissen und verfasste eine entsprechende Satzung, die Edwin Grieb ins Russische übersetzte, den Juristen vor Ort vorlegte und dann mit Anmerkungen versehen an Bork zurückgab, bis die Solikamsker Vereinigung „Wosroschdenije“ sich mit dieser Satzung erstmals registrieren lassen konnte.

So fand Edwin Grieb einen weiteren guten Freund. Nachdem er sich mit dem Leben der Stadt und ihrer Bewohner bekannt gemacht hatte, machte Bork viele interessante Vorschläge. So geht auch die Idee, das Gesundheits- und Rehabilitationszentrum für die Opfer der politischen Repressionen zu gründen, auf ihn zurück. Bork organisierte den Aufenthalt örtlicher Gerontologen in Deutschland, wo diese in deutschen Kliniken Praktika absolvierten. Über Bork eröffnete „Wosroschdenije“ ein Spendenkonto in Deutschland, auf dem Bundesbürger Geld einzahlen konnten, um den Ankauf von Medikamenten oder medizinischer Ausrüstung zu finanzieren. Diese Spendensammlung hatte eindrucksvolle Ausmaße. Viele Leute reagierten selbstlos auf das Hilfsgesuch. So überwies z.B. Herr Lappe aus Düsseldorf, der selbst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gewesen war, 4.000,- D-Mark. Insgesamt wurden in den 15 Jahren nach 1993 Medikamente im Wert von 67.000,- D-Mark und nach der Einführung des Euro für weitere 37.000,- Euro gekauft.

Nach russischem Recht müssen die Opfer politischer Repressionen und die Stadtkasse beim Kauf von Medikamenten jeweils 50 % der Kosten tragen. Dank der Medikamentenspenden aus Deutschland konnten nun sowohl die Repressierten als auch die Stadt dieses Geld sparen. Welche Stadtverwaltung sollte freiwillig auf eine solche Kooperation verzichten? Zumal Grieb nie einen Unterschied zwischen den Deutschen und den anderen Bewohnern der Stadt machte.

Es lässt sich kaum übertreiben, wie viel Gutes für Russland, die Region Perm, die Stadt Solikamsk und Edwin Grieb persönlich Franz Heeke geleistet hat. Seit seinem ersten Besuch in Solikamsk im Jahr 1992 hat er immer wieder aktiv dabei geholfen, Kontakte zu deutschen Firmen herzustellen, und für die in der Landwirtschaft tätigen Bewohner der Region Perm ein Fragen der Landwirtschaft unter Marktbedingungen gewidmetes Seminar organisiert, zu dem auch Spezialisten aus Deutschland herangezogen wurden.

Nach Analyse des auf dem Fluss Kama bestehenden Schleusensystems kam F. Heeke zu dem Schluss, dass es günstiger sei, das im Solokamsker Zellulose-Kombinat produzierte Papier auf dem Wasserweg nach Europa zu transportieren, was auch heute noch gängige Praxis ist. Er schlug vor, das Papier von Schiffen aus dem westlichen Ausland holen zu lassen. Es stellte sich aber heraus, dass noch ein Anfang der 1920er Jahre von Lenin unterzeichnetes Gesetz galt, das  ausländischen Schiffen die Nutzung russischer Binnengewässer verbot. Deshalb werden Papier, Kalidünger und anderen in Solikamsk produzierte Güter auch heute noch zunächst mit Schuten zu den im Norden, an der Ostsee oder am Schwarzen Meer gelegenen Seehäfen gebracht.

Herr Berendals aus Grefrath hat der Strickwarenfabrik geholfen, ihre Produktion zu modernisieren und bereits nach seiner Rückkehr aus Solikamsk die Beschaffung spezieller Nadeln für japanische Nähmaschinen organisiert, ohne die die Maschinen nicht betriebsbereit waren. Die Nadeln wurden innerhalb kürzester Zeit aus Spanien nach Solikamsk geliefert.

Günther Ing aus Pforzheim hat nicht nur mit seinen Ratschlägen geholfen, die Produktionsqualität einer Blindenwerkstatt zu verbessern, sondern auch zahlreiche in Braille-Schrift verfasste Bücher für die Betriebsbibliothek besorgt, unter denen auch viele Bibeln waren, bei deren Anschaffung die Stuttgarter Bibelgesellschaft behilflich war.

Karl-Heinz und Rena Tis haben viele Jahre lang Deutschlandaufenthalte der Solikamsker Deutschlehrer organisiert, die an der Universität Osnabrück Sommerseminare absolvierten. Im Laufe der Jahre durchliefen etwa zwei Dutzend Deutschlehrer entsprechende Praktika. Das Ehepaar Tis beschaffte nicht nur die für die Durchführung dieser Reisen benötigten Mittel, sondern kümmerte sich auch während ihrer Zeit in Deutschland um die Lehrer. Darüber hinaus stellten sie auch für den Deutschunterricht bestimmtes methodisches Material zusammen und schickten es nach Solikamsk.

Der Arzt Walter Breithaupt leistete beim Aufbau des Gesundheits- und Rehabilitationszentrums für die Opfer der politischen Repressionen große Hilfe. Bei seinen Besuchen in Solikamsk war Breithaupt nicht nur im Rehabilitationszentrum, sondern auch in allen anderen Krankenhäusern der Stadt, machte sich mit der Arbeit der örtlichen Ärzte bekannt und kam zu dem Schluss, dass Diabetes in Solikamsk nicht richtig behandelt werde. Schließlich organisierten Edwin Grieb und Walter Breithaupt mit Unterstützung des Diabetes-Zentrums Quakenbrück (Deutschland) das erste Russisch-Deutsche Diabetes-Seminar in Solikamsk, an dem über 60 russische und deutsche Ärzte teilnahmen. Die Mitarbeiter des Zentrums hatten sich im Vorfeld gut vorbereitet: Sie hatten Lehrmaterial zusammengetragen und ins Russische übersetzen lassen und das Material dann nach Solikamsk mitgebracht. Einige Professoren, die selbst schon als Kind an Diabetes erkrankt waren, stellten in Vorträgen Behandlungsmethoden vor.

Das Seminar trug maßgeblich dazu bei, das Ansehen der Vereinigung „Wosroschdenije“ in der Stadt zu heben. Im Anschluss an das Seminar berichtete Breithaupt in Deutschland auf einer Tagung des Rats der Allgemeinmediziner über das Seminar, woraufhin beschlossen wurde, Spendengelder zu sammeln, um Diabetikern und anderen Kranken in Solikamsk zu helfen. Die bundesdeutschen Ärzte halfen auch anderen medizinischen Einrichtungen der Stadt. So fehlte es beispielsweise im Kinderkrankenhaus an Nahtmaterial für Operationen. Als Edwin Griebs bundesdeutsche  Freunde davon erfuhren, schickten sie die benötigten Fäden umgehend per Luftpost nach Solikamsk. Bis zum heutigen Tag machen die bundesdeutschen Kollegen die Solikamsker Ärzte mit aktuellen medizinischen Entwicklungen und Informationen bekannt.

Über die genannten Beispiele hinaus luden Edwin Grieb und die Vereinigung „Wosroschdenije“ auch Fachkräfte für die Zeitung „Beresnikowski Rabotschi“ und die Versicherungsgesellschaft „Taller“, Sprachlehrer für das Pädagogische Institut und die Pädagogische Fachoberschule, einen Experten für das Solikamsker Arboretum sowie einen Bergingenieur und viele andere ein.

Dem Engagement Edwin Griebs war es auch zu verdanken, dass sich die in Solikamsk tätigen Spezialisten, die sich zuvor untereinander nicht gekannt hatten, vernetzten, Freundschaften schlossen und eine Art informelle Gemeinschaft begründeten, deren Hauptziel darin bestand, der Bevölkerung von Solikamsk und Umgebung unentgeltliche Hilfe zu leisten. Grieb war es, der sie alle zusammenbrachte. Er wurde für sie zu einem engen Freund und war diesen wunderbaren und uneigennützigen Menschen auch selbst überaus zugetan.

Eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder, auf dem die Solikamsker Vereinigung „Wosroschdenije“ und Edwin Grieb eng mit den bundesdeutschen und anderen Partnern zusammenarbeitete, war der Schüler- und Jugendaustausch. Vor allem gelang es, einen ebenso freundschaftlichen wie fruchtbaren Kontakt zwischen verschiedenen Kindertheatern herzustellen. So schickten das Theater-Studio „Veränderung“, der Kinderklub „Kristall“ und die Kindertheater „Rosinka“ (Beresniki), „Debüt“ (Perm) und „Cippolino“ (Krasnowischersk) ihre jungen Schauspieler mehrfach auf Gastspielreisen nach Deutschland (Stollberg und Lingen), in die Schweiz (Turgi) und nach Italien (Turin). Im Gegenzug kamen die Kindertheater „Burattino“ aus dem 14 km von Chemnitz entfernt gelegenen Stollberg sowie aus dem Schweizerischen Turgi nach Solikamsk bzw. in die Region Obere Kama. Die erfolgreiche Kooperation zwischen den Kindertheatern wird bis zum heutigen Tag fortgesetzt. Für den Unterhalt der eingeladenen Kinder kommt jeweils die aufnehmende Seite auf, die Anreise zahlen die Gäste. In beiden Fällen tritt in Solikamsk die Papierfabrik „Solikamskbumprom AG“ als Sponsor auf.

Dank E.A. Griebs Anstrengungen findet jeden Sommer in dem im Grünen gelegenen Pensionat „Waldmärchen“ ein internationales Kinderlager statt, in dem schon Dutzende Kinder aus Deutschland und der Schweiz zusammen mit den Kindern aus Solikamsk und Umgebung ihre Ferien verbrachten. In gleicher Weise sind schon viele Kinder aus Solikamsk in ihren Sommerferien nach Deutschland und in die Schweiz gefahren.

Edwin Grieb hat viel dafür getan, dass die in Solikamsk lebenden deutschen Gläubigen die ihnen durch die Verfassung der Russischen Föderation garantierte Glaubensfreiheit nutzen können. So ist es nicht zuletzt seinen Anstrengungen zu verdanken, dass in der Stadt von professionellen Geistlichen betreute lutherische und katholische Gemeinden gegründet wurden. Er stellte den Kontakt zu religiösen Organisationen und Gemeinden in Deutschland her. So besteht beispielsweise schon seit geraumer Zeit eine Zusammenarbeit mit der lutherischen Gemeinde in Wolfsburg. In dem bereits erwähnten Pensionat „Waldmärchen“ finden Treffen der kirchlichen Jugend statt, auf die auch junge Leute aus den deutschsprachigen Ländern eingeladen werden.

E.A. Grieb stellte auch den Kontakt zu früheren österreichischen Kriegsgefangenen her, die während des Krieges in Solikamsk in Gefangenschaft gewesen waren und nun sowohl der Stadt als auch der deutschen Vereinigung große materielle Hilfe leisteten.

Wenn man überlegt, was Edwin Alexandrowitsch Grieb alles für die Entwicklung der Kontakte, Verbindungen und Kooperationen zwischen Solikamsk und Deutschland bzw. den anderen deutschsprachigen Ländern geleistet hat, übertreibt man wohl kaum, wenn man sagt, dass dies schlicht jede Vorstellungskraft übersteigt.  Und was nicht minder wichtig ist: Dank seiner emotionalen Intelligenz konnte er viele Deutsche, die ja oftmals als eher verstockt und pedantisch gelten, dazu bringen, sich von ihrer allerbesten humanistischen Seite zu zeigen. Edwin Grieb konnte in ihr Inneres blicken, weil er selbst ein großes Herz hat.

In seinen letzten Lebensjahren gab es für den Leiter der Vereinigung „Wosroschdenije“ und Stellvertretenden Vorsitzenden des Internationalen Verbands der Deutschen Kultur Edwin Alexandrowitsch Grieb mindestens zwei Anlässe, ungeachtet seines rastlosen Lebens und seiner zahllosen Aktivitäten innezuhalten, Rückschau zu halten, auf sein Leben zurückzublicken und sich an Verwandte, Freunde und Weggefährten zu erinnern, von denen viele schon nicht mehr unter uns weilen.

Im August 2005 feierte Edwin Grieb seinen 80. Geburtstag. In den zahllosen aus diesem Anlass ausgesprochenen Glückwünschen spiegelte sich die höchste Achtung und Dankbarkeit, die Hunderte Leute diesem außergewöhnlichen Menschen, seinen herausragenden menschlichen Qualitäten und seinem Lebenswerk entgegenbringen, in dessen Mittelpunkt immer der Mensch stand.

Im Juli 1997 entschloss sich der zu diesem Zeitpunkt schon 83-jährige Edwin Grieb, seine historische Heimat zu besuchen und an die in der Region am Asowschen Meer gelegenen Orte seiner Kindheit und Jugend zu fahren. Es war wie ein Wunder: Die Vergangenheit trat ihm entgegen, er tauchte in weit zurückliegende Jahre ein, Kindheits- und Jugenderinnerungen prasselten auf ihn ein. Es schien, als falle die Last seiner Jahre von ihm ab. Er war wieder der kleine Junge von damals und auf kindliche Weise glücklich. Er besuchte Sergejewka, seinen Geburtsort, und fand den Friedhof, auf dem seine Mutter, seine Großeltern und sein noch als Kind verstorbener Bruder ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Ihre Gräber waren schon nicht mehr da, das Dorf hatte sich sehr verändert, aber Edwin ging über das Land, von dem er 66 Jahre lang losgerissen war, und erkannte, was sich alles erhalten hatte. In seinem Kopf blitzten die Bilder der Vergangenheit mit einer solchen Klarheit auf, dass er alle Lücken zu füllen vermochte. Er befand sich praktisch gleichzeitig im Gestern und Heute. In Sugres fand Edwin die Schule, in der er gelernt und sein Vater gearbeitet hatte, das Haus und die Wohnung, wo er einst gewohnt hatte. In Rosowka und Perwomajsk (wo er bei seinen Verwandten gelebt hatte) konnte er ebenfalls viel Vertrautes wiedererkennen.

In Nowokrasnowka, wo Edwin auch einige Zeit verbracht hatte, traf er auf Altersgenossen und Landsleute, die 1941 deportiert worden waren und schon in den 1950er Jahren zurückgekehrt waren. Man hatte ihnen die offizielle Registrierung verweigert, versucht, sie erneut auszusiedeln, und ihnen ihre früheren Häuser nicht zurückgegeben. Aber sie waren trotzdem geblieben und lebten unbeugsam im Dorf. Zuerst in Erdhütten oder anderen Notunterkünften, später in neu errichteten Häusern. Sie arbeiteten, brachten Kinder zur Welt und zogen sie groß, passten auf ihre Enkel und Urenkel auf und starben zu Hause im heimischen Dorf. Sie erwarteten von niemandem Hilfe und forderten keine Rehabilitierung. Sie haben sich selbst rehabilitiert. Und wurden mit den Jahren erneut angesehene und gleichberechtigte Dorfbewohner, ohne ihr Deutschsein zu verleugnen. Im Kreis dieser Leute, die ihn wärmstens empfingen, pflückte Edwin Kirschen, Aprikosen und frühe Äpfel von den Bäumen, probierte sie, erkannte den vertrauten Geschmack und lauschte vergnügt den Gesprächen im dörflichen Tonfall seiner Kindheit.

Am Leben von E.A. Grieb lässt sich die neuere Geschichte unseres Landes ablesen. Wir sind gewohnt, Geschichte in abstrakten Begriffen zu denken: Revolution, Bürgerkrieg, Neue Ökonomische Politik, Kollektivierung, Repressionen, Vaterländischer Krieg usw. Hinter jedem dieser Ereignisse stehen Tausende und Millionen konkrete Menschen, die an ihrem Schicksal zerbrachen. Aber es gab auch einige wenige Menschen, denen vorherbestimmt war, all diese Prüfungen durchzumachen und doch am Leben zu bleiben. Einer von diesen Leuten war Edwin Grieb. Was er in seinem Leben erlebt hat, reicht im Normalfall für zehn Leben. Bei alldem lebte Edwin Alexandrowitsch Grieb nicht einfach nur, sondern diente auch weiter den Menschen, gab ihnen Gutes und verdiente sich ihre Dankbarkeit.

Literatur

Герман А.А. "Если останусь жив..." Жизнь и удивительные изломы судьбы российского немца Эдвина Гриба. М.: "МСНК-пресс", 2007; Земсков В. И. Заключенные, спецпоселенцы, ссыльнопоселенцы, ссыльные и высланные (Статистико-географический аспект) // История СССР. 1991. № 5; История российских немцев в документах. Ч. 1. М., 1993;  Охотин Н., Рогинский А. Из истории «немецкой операции» НКВД 1937-1938 гг. // Наказанный народ: Репрессии против российских немцев. М.: Звенья, 1999.

Autoren: German A.

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