Belger Gerold (28.10.1934–7.2.2015) – russlanddeutscher Schriftsteller, Übersetzer, Publizist, aktiver Vertreter des öffentlichen Lebens Kasachstans.
Gerold Belger wurde am 28. Oktober 1934 in Engels, der Hauptstadt der Autonomen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen in Russland, geboren. Seine Eltern – Karl und Anna Belger – stammten aus dem Dorf Mannheim im Gebiet Saratow und sprachen zu Hause ei nen hessischen Dialekt. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die Familie 1941 nach Kasachstan deportiert und kam in einem kleinen Dorf im Norden Kasachstans unter, wo Gerold eine kasachische Schule besuchte. Er wuchs unter Kasachen auf, erlern te während seiner Schulzeit die kasachische Sprache und machte sich mit Lebensweiseund Traditionen des kasachischen Volkes vertraut. Bereits in der fünften Klasse soll Belger die Entscheidung getroffen haben, Schriftsteller zu werden. Mit zwölf Jahren erkrankte er an Knochentuberkulose, einer Krankheit, die ihn viele Jahre belastete.
Nach dem Schulabschluss studierte Gerold Belger an der philologischen Fakultät des Kasachischen Pädagogischen Instituts in Alma-Ata. 1958 schloss er sein Studium ab und unterrichtete russische Sprache und Literatur an einer Dorfschule im Süden Kasachstans. 1961 kehrte Belger nach Alma-Ata zurück, wo er ein Promotionsstudium im Bereich der Didaktik der russischen Sprache an seiner alma mater, dem Kasachischen Pädagogischen Institut verfolgte, ohne dieses jedoch mit der Dissertation abzuschließen. Stattdessen arbeitete er seit 1963 in der Redaktion der Literaturzeitschrift des kasachischen Schriftstellerverbandes „Žuldyz“ (Stern).
Von 1964 an widmete sich Belger voll seiner literarischen Tätigkeit und war als freischaffender Übersetzer, Schriftsteller und Literaturkritiker tätig. Er übersetzte Klassiker der kasachischen Literatur (Beimbet Majlin, Gabit Musrepov, Abdišamil Nurpeisov, Hamca Esenšanov und andere) ins Russische, veröffentlichte eigene Prosa, darunter in deutscher Sprache „Der Verwandtschaft traute Züge“ (1981), „Inmitten des Zeitgeschehens“ (1985), in russischer Sprache „Gjete i Abaj“ (Goethe und Abei, 1989), „Dom skital’ca“ (Das Haus eines Heimatlosen, 2003), „Tujuk Su“ (Tuyuk Su, 2004), „Razlad“ (Zwiespalt, 2008), „Zov“ (Ruf, 2010) sowie zahlreiche Artikel, Essays und Rezensionen in der Presse. Sein Lebenswerk umfasst über 40 Bücher und über 1600 Einzelveröffentlichungen.
1971 wurde Belger Mitglied des Schriftstellerverbands Kasachstans, wo er einige Zeit später zum Vorsitzenden des Rates für deutsche Literatur Kasachstans gewählt wurde. Als Schriftsteller und Publizist bewegte er sich inmitten von drei Kulturen, der deutschen, rus sischen und kasachischen, und war damit der einzige Vertreter seiner Zunft, der in allen drei Sprachen schrieb und sich in drei Kulturen heimisch fühlte. In seinen publizistischen und literaturkritischen Werken widmete er sich auch der aktuellen Lage der Russlanddeutschen und ihrer nationalen Literatur, deren Entwicklung und gegenwärtige Herausforderungen er als kritischer Beobachter, Rezensent und Essayist ständig begleitete. Neben seiner literarischen Tätigkeit übte Gerold Belger eine bedeutende Rolle im öffentlichen und politischen Leben Kasachstans aus. Von 1989 bis 1995 leitete er das Deutsche Kulturzentrum Alma-Ata, er war Mitglied des Nationalrats beim Präsidenten der Republik Kasachstan und in den Jahren 1994–1995 Abgeordneter des Obersten Sowjets der Repu blik Kasachstan. Seit 1995 wirkte Belger als stellvertretender Chefredakteur des deutsch sprachigen Almanachs „Phoenix“ und war 1998–2000 Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Soros-Kasachstan“. Zugleich war er Mitbegründer des kasachischen PEN-Zentrums.
1999 übergab Gerold Belger zahlreiche Dokumente als Vorlass dem Präsidentenarchiv der Republik Kasachstan. Der Vorlass umfasste biografische Materialien, Texte seiner Vorträge, Auftritte und Artikel, Manuskripte der Übersetzungen aus dem Kasachischen, Erzäh lungen, Novellen, Rezensionen, Essays, Notizen sowie Briefe und Tagebücher.
Anlässlich des 75. Geburtstages des Schriftstellers erschien eine zehnbändige Ausgabe seiner Werke (Almaty 2009–2012), die durch das Kultur- und Bildungsministerium der Republik Kasachstan finanziert wurde.
Für seine Lebensleistung wurde Gerold Belger vielfach ausgezeichnet: Schon zu Sowjetzeiten erhielt er die Auszeichung „Verdienter Kulturarbeiter der Kasachischen SSR“ (1987) und den Beimbet-Majlin-Preis des Schriftstellerverbandes Kasachstans (1988). Nach der Erlangung der Unabhängigkeit Kasachstans bekam er 1992 den Preis für Frieden und geistige Eintracht des Präsidenten der Republik Kasachstan, 1994 den Orden „Parasat“ und 2010 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für den besonderen Bei trag zur Verständigung zwischen den Völkern Deutschlands und Kasachstans. Zu seinem 80. Geburtstag wurde ihm der Orden „Freundschaft“ zweiten Grades sowie der Titel eines Ehrenbürgers des Nordkasachstanischen Gebiets verliehen.
Gerold Belger starb am 7. Februar 2015 in Almata. Er wurde seinem Wunsch folgend auf dem Friedhof Kensaj beigesetzt.
Nach seinem Tod wurde Gerold Belger noch mehrfache öffentliche Auszeichnung durch die Stiftung von Erinnerungsmomenten zuteil. Bereits kurz nach seinem Tod, am 28 Okto ber 2015, dem Geburtstag des Schriftstellers, fand auf dem Grund des Friedhofs „Kensaj-2“ in Almaty die feierliche Einweihung eines Denkmals für Gerold Belger statt, das vom Bildhauer Amangeldy Bajgatarov und seinem Studio entworfen und kreiert wurde. Das Monument wurde aus Kurty-Granit errichtet und durch Spenden von Förderern, die unbekannt bleiben wollten, in Höhe von 15 Millionen Tenge (ca. 29.000 Euro) ermöglicht. Das Denkmal zeigt den Schriftsteller an einem Tisch sitzend mit einer Feder in der Hand und einem Buch vor sich, eine Anordnung, die sein lebenslanges Wirken symbolisieren soll. Die Inschrift ist auf Russisch gehalten und lautet: „Deutsche Sprache, kasachische Sprache, russische Sprache sind wie eine Melodie auf drei Saiten. Drei Saiten meiner Seele. Drei Kreise meines Lebens“.
Am 13. November 2020 wurde an dem Haus in Almaty, in dem Gerold Belger fast vierzig Jahre gelebt hatte, eine Gedenktafel angebracht. Auf der Marmortafel ist ein Profil des Schriftstellers zu sehen sowie eine auf Russisch und Kasachisch gehaltene Inschrift: „In diesem Haus lebte und arbeitete von 1976 bis 2015 der Schriftsteller, Übersetzer und en gagierter Vertreter des öffentlichen Lebens Gerold Karlovič Belger“. Im Leseraum der Nationalbibliothek der Republik Kasachstan in Almaty wurde schließlich ein Gedenkkabinett mit persönlichen Gegenständen und Möbeln des Schriftstellers eingerichtet, das an seine Person erinnern soll.
Singer, Nina: Gerold Belger. Ein deutscher Schriftsteller aus Kasachstan. In: Wanner, Michael (Hg.): Russland-Deutsche Zeitgeschichte. Biographien, Kriegsgeschich te, Auswanderungskampf, Tipps für Familienforschungen. Nürnberg 2020, S. 71-73; Au man, Vladimir: Gerol’d Bel’ger. Takaja vypala stezja. Almaty 2017; Kusainova, A.M.: Tvorčestvo Gerolda Belgera v kontekste sovremennogo literaturnogo processa. Učebnoe posobie po speckursu. Kostanaj 2014; Korn, Robert: Das letzte Aufgebot (2016), in: https://wolgadeutsche.net/korn/Das_letzte_Aufgebot.pdf (Zugriff vom 22.1.2021); ders.: Das Trauma der Heimatlosigkeit. Der bekannte russlanddeutsche Prosaschriftsteller, Literaturkritiker, Übersetzer, Publizist und Essayist Herold Belger wird am 28. Oktober dieses Jahres 75 (2009), in: https://wolgadeutsche.net/korn/Belger.htm (Zugriff vom 22.01.2021).
Archiv des Präsidenten der Republik Kasachstan, Bestand 152-NL „Gerold Karlovič Belger“.