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Gegen wolgadeutsche Armeeangehörige gerichtete DISKRIMINIERUNGSMASSNAHMEN in den Jahren des Ersten Weltkriegs

Rubrik: Republik der Wolgadeutschen

Gegen wolgadeutsche Armeeangehörige gerichtete DISKRIMINIERUNGSMASSNAHMEN in den Jahren des Ersten Weltkriegs

In den Jahren des Ersten Weltkriegs waren die Wolgadeutschen auf der gleichen Grundlage wie alle anderen Bürger des Russischen Reiches zum Kriegsdienst verpflichtet und wurden nach der Mobilmachung vor allem zur 36. Brigade der Volksmiliz und zur 213. Saratower Brigade eingezogen. Auch im weiteren Verlauf des Krieges fiel die Aushebung, Ausbildung und Entsendung der wolgadeutschen Rekruten weitgehend in die Zuständigkeit der im Militärbezirk Kasan stationierten Brigaden der Reserve. Nach der Entscheidung, die in den westlichen Gouvernements des Russischen Reiches ansässigen Deutschen als potentielle Feinde in den Osten des Landes zu deportieren, wurden Deutsche fast nur noch aus dem Wolgagebiet zur Armee eingezogen. Insgesamt mussten bis Februar 1917 über 50.000 Wolgadeutsche Kriegsdienst leisten.

Im Oktober 1914 wies die für die Mobilisierung zuständige Abteilung der Hauptverwaltung des Generalstabs den Stabschef des Militärbezirks Kasan telegraphisch an, keine deutschen Kolonisten mehr an die Westfront zu entsenden und diese stattdessen in die im Kaukasus stationierten Bataillone der Reserve zu versetzen (Telegramm Nr. 10697). Parallel wurden die an der Westfront operierenden Truppen angewiesen, alle deutschen Mannschaftsgrade aus den dortigen Einheiten zu entfernen und in geordneter Form an die Kaukasusfront zu verlegen. Die deutschen Soldaten wurden in eigenen Einheiten zusammengezogen, entwaffnet und unter Bewachung per Eisenbahn in den Kaukasus gebracht. Eine ähnliche Praxis sollte sich in den Jahren des Zweiten Weltkriegs wiederholen (siehe: Entfernung der deutschen Armeeangehörigen aus den Reihen der Roten Armee in den Jahren des Deutsch-Sowjetischen Kriegs). Insgesamt wurden in den Jahren 1914/15 über 17.000 deutsche Armeeangehörige von der Westfront in den Kaukasus verlegt.

Nach ihrer Ankunft im Kaukasus sollten die deutschen Armeeangehörigen die Mannschaften der dort stationierten Truppenverbände auffüllen, deren Befehlshaber es allerdings angesichts des in der russischen Gesellschaft herrschenden Klimas des Misstrauens für weder wünschenswert noch möglich hielt, die unter Generalverdacht stehenden Deutschen in den rückwärtigen Einrichtungen oder irgendwelchen Truppenteilen anderer Waffengattungen einzusetzen.

Die weitaus meisten an die Kaukasusfront verlegten Deutschen wurden an Arbeitskolonnen der Reserve oder der Volksmiliz überstellt, die dem Chef des Militärtransportwesens bzw. der Intendanz des Militärbezirks unterstellt waren. In der Regel kamen sie kaum zum Einsatz und wurden von den Kommandeuren als Belastung empfunden.

Das Oberkommando der Front unternahm den Versuch, die entwaffneten deutschen Kolonisten entsprechend eines eigens festgelegten Verteilungsschlüssels auf die bestehenden Kampfeinheiten zu verteilen, der bei der Infanterie zehn Mann pro Kompanie, bei der Kavallerie fünfzehn Mann pro Hunderschaft und bei der Kosakeninfanterie 25 Mann pro Hundertschaft vorsah. Die entsprechenden deutschen Soldaten wurden als Arbeitskräfte bei der Errichtung von Feldlagern und Stellungen eingesetzt. Unter Verweis auf die unter den Kosaken verbreiteten antideutschen Stimmungen äußerten deren Atamane mehrfach die Sorge, dass es in ihren Einheiten zu Akten der Selbstjustiz oder anderen gegen die deutschen Hilfskräfte gerichteten Übergriffen kommen könne.

Die deutschen Armeeangehörigen wurden nicht in die Mannschaftslisten ihrer Einheiten eingetragen und stattdessen als von den Einheiten der Reserve oder der Volksmiliz zugeteilte Kräfte geführt, was zur Folge hatte, dass ihnen die vergesehenen Essensrationen verweigert wurden und sie ausgesprochen schlecht versorgt wurden.

Vor ihrer Entsendung in den Kaukasus hatten die Deutschen in den Bataillonen der Reserve des Kasaner Militärbezirks eigene Mannschaften bzw. wie auch jetzt in den Einheiten des Kaukasischen Militärbezirks eine Art „Anhängsel“ an die Bataillone gebildet. Einige Zeit später wurden sie gleichmäßig auf die Bataillone verteilt, um sie unter ständiger Kontrolle zu halten. Am 20. November 1915 wies der Befehlshaber des Militärbezirks Kasan die Brigaden der Reserve telegraphisch an, den deutschen Kolonisten ihre neuen Uniformen wegzunehmen und durch „abgetragene, aber immer noch anständige“ Uniformen zu ersetzen. Die Ausstattung der in den Kaukasus entsendeten deutschen Armeeangehörigen sollte also nach dem sogenannten „Restprinzip“ erfolgen, was nichts anderes hieß, als dass sie bekamen, was übrigblieb.

Mit dem Vormarsch der russischen Truppen auf türkisches Gebiet und der erfolgreichen Einnahme der Festung Erzerum sowie des Hafens Trabzon rückte der Wiederaufbau der im Zuge der Kampfhandlungen zerstörten Infrastruktur (Straßen, Brücken, Hafenanlagen, Bahnstationen, Schanzanlagen, Festungen usw.) immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit der Führung der Kaukasus-Armee. Ein Großteil der damit verbundenen Arbeiten wurde von den Reservebataillonen und Einheiten der Volksmiliz ausgeführt, in denen die Wolgadeutschen einen Großteil der Arbeiter stellten. Konkret wurden die deutschen Soldaten zusammen mit türkischen Kriegsgefangenen vor allem bei Schanzarbeiten zur Befestigung der Festung Erzerum, des Hafens Trabzon und der Straße von Sarikamiş eingesetzt.

Allein schon der Umstand, dass die deutschen Kolonisten von der Westfront abgezogen und in den Kaukasus verlegt wurden, war ein harter Schlag für die patriotischen Gefühle der Wolgadeutschen. Durch ihre auf die „Ausmerzung der deutschen Dominanz“ in der Armee gerichteten Maßnahmen gab die Regierung den Wolgadeutschen klar zu verstehen, dass sie schon nicht mehr als gleichberechtigte Bürger des Russischen Reiches galten, die ihr Vaterland mit der Waffe verteidigen. Abgesehen davon sahen sich die deutschen Rekruten und Soldaten vom ersten bis zum letzten Kriegstag völlig haltlosen Vorurteilen und Verdächtigungen ausgesetzt, die ihnen nicht nur von Seiten ihrer Kommandeure, sondern auch von ihren slawischen Kameraden entgegengebracht wurden. Die Kommandeure ermunterten ihre Untergebenen zu Gesinnungschnüffelei und Denunziation. In zahlreichen Fällen wurden deutsche Armeeangehörige aufgrund ungeprüfter oder verdrehter Informationen aller möglichen Vergehen „überführt“ und grundlos bestraft.

Die zahlreichen Diskriminierungen, denen sich die deutschen Armeeangehörigen ausgesetzt sahen, blieben wie auch der Umstand, dass sie faktisch wie Kriegsgefangene behandelt wurden, nicht ohne Folgen: Die deutschen Soldaten entfremdeten sich gegenüber dem Staat, wurden immer öfter zu Deserteuren und begrüßten die Revolutionen von 1917. So waren es oft die in ihre Kolonien zurückkehrenden früheren Frontsoldaten, die die traditionelle Lebensweise der Kolonisten zersetzten, Sowjets oder Rote Garden aufstellten und so zu den wichtigsten Stützen der neuen Macht im deutschen Dorf wurden.

Autoren: Schulga I.

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