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Probleme der Einberufung sowjetdeutscher Rekruten zum Wehrdienst (1939-41)

Rubrik: Republik der Wolgadeutschen

Probleme der Einberufung sowjetdeutscher Rekruten zum Wehrdienst (1939-41)

Angesichts des militärtechnischen Fortschritts und der veränderten militärischen und politischen Weltlage sah sich die Sowjetführung Mitte der 1930er zu einem radikalen Umbau ihrer Streitkräfte gezwungen. Der Staat brauchte eine nach dem Kaderprinzip aufgebaute Massenarmee, die ihre Angehörigen unabhängig von deren Wohnort rekrutierte. Die aus dieser Umstrukturierung resultierenden Veränderungen betrafen vor allem die nationalen Truppenverbände, die vor dem Hintergrund des Aufbaus einheitlicher Streitkräfte schon nicht mehr zeitgemäß waren.

Im November 1938 erklärte der Stellveгtretende Volkskommissar für Verteidigung der UdSSR Lew Mechlis auf einer Sitzung des Hauptkriegsrats der Roten Armee die Auflösung der nationalen Truppenverbände für erfolgreich abgeschlossen.

Angesichts des in der Gesellschaft herrschenden Klimas des Misstrauens und der Verdächtigungen sah sich die Führung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee gezwungen, deren Reihen noch vor einem möglichen Kriegsausbruch von potentiellen „Verrätern“ und „Spionen“ zu säubern. So wurden z.B. im Weißrussischen Sondermilitärbezirk bis zum 1. Juli 1938 auf Beschluss des Hauptkriegsrats der Roten Armee 870 Armeeangehörige in die Reserve entlassen, 980 Armeeangehörige zur Entlassung vorgeschlagen und 302 auf der Befehls- und Führungsebene tätige Kader in im Landesinneren gelegene Bezirke versetzt, die allesamt den sogenannten „westlichen Nationalitäten“ angehörten. Im gleichen Jahr wurden in der Sowjetunion insgesamt 4.800 auf der Befehls- und Führungsebene tätige Kader aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in die Reserve entlassen (Deutsche, Polen, Letten, Esten, Koreaner, Finnen, Litauer, Türken, Rumänen, Ungarn und Bulgaren).

1938 beschloss die militärische und politische Führung des Landes, keine Finnen, Polen, Deutsche, Letten, Esten, Litauer, Bulgaren, Griechen, Türken und Rumänen mehr zur Roten Armee einzuberufen, sofern diese in der Stadt Leningrad oder in den Gebieten Leningrad, Murmansk, Kalinin, Smolensk, Witebsk, Gomel, Minsk, Polesje, Mogiljow, Kamenez-Podolski, Schitomir, Winniza, Kiew, Tschernigow, Nikolajewsk, Odessa, Tschita und Irkutsk, im Jüdischen Autonomen Gebiet, in den Autonomen Sozialistischen Sowjetrepubliken Karelien, Moldawien und Krim, in der Burjat-Mongolischen ASSR sowie in den Gebieten des Fernen Ostens lebten. Insgesamt waren 28.000 Personen von dieser Entscheidung betroffen.

Im Zuge der Ausarbeitung des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht stand 1939 auch der Vorschlag im Raum, die Sowjetdeutschen sowie einige weitere Nationalitäten grundsätzlich nicht zur Roten Armee einzuberufen. Schließlich fasste das Verteidigungskomitees beim Rat der Volkskommissare der UdSSR 1939 den Beschluss, alle Sowjetdeutschen in drei Gruppen zu unterteilen (Wolgadeutsche, in Grenznähe oder im europäischen Teil der Sowjetunion lebende Deutschen und in anderen Regionen der Sowjetunion lebende Deutsche), denen es je nach Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen „erlaubt“ oder „verboten“ sein sollte, mit der Waffe in der Hand in der Roten Arbeiter- und Bauernarmee zu dienen. Konkret hieß es in der entsprechenden Beschlussfassung: „[...] (In der ASSR der Wolgadeutschen gebürtige) Deutsche und Karelier werden nach den für alle geltenden Regeln eingezogen. [...] In den Grenzrayonen und Grenzgebieten der UdSSR lebende Finnen, Polen, Deutsche (mit Ausnahme der in der ASSR der Wolgadeutschen gebürtigen Deutschen), Letten, Esten, Litauer, Bulgaren, Griechen, Türken und Rumänen werden nicht zur Roten Arbeiter- und Bauernarmee eingezogen und gesondert erfasst. Angehörige der genannten Nationen, die in anderen Rayonen und Gebieten der UdSSR geboren wurden und auch dort leben, werden zur Roten Arbeiter- und Bauernarmee einberufen und leisten ihren Wehrdienst in den Infanterie- und anderen Einheiten der im Landesinneren gelegenen Bezirke.“

Mit dem am 1. September 1939 verabschiedeten Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht sollten sich die für die Ableistung des Wehrdienstes geltenden Regeln radikal ändern. So hob das Gesetz alle zuvor für die Einberufung zur Armee geltenden Klassenbeschränkungen auf und schrieb den Übergang zu einer vollständig nach dem Kaderprinzip organisierten Armee fest. Die Dauer der aktiven Dienstzeit wurde für Unteroffiziere und Mannschaftsgrade auf drei Jahre bei den Land- und Luftstreitkräften und fünf Jahre bei der Flotte erhöht. Bis zu einem Alter von 50 Jahren blieb man in der Reserve. Die Dauer der Reservistenübungen wurde für Mannschaftsgrade auf anderthalb Jahre, für Unteroffiziere auf zwei Jahre und für Führungsoffiziere auf drei Jahre erhöht. Wie sich dem Bericht des Volkskommissars für Verteidigung „Über die Einberufung zur Roten Arbeiter- und Bauernarmee, zur Roten Arbeiter- und Bauernflotte und zu den Truppen des NKWD im Jahr 1939“ entnehmen lässt, mussten alle Bezirke (der Armee) zum exterritorialen Prinzip der Einberufung übergehen, was für die Wolgadeutschen bedeutete, dass sie ihren Wehrdienst nicht mehr in der gewohnten Weise innerhalb der Autonomen Republik der Wolgadeutschen ableisten konnten und gezwungen waren, diesen zusammen mit allen anderen Einberufenen abzuleisten. Von dieser Änderung waren praktisch alle Rekruten betroffen, die eine nichtrussische Volkszugehörigkeit hatten oder in den Unionsrepubliken und Autonomen Gebietskörperschaften lebten.

Mit der Einberufung der aus den nationalen Republiken und Gebieten stammenden Rekruten sahen sich die Kommandeure mit dem Problem konfrontiert, dass diese oft über eher schwache Russischkenntnisse verfügten. Auch wenn der Stellvertretende Volkskommissar für Verteidigung der UdSSR Lew Mechlis das Problem bereits im November 1938 auf einer Sitzung des Hauptkriegsrats der Roten Arbeiter- und Bauernarmee angesprochen und Hilfen beim Erwerb der russischen Sprache angemahnt hatte, sollte es noch bis zum ersten Kriegsjahr dauern, bis sich die Führung der Roten Armee ernsthaft mit dem Problem auseinandersetzte.

Ungeachtet aller Schwierigkeiten erfüllten die größtenteils aus der Wolgarepublik stammenden deutschen Rotarmisten ihre gegenüber der Heimat bestehende militärische Pflicht mit Ehre und Würde. Viele von ihnen dienten auf verantwortungsvollen Posten, befehligten eigene Einheiten oder assistierten den Politoffizieren. Auch in den gemischtnationalen Einheiten, in denen sie nach der Einführung des exterritorialen Prinzips der Einberufung dienten, erlebten die Sowjetdeutschen keine national motivierte Diskriminierung.

Noch 1939/40 nahmen die Wolgadeutschen zusammen mit allen anderen Soldaten der Roten Armee am Sowjetisch-Finnischen Winterkrieg teil. Für seine in diesem Krieg bewiesene Tapferkeit wurde der Leutnant des 426. Schützenregiments Karl Baraul mit dem Rotbannerorden ausgezeichnet. Am gleichen Krieg nahm auch der Truppenführer des 21. Artillerieregiments W.A. Herberg teil, während B.A. Schechtel in der Schlacht am Chalchin-Gol-Fluss an der sowjetisch-mandschurischen Grenze eine eigene Abteilung befehligte.

Autoren: Schulga I.

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