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DER RUSSISCH-JAPANISCHE KRIEG VON 1904/05 und die Wolgadeutschen

Rubrik: Politische Geschichte

DER RUSSISCH-JAPANISCHE KRIEG VON 1904/05 und die Wolgadeutschen

Mit Beginn des Russisch-Japanischen Kriegs wurden wolgadeutsche Reservisten erstmals in großer Zahl zum Kriegsdienst mobilisiert. Die Mobilisierung, von der Zehntausende Kolonisten (bis zu 25% der männlichen Dorfbevölkerung) betroffen waren, versetzte der Wirtschaft und anderen Lebensbereichen der deutschen Kolonien einen schweren Schlag. Laut Berichten der vor Ort tätigen Vertreter der Staatsmacht waren „einige Familien nicht einmal in der Lage, die Aussaat aufs Feld zu bringen, und mussten ihre Landstücke verpachten“. Die Semstwo-Verwaltungen wiesen darauf hin, dass die Kolonisten sehr aufgewühlt auf den Krieg reagierten, da sie nicht nur den Verlust ihrer Söhne, Brüder und Väter befürchteten, sondern infolge des Mangels an männlichen Arbeitskräften auch in massive wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten. Die Kolonisten, die sich immer vom Rest der Gesellschaft abgeschottet hatten und traditionell vor allem ihrer Scholle und der friedlichen bäuerlichen Arbeit verbunden fühlten, konnten nicht verstehen, warum der Zar ihre Söhne und Angehörigen ungekannten Mühen und Entbehrungen aussetzte.

Im Gouvernement Saratow kamen die mobilisierten Deutschen zunächst zum 225. Bataillon der Reserve und wurden anschließend in den Fernen Osten verlegt, wo sie auf die einzelnen Truppenverbände verteilt wurden, um anschließend an den Kriegshandlungen teilzunehmen.

Schon die ersten Berichte über die an der Front zu verzeichnenden Misserfolge ließen die Stimmung unter den Wolgadeutschen schnell kippen. Die in den Mitteilungsblättern des Gouvernements veröffentlichten Informationen über Gefallene und Verwundete sorgten für große Beunruhigung und gaben der ohnehin weit verbreiteten Antikriegsstimmung weitere Nahrung. In ihren Briefen berichteten die Soldaten ihren Verwandten zudem von der Front, dass sie nicht ausreichend eingekleidet und ausgerüstet seien, keine ausreichenden Essensrationen erhielten und hungern oder sich von Grünzeug ernähren müssten, unter freiem Himmel schliefen, an Krankheiten litten und die auf dem Schlachtfeld Gefallenen ohne entsprechende religiöse Rituale begraben müssten. Die Gesamtzahl der in den Jahren des Russisch-Japanischen Kriegs gefallenen, verwundeten oder verschollenen Wolgadeutschen lässt sich nicht mehr ermitteln. Bekannt ist lediglich, dass insgesamt 2.321 Katholiken und 370 Lutheraner in japanische Kriegsgefangenschaft gerieten und insgesamt 1.517 Katholiken und 457 Lutheraner als verschollen galten, wobei es sich bei den Katholiken größtenteils um Polen handelte.

Auf dem Schlachtfeld zeigten sich die Wolgadeutschen als gute Soldaten und russische Patrioten, die ihre militärische Pflicht ehrenvoll erfüllten. So wurde z.B. der wolgadeutsche Soldat Hermann Siefert mit dem Orden des Heiligen Swjatoslaw der 3. Stufe und dem Tapferkeitsorden der Heiligen Anna der 4. Stufe ausgezeichnet, nachdem er sich in den Schlachten am Shaho-Fluss und bei Mukden hervorgetan hatte. Dem Unteroffizier des 157. Kaiserlichen Infanterieregiments Anton Bernar wurde „für besonderen Eifer“ eine Silberne Medaille am Stanislaw-Band verliehen. Der Unteroffizier Wilhelm Koch wurde mit dem Ehrenzeichen des Militärordens der 4. Stufe ausgezeichnet, nachdem er am Sy-Fon-Li-Pass besondere Tapferkeit gezeigt hatte. Das gleiche Ehrenzeichen erhielten auch zahlreiche weitere deutsche Soldaten (unter anderem der Soldat des 139. Morschansker Infanterieregiments A. Fischer; der Feldwebel des 140. Sarajsker Infanterieregiments A. Miks und der Unteroffizier (Zugführer) W. Kloss). Der Soldat des 5. Schützenregiments A. Meier wurde für seine in der Schlacht bei Mukden gezeigte Tapferkeit ausgezeichnet. G. Schubert, Schütze im 5. Ostsibirischen Schützenregiment, verfeuerte alle an seiner Stellung vorhandene Munition und barg beim Rückzug den Körper eines getöteten Artillerieoffiziers. M. Tenenbaum, Soldat im 22. Ostsibirischen Schützenregiment, hielt trotz Verwundung seine Stellung. Der spätere Generalmajor Iwan Andrejewitsch Michaelis erhielt für seine Verdienste im Russisch-Japanischen Krieg eine bronzene Medaille. Für ihre Teilnahme am Russisch-Japanischen Krieg sollten auch das Mitglied der Kamyschiner Bezirksverwaltung Karl Weibert und der Arzt Nikolai Felber ausgezeichnet werden.

Der Russisch-Japanische Krieg legte alle Unzulänglichkeiten der russischen Mobilisierungspolitik gnadenlos offen. In vielen Fällen fühlten sich sowohl die an der Front kämpfenden Soldaten als auch ihre Familien zu Hause von der Regierung im Stich gelassen. Ungeachtet der schwierigen Zeiten zogen sich die Gouvernementsbehörden weitgehend aus der Verantwortung zurück und wälzten die Fürsorge für die Familien der Frontsoldaten nahezu vollständig auf die deutschen Dorfgemeinschaften ab. Zum Teil ließ sich dies auf die sowohl im Volk als auch in den Gouvernements- und Semstwo-Führungen verbreitete Vorstellung zurückführen, dass die Wolgadeutschen wohlhabend genug seien, um sich selbst um die Familien der mobilisierten Deutschen zu kümmern. All dies hatte zur Folge, dass sich die Deutschen ihrem Staat gegenüber zunehmend entfremdeten. Es kam zu einem rasanten Anstieg der Zahl der Auswanderer, die häufig illegal aus Russland ausreisten. Viele Kolonisten, die sich zuvor nie Gedanken über ihre Staatsangehörigkeit gemacht hatten, beantragten die deutsche Staatsbürgerschaft, um dem Krieg zu entgehen und in die „historische Heimat“ zurückzukehren, wobei viele von ihnen nach dem Grenzübertritt gar nicht in Deutschland blieben, sondern in Amerika ein besseres Leben suchten.

Auch nach dem Ende des Russisch-Japanischen Kriegs blieben die Wolgadeutschen der Armee gegenüber kritisch eingestellt. Die im Zuge des Krieges zu Tage getretenen Unzulänglichkeiten hatten die Autorität der Armee und des Militärdienstes nachhaltig geschädigt, so dass es nicht nur unter den Deutschen, sondern auch unter den Angehörigen vieler anderer Völkerschaften immer mehr junge Männer gab, die sich dem Wehrdienst zu entziehen versuchten. Diese Entwicklung ließ sich an der stetig steigenden Zahl der wehrpflichtigen jungen Wolgadeutschen ablesen, die den Einberufungsstellen ohne Angabe von Gründen fernblieben oder bereits nach der Musterung nicht bei der Truppe erschienen.

Vor dem Hintergrund des nach dem Russisch-Japanischen Krieg forcierten Ausbaus der Armee wurden deutlich mehr Wolgaddeutsche zum Militärdienst einberufen als noch zuvor, was ihrer Wirtschaft und traditionellen Lebensweise immer größere Schäden zufügte. So kann es nicht wirklich überraschen, dass auch die Zahl der deutschen Kolonisten, die sich dem Wehrdienst entzogen, immer weiter anstieg und in einigen Bezirken des Wolgagebiets und Südrusslands bei 30% und damit deutlich über den unter der russischen Bevölkerung zu verzeichnenden Zahlen (4%) lag. Nichtsdestotrotz erschien immer noch eine große Mehrheit der Deutschen im Wehralter bei den Einberufungsstellen, um ihren Dienst in der Armee abzuleisten.

 

Autoren: Schulga I.

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