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Odessa , in der Ukraine gelegene Industrie- und Kulturmetropole. Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets. Schwarzmeerhafen und Eisenbahnknotenpunkt

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

ODESSA, in der Ukraine gelegene Industrie- und Kulturmetropole. Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets. Schwarzmeerhafen und Eisenbahnknotenpunkt.

Die im Jahr 1794 auf Weisung der Zarin Katharina II. am Standort der türkischen Festung Hacıbey gegründete Stadt Odessa gehörte zunächst zum zu dieser Zeit eingerichteten Gouvernement Wosnessensk. Im Jahr 1802 wurde sie zunächst an das Gouvernement Nikolajewsk und im Jahr 1803 an das Gouvernement Cherson angeschlossen. In den Jahren 1803-38 und 1856-1917 war Odessa selbst Hauptort des gleichnamigen Regierungsbezirks. In den Jahren 1920-25 war Odessa Hauptstadt des Gouvernements Odessa, in den Jahren 1925-32 des Bezirks Odessa und seit 1932 des innerhalb der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik bzw. seit 1991 der Republik Ukraine bestehenden Gebiets Odessa.

In den Jahren 1892 und 1897 hatte Odessa 340.500 bzw. 403.800 Einwohner, unter denen auch etwa 9.200 (2,6%) bzw. 10.200 (2,5%) Deutsche waren. Bis zum Jahr 1905 stieg die Zahl der in der Stadt lebenden Deutschen auf 12.000 Personen, die damit die viertgrößte Bevölkerungsgruppe stellten. Nach den Zahlen der Volkszählung von 1989 lebten in diesem Jahr in Odessa noch 932 Deutsche.

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert spielten Deutsche in der Verwaltung der Stadt und der Region eine sichtbare Rolle. In den Jahren 1862-74 war Paul Demetrius von Kotzebue Generalgouverneur von Neurussland und Bessarabien. In den Jahren 1879-89 und von 1904 an gab es den Posten des Temporären Generalgouverneurs von Odessa, den unter anderem Graf Eduard von Totleben (1879/80), Alexander Drenteln (1880-81), Christopher Roop (1883-89) und Baron Alexander von Kaulbars (1904 und 1905-09) innehatten. Stadthauptmann von Odessa waren unter anderem Paul von Neidhardt (1825-26), Graf Friedrich von der Pahlen (1826-28), Fjodor Alopeus (1856-57), Baron Paul von Mestmacher (1857-61), Alexander Heinz (1878-80) und Кarl Knop (1880).

Bereits zum Zeitpunkt der Stadtgründung ließen sich in Odessa Deutsche nieder, die zum Teil über mehrere Generationen an ihrer früheren Staatsangehörigkeit festhielten. Nach 1871 bildeten die reichsdeutschen Staatsbürger in der Stadt eine eigene Kolonie, die parallel zu den Deutschstämmigen existierte. Im Herbst 1803 begann die großangelegte Übersiedlung aus Württemberg stammender Siedler nach Neurussland, die die russische Staatsangehörigkeit annahmen. Am 19. Februar 1804 ordnete Zar Alexanders I. an, aus den deutschen Ländern stammende Handwerker in Odessa anzusiedeln, denen eigens außerhalb der Stadtgrenzen gelegene Siedlungen zugewiesen wurde (sogenannte Obere und Untere Deutsche Kolonie). Die Neuankömmlinge genossen Glaubensfreiheit, waren vom Wehrdienst und anderen Pflichten befreit, erhielten Steuerprivilegien und sogar für die Errichtung ihrer Häuser bestimmte Darlehen. 1805 wurden in Odessa eigene deutsche Zünfte eingerichtet. Schon bald lagen die Kolonien innerhalb des Stadtgebiets und wurden 1816 in die Zuständigkeit des städtischen Magistrats überstellt.

Besonders viele Mitglieder hatten in Odessa die evangelisch-lutherische, die evangelisch-reformierte und die katholische Gemeinde. In den Jahren 1824-27 wurde in der Oberen Kolonie nach Plänen des Architekten Francesco Boffo die evangelisch-lutherische St. Pauli-Kirche errichtet, die 500 Gläubigen Platz bot. Anfang der 1890er Jahre wurde das mittlerweile veraltete Gebäude abgetragen und durch eine an gleicher Stelle nach Entwürfen des Architekten Hermann Karl Scheurembrandt errichtete neue Kirche ersetzt, die bereits 1.200 Gläubige fasste. 1851 wurde im Zentrum von Odessa eine evangelisch-reformierte Kirche errichtet, die 1896 durch einen Neubau ersetzt wurde, den der Architekt Christian Skweder nach Entwürfen von Viktor Schröter baute.

Vertreter der deutschen Kolonie waren Mitglieder des städtischen Magistrats sowie des Handels- und des Waisengerichts, Abgeordnete der städtischen Duma und von den 1860er Jahren an auch der Semstwo-Versammlung des Gouvernements Cherson und Mitglieder und des Börsenkomitees, unter dessen Vorsitzenden auch Ernst Arist Freiherr von Mahs und Staatsrat Jewgeni Schulz waren. Die Integration und Assimilation der Deutschen ging mit dem Erwerb der russischen Sprache einher. So sprachen nach den Zahlen der Volkszählung von 1897 48,2% der Deutschen Russisch. Unter den Deutschen waren Lehrer der russischen Sprache und Literatur wie z.B. Emmanuel Wobst und Nikolai Lenz. Im 19. Jahrhundert heiraten die Angehörigen der deutschen Familien von wenigen Ausnahmen abgesehen untereinander.

Deutsche Handwerker spielten für die Entwicklung der Stadt eine herausragende Rolle und sorgten für die Etablierung zuvor kaum entwickelter Gewerke in der Region (Uhrmacher, Instrumentenbauer, Seifensieder usw.) sowie die Hebung des Niveaus der Alltagskultur und der städtischen Infrastruktur. Ein Teil der deutschen Handwerker wurde zu Kaufleuten, was auch durch den Status Odessas als Freihafen begünstigt wurde (1817-59). So gehörten I. Walb, A. Pollner und L. Philibert zu den Gründern der ersten Handelshäuser. Im Jahr 1838 erwarb Ernst von Mahs das 1805 gegründete, auf den Export von Getreide spezialisierte Handelshaus Stieglitz, dessen Jahresumsatz in den 1830er Jahren bei 4,9 Mio. Rubeln lag (1901 wurde die Firma aufgelöst). Etwa 100 Jahre bestanden die Unternehmen „Bellino-Fenderich“ und W. Wagner. Letzterer betrieb das „Englische Geschäft“ auf der De-Ribas-Straße [Deribassowskaja]. Von 1837 an unterhielt Ju. Wedde ein Luxuswarengeschäft. Die Firmen von I. Ettlinger und K. Stiffel waren auf den Landmaschinenhandel spezialisiert. Die Firma von G. Geselle handelte mit Papier, die Firmen von F. Mach, G. Geselle und K. Wersebe mit Papier- und Schreibwaren. Unter den Buchhändlern sind vor allem E. Berndt, G. Schleicher, Ju. Wedde, und J. Siewerssen zu nennen. Julius und K. Lemme, I. Zorn und A. Herms handelten mit Apothekenbedarf und medizinischen Waren, W. Stieglitz, G. Weller sowie M. und G. Rausch mit Musikinstrumenten, L. Schwarz, G. Vogt und A. Weise mit Uhren, F. Zische mit Nähmaschinen, G. Steinberg, G. Suhr, K. Siebicke, E. Schwarz, und F. Merkling mit Möbeln, G. und M. Rauchwerger mit Gartengeräten, R. Heine mit Elektrozubehör, G. Ringel mit Gummiwaren, W. Tröster mit Kohle, die Firma Miller und Feldstein mit Wolframlampen, K. Falk und Ju. Mehl mit optischen und physikalischen Geräten, R. Schellenberg, A. Sifferth und F. Theurer, F. Hegennach, G. Vogt und A. Weise mit Juwelierwaren und Schmuck.

In der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts unterhielten zahlreiche reichsdeutsche Firmen in Odessa Büros: A. Herms war Repräsentant einer Berliner Medizintechnik-Firma, Miller und Feldstein vertraten die Wolfram-Lampen AG Augsburg, L. Neubauer die Chemnitzer Maschinenfabrik, F. Zorn die Automobilfirma „Benz & Co“ und P. Vaatz die „Daimler-Motoren-Gesellschaft“. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914-18) spielten die Handelsbeziehungen zu Deutschland eine erhebliche Rolle für das Wirtschaftsleben der Stadt: 1913 liefen 52,7% aller russischen Importe und 31,9% aller russischen Exporte von und nach Deutschland über Odessa. In den 1860er Jahren unterhielten Preußen, Hamburg, Hannover, Bayern, Oldenburg, Hessen-Darmstadt, die Freien Städte, Mecklenburg-Schwerin, Hessen-Kassel, Baden, Frankfurt, Sachsen und Württemberg in Odessa Konsulate, deren Konsuln in der Regel deutschstämmige Odessaer Kaufleute waren. Nach der deutschen Reichsgründung von 1871 eröffnete in Odessa ein deutsches Konsulat, das bis 1938 sowie während der Besetzung Odessas durch die deutsche Wehrmacht in den Jahren 1941-44 bestand.

Einen erheblichen Beitrag leisteten die Deutschen auch zum Aufbau der Odessaer Industrie. 1806 eröffnete D. Kuhnert die erste Seifenfabrik der Stadt, die 1854 von W. Sanzenbacher übernommen wurde und bald zum größten Unternehmen der Branche in ganz Neurussland aufstieg. Ende des 19. Jahrhunderts hatten vier der insgesamt fünfzehn in Odessa ansässigen Seifensiedereien deutsche Besitzer (Sanzenbacher, W. Henzler, I. Haugk und E. Helder). 1817 wurde die Hutfabrik F. Witzenmann gegründet, 1824 die Klavierfabrik Haas. 1844 wurde die Gießerei K. Falk und 1857 die Müllner-Fabrik gegründet. Anfang der 1860er Jahre nahm die Firma „Bellino-Fenderich“ die Produktion von Landmaschinen auf. 1871 gründeten die Brüder G. und W. Wehn eine Eisengießerei und Drechslerei. 1876 gründete G. Berndt eine auf die Produktion von feuerfesten Kassen und Stahlerzeugnissen spezialisierte Firma. I.I. Höhn betrieb die größte Landmaschinenfabrik der Region, deren wichtigster Mitbewerber von Mitte der 1880er Jahre an das Unternehmen des reichsdeutschen Staatsangehörigen Scheel war. W. Röstel verwandelte die Fabrik von K. Falk nach deren Übernahme in eine große Maschinenfabrik. 1882 gründete F. Kurz eine auf die Reparatur von Lokomotiven und anderen Maschinen spezialisierte Firma. Die aus einem 1830 gegründeten Handwerksbetrieb hervorgegangene Schlosserei und Metallgewebefabrik von M. Gieser produzierte Kupfer-, Eisen- und Zinkdrahtgeflechte sowie Bau- und Ersatzteile für Dampf- und Warmwasserheizungen. 1880 gründete F. Keller eine auf die Produktion von Drahtgeflechten, Betten, Fenstergittern und Zäunen spezialisierte Fabrik. Einige Güter wie z.B. Landmaschinen, Gussöfen, Dampfkessel und Dampfmaschinen wurden nahezu ausschließlich in von Deutschen gegründeten Unternehmen produziert. Weidenbach und K. Böttinger besaßen eine Fabrik für Elektrozubehör. Der Betrieb von B. Fettisch war auf den Einbau von Warmwasser- und Dampfheizungen, Belüftungsanlagen, Dampfbädern, Dampfwäschereien und Dampfküchen spezialisiert.

Deutsche Unternehmer gründeten auch die ersten Chemischen Betriebe der Stadt. 1868 nahm Karl Berg die Produktion von Farben und Lacken auf und gründete 1875 zusammen mit F.I. Schrötter und Heinrich Stapelberg die Odessaer Lack- und Farbengesellschaft. Mit der industriellen Produktion von Lacken und Farben waren auch die Firmen von M. und K. Freund, I. Kook und den Brüdern O. und W. Zelinski befasst. 1872 nahmen E. und W. Grützmacher die Produktion von Dachpappe auf. 1898 gründeten E. Arps und Ju. Engel die Odessaer Korkfabrik AG. Deutschen Besitzern gehörte ein Drittel der Gerbereien und Lederwarenproduktionsstätten Odessas. Der größte in der Branche tätige Betrieb der Region war mit einem Jahresumsatz von 120.000 Rubeln die Fabrik von Konrad und Sasske.

Auch das Druckgewerbe befand sich in Odessa in deutschen Händen: Die städtische Druckerei wurde in den Jahren 1827-51 von P.F. Franzow geleitet. 1847 wurde die Privatdruckerei Neumann gegründet, die von 1849 an von dem sächsischen Staatsangehörigen L. Nitzsche, von 1851 an von dem mittlerweile aus dem Dienst geschiedenen Franzow, 1866 von dem sächsischen Staatsangehörigen G. Beckel, 1869 von den preußischen Staatsangehörigen A. Schulze und G. Ulrich und von 1872 an von dem sächsischen Staatsangehörigen A. Birnstein geleitet wurde. 1857 eröffnete der Mecklenburgisch-Schweriner Staatsangehörige W. Thiel in Odessa die erste auf Flachdruckverfahren spezialisierte Druckerei in Südrussland.

In deutschem Besitz stehende Unternehmen der Lebensmittelindustrie waren unter anderem die Brauereien von Enni, R. und M. Kempe, der Gebrüder Durian und Wilhelm Sanzenbachers. Für die hohe Qualität der von ihnen erzeugten Produkte bekannt waren die Wurst- und Schinkenfabrik von G. Beckel, die Pralinenfabrik von W. Fischer, die Konservenfabrik von S. Falz-Fein sowie die Konditoreien und Backwarenfabriken von L. und F. Durianow, Bernhardt sowie M. und P. Liebmann. 1892 wurde das Handelskontor „Oloff & Durian“ gegründet, das eine Dampfmühle betrieb. 1897 nahm G. Rederer in Odessa die Schaumweinproduktion auf.

Bei den deutschen Unternehmen waren deutsche Verwalter, Ingenieure und Buchhalter angestellt, die oft der gleichen Konfession angehörten wie die Besitzer. Auch mit der Planung von Privathäusern, Industrie- und Schulgebäuden, Krankenhäusern und Kirchenbauten wurden oft deutschstämmige Architekten beauftragt. Viele wohlhabende Familien beschäftigten deutsches Dienstpersonal. In Odessa praktizierten viele deutschstämmige Ärzte. 1882 finanzierten die Gemeindemitglieder der evangelisch-lutherischen und der evangelisch-reformierten Gemeinde den Bau des evangelischen Krankenhauses, dessen Ausstattung dem höchsten europäischen Standard entsprach. Als Ärzte waren dort vor allem Deutsche beschäftigt. Chefärzte waren Eugen Fricker und J. Augst.

Deutschstämmige Architekten prägten das Stadtbild Odessas mit. Nach ihren Entwürfen und Plänen wurden Kirchen, mehrere Schulgebäude, Kasernen, die Geburtsklinik, Mietshäuser, das Gebäude der Odessaer Zweigstelle der Russischen Technischen Gesellschaft (1892), das Liebman-Haus (1890er Jahre, Architekt - Eduard Messner), zahlreiche private Bauten, die Brauerei Sanzenbacher (1910; Architekt - Bruno Bauer), das bei der evangelisch-lutherischen Gemeinde bestehende Knabenheim (1815; Architekt - Paul Klein) sowie das Opern- und Balletttheater (1883-87, Architekten - Ferdinand Fellner und Hermann Helmer) gebaut. Der Münchner Bildhauer Brugger entwarf 1863 das für den Grafen Michail Woronzow errichtete Denkmal, der Architekt Wladimir Kundert die aus Anlass des 50. Jahrestags der während des Krimkriegs (1853-56) erfolgten Bombardierung Odessas durch die britisch-französische Flotte auf dem Primorski-Boulevard errichtete Gedenkkanone. Einen erheblichen Beitrag leisteten die Deutschen auch zur Begrünung Odessas. So begrünte der in den Jahren 1812-62 als städtischer Gartenmeister tätige G. Hermann die gesamte Innenstadt. In den Baumschulen von R., F. und Ju. Rothe, G. und W. Stamm, H. Stapelberg sowie G. und E. Werkmeister wurde an der Akklimatisierung verschiedener Baumarten und zahlreicher Blumensorten gearbeitet.

1804 wurde bei der evangelisch-lutherischen Gemeinde eine kirchliche Gemeindeschule und 1825 die St. Pauli-Schule eröffnet (siehe: Odessaer St. Pauli-Realschule). Schulen unterhielten auch die katholische und die evangelisch-reformierte Gemeinde. Unter den deutschen Privatschulen sind die Odessaer Handelsschule von Feig sowie das Gymnasium von A.W. Jungmeister besonders hervorzuheben. 1906 wurde auf Initiative der Südrussischen Deutschen Gesellschaft die Odessaer Handelsschule für Mädchen eröffnet. Nach den Zahlen der Volkszählungen von 1892 und 1897 wiesen die Deutschen nach Franzosen und Griechen die dritthöchste Alphabetisierungsrate auf.

Eine große Rolle spielten die Deutschen für die Entwicklung der Wissenschaft: Unter den Lehrkräften des Richelieu-Lyzeums und der Neurussischen Universität waren die Historiker Alexander Brückner und Philipp Jakob Bruun, die Archäologen und Historiker Ernst von Stern (*1859, †1924) und Paul Adam von Becker, die Botaniker und Zoologen Alexander von Nordmann, Ludwig Reinhard und Alexander Brauner, die Mathematiker Heinrich Wilhelm Bruun (*1806, †1854) und K.I. Fot (†1893), der Psychologe Nikolai Lange sowie der Philosoph Nicolas von Grot.

In Odessa erschienen die Zeitungen „Odessaer Heimat“, „Deutsche Rundschau“, „Christlicher Volksbote“ (1869-1914) und „Volksbote“ (Sonntagsblatt für die evangelisch-lutherischen Gemeinden). Es gab den Deutschen Wohlfahrtsverein (1845-1914), den Odessaer Deutschen Verein „Harmonie“ (1861- nach 1914), den Handwerker- und Industriellenklub (1869 - nach 1914), den Gymnastikverein (1880 - nach 1914), die Südrussische Deutsche Gesellschaft (1906-15), die Deutsche Bildungsgesellschaft Südrusslands (1906-10), die Burschenschaft der deutschen Studenten (1909-15), den Odessaer Deutschen Klub (1908-15), den Odessaer Klemensverein (1908-14), die Südrussische Katholisch-Deutsche Bildungsgesellschaft (1908 - nach 1914), die katholische Damengesellschaft „Mariahilf“ (1907 - nach 1914) und den Evangelischen Verein Junger Männer (1911-15). Im Theatersaal des Vereins „Harmonie“ sowie in dem beim Handwerker- und Industriellenklub bestehenden Neuen Theater fanden Literatur- und Musikveranstaltungen, Theateraufführungen, Familienabende, Kinderfeste und Maskenbälle statt. Der Besitzer der Klavierfabrik K. Haas organisierte Laienmusikabende, auf denen er selbstgeschriebene Lieder zum Besten gab. Mitte des 19. Jahrhunderts waren die klassischen Musikabende von F. Kalbitz weit bekannt. In den Jahren 1889-1914 bestanden die Musikkurse von K. Lagler. Von 1892 an gab es zudem die Musikkurse des Pianisten und Komponisten Demian von Rössl. 1839 wurde die Tanzschule von F.A. Zorn eröffnet, die bis 1895 bestand. Viele Vereine, Kirchengemeinden und das evangelische Krankenhaus unterhielten eigene deutsche Bibliotheken.

Die Deutschen im Gesundheitswesen Odessas.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren weite Teile der Odessaer Ärzteschaft deutscher Herkunft. Deutsche arbeiteten in allen zivilen, militärischen und karitativen medizinischen Einrichtungen der Stadt, unterhielten private Praxen und waren an den Aktivitäten aller in der Stadt bestehenden medizinischen Gesellschaften beteiligt. Bereits in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung Odessas kamen Friedrich Wagner und Wilhelm Pritzkow in die Stadt. Wagner hatte die Berliner Universität abgeschlossen und nahm 1827 aktiven Anteil an der Bekämpfung der in Odessa ausgebrochenen Pestepidemie. 1856 wurde der frei praktizierende Arzt und „ausländische Doktor der Medizin und Chirurgie“ für seinen „herausragenden Einsatz und die unentgeltliche Behandlung verwundeter und kranker Militärangehöriger“ mit dem Orden des Heiligen Wladimir der 2. Stufe ausgezeichnet. 1849 war er eines der zwanzig Gründungsmitglieder und später mehrfach Vorsitzender der Odessaer Ärztegesellschaft, die sein Angedenken nach seinem Tod in Ehren hielt und ihren Sitzungssaal mit seinem Porträt schmückte. Ein weiteres Gründungsmitglied der Odessaer Ärztegesellschaft war Wilhelm Pritzkow, der seine medizinische Ausbildung ebenfalls an der Berliner Universität erhalten hatte und seit 1846 in Odessa lebte. Acht Jahre lang widmete er sich selbstlos seiner Arbeit als Arzt im Waisenhaus der Odessaer Wohltätigen Frauengesellschaft.

Im Jahr 1833 kam Erast Stepanowitsch Andrejewski (*1809, †1872) nach Odessa, dessen Mutter Henrietta die Schwester des Chirurgen und Berliner Professors Karl Ferdinand von Graefe (*1787, †1840) war, bei dem Andrejewski von seinem elften Lebensjahr an in Deutschland lebte, wo er die Berliner Universität abschloss. Andrejewski legte den Grundstein für die Entwicklung des am Kujalnizki-Liman bei Odessa gelegenen Kurorts, der zu seinen Ehren lange Zeit den Namen Andrejewskoje trug und ihm 1896 ein Denkmal setzte. 1837 war er an den Maßnahmen zur Bekämpfung des Pestausbruchs in Odessa beteiligt und fasste seine in diesem Kampf gemachten Erfahrungen in der monographischen Forschungsarbeit „Über die Pest, die Odessa 1837 heimsuchte. Historischer Blick auf den Verlauf der Epidemie und dessen medizinische Beobachtung“ (1838) zusammen.

In den Jahren 1858-80 leitete Friedrich-Ludwig Thurau und in den Jahren 1880-86 Ludwig Karl Adolfowitsch Marowski (*1831, †1892) die Medizinische Verwaltung des Gouvernements Odessa. Der frühere sächsische Staatsangehörige Marowski, der die russische Staatsangehörigkeit angenommen hatte, war Abgeordneter der städtischen Duma, Mitglied der Odessaer Ärztegesellschaft (von 1881 an) und der Odessaer Balneologischen Gesellschaft (von 1886 an) und einer der Initiatoren der Gründung der 1886 in Odessa eröffneten Bakteriologischen Station.

Chefarzt des Städtischen Krankenhauses war der im Jahr 1870 nach Odessa übergesiedelte Chirurg Bernhardt Kleberg, der auch für die wohltätige Sturdsa-Gesellschaft der Mitleidigen Schwestern operierte und Mitglied der Odessaer Ärztegesellschaft war. Nach Ausbruch des Serbisch-Osmanischen Krieges fuhr er 1876 an der Spitze einer Sanitätseinheit nach Belgrad.

1877 kam Karl Romanowitsch Henrichsen (*1838, †1898) nach Odessa, wo er zunächst als Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus arbeitete, später die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe leitete und zeitweise als Chefarzt tätig war. Darüber hinaus engagierte sich Henrichsen für zahlreiche wohltätige Gesellschaften und war lange als Arzt für die Kasperowski-Gesellschaft der Barmherzigen Schwestern tätig. Von 1879 an arbeitete er unentgeltlich als Gynäkologe für die Odessaer Armen-Ambulanz. Er war Mitglied der Odessaer Balneologischen Gesellschaft (ab 1877) und beteiligte sich an den Aktivitäten der Odessaer Ärztegesellschaft, für die er unter anderem die Sterbestatistik erstellte. Für die langjährige Bereitstellung seiner die Sterblichkeit in Odessa betreffenden Aufzeichnungen zeichnete ihn die spanische Regierung 1894 mit dem Isabella von Kastillien-Orden aus. Henrichsen war Autor des Buches „Die Sterblichkeit in Odessa im Verlauf von 17 Jahren. 1874-1891“ (1896), das seine Bedeutung bis heute nicht eingebüßt hat.

Organisator der augenärztlichen Hilfe war in Odessa Heinrich Christianowitsch Schmidt (*1834, †1888), der 1865 als Assistenzarzt an das Städtische Krankenhaus kam, wo er 1866 die von ihm selbst geleitete Abteilung für Augenheilkunde aufbaute, die wiederum im Jahr 1876 als eigenständige Einrichtung mit stationärer und ambulanter Behandlung aus dem Städtischen Krankenhaus ausgegliedert wurde. Bis 1887 blieb Schmidt durchgängig Chefarzt dieser Augenklinik (Pawel-Klinik).

Sein Nachfolger als Chefarzt der Augenklinik war in den Jahren 1887-1908 Wilhelm Wagner, der parallel lange Zeit als Direktor der „Anstalten für künstliche Heilwässer“ wirkte, über deren zu diesem Zeitpunkt 75-jährige Geschichte er eine ausführliche historische Abhandlung verfasste. Wagner war Mitbesitzer der am Klein-Liebentaler (Trockenen) Liman gelegenen Anstalt für Schlamm- und Wasserheilkunde. Sein Nachfolger als Chefarzt der Pawel-Augenklinik war Dr. Otto-Heinrich Walter (*1862, †1917), Mitglied der Odessaer Russischen Ärztegesellschaft und Privatdozent an der Neurussischen Universität (1913). In der Pawel-Augenklinik arbeitete von 1902 an auch der Mediziner Theodor Karlowitsch Wernke (*1870, †1946), der von 1908 an auch als Privatdozent an der Neurussischen Universität tätig war. Wagner und Wernke waren Mitglieder der 1910 gegründeten Augenheilkundlichen Gesellschaft, deren stellvertretender Vorsitzender Walter zudem war.

1898 wurde Nikolai Iwanowitsch Kaefer (*1864, †1944) noch vor Abschluss der Bauarbeiten zum Chefarzt des für Fabrikarbeiter bestimmten Rotkreuzkrankenhauses berufen. Kaefer leitete die Errichtung der Krankenhausgebäude und organisierte die in den Fabriken geleistete ambulante ärztliche Hilfe. Nach der am 30. Dezember 1899 erfolgten Eröffnung des Krankenhauses war Kaefer bis 1919 in seiner Funktion als Chefarzt tätig.

Die Russlanddeutschen spielten auch für die Entwicklung der Militärmedizin in Odessa eine große Rolle. Von 1864 war Alexander Alexandrowitsch von Henrici (*1824, †1895) Assistent des Medizinischen Inspektors des Militärbezirks Odessa. In den Jahren 1894-1901 leitete Karl Georg Emil Reder und in den Jahren 1903-11 L.L. Heidenreich das Odessaer Militärbezirkshospital. In den Jahren 1891-98 diente Doktor Jakob Michailowitsch Flemmer (*1861), der in der Stadt später eine eigene Praxis betrieb, in Odessa als Militärarzt. Von 1894 an diente Hermann Jewgeni Schultz in der Medizinischen Verwaltung des Odessaer Militärbezirks.

Eine besondere Rolle spielte das Odessaer Evangelische Krankenhaus für die Entwicklung der Medizin in Odessa, dessen Personal größtenteils aus deutschen Ärzten und Medizinern bestand.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs änderte sich schlagartig die Lage der in der multiethnischen Stadt Odessa ansässigen deutschen Bevölkerung. Im Oktober 1914 wurden die in Odessa erscheinenden deutschen Zeitungen auf Weisung der Behörden geschlossen. Im November wurden in den Kirchen und Bethäusern Predigten in deutscher Sprache verboten, im Dezember der Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit und im Februar 1915 Telefongespräche. Alle Unternehmen und Betriebe, deren Besitzer die deutsche oder österreich-ungarische Staatsangehörigkeit hatten, wurden beschlagnahmt. Die Besitzer selbst wurden als zivile Kriegsgefangene aus Odessa zwangsausgewiesen.

Nach der Februarrevolution von 1917 bestand in Odessa das südrussische Zentralkomitee des Allrussischen Verbands der Russlanddeutschen, dessen Presseorgan „Wochenzeitung“ ebenfalls in der Stadt erschien. 1919 wurde der Bund der Deutschen Kolonisten gegründet, der den „Vereinsboten“ herausgab. Im gleichen Jahr erschien auch die Wochenzeitung „Heimatklänge“. Die deutsche Gruppe der Kommunistischen Partei der Ukraine (Spartakusgruppe) gab die Zeitung „Nachrichten für die deutschen Kolonisten“ heraus. Von 1920 an erschien das Organ des Odessaer Gouvernementsrevolutionskomitees unter dem Titel „Nachrichten“.

Im Februar 1920 übernahmen in Odessa die Sowjets die Macht. 1922 wurde bei der Gouvernementsabteilung für Angelegenheiten der Nationalen Minderheiten eine Deutsche Sektion eingerichtet. Später wurde die deutsche Mittelschule Nr. 38 gegründet. Es gab ein deutsches Theater (1934-38), das deutsche Pädagogische Institut mit vier Fakultäten und einer Abteilung für das Fernstudium sowie Vorbereitungskursen und Arbeiterfakultäten in Odessa, Großliebental und Chortiza (1933-38). 1938 wurden alle nationalen Bildungs- und Kultureinrichtungen geschlossen und viele ihrer Leiter und Mitarbeiter repressiert. Die Tätigkeit der evangelisch-lutherischen Kirche wurde verboten. In sämtlichen Schulen und Lehranstalten wurde Ukrainisch als Unterrichtssprache eingeführt, während Deutsch nur noch als Fremdsprache unterrichtet werden durfte. Mit Beginn des Deutsch-Sowjetischen Kriegs (1941-45) war die deutsche Bevölkerung Odessas Massenrepressionen ausgesetzt. Beim Vormarsch der deutschen Wehrmacht auf Odessa wurden zahlreiche Deutschstämmige unter der Anschuldigung erschossen, Helfershelfer Hitlerdeutschlands zu sein.

Nach dem Krieg lebten (auch infolge von Emigration) nur noch sehr wenige Deutsche in Odessa. Der Prozess der nationalen Wiedergeburt setzte erst nach 1985 in den Jahren der Perestroika ein. So wurde 1990 eine Zweigstelle der Organisation „Wiedergeburt“ gegründet, der 1999 etwa 1.000 Mitglieder angehörten. Die evangelisch-lutherische Gemeinde wurde wiederaufgebaut und erhielt das halb zerstörte Gebäude der St. Pauli-Kirche zurück. In den Jahren 1993-94 bestand eine ehrenamtlich betriebene deutsche Sonntagsschule, 1998 wurde eine staatliche deutsche Sonntagsschule gegründet. Im Rahmen der 1993 unterzeichneten ukrainisch-deutschen Vereinbarung über die kulturelle Zusammenarbeit kamen Deutschlehrer aus der Bundesrepublik Deutschland nach Odessa, um in den Schulen und an der Universität zu arbeiten. 1993 wurde das Kulturzentrum „Bayrisches Haus“ gegründet, das sowohl Deutschstämmigen als auch allen anderen offenstand, die sich für die deutsche Sprache und Kultur interessierten. Die Auswanderung der Deutschstämmigen nach Deutschland setzt sich weiter fort.

Die von den Deutschen im Leben Odessas eingenommene Rolle hinterließ auch in der städtischen Toponomie ihre Spuren. So gab es im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der Stadt eine Deutsche, eine Evangelische und eine Kolonisten-Straße, eine Luther- und eine Evangelische Gasse sowie weitere nach Sanzenbacher. Durian und Wagner benannte Gassen, einen Deutschen Platz sowie eine Kotzebue-, eine Lange- und eine Lutherische Brücke. 1804 wurde auf dem Alten Friedhof ein Bereich ausgewiesen, in dem Lutheraner und Katholiken beigesetzt wurden. In den 1930er Jahren wurde diese Nekropole zerstört. Als 1885 der Neue bzw. Zweite Christliche Friedhof angelegt wurde, wurden in den der lutherischen und der reformierten Gemeinde zugewiesenen Bereichen Kapellen errichtet. Heute sind einzelne deutsche Grabstätten aus dem 19. und 20. Jahrhundert erhalten.

Autoren: Plesskaâ È.G.Wassiljew K. (Sumy)

Literatur

Новороссийский календарь на [1840–69] год, Одесса, 1841–71; Одесский календарь на [1873–76] год, Одесса, 1872–75; Адрес-календарь Одесского градоначальства на [1874, 1892, 1917] год; Адресная книга одесских 1-й гильдии купцов. 1890–1891, Одесса, 1891; Вся Одесса. Адресная и справочная книга г. Одессы на [1899–1902/3, 1904/5–1906, 1908, 1910–11], Одесса, 1899–1911; Фабрично-заводская и ремесленная промышленность Одесского градоначальства Херсонской губернии, Одесса, 1899; Плаксин С.И., Торгово-промышленная Одесса и ее представители в конце девятнадцатого столетия... Одесса, 1901; Южнорусский альманах, Одесса, 1902; Справочная книга о купцах первой и второй гильдии и вообще о лицах и учреждениях торгово-промышленного класса... на... [1912–16] год, Одесса, 1912–16; Атлас Д., Старая Одесса, ее друзья и недруги, Одесса, 1992 (репринтное издание); Васильев К.К., К вопросу об этнокультурной специфике Одессы [врачи-немцы в Одессе], в кн.: Регіональна політика Украïни: концептуальні засади, історія, перспективи. Міжнародна науково-практична конференція, Киïв, 10–11 листопада 1994 р., Киïв, 1995; Плесская-Зебольд Э.Г., Одесские немцы, Одесса, 1999; Bienemann F., Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinden zu Odessa, Odessa, 1890; Eisfeld A., Die Russlanddeutschen, München, 1992; Vasylyev К.К., Deutsche Ärzte in Odessa im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Medizin und Pharmazie im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Russischen Reich, Aachen, 2000.
Autoren: Plesskaâ È.G., Wassiljew K. (Sumy)

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