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POLITISCHE REPRESSIONEN

Rubrik: Politische Geschichte

POLITISCHE REPRESSIONEN (von lateinisch repressio – „Zurückdrängung“, „Unterdrückung“) - gegen tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner gerichtete Strafmaßnahmen; massenhafte Bestrafung von Angehörigen verschiedener Volksgruppen oder Bevölkerungsschichten, die größtenteils auf falschen Anschuldigungen basierten und dem Ziel der Einschüchterung und Unterwerfung unter die Staatsmacht dienten. Politische Repressionen wurden vom bolschewistischen Regime im gesamten Zeitraum seines Bestehens praktiziert und hatten insbesondere zur Herrschaftszeit Stalins Massencharakter. Zu den Opfern der vom bolschewistischen Regime ausgeübten Massenrepressionen gehörte auch die in der Sowjetunion ansässige deutsche Bevölkerung.

Als Ideologie, gesellschaftspolitische Praxis und spezifische Herrschaftsform einer militant totalitären Partei, die den Klassenkampf, die Diktatur des Proletariats und die Zerstörung des Privateigentums propagierte, den Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft ablehnte und Klasseninteressen über nationale Interessen und „revolutionäre Zweckmäßigkeit“ über die Rechte des Einzelnen stellte, drückte der Bolschewismus sowohl der russischen als auch der Weltgeschichte seinen Stempel auf und prägte alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.

Nach ihrer Machtübernahme machten sich die Bolschewiki umgehend daran, ihre theoretischen Vorstellungen mit kompromissloser Härte in die Tat umzusetzen, führten Russland mit beispielloser Bereitschaft zur Gewaltausübung auf einen antikapitalistischen Weg der Entwicklung und verwandelten das Land mit seiner viele Millionen Menschen zählenden multiethnischen Bevölkerung in ein gigantisches Versuchsgelände für das kommunistische Experiment. Eine solche ausschließlich auf staatlichen Zwang und die Kultivierung des Klassenhasses setzende Politik versetzte das Land in einen permanenten Ausnahmezustand und ließ Repressionen zu einem zentralen Herrschaftsinstrument werden. In der Praxis war die allseits verkündete „Demokratie für die Werktätigen“ vom ersten Tag ihres Bestehens an reine Fiktion. Tatsächlich erlangten terroristische Herrschaftspraktiken schnell die Oberhand und verfestigten sich nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedenzeiten. Nackte Gewalt, die sich praktisch gegen alle sozialen Schichten richtete (einschließlich derer, in deren Namen die Bolschewiki agierten) wurde insbesondere zur Zeit der „umfassenden Offensive des Sozialismus an allen Fronten“, aber auch noch bis in die Mitte der 1950er Jahre hinein, zu einem zentralen Element der Herrschaftsausübung.

Neben der Gewalt setzten die Bolschewiki immer auch auf das Instrument der politische Täuschung. Um ihre strategischen Ziele zu erreichen, manipulierten sie geschickt mit taktischen Losungen und scheuten auch nicht davor zurück, die in breiten Bevölkerungskreisen jeweils attraktivsten Programmpunkte des politischen Gegners zu übernehmen. Das versetzte die Bolschewiki in die Lage, selbst in scheinbar hoffnungslosen Krisensituationen zu überleben, in denen ihre Macht buchstäblich am seidenen Faden hing. Aber auch die marxistische Ideologie selbst, die geschickt über rein russische Traditionen gestülpt wurde (Vorrang des kollektiven Denkens über das Individuum, Streben nach egalitärer Gerechtigkeit, Hass auf die überlegenen Bildungsschichten, messianische Stimmungen), half den Bolschewiki, Sympathien zu gewinnen und eine Schicht von Leuten heranziehen, die dem Regime und dem Mythos des Kommunismus fanatisch ergeben waren und zur sozialen Stütze ihrer Macht wurden, zumal sie das Land gegen ausländische Einflüsse abschirmten und die Bevölkerung einer hemmungslosen „Gehirnwäsche“ unterzogen.

 

Dank den genannten und einigen weiteren Faktoren konnten die Kommunisten das Land vergleichsweise lange auf einem eigenständigen Weg der Entwicklung halten, auch wenn es sich dabei aus heutiger Sicht letztlich auch nur um eine äußerst ineffektive Spielart der Industriegesellschaft handelte.

 

Was die Russlanddeutschen betrifft, waren deren Vorfahren mehrheitlich seit den 1760er Jahren aus Deutschland und seinen Nachbarstaaten nach Russland gekommen, die zu diesem Zeitpunkt bereits durch die westeuropäische Zivilisation geprägt waren und entsprechenden Werten wie der Unantastbarkeit des Privateigentums, dem Individualismus, dem rationalen Denken oder der protestantischen Arbeitsethik anhingen (bekanntlich waren die Übersiedler zu einem großen Teil Protestanten).

Natürlich prägte dies auch die Mentalität der Übersiedler, die in einer tiefen Religiösität und strengen Befolgung der christlichen Gebote, in beispiellosem Fleiß, in Ordnungsliebe, Disziplin und Strebsamkeit sowie einem ausgeprägten Gefühl der Verantwortung für den eigenen Besitz und der Achtung vor fremdem Besitz Ausdruck fand. Bürger dieser Art wurden in der von Kollektivgeist und Gleichheitsgedanken geprägten russischen Gesellschaft geradezu zwangsläufig als Fremdkörper wahrgenommen, so dass den in Russland lebenden Deutschen immer eine ambivalente Haltung entgegengebracht wurde, die von Respekt und Bewunderung bis hin zu Feindschaft und Hass reichen konnte.

Auch in ihrer neuen Heimat konnten die Russlanddeutschen ihre nationalen Eigenarten sowie ihre aus der alten Heimat mitgebrachten Sitten und Gebräuche über einen langen Zeitraum bewahren. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts reagierten die nationalistisch gesinnten Kreise der russischen Gesellschaft vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Beziehungen zum nach der Reichsgründung erstarkten Deutschland zunehmend gereizt auf alle Erscheinungsformen der russlanddeutschen Mentalität, deren Träger sich immer größerer Ablehnung und auf dem Höhepunkt des in den Jahren des Ersten Weltkriegs entfesselten großrussischen Chauvinismus schließlich unmittelbaren Verfolgungen ausgesetzt sahen. Der Staat duldete diesen „Kampf gegen die deutsche Dominanz“ und trat oftmals selbst als dessen treibende Kraft in Erscheinung. So reichte die Tradition der gegen die Russlanddeutschen gerichteten staatlichen Repressionen noch in die Zeit vor der bolschewistischen Machtübernahme zurück.

 

Es liegt auf der Hand, dass es zwischen der Ideologie des Bolschewismus und der nationalen Psychologie der Russlanddeutschen nur sehr wenige Berührungspunkte gab und eine Konfrontation nahezu unausweichlich war. Nichtsdestotrotz hegten die Deutschen (wie auch viele Angehörige anderer in Russland lebender ethnischer Minderheiten) in den Anfangsjahren der bolschewistischen Diktatur durchaus Illusionen, die durch die „Deklaration der Rechte der Völker Russlands“ genährt wurden. So beschlossen etwa die Repräsentanten der deutschen Wolgakolonien auf ihrem im Februar 1918 abgehaltenen Kongress, die Sowjetregierung zu bitten, an der Wolga ein eigenes national-territoriales Autonomiegebiets gründen zu dürfen.

In der Sache waren die Bolschewiki an einer freien und souveränen Entwicklung der in Sowjetrussland lebenden Völker nicht interessiert und ließen sich bloß von der taktischen Überlegung leiten, die nichtrussischen Völker der Sowjetunion auf ihre Seite zu ziehen, um auf diese Weise das Fortschreiten des revolutionären Prozesses zu erleichtern. So erklärte Stalin in seiner Eigenschaft als Volkskommissar für Nationalitätenfragen auf einer der nationalen Konferenzen bereits im Mai 1918, dass die Sowjetmacht an einer von der nationalen Bourgeoisie dominierten Autonomie nicht interessiert sei und für eine Form der Autonomie stehe, in der die bourgeoisen Kräfte unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit nicht nur von der Macht, sondern auch von der Teilnahme an den Wahlen der Regierungsorgane ausgeschlossen seien. Dass auch die im Jahr 1918 vollzogene Gründung des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen exakt diesem Drehbuch folgte, lässt sich anhand der Tätigkeit des Wolgakommissariats für deutsche Angelegenheiten nachzeichnen, dessen Aufgabenbeschreibung keinen Zweifel offen ließ, dass es zum „ideologischen Zentrum der unter der deutschen werktätigen Bevölkerung zu leistenden sozialistischen Arbeit“ werden sollte, um eine „Selbstverwaltung des Volkes auf sozialistischer Grundlage“ zu gewährleisten.

Jenseits rein taktischer Überlegungen betrachteten die Bolschewiki die nationale Idee und das Bekenntnis zu nationalen Interessen als Haupthindernis auf dem Weg zu einem sozialistischen bzw. kommunistischen Universalismus und proletarischen Internationalismus, weswegen die Annahme, dass das nationale Prinzip allmählich absterben werde, zu den Kernpunkten ihres sozialen, soziokulturellen und politischen Programms zählte. Der Weg dorthin sollte über eine Föderation nationaler Autonomiegebiete führen, die durch die Kommunistische Partei zusammengehalten wurde, die an den Schaltstellen der Macht auf eine weltumspannende klassenlose Gesellschaft ohne Staat und nationale Unterschiede hinarbeiten sollte.

Vor diesem Hintergrund stellte die Einrichtung national-territorialer Autonomiegebiete für die Bolschewiki nicht mehr als ein Instrument dar, mit dessen Hilfe sie die utopische Idee eines weltumspannenden Sozialismus umsetzen zu können hofften. Durch eben diese Einstellung lassen sich auch die konkreten Formen erklären, in denen die sowjetische Nationalitätenpolitik Gestalt annahm. So erhielten die einzelnen Nationen zwar eigene nationale Gebietskörperschaften, in denen sie nationalsprachliche Bildungs- und Kultureinrichtungen gründen, im Rahmen der sogenannten „Einwurzelungspolitik“ nationale Kader fördern und ihre Wirtschaft modernisieren konnten, aber zugleich waren all diese Maßnahmen immer einer „Klassenpolitik“ untergeordnet, die keinerlei Unterschiede zwischen den Nationen machte und im Endeffekt die gesamte Menschheit beglücken sollte. Am Beispiel der Autonomen Republik der Wolgadeutschen und der in anderen Regionen der Sowjetunion bestehenden deutschen Nationalrayone lässt sich gut ablesen, dass die Autonomiegebiete sowjetischen Typs in der Praxis über keinerlei politische Souveränität verfügten und ihre vorgeblichen national-staatlichen Rechte reine Fiktion waren, was sich schon daran ablesen lässt, dass die Autonome Republik der Wolgadeutschen gemäß der 1936 verabschiedeten Verfassung der Sowjetunion zwar unmittelbar den höchsten Organen der Staatmacht der RSFSR unterstellt war, de facto aber dem Gebietsparteikomitee der WKP(b) des benachbarten Gebiets Saratow unterstand.

Wie flüchtig die den Unionsrepubliken und autonomen Gebietskörperschaften gewährten national-staatlichen Rechte tatsächlich waren, ließ sich Mitte der 1930er Jahre erkennen, als das Konzept des „Sozialismus in einem einzigen Lande“ die weltrevolutionären Ambitionen des Sowjetstaats in den Hintergrund treten ließ und es zu einer weitreichenden Neuorientierung der Nationalitäten- und insbesondere der Sprachpolitik kam, in deren Folge Russisch faktisch zur Staatssprache wurde und der „Kampf gegen den Nationalismus“ an die Stelle der „Einwurzelungspolitik“ trat. Just im Zuge der aus diesem Kurswechsel resultierenden Kampagne wurden die deutschen Nationalrayone Ende der 1930er Jahre aufgelöst.

Durch die nach 1917 eingeleiteten gewaltigen sozialen Umwälzungen, die großangelegten Repressionskampagnen und die grenzenlose Allmacht der WKP(b) wurden alle zwischen den Völkern der Sowjetunion, zwischen den Unionsrepubliken und autonomen Gebietskörperschaften und letztlich auch zwischen den einzelnen Bürgern der Sowjetunion bestehenden Unterschiede eingeebnet. In letzter Konsequenz wurden alle in nationaler und individueller Hinsicht gleichermaßen rechtlos - und die Sowjetdeutschen und ihre nationalen Gebietskörperschaften stellten in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar.

Auf den ersten Blick lässt sich sagen, dass sich die in der ASSR der Wolgadeutschen, in der Ukraine, in Sibirien, im Kaukasus oder in anderen Regionen der Sowjetunion lebenden Deutschen zu allen Zeiten der sowjetischen Herrschaft mit den gleichen durch die Politik der zentralen bolschewistischen Führung hervorgerufenen Prozessen und den gleichen negativen Folgen des totalitären Herrschaftssystems konfrontiert sahen wie alle anderen Bürger des Sowjetstaats auch. Zusammen mit allen anderen Völkern Russlands bzw. der Sowjetunion durchlebten die Deutschen das kriegskommunistische Experiment, die Getreidekonfiskationen der Bürgerkriegsjahre und die daraus resultierende Hungersnot, die Kollektivierung und Entkulakisierung, das an eine Wiedererrichtung der Leibeigenschaft gemahnende Kolchossystem der 1930er Jahre und die durch dieses provozierte neuerliche Hungersnot, den „Großen Terror“, die Schrecken des Krieges sowie die Not der Nachkriegszeit.

Bei genauerer Betrachtung wies die gegenüber den Deutschen verfolgte Politik des Sowjetstaats aber auch einige Besonderheiten auf, die sich vor allem auf die Mentalität der Deutschen und die diesen gegenüber bestehenden Vorurteile zurückführen ließen. So war insbesondere in den ersten Jahren des Sowjetregimes innerhalb der bolschewistischen Führung die offensichtlich noch aus der Zeit vor der Revolution und dem Krieg stammende Vorstellung verbreitet, dass es sich bei den Kolonisten ausnahmslos um wohlhabende Bauern und starke Landwirte und bei den deutschen Kolonien um „Kulakennester“ handele, was wiederum einen der Hauptgründe dafür darstellte, dass bei den deutschen Bauern in den Jahren des Bürgerkriegs besonders rücksichtslos Lebensmittel und andere Güter eingetrieben wurden. Vor allem die Wolgadeutschen, deren Siedlungsgebiet im gesamten Verlauf des Bürgerkriegs unter bolschewistischer Kontrolle stand, traf es dabei besonders hart. So war es kein Zufall, dass gerade das Autonome Gebiet der Wolgadeutschen zum Epizentrum der im Wolgagebiet wütenden Hungersnot wurde und die größten Verluste an Menschenleben zu verzeichnen hatte.

Nicht zu vernachlässigen ist auch der Umstand, dass das nach der Oktoberrevolution etablierte national-staatliche System vor allem dem Ziel dienen sollte, die zwischen den einzelnen Völkern der Sowjetunion bestehenden Unterschiede zu beseitigen, und von russischer Seite als edles Mittel dargestellt wurde, den kleinen und rückständigen Völkern zu helfen. Dabei sollte die „Gleichheit“ durch Umverteilung der Ressourcen zwischen den einzelnen Regionen des Landes hergestellt werden. Da die Deutschen als „entwickelte Kulturnation“ galten, war ihre Republik eines der wenigen Autonomiegebiete, die von dieser Umverteilung nicht profitierten. So musste die Wolgarepublik zwar überproportional viel in den zentralen Haushalt einzahlen und gehörte zu den wichtigsten Lebensmittellieferanten des Landes, erhielt aber selbst nicht mehr als andere Gouvernements, Regionen und Gebiete der RSFSR. Ausnahmen wurden nur äußerst selten gemacht, wenn es die politischen Rahmenbedingungen unumgänglich erscheinen ließen. (So wurden z.B. die für die Entwicklung des nationalen Bildungswesens vorgesehenen Mittel erst Anfang der 1930er Jahre bewilligt). Aus diesem Grund entwickelte sich die ASSR der Wolgadeutschen bis Ende der 1930er Jahre deutlich langsamer als andere Autonomiegebiete der RSFSR. Eine ähnliche Situation war auch in den deutschen Nationalrayonen zu verzeichnen.

Die Deutschen wiederum zahlten es dem Regime mit gleicher Münze zurück. So war es sicherlich auch ihrer besonderen Mentalität geschuldet, dass sie zu jenen Völkern der Sowjetunion gehörten, denen die Anpassung an die von den Bolschewiki geschaffene Ordnung besonders schwer fiel. In den Jahren des Bürgerkriegs beteiligten sich die Deutschen in der Ukraine und in einigen anderen Regionen aktiv am Kampf gegen die Sowjetmacht und stellten sogar eigene deutsche Kampfverbände innerhalb der Weißen Armee auf. (So kämpfte z.B. eine 3.000 Mann starke, aus deutschen Kolonisten und Kriegsgefangenen bestehende Brigade innerhalb der Armee Wrangels). Wurden die Wolgadeutschen zur Roten Armee mobilisiert, legten sie nur geringen Kampfeifer an den Tag und desertierten bei der ersten Gelegenheit. Die innerhalb der Roten Armee bestehenden deutschen Einheiten existierten nicht lange und zeichneten sich nicht sonderlich aus. Das 2. Balzerer Regiment wurde sogar aufgelöst, weil es die Attacke verweigerte und sich eigenmächtig aus seinen Stellungen zurückzog. Dieser Unwille war noch nicht einmal zwangsläufig ideologisch motiviert. Viele Wolgakolonisten waren grundsätzlich gegen den Krieg, wollten nicht töten und litten darunter, ihrer gewohnten bäuerlichen Lebensweise entrissen zu werden. Diese pazifistische Grundeinstellung hielt die deutschen Bauern allerdings nicht davon ab, sich aktiv an den Bauernaufständen des Jahres 1921 zu beteiligen und ihr Recht auf Privatbesitz und eine traditionelle Lebensweise zu verteidigen. Für die Bolschewiki lag es in der Natur ihrer Herrschaft, nach der Niederschlagung der Aufstände massenhafte Verfolgungen einzuleiten und Hunderte Leute zu erschießen.

Die antibolschewistische Haltung der Deutschen war auch nach dem Ende des Bürgerkriegs so offensichtlich, dass sich das Regime gezwungen sah zu reagieren. So kam z.B. das Gebietsparteikomitee der RKP(b) der ASSR der Wolgadeutschen im Januar 1924 nicht umhin einzugestehen, dass die deutschen Bauern „politisch rückständiger“ und den kommunistischen Ideen gegenüber weniger offen eingestellt waren als ihre russischen Nachbarn, und beschloss, die unter den deutschen Bauern zu leistende politische Arbeit zu intensivieren.

Je hartnäckiger sich die Deutschen den bolschewistischen Experimenten und Angriffen auf ihre traditionelle Lebensweise widersetzten, desto kompromissloser wurden auf der anderen Seite die vom Regime ergriffenen Straf- und Gegenmaßnahmen. Dieser Mechanismus ließ sich insbesondere zur Zeit der Kollektivierung beobachten, gegen die die deutschen Bauern heftigen Widerstand leisteten, da ihnen nur zu klar war, dass diese ihrer über Jahrzehnte gewachsenen Lebensweise die Grundlagen entziehen würde. Bereits Anfang 1930 kam es in Dutzenden im Wolgagebiet, in Sibirien und in anderen Regionen der Sowjetunion gelegenen deutschen Dörfern zu Unruhen, die sich in einigen Fällen zu bewaffneten Aufständen auswuchsen, in deren Folge die Sowjetmacht zeitweise die Kontrolle über einzelne Dörfer verlor (so etwa in Marienfeld im Wolgagebiet und Halbstadt im Altai). In vielen deutschen Dörfern solidarisierten sich die Bauern mit ihren entkulakisierten Nachbarn, deren Abtransport die Sowjetmacht oft erst nach mehreren Tagen mit Waffengewalt durchsetzen konnte. Und selbst dann noch forderten die Bauern weiterhin die Rückkehr der Ausgesiedelten und die Rückgabe des bei diesen beschlagnahmten Besitzes.

Natürlich lässt sich nicht ignorieren, dass es den Bolschewiki schließlich doch gelang, einen Keil zwischen die Deutschen zu treiben. Auch unter diesen gab es Leute, die das bolschewistische Regime uneingeschränkt anerkannten und diesem mit Treu und Glauben dienten. Und eben diese Deutschen waren es letztlich auch, die die Kollektivierung und Entkulakisierung  in den deutschen Dörfern vorantrieben, gegen ihre Nachbarn und Arbeitskollegen gerichtete Denunziationen verfassten und sich aktiv an der Umsetzung der Repressionen beteiligten, denen sie später selbst zum Opfer fallen sollten. Im Sinne der Objektivität ist anzumerken, dass diese Schicht bei den Deutschen deutlich kleiner war, als bei vielen anderen Völkern der Sowjetunion, was ihrem Eifer allerdings keinen Abbruch tat. Ganz im Gegenteil kompensierten diese Leute ihre zahlenmäßige Unterlegenheit durch besonderen Eifer bei der Umsetzung ihrer Ziele und legten eine besondere Grausamkeit und Kompromisslosigkeit an den Tag. Just diesen Leuten gelang es bis zum Sommer 1931, die deutschen Dörfer des Wolgagebiets in die Knie zu zwingen, in denen es im gesamten Winter 1929-30 immer wieder zu Massenprotesten gegen die Kollektivierung gekommen war. So konnte die Führung schließlich verkünden, dass die Autonome Republik der Wolgadeutschen als erstes Gebiet der Sowjetunion die flächendeckende Kollektivierung der Bauernschaft abgeschlossen hatte. In diesem Fall zeigten sich Züge der deutschen Mentalität, die unter ganz anderen Vorzeichen auch unter den Funktionären des nationalsozialistischen Deutschlands anzutreffen waren.

In Anbetracht des oben Gesagten erscheint es unwissenschaftlich und emotional einseitig, wenn einige russlanddeutsche Politiker und Historiker dem bolschewistischen Regime einen besonderen Hass oder gar mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung vergleichbare genozidale Absichten gegenüber den Sowjetdeutschen unterstellen.

Auf Basis der objektiven Forschung lässt sich sagen, dass das Regime nur dann auf explizit antideutsche Repressionen zurückgriff, wenn die Sowjetdeutschen ihren Status als Volksgruppe mit Wurzeln im Ausland dazu zu nutzen versuchten, den von der Sowjetmacht provozierten Notlagen (unter denen auch alle anderen Völker der Sowjetunion zu leiden hatten) durch Auswanderung in ihre historische Heimat, Hilfsgesuche an emigrierte Verwandte und Bekannte oder den Erhalt materieller oder moralischer Unterstützung aus dem Ausland zu entkommen.

Auf jeden dieser von „ihren“ Deutschen unternommenen Versuche reagierte die Sowjetführung mit harten Gegenmaßnahmen, da sie es aus nachvollziehbaren Gründen nicht tolerieren konnte, wenn die Sowjetdeutschen die Welt über die wahre Lage im „Arbeiter- und Bauernstaat“ in Kenntnis setzten, das Regime vor den Augen der Weltöffentlichkeit diskreditierten, die Beziehungen der Sowjetunion zu Deutschland und anderen Staaten belasteten und dem „Weltimperialismus in die Hände spielten“. Besonders deutlich traten diese Mechanismen in den Jahren 1934/35 zu Tage, als das Regime mit harten Repression auf die Tatsache reagierte, dass die in der Sowjetunion lebenden Deutschen Hilfsleistungen aus dem Ausland erhielten (Kampf gegen die Faschisten und ihre Helfershelfer). Am 5. November 1934 begründete das Zentralkomitee der WKP(b) die Notwendigkeit dieser Repressionen folgendermaßen: „... In den von Deutschen bewohnten Rayonen sind in letzter Zeit antisowjetische Elemente aktiv und betreiben offen konterrevolutionäre Arbeit. Die örtlichen Parteiorganisationen und Organe des NKWD reagieren viel zu zurückhaltend auf diese Fälle und leisten de facto Beihilfe durch Unterlassung, da sie von der völlig falschen Annahme ausgehen, dass außenpolitische Erwägungen solche Zugeständnisse an die Deutschen und andere in der UdSSR lebende Nationalitäten erforderlich machen, die es an elementarer Loyalität gegenüber der Sowjetunion fehlen lassen“ (kursiv vom Autor – A.G.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass den Deutschen konkrete regimeschädliche Taten zur Last gelegt wurden, aber nicht die Tatsache an sich, dass sie Deutsche waren.

 

Es steht außer Frage, dass die Haltung der Sowjetführung zu „ihren“ Deutschen in ganz erheblichem Maße durch den jeweiligen Stand der deutsch-sowjetischen Beziehungen beeinflusst war. So betrachtete die Sowjetführung die in ihrem Machtbereich lebenden Deutschen im politischen Spiel zwischen den beiden Großmächten immer wieder als Faustpfand, mit dessen Hilfe sie ihre Ziele durchzusetzen versuchte. Entsprechend fiel die gegenüber den Sowjetdeutschen verfolgte Politik je nach Stand der sowjetisch-deutschen Beziehungen milder (1920er Jahre) oder härter (nach Hitlers Machtergreifung) aus. Und auch die Auflösung der Wolgarepublik und Deportation der deutschen Bevölkerung aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nach Sibirien und Kasachstan war eine unmittelbare Folge der äußersten Zuspitzung der deutsch-sowjetischen Beziehungen, die schließlich in den offenen Krieg mündete. Diese von der Stalinschen Landesführung vollzogenen politischen Akte zeigten, wie wenig die von ihnen hochgehaltenen Rechte der Völker den Bolschewiki wirklich wert waren.

Die Deportation und anschließende Entsendung der Sowjetdeutschen zur Arbeitsarmee und in die Sondersiedlung war für diese zweifelsohne mit massiven Verlusten und traumatisierenden Erfahrungen verbunden. Nichtsdestotrotz wäre es falsch, in diesem Zusammenhang von einem Genozid zu sprechen. Die deutschen Bürger der Sowjetunion wurden zu Opfern der vom Stalinschen Regime praktizierten Politik, vor dem Hintergrund eines grausamen Krieges um jeden Preis jedes Risiko auszuschließen, dass das Hinterland durch illoyales Verhalten destabilisiert werden könnte. So wurden in den Kriegsjahren nicht nur die Deutschen, sondern auch Dutzende andere Völker der Sowjetunion deportiert. Und auch der Einsatz von Zwangsarbeit war alles andere als ein rein deutsches Phänomen, sondern hatte in der UdSSR fast schon allgemeinen Charakter. So leisteten in der Arbeitsarmee auch völlig „unschuldige“ Völker wie Kasachen, Usbeken oder Kirgisen ihre Dienstpflicht ab, ganz zu schweigen von den vielen Millionen politischen Häftlingen.

Auch wenn sich das Verhältnis der Sowjetmacht zu den Deutschen nach Stalins Tod und insbesondere im Zuge der nach 1955 einsetzenden allgemeinen Liberalisierung spürbar besserte, wurden diese nie vollständig rehabilitiert. Sowohl die dem Thema gewidmete Forschung (A. Eisfeld, T. Ilarionowa) als auch die entsprechenden Parteidokumente der 1950er-1980er Jahre legen die Annahme nahe, dass die ausbleibende Rehabilitierung neben einer Reihe von weiteren Gründen auch dadurch motiviert war, dass die Deutschen aus Sicht der Partei dem kommunistischen Regime gegenüber zu wenig Loyalität zeigten. Die seit Mitte der 1950er Jahre schnell anwachsende Emigrationsbewegung (deren Ziel nicht die DDR, sondern die Bundesrepublik war), die häufigen an den Westen gerichteten Hilfsgesuche, die aktive Einmischung der Bundesregierung in die Belange der Sowjetdeutschen und deren ständige Protestnoten, die sich wahlweise gegen die Diskriminierung der Sowjetdeutschen richteten oder die Einhaltung der Menschenrechte anmahnten, sorgten bei der Sowjetführung wie schon Anfang der 1930er Jahre für große Verstimmung und wurden als Ausdruck einer grundsätzlich antisowjetischen Haltung  wahrgenommen, die entsprechende Gegenmaßnahmen nach sich zog. Der Sowjetführung war klar, dass eine Wiedererrichtung der Wolgarepublik die Souveränität der Sowjetunion gefährdet hätte, da sich die Bundesrepublik in einem solchen Fall womöglich als ausländischer Schutzherr aufgespielt und in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion eingemischt hätte. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges und der aus diesem resultierenden Systemkonkurrenz hätte dies wie ein schwerwiegendes und kaum zu begründendes Zugeständnis an die Positionen des ideologischen und politischen Feindes ausgesehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die politischen Repressionen ein integraler Bestandteil der von  der bolschewistischen Führung gegenüber den Russland- bzw. Sowjetdeutschen verfolgten Politik waren. Dabei spielten vor allem die folgenden drei Faktoren eine entscheidende Rolle:

1) Der grundsätzlich repressive Charakter der bolschewistischen Herrschaft, der in der Natur des Regimes lag.

2) Die Tatsache, dass sich die in der Sowjetunion lebenden Deutschen nur widerstrebend an die bolschewistische Macht anpassten, negativ auf die wichtigsten „sozialistischen“ Umgestaltungen reagierten und sich immer wieder hilfesuchend an die im Westen beheimateten ideologischen und politischen Feinde des Bolschewismus wandten, um gegen die Verletzung ihrer Rechte zu protestieren;

3) Das Verhältnis der Sowjetunion zu Deutschland bzw. zum deutschen Staat, was insbesondere unter den Extrembedingungen des Krieges dazu führte, dass die der Illoyalität verdächtigen Deutschen der Deportation, der Arbeitsarmee und der Sondersiedlung ausgesetzt wurden, um jegliches Risiko einer Destabilisierung des Hinterlandes auszuschließen.

Literatur

Autoren: German A.

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