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Deutsch-Russische Häuser. Zentren für Kultur und gesellschaftliche Vereinigungen der Russlanddeutschen (1990er)

Rubrik: Kultur, Wissenschaft, Bildung, Medizin

Deutsch-Russisches Haus – Bezeichnung für staatliche nichtkommerzielle Kultureinrichtungen in Russland, die im Rahmen der Realisierung der staatlichen Programme Russlands und Deutschlands zur Unterstützung der Russlanddeutschen entstanden sind.

Deutsch-Russische Häuser sind regionale Einrichtungen, die über Zweigstellen in den je weiligen Gebieten (oblast’) verfügen und das Ziel verfolgen, den deutsch-russischen Kul turaustausch, die kulturelle Identität der Russlanddeutschen sowie die deutsche Sprache und Kultur zu fördern. Sie fungieren als Begegnungszentren der Russlanddeutschen und dienen als Orte der Austragung verschiedener kultureller, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Veranstaltungen.

Deutsch-Russische Häuser werden von russischer und von deutscher Seite in Gestalt der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert. Seit 2012 müssen deutsche Fördermittel dabei als „technische“ und „humanitäre“ Hilfe anerkannt werden, damit die betroffenen Einrichtungen und Projekte gemäß der aktuellen russischen Gesetzeslage nicht als „ausländische Agenten“ eingestuft werden.
Die ersten fünf Deutsch-Russischen Häuser wurden in den 1990er Jahren durch die bilaterale Regierungskommission für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen in den Städ ten Novosibirsk (1989), Tomsk (1993), Kaliningrad (1993), Moskau (1997) und Barnaul (1998) eingerichtet. Heute gibt es ein Deutsch-Russisches Haus außerdem in Smolensk (1999), Nižnij Tagil (1999), Astrachan’ (2000), Kazan’ (2000), Stavropol’, (2000), Marx (2002), Omsk (2016) sowie in der Republik Karačaevo-Čerkessien (2000). Daneben exis tieren in mehr als 400 Städten und Siedlungen Russlands deutsch-russische Kultur- und Begegnungszentren, welche von den Deutsch-Russischen Häusern ideelle Unterstützung erhalten. Einige dieser Einrichtungen befinden sich in historisch und architektonisch bedeutenden Gebäuden, die zu den „Objekten des kulturellen Erbes Russlands“ gehören, wie beispielsweise das Deutsch-Russische Haus in Tomsk, das ein Architekturdenkmal der russischen Holzbaukunst darstellt.

Als ihre prioritären Aufgaben betrachten die Deutsch-Russischen Häuser die „ethnokultu relle Arbeit“, d.h. die Wiederbelebung, den Erhalt und die Weiterentwicklung der Kultur der Russlanddeutschen, die Förderung der deutschen Sprache, Kultur und Traditionen sowie die Unterstützung der interethnischen und internationalen Zusammenarbeit. DRH organi sieren Sprachkurse, veranstalten Musikfestivals, Lesungen, Ausstellungen, feiern traditionelle deutsche Feste wie St. Martin, Nikolaustag, Weihnachten, Fasching, Ostern und führen andere Aktivitäten durch, die dem Erhalt des kulturellen Erbes der Russlanddeutschen dienen. Einige Häuser verfügen über eigene Heimatkundemuseen, Bibliotheken und Ausstellungsräume und beherbergen eigene Künstlerkollektive oder geben sogar Printmedien heraus. Ein Beispiel ist die Sibirische Zeitung plus, die vom Deutsch-Russischen Haus in Novosibirsk herausgegeben wird und zwei Mal im Monat erscheint. Besonderes Anliegen der DRH sind Projekte im Bereich der Jugendarbeit (z.B. Sommer- bzw. Winterlager für russlanddeutsche Jugendliche, Schüleraustausch mit deutschen Schulen, verschiedene Zirkel für Kinder).

Das Deutsch-Russische Haus in Moskau, das 1997 von Bundespräsident Roman Herzog eröffnet wurde, entwickelte sich zu einem bedeutenden Zentrum für Deutsche aus ganz Russland, da es die Büros aller föderaler Dachorganisationen und Verbände der Russlanddeutschen unentgeltlich unter seinem Dach vereint. Daneben befinden sich im Haus die Büros des Internationalen Verbands der deutschen Kultur (IVDK) und die Redaktion der Moskauer Deutschen Zeitung (MDZ). Das Gebäude wurde von der deutschen Seite erworben, und das Haus wird vom Bundesinnenministerium gefördert. Das Programm, das durch die GIZ koordiniert wurde, umfasst zahlreiche Ausstellungen, Musikabende, Konferenzen, Seminare, Podiumsdiskussionen und Deutschkurse. 2019 wurde beschlossen, das Haus von der GIZ an die Selbstorganisation der Russlanddeutschen zu übergeben.

Mediales Aufsehen erregte 2016 das Deutsch-Russische Haus in Kaliningrad, das wegen angeblicher „Spionage“, „politischer Ambitionen“ und „nationalistischer Umtriebe“ Ziel einer Kampagne in der russischen Presse geworden war. Hintergrund der medialen Aufmerksamkeit war die Überprüfung des Hauses durch das Justizministerium des Kaliningrader Gebiets, das das Haus als „ausländischen Agenten“ eingestuft hat. Als möglicher Auslöser für die Einleitung der Untersuchung wird der Besuch des deutschen Vizekonsuls für Kultur in Kaliningrad, Daniel Lissner, vermutet, der im Deutsch-Russischen Haus anlässlich des Gedenktages der Russlanddeutschen am 28. August 2014 eine Rede gehalten hatte. Liss ner kritisierte in dem von russischen Medien als „antirussische Hass-Rede“ bezeichneten Auftritt die aktuelle russische Politik, darunter auch die Annexion der Krim, scharf. Wäh rend der zweijährigen Überprüfung stellte das russische Justizministerium fest, dass das DRH in Kaliningrad nicht nur Fördermittel aus Deutschland erhielt, sondern auch politisch tätig gewesen sei – beides sind Kriterien, die für die Einstufung der gesellschaftlichen Organisationen in Russland als „ausländischer Agent“ hinreichend sind. Im Februar 2016 wurde zudem der Leiter des Deutsch-Russischen Hauses in Kaliningrad, Viktor Hoffmann, wegen „politischer Aktivität“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen die im April 2016 erfolgte Registrierung des Hauses als „ausländischer Agent“ legten die Vertreter des DRH Revisi on ein, ohne jedoch die endgültige Schließung des Hauses im Januar 2017 dadurch verhindern zu können.

Am 4. Oktober 2017 wurde das ehemalige Deutsch-Russische Haus in Kaliningrad unter einem neuen Namen und mit einem neuen Profil versehen als das „Kultur- und Geschäftszentrum der Russlanddeutschen“ wiedereröffnet. Die neue Ausrichtung der Einrichtung orientierte sich an dem 2016 in Omsk eröffneten Haus, das als „Kultur- und Geschäftszen trum“ angelegt wurde. Dazu wurden als Schwerpunkte der Arbeit des Zentrums in Kalinin grad nicht nur kulturelle, sondern vor allem wirtschaftliche und soziale Aspekte definiert. Das Zentrum soll Wirtschaftsforen austragen und Geschäftskontakte zwischen Vertretern des kleinen und mittleren Gewerbes ermöglichen.

Die Umstrukturierung des Deutsch-Russischen Hauses in Kaliningrad spiegelt die Situation anderer Häuser in Russland wider, deren Existenz heute erheblich davon abhängt, ob die Kulturarbeit im Einklang mit den Interessen der Russischen Föderation geführt wird. Auf der 22. Sitzung der Deutsch-Russischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen in Bayreuth 2017 wurde ein Konzept erarbeitet, das den DRH ein neues Profil verleihen sollte: Die Kultureinrichtungen sollten künftig nicht nur als Begegnungsstätten der Russlanddeutschen fungieren, sondern auch als Plattformen für diverse Kooperationen mit Deutschland und deutschen Bundesländern dienen. Dabei rückten vor allem die ökonomischen Aspekte der Tätigkeit in den Vordergrund wie etwa die Un terstützung der Wirtschaftsbeziehungen und Aufnahme von neuen Wirtschaftskontakten zwischen deutschen Unternehmen und Firmen in Russland, was auch dem Interesse Russlands an einer Stärkung der heimischen Wirtschaft entspricht.

Zusätzlich wurde auf der 24. Sitzung der bilateralen Regierungskommission im Mai 2019 in München die Eröffnung eines Kultur- und Geschäftszentrums der Russlanddeutschen in Jekaterinburg und Kemerovo diskutiert. Auch das Deutsch-Russische Haus in Moskau wird nach seiner Übergabe von der GIZ an die Leitung der Selbstorganisationsstruktur der Russlanddeutschen, die auf derselben Sitzung beschlossen wurde, als Kultur- und Geschäftszentrum weiterbestehen, jedoch seinen ursprünglichen Namen behalten.

Für die Förderung der Russlanddeutschen stellt die Bundesregierung jährlich ca. 9 Millionen Euro zur Verfügung, die russischen Seite beteiligt sich an Programmen mit ca. 2 Millionen Euro.

Literatur

Silantjewa, Olga: Deutsch-Russische Regierungskommission: Hilfe zur Selbsthilfe, in: Moskauer Deutsche Zeitung 07.06.2019 [https://mdz-moskau.eu/die-deutsch-russischeregierungskommission-hilfe-zur-selbsthilfe/, 20.04.2021]; dies.: Konzept saniert: Russlands Deutsch-Russische Häuser erhalten neue Funktionen, in: Moskauer Deutsche Zeitung, 07.06.2017 [https://mdz-moskau.eu/konzept-saniert-russlands-deutsch-russischehauser-erhalten-neue-funktionen/, 20.04.2021]; Lindt, Katharina: Kaliningrad: Neues Haus für Russlanddeutsche, in: MDZ, 18.10.2017 [https://mdz-moskau.eu/kaliningrad-neueshaus-fur-russlanddeutsche/, 20.04.2021]; Dornblüth, Gesine: Wirbel um Deutsch-Russisches Haus, in: Deutschlandfunk, 2.05.2016 [https://www.deutschlandfunk.de/kaliningradwirbel-um-deutsch-russisches-haus.795.de.html?dram:article_id=353027, 20.04.2021]; Smirnova, Tat’jana: Etnokul’turnaja rabota obščestvennych organizacij rossijskich nemcev (1990–2000-e), in: German, Arkadij (Hg.): Nemcy Rossii v obščestvenno-političeskoj žizni strany (XVIII–XXI vv.): Materialy 16-j meždunarodnoj naučnoj konferencii. Moskva 27-31 oktjabrja 2016 g. Moskva 2016, S. 386-398; Nemcy v Rossii: obščestvennye organizacii, ličnosti, učreždenija i partnjery: Spravočnik. Moskva 2008.

Autoren: Donig Natalia, (Passau)

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