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Glücktaler Kolonistenbezirk, Kreis Tiraspol´, Gouvernement Cherson

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

Glücktaler Kolonistenbezirk, Kreis Tiraspol´, Gouvernement Cherson.

 

Gründung: 1805-1809 waren die späteren Siedler der Kolonie Glückstal (Glinnaja) in dem armenischen Städtchen Grigoriopol´ angesiedelt worden. Die meisten stammten aus Württemberg oder hatten sich in Ungarn den Auswandererzügen angeschlossen. Sie wurden im Jahre 1809 in das bisher moldauische Dorf Glinnaja überführt, dem sie den Namen Glückstal gaben. 1808 und 1809 eingewanderte Deutsche aus Württemberg, Baden, dem Elsaß und der Pfalz gründeten 1809 die benachbarten Kolonien Neudorf (Karamanova) und Bergdorf (Kolosova) und im folgenden Jahr die Kolonie Kassel (Komarovka). Als nach der Reform von 1871 die Bezirke in volosti aufgeteilt wurden, trennte sich Kassel von den übrigen Kolonien.

 

Agrarordnung und Tochterkolonien: Den Dörfern wurde so viel Land zugemessen, dass auf jede Wirtschaft ein Anteil (nadel) von etwa 60 Desjatinen entfiel. Jeder Wirt musste von seinem nadel (Landanspruch) einen Teil für die gemeinsame Weide bereitstellen. Alle Feldstücke wurde in Glückstal noch in den 1880er Jahren alle drei Jahre verlost (pereverstka). In der Kolonie Kassel beschränkte sich die Umverteilung auf einige der allerdings 22-27 Gewanne. Wegen des Bevölkerungszuwachses gab es 1841 schon 101 (einschließlich der K. Hoffnungstal) Kolonisten ohne einen nadel und 1858 kam die Zahl der Landlosen der Zahl der Wirte schon nahe (449:475). 1866 erlaubte die Regierung die Teilung der nadely in Halb- und Viertelstellen. 1901 gab es nur noch wenige ganze Wirtschaften mit 60 Desjatinen, aber viele Viertel- und sogar Achtelstellen. Einige Kolonisten zogen aus, um mit oder ohne Unterstützung des Bezirks in der Nähe Tochterkolonien zu gründen: Klein-Neudorf (1855), Krontal (1867) und Klein-Bergdorf (1868).

 

Landwirtschaft: Von dem staatlichen Ansiedlungskredit von 100-150 R. konnte die Kolonisten ihre ersten Geräte und ihr erstes Vieh kaufen. Es dauerte lange, bis die Kolonisten ihre Schulden bei der Staatskasse getilgt hatten. Noch 1861 wurde festgelegt, dass die Glückstaler Kolonisten jährlich 10 R. zu abzuzahlen hätten. Die Kolonisten säten überwiegend Sommer- und Winterweizen, auch Roggen, Gerste, Hafer und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr Mais an. Die Zahlen für das Jahr 1866 zeigen, wie weit die Viehzucht seit 1841 zugunsten des Ackerbaus reduziert wurde: etwa auf die Hälfte im Falle der Rinder, auf ein Drittel im Falle der Schafe. In den Kolonien des G.k.o. spielte der Weinbau eine größere Rolle als in den meisten anderen deutschen Kolonistenbezirken: 1848 bedeckten die Weinstöcke 192 Desjatinen, bis gegen Ende des Jahrhunderts die Reblaus die Stöcke vernichtete. Noch 1915 säten die Kolonisten der volost' Glückstal meist mit der Hand, schnitten das Getreide aber mit Rechen‑ und Haspelmaschinen. Damals teilten sich meist mehrere Bauern eine Dreschmaschine.  

 

Handwerk: Kurz vor dem Krimkrieg (1852) verkauften die Handwerker des Bezirks 190 Pferdewagen und 30 Pflüge bzw. Bukker. Als die Moldauer ebenfalls, aber billiger Wagen bauten, konnten die Glückstaler aber nicht konkurrieren. 1915 gab es in der K. Glückstal nur 7 Schmiede, 5 Tischler, 9 Wagenbauer, 1 Böttcher und 10 Schuster, von denen aber die meisten ihr Handwerk nur in Nebenbeschäftigung betrieben.

 

Kommunale Einrichtungen: Auf Anweisung von Kontenius errichtete der Bezirk Glückstal eine Gemeindeschäferei (530 Desjatinen), in der sich 1815 schon 18 spanische und 630 veredelte Schafe befanden. Die Schäferei des Bezirks Glückstal hatte zwar 1848 noch einen Bestand von 1.280 Merino‑ und veredelten Schafen und verlieh Sprungböcke an Kolonisten, doch spielte die Schafzucht eine immer geringere Rolle: Die Kolonisten bezogen schon 1852 nur noch 3,3% ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Wolle. Deshalb wurde das Land der Schäferei verpachtet; aus den Einnahmen kaufte der Bezirk Land für seine Landlosen. Seit den Missernten von 1833 und 1834 mussten die Gemeinden von ihren Anteilen Land abtrennen, dessen Ertrag zur Auffüllung der Vorratsmagazine diente. Diese Gemeindeäcker wurden in den 1880er Jahren aufgelassen. Seit 1847 kümmerte sich eine Waisen-Vermögens-Verwaltung um das Erbe der Waisen des Bezirks.

 

Kirche und Schule: Sie befanden sich in den Anfangsjahren unter einem Dach. Seit 1824 hatte der Bezirk lutherische Pastoren, die sich auch um den Bau neuer Schulen bzw. Kirchen und die Hebung des Schulunterrichts bemühten. In Glückstal, Neudorf und Bergdorf lebten Lutheraner und Reformierte. Konflikte traten auf, wenn ein lutherischer Pastor sich weigerte, den Reformierten das Abendmahl nach ihren Gebräuchen auszuteilen und die Kinder nach dem reformierten Heidelberger Katechismus zu unterrichten. In den 1850er Jahren verschärfte sich der Konflikt soweit, dass eine Umsiedlung erwogen wurde, doch fanden der Vorsitzende der Reformierten Sitzung in St. Petersburg und der lutherische Superintendent in Odessa schließlich eine Lösung in der Errichtung eigener Kirchen und Schulen für die jeweilige Minderheit. In Neudorf bildete sich außerdem eine Baptisten-Gemeinde, die 1912 ein Bethaus errichtete. Die Schulen waren lange Zeit überfüllt: Durchschnittlich kamen auf eine Schule noch 1866 340 Schüler, so dass der Lehrer eher die Rolle eines Aufsehers spielte, der im Klassenzimmer auf- und abwanderte und die Faulen und die Wilden bestrafte. Das Betreuungsverhältnis verbesserte sich gegen Ende des Jahrhunderts. 1915 unterrichteten z.B. in der K. Glückstal je zwei russische und deutsche Lehrer 380 Kinder.

 

Sowjetische Periode: In der Zwischenkriegszeit gehörten die Dorfräte von Glückstal, Bergdorf, Kleinbergdorf und Neudorf zum Rayon Grigoriopol´ der Moldauischen ASSR.

 

Literatur

Die deutschen Kolonien in Cherson und Bessarabien. Hg. v. G. Leibbrandt. Stuttgart 1926, S. 52-70; Glücksthal. In: Neuer Haus- und Landwirtschaftskalender 1901, S. 101-106; Das Wolostgebiet Glücksal. Ebd. 1915, S. 108-128; Brandes, Detlef: Von den Zaren adoptiert. München, Wien 1993.

 

Autoren: Brandes Detlef

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