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Mariupoler Kolonistenbezirk , Gouvernement Jekaterinslaw

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

Mariupoler Kolonistenbezirk

 

In diesem Bezirk lebten Lutheraner, Katholiken und Mennoniten. In der deutschen Literatur werden die dortigen Kolonien meist als „Planer Kolonien“ bezeichnet.

1818/19 wanderten rund 500 Familien aus Westpreußen nach Neurußland und sollten anfangs im Süden des Moločnaer Mennonitenbezirks angesiedelt werden. Sie erhielten schließlich 1823/24 einen Teil der Steppe im uezd Mariupol´, die ursprünglich für Krim-Griechen bestimmt gewesen war. Diese Griechen waren 1778 von der Krim auf das Festland umgesiedelt worden und hatten die 1780 Mariupol´ und 24 Dörfer im Norden dieser Städtchens gegründet. Auf dem sog. „Preußenplan“ zwischen den griechischen Dörfern errichteten sie elf lutherische und sechs katholische Dörfer. Lutherisch waren die Nummern 1‑11: Kirschwald [Višnevataja], Tiegenhof [Jasinovka], Rosengart [Rajgorod], Schönbaum [Listvjanka], Kronsdorf [Kas´ennosel´sk], Grunau [Aleksandronevsk], Rosenberg [Rozovka], Wickerau [Kuznecovka], Reichenberg [Bogatovka], Kampenau [Kamenskoe], Mirau [Mirskoe], katholisch die Nummern 12‑17: Kaiserdorf [Carskoe], Göthland [Marianovka], Neuhof [Novodvorovka], Eichwald [Svjatotivickoe], Tiegenort [Antonovka], Tiergart [Adamovka]. Nur arbeitsfähige Familien erhielten Wirtschaften, die Alten und Schwachen wurden „Anwohner“, das heißt, sie bekamen nur ein Gartengrundstück. Die Ansiedlungsdarlehen betrugen zwischen 300 und 450 Rubel Über 2.000 Desjatinen wurden von der Regierung für eine Bezirksschäferei reserviert, in der feinwollige Schafe gezüchtet werden sollten. Der „Preußenplan“ wurde 1825‑42 durch 100 Familien aus Baden und Hessen aufgefüllt. Die Rheinhessen, die sich 1841 in den Kolonien Marienfeld [Mar´enpole] und Darmstadt [Novgorod] niederließen, mußten beim russischen Gesandten in Stuttgart ein Barvermögen von 420 Florint hinterlegen, das ihnen nach ihrer Ankunft in Südrußland ausbezahlt wurde. Ihnen wurde nur eine Abgabenfreiheit von fünf Jahren gewährt.

       Auf dem „Preußenplan“ durften sich auch Umsiedler aus Jamburg (Gouvernement St. Petersburg), aus den Altkolonien bei Belovež im Gouvernement Černigov sowie aus dem Chorticaer Mennonitenbezirk ansiedeln. Die Jamburger nannten ihr Dorf Neu‑Jamburg [Novoskrasnovka]. Im Gouvernement Černigov hatte Katharina II. sechs deutsche Kolonien anlegen lassen, wo entsprechend dem damaligen Recht jede Familie 30 Desjatinen hatte erhalten sollen. Im Januar 1829 baten 209 Familien aus den Belovežer Kolonien um die Erlaubnis, sich in Neurußland niederlassen zu dürfen, da das Land in ihren Kolonien wiederum knapp geworden war: auf 1.198 männliche Personen entfielen nur noch 4.800 Desjatinen. Mittlerweile hatte die Regierung den nördlichen Teil von der sog. „Judensteppe“ abgetrennt und für Kolonisten vorgesehen. Denn der Plan, Juden zu christianisieren und danach von ihren Glaubensbrüdern getrennt anzusiedeln, war gescheitert. Diese 13.000 Desjatinen besaßen gerade die richtige Größe für die Belovežer Familien. Das Fürsorgekomitee erhielt den Auftrag, einen Beamten nach Belovež zu schicken, der nur solche Kolonisten annehmen sollte, die das nötige Geld, Vieh und Werkzeug vorweisen könnten. Ihr unbewegliches Gut sei den Zurückbleibenden als Schuld und den Umsiedlern als Guthaben anzurechnen. Obwohl der Vertreter des Fürsorgekomitees einige besonders arme Familien von dem Unternehmen ausschloß, konnten die inzwischen 212 Familien die nötige Summe für Reise und Einrichtung nur aufbringen, indem sie sich zu 124 Hausgemeinschaften mit 1.047 Seelen zusammenschlossen. An eigenem Kapital besaßen sie nur 12.817 Rubel, durch die Übergabe ihrer Wirtschaften erhielten sie weitere 74.921 Rubel. Die Kolonisten erhielten 60 Desjatinen und fünf Jahre Steuerfreiheit, neue Familien sollten aber nur noch 30 Desjatinen Land bekommen. Die ersten 60 Familien wurden in der Zeit von August bis Oktober, die übrigen erst im nächsten Jahr auf die „Judensteppe“ überführt. Die 78 lutherischen „Familien“ wurden in drei, die 46 katholischen in zwei Kolonien angesiedelt, denen die Siedler die Namen ihrer Dörfer aus der früheren Heimat gaben: Belye Veži, Kalčinovka, Rundewiese [Lugansk], Kleinwerder [Ekaterinopol´] und Großwerder [Marinovka]. In den 1920er Jahren wurde der größere Teil der ehemaligen Kolonien im Luksemburgskij nemeckij nacional´nyj rajon vereinigt.

       Als die Reserveländereien im Chortickij mennonitskij okrug nicht mehr ausreichten, um den zahlreichen Nachwuchs mit Land zu versorgen, bot die Regierung ihnen auf dem „Preußenplan“ ein Grundstück von 9.450 Desjatinen an, wo sie in den Jahren 1833-1839 die Kolonien Bergtal [Petro-Pavlovka], Schönfeld [Ksenievka], Schöntal [Novo-Romanovka], Heubuden [Sergeevka] und später (1852) Friedrichstal anlegten. Wer umsiedeln wollte, mußte 400 R.A. in bar, zwei Pferde, fünf Rinder, 30 Schafe, einen Pflug, eine Egge, einen Wagen, Saat und Getreide für ein Jahr, d.h. rund 8‑900 R.A. besitzen. Die Altkolonien gaben den Umsiedlern ‑ 113 Familien ‑ Zuschüsse von insgesamt 29.594 R., von denen diese allerdings 38% zurückzahlen mußten.

            Als sich die ersten deutschen Kolonisten im Bezirk Mariupol´ niederließen, befand sich der Preis für Weizen gerade auf einem niedrigen Niveau, zog jedoch nach dem russisch-türkischen Krieg von 1828-29 wieder an. Im Jahre 1833 erlebte ganz Neurußland eine totale Mißernte. Viele Rinder und Schafe wurden notgeschlachtet, Pferde auf entfernte Weideplätze gebracht. Die Krone stellte Geld zur Verfügung, mit dem die Kolonien Getreide kauften und an ihre Armen verteilten. Auch im folgenden Jahr litt Neurußland unter einer ungewöhnlichen Dürre. Hinzu kam, daß die Kolonisten wegen der Mißernte des Vorjahres nicht genügend gesät hatten. Die guten Ernten der Jahre 1836‑1838 verhalfen den Kolonien zum wirtschaftlichen Aufschwung. Gleichzeitig sanken die Weizenpreise von ihrem Höchststand von 1834, stiegen aber seit 1838 wieder, weil der russische Weizen inzwischen einen stabilen Absatzmarkt in Westeuropa gefunden hatte. Meist pflanzten die deutschen Siedler arnautka an, hatten aber in den vorangegangenen Jahren auch mit dem Anbau des „roten“ Winterweizens (krasnaja pšenica) begonnen, nach dem in den Häfen Mariupol’ und Berdjansk große Nachfrage bestand. Die Ernteergebnisse schwankten auch in den 1850er und 1860er Jahren in extremem Maße. Die ausgezeichnete Ernte des Jahres 1852 brachte im Mariupoler Kolonistenbezirk durchschnittlich das 19,5fache der Aussaat. Nach dem Krimkrieg zogen die Weizenpreise an und hielten sich bis 1861 auf einem hohen Stand, sanken aber in den folgenden Jahren. Die Mißernten der Jahre 1862-64 schwächten die Wirtschaftskraft der Kolonien und stürzten viele Siedler in Schulden. 1869 erhöhten sich die Weizenpreise wieder, blieben einige Jahre auf gleichem Niveau, um von 1876 bis 1881 kontinuierlich anzusteigen, so daß immer mehr Weide- in Ackerland umgewandelt wurde.

            Die Dominanz des Ackerbaus in den Kolonien des Mariupoler Bezirks zeigt die Tatsache, daß von den 41,90 Silberrubeln, die eine männliche Arbeitskraft durchschnittlich pro Jahr einnahm, 1852 nur noch 6,5% auf den Verkauf von Wolle entfielen. Die meisten der 5.776 Schafe dieses Bezirks standen 1866 in den fünf mennonitischen Kolonien, die die Konzentration auf die Schafzucht aus ihren Mutterkolonien mitgebracht hatten. 1867 nutzten die Mennoniten dieses Bezirks nur 29% als Ackerland, 53% als Weide und 16% als Heuschlag. Zudem hatten ihre Ackerfläche nur wenig ausgeweitet, da der Getreide-Export aufgrund des Krim-Krieges eingestellt worden war und der Preis für Wolle aufgrund der großen Nachfrage als Ersatz für die Baumwolle, die Amerika wegen des Bürgerkrieges nicht mehr lieferte, gestiegen war.

            Auf Weisung der südrussischen Fürsorgebehörden legten die Kolonisten Plantagen an, in denen im Jahre 1853 schon über 214.000 Maulbeer- und knapp 398.000 Gehölzbäume standen. In Baumschulen wuchsen zu diesem Zeitpunkt 378.000 Maulbeer-, 145.000 Gehölz-und 113.000 Obstbäume heran, die in großer Zahl (79.000) auch in ihren Gärten standen. Mit 416.000 Maulbeerbäumen schützten sie ihre Felder gegen den Wind. Sie standen auch in großer Zahl standen in den Gärten der Kolonisten.

            In den Mariupoler Kolonien wurde das Land in der Regel alle 15‑20 Jahre neu und gemäß der Agrarordnung der südrussischen Kolonisten zwischen den anspruchsberechtigten Familien verlost. In den 1880er Jahren nutzten die Kolonisten die Gelegenheit zu einer pereverstka und zur Zusammenlegung ihrer zerstreuten Felder, um ihre neuen Maschinen besser einsetzen zu können. Von den Moločnaer Mennoniten übernahmen ihre Glaubensbrüder im Bezirk Mariupol’ die Vierfelderwirtschaft mit Brache. Aufgrund des Einsatzes verbesserter Geräte und Maschinen erzielten die ehemaligen Kolonisten 1898 höhere Ernteerträge als die russischen und ukrainischen Bauern des uezd, nämlich 33 gegenüber 18,5 Pud Roggen und 37 im Vergleich zu 32 Pud Weizen auf die Desjatine.

In bezug auf das Handwerk lagen die Mariupoler Kolonien weit hinter anderen deutschen Bezirken zurück. Es waren vor allem die Mennoniten,, die 1852 mit dem Verkauf von Pflügen und Pferdewagen nur 6.320 Silberrubeln einnahmen.

            Aufgrund der späteren Ansiedlung lebten 1841 in 24 Kolonien neben 760 Wirten nur 102 Familien von Landlosen. Bis 1858 hatte sich dieses Verhältnis kaum geändert: 745 Wirten standen 137 Landlose gegenüber. Mit der Reform von 1871 wurde die Sonderverwaltung der Kolonien aufgehoben. Die oft großen Bezirken teilte man in kleinere volosti auf, im Falle des uezd in die volosti Grunau mit 15, Ludwigstal [Romanovka] mit 12 und Bergtal mit 5 Kolonien. Inzwischen stieg jedoch die Zahl der Landlosen, so daß auch die volosti Grunau und Ludwigstal sich um den Kauf von Land bemühten. Mit den Einnahmen aus der Verpachtung des Schäfereilandes von jährlich rund 10.000 Rubel finanzierte die volost’ Ludwigstal ihren Anteil am Kauf zweier mennonitscher Kolonien der volost Bergtal, als deren mennonitische Bewohner wegen der Einführung der Wehrpflicht geschlossen auswanderten. Für die Auswanderung nach Kanada (Manitoba) hatte ihr Ältester Gerhard Wiebe geworben. Dazu kam, daß die Zahl der Landlosen auch in der volost´ Bergtal von 55 im Jahre 1848 auf 350 im Jahre 1874 gewachsen war.

            In den 1880er Jahren kaufte die volost’ Ludwigstal für ihre Landlosen zwei kleinere Grundstücke, wo ebenfalls Tochterkolonien angelegt wurden. Von den 12.000 Rubel Jahrespacht, die auf die benachbarte volost’ Grunau entfielen, wurden in den Jahren 1869 bis 1885 vier Grundstücke erworben. Alle Aussiedler mußten der Muttergemeinde eine jährliche Pacht von 3,80 Rubel zahlen und sollten nach zehn Jahren Eigentümer des Landes werden. Im Jahre 1914 erwarben die volosti Grunau und Ludwigstal im Gouvernement Samara ein Gut, auf dessen 6.612 Desjatinen Personen, in der Muttergemeinde kein Land oder nur 10 Desjatinen besaßen, nur 20 Desjatinen erhielten, aber Bauern, die den Preis selbst aufbringen konnten, bis zu 60 Desjatinen kaufen durften. Zwei Drittel des Bodens wurden für die Landlosen und „Landarmen“, ein Drittel für diese Barkäufer reserviert. Die Landlosen und Landarmen sollten den Kredit aus der Schäfereikasse zwischen dem 5. und 12. Jahr nach ihrer Aussiedlung abzahlen und mußten die Zinsen für die Hypothek von 1/2 Million Rubel tilgen. Genossenschaften von Siedlern beider volosti erwarben auch Eigenland, wobei sie den billigen Kredit der Adelslandbank nutzten.

            1873 wurde in Grunau, dem Verwaltungszentrum des Bezirks eine Zentralschule gegründet. Wie die anderen Zentral- und später Elementarschulen mußte der Unterricht in allen Fächern außer Deutsch und Religion seit Anfang der 1880er Jahre in russischer Sprache gehalten werden. Nach Ansicht eines Petersburger Revisors gab der Lehrer griechischer Herkunft zwar ausgezeichneten Russischunterricht, war jedoch so streitsüchtig, daß der deutsche Lehrer gekündigt hatte und der Pfarrer sich weigerte, an der Schule Religionsunterricht zu erteilen. Nach jahrelangem Boykott besuchten auch katholische Schüler diese Zentralschule, obwohl der Zentralschule 1890 immer noch ein katholischer Religionslehrer fehlte.

 

Autoren: Brandes Detlef

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