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Moločnaer Kolonistenbezirk , Gouvernement Taurien

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

Moločnaer Kolonistenbezirk

 

Westlich der Moločnaja im Gouvernement Taurien wurden ein großer Teil der südwest- und westdeutschen Einwanderer der Jahre 1803-1810 angesiedelt. Der Fluß sollte sie einerseits von den Mennoniten östlich der Moločnaja trennen. Andererseits sollten sie von den Mennoniten lernen, deren landwirtschaftliche Kenntnisse und Sittenstrenge die russische Regierung hoch einschätzte.

               1813 leben in 18 Kolonien 762 Familien. Ihre Kolonien trugen die Namen Prischib (Molo…na), Hoffental, (Alt-)Nassau, Weinau, Wasserau, Durlach, Rosental, Neudorf, (Alt-) Montal, Waldorf, Heidelberg, Grüntal, Friedrichsfeld, Hochstädt, Leitershausen, Kostheim, Reichenfeld. Eine Kolonie hatte 1813 noch keinen Namen. Die Größe der Dörfer reichte von 12 (Grüntal) bis zu 83 Höfen (Prischib). Bis 1826 kamen Neu-Nassau, Neu-Montal, Blumental und Tiefenbrunn hinzu, wodurch sich die Bodenreserven auf 3.248 Desjatinen verringerten. Nach der Zuweisung zusätzlichen Landes konnten Darmstadt und Kaisertal (beide 1838), Eigenfeld (später Eugenfeld) und Hochheim (1846/47) gegründet werden. Nach der Eingliederung der Kolonien in die allgemeine Verwaltung wurde der Bezirk in die volosti Prischib und Eugenfeld geteilt.

            Wie schon üblich, erhielten die lutherischen und katholischen Familien nur einen Teil ihres Kredits sofort und in barem Geld, den Rest in kleinen Beträgen oder in natura, so daß die Unterstützung nicht zum Kauf der notwendigen Mindestausstattung mit Bauholz, Vieh und Geräten und zum selbständigen Wirtschaften reichte, sondern für den Lebensunterhalt verbraucht wurde. Wegen dieses Mangels, ihrer Unkenntnis des Klimas und Bodens, oft auch der Landwirtschaft überhaupt und dazu noch klimatisch bedingter schlechter Ernten besonders in den Jahren 1807 und 1812 mußten die Kolonisten mehrfach aus der Staatskasse unterstützt werden. Samuel Kontenius, glavnyj sud´ja des südrussischen Fürsorgekontors, ließ „Faule und Unfähige“ zur Zwangsarbeit in staatlichen und kommunale Anlagen verurteilen und wenigen Kolonisten die Wirtschaft entziehen. Dennoch beobachtete ein Reisender im Jahre 1816, wie in den Moločnaer Kolonien „bleiche in Lumpen gehüllte Jammergestalten ... aus den dumpfigen Erdhütten hervorkriechen ..., um sich mühsam an die dringende Arbeit zu schleppen.“

            Kontenius verfolgte das Ziel, mit Hilfe der deutschen Kolonisten neue Kulturen in Südrußland einzuführen. Der Versuch, sie zur Seidenraupenzucht zu veranlassen, scheiterte. Zwar legten die Moločnaer Kolonisten auf Befehl eine Plantage bei der Kolonie Nassau an, in der 1816 schon 17.940 Maulbeerbäume standen. Jeder Kolonist war verpflichtet, dort zwei Tage im Jahr zu arbeiten, konnte sich aber durch die Zahlung von 50 Rubel von dieser lästigen Aufgabe befreien. Mit 6 Pfund erzielten die zahlreichen Moločnaer Kolonisten 1825 viel weniger als andere Kolonistenbezirke und sogar als die Einzelkolonien Josefstal und Jamburg. Denn die Ausgaben für diesen Wirtschaftszweig überstiegen die Einnahmen beträchtlich. Kontenius verpflichtete 1831 die lutherischen und katholischen Kolonien an der Moločnaja auch zur Anlage einer Obst‑, die dortigen Mennoniten zur Errichtung einer Waldplantage im Umfang von 1/2 Desjatine pro Wirt. Die Obstplantage des Kolonistenbezirks zwischen den Kolonien Alt‑Nassau und Weinau maß 1837 erst 31 1/2 Desjatinen. Dagegen profitierten die Kolonisten von einer anderen Empfehlung von Kontenius. Die 1808 ebenfalls auf seine Anregung gegründete Bezirksschäferei der Moločnaer Kolonisten, für die Kontenius 1815 zwölf Merino-Zuchthammel kaufen ließ, besaß 1836 schon 8.270 feinwollige Schafe und nahm durch den Verkauf von Wolle und Schafen 27.363 Rubel ein, denen Ausgaben in Höhe von 13.482 Rubel gegenüberstanden. Der Hauptnutzen der kommunalen Schäfereien bestand im Verleihen der Zuchtböcke an die Kolonisten in den ersten Novembertagen. In den ersten Jahrzehnten bildete die Schafzucht die Haupteinnahmequelle sowohl der Kolonisten als auch der Mennoniten an der Moločnaja. Bis 1825 hatten sie nur 5,5% unter den Pflug genommen. Im Jahre 1852 bezogen die Moločnaer Kolonisten immer noch 15,6% ihrer Einnahmen und damit aus dem Verkauf von Schafwolle und besaßen 1866 noch 66.588 Schafe.

            Seit der Gründung der Hafenstadt Berdjansk am Azovschen Meer im Jahre 1831 konnten die Kolonien beiderseits der Moločnaja ihr Getreide mit größerem Gewinn als vorher absetzen. Zum Teil transportierten sie ihren Weizen zu Mehl verarbeitet auch bis auf die Krim. 1838 machte der Weizenanteil schon 35,8% der gesamten Getreideaussaat der Kolonisten an der Moločnaja aus, während sie für den Eigenbedarf noch auf 20,9% ihrer Äcker Roggen anpflanzten. 1880 säten die die Moločnaer Großwirte auf rund 23 ihrer 60 Desjatinen Frühjahrs‑, auf 5 Desjatinen Winterweizen. Die Erträge der rund 6 Desjatinen Gersten‑ und Hafer‑, 2 Desjatinen Winterroggen‑ und 6 Desjatinen Brach‑, Mais‑ und Melonenfelder dienten dem eigenen Verbrauch. Halb‑ und Kleinwirte nutzten mehr Land als Ackerfläche und für die Deckung des eigenen Bedarfs und benötigten zudem mehr Zugvieh und Geräte pro Desjatine als die Großwirte.

            1837 deckten die Moločnaer Kolonisten ihre Häuser immer noch mit Stroh, während z.B. die Krimer Deutschen ihre Häuser schon mit Ziegeldächern schmückten. In der ersten Hälfte der 1860er Jahre entstanden in den meisten Kolonien immer mehr Häuser aus gebrannten Ziegeln, die ihnen zusammen mit den Gärten und Plantagen ein hübsches Aussehen gaben. Die überwiegend südwestdeutschen Kolonisten an der Moločnaja bauten anders als die Mennoniten jenseits des Flusses: Sie verteilten ihre Wirtschaftsgebäude einzeln auf dem Hofland, während die Mennoniten Wohn‑ und Wirtschaftsbereich unter einem Dach vereinten. Russische Reisende empfanden die Kolonie Prischib auch deshalb als weniger eintönig und moderner als die mennonitischen Kolonien.

            Zur Zeit der Steuer-Revision von 1858 lebten im Moločnaer Kolonistenbezirk 1197 Wirte mit 4481 männlichen Seelen, denen 248 landlose Familien mit 2998 männlichen Seelen gegenüberstanden. Eine vorläufige Lösung dieses sozialen Problems fand der Bezirk, indem er einem Teil der Landlosen Parzellen von 12 Desjatinen zuwies und den anderen Teil in sechs neuen Dörfern auf dem restlichen Staatsland ansiedelte, und zwar in Alexanderheim, Alexanderfeld und Mariafeld (alle drei 1860 gegründet) sowie in Nikolajfeld, Mariaheim und Andréburg (alle drei 1864 errichtet). Nachdem 1871 mit der Kolonialverwaltung auch das Verbot aufgehoben worden war, den Landanteil (nadel) auf mehrere Söhne zu verteilen, differenzierte sich die soziale Schichtung in den Dörfern: 1890 besaßen nur noch 66% der Bauern ihren ursprünglichen nadel von 60 Desjatinen oder auch mehr Land. Außerdem lebten in den Dörfern 7% Halbwirte, 14% Kleinwirte mit 12-20 Desjatinen und 264 sog. „Anwohner“, d.h. Personen, die innerhalb der Kolonie zwar ein Haus mit Garten, aber kein Land besaßen. Die Zahl der Anwohner wäre noch größer gewesen, hätte der Bezirk nicht mit dem >Waisenkapital sowie mit dem >Schäfereikapital geholfen, für einen Teil von ihnen Land zu kaufen, auf dem Aussiedler Tochterkolonien gründeten.

            Schon 1864 kaufte der Moločnaer Kolonistenbezirk im Kreis Ekaterinoslav 5.769 Desjatinen. „Am Basavluk“ erhielten 96 Familien je 55 bzw. 60 Desjatinen Land. Schon 1867 erwarb der Bezirk erneut ein Gut, und zwar mit 22.900 Desjatinen Land im Kreis Cherson, für die der Bezirk dem Fürsten Kočubej 492.665 R. geben mußte; hier entstanden die elf Kolonien der volost’  Kronau. Von demselben Gutsbesitzer erwarben Prischiber‑Eugenfelder Siedlergenossenschaften auf eigene Kosten weitere 12.568 Desjatinen im Kreis Dnepr, wo sie 1868‑69 drei Kolonien anlegten. Erst nach Ablauf von 15 Jahren kauften die volosti Prischib und Eugenfeld wiederum Land, und zwar 17.203 Desjatinen im Kreis Aleksandrovsk, wofür sie dem Grafen Kankrin 774.000 Rubel bezahlen mußten. 1889 erwaren die beiden volosti ein Gut im Kreis Konstantinograd, Gouvernement Poltava, auf dem 165 landlose Familien je 30 D. erhielten und drei Dörfer gründeten. 1904 kauften die volosti ein weiteres Gut mit 12.350 D. im Gouvernement Ufa, auf dem elf Siedlungen angelegt wurden. Als die Zahl der landlosen Familien im Januar 1907 erneut auf rund 3.000 angewachsen war, beschloß die vereinigte Versammlung (s’chod) der Prischiber und Eugenfelder volosti, die Übersiedlung nach Sibirien, wo Umsiedlern kostenlos Staatsland angeboten worden war, mit einem verlorenen Zuschuß von 500 Rubel pro Familie zu unterstützen.

            Während der Moločnaer Kolonistenbezirk bis 1884 rund 43.000 Desjatinen für seine Landlosen erworben hatte, hatten Siedlergenossenschaften und einzelne Kolonisten des Bezirks zwischen 1840 und 1884 schon 230.000 Desjatinen Land gekauft. Zumeist blieben sie innerhalb der Grenzen ihres Gouvernements, griffen aber auch nach Land im Gouvernement Ekaterinoslav, wo zwischen 1843 und 1882 die volost’ Friedenfeld entstand, in Einzelfällen auch nach Boden im Gouvernement Cherson. Als die >Hutterer (guttery) 1878/79 nach Amerika auswanderten, kauften Prischiber Kolonisten die Dörfer Johannesruh und Huttertal.               Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts übernahm eine wachsende Zahl lutherischer und katholischer Kolonien von den Mennoniten die Vierfelderwirtschaft mit Brache. Immer mehr Kolonisten deckten sich auch mit verbesserten Geräten und Dresch- und Mähmaschinen ein. Diese Nachfrage brachte dem Handwerk einen Aufschwung. 1852 stellten Handwerker des Bezirks schon 313 Pferdewagen und 174 ein- bzw. mehrscharige Pflüge, sog. Bugger, her. Während des Krimkrieges (1853-1856) verkauften Moločnaer Kolonisten ebenso wie die dortigen Mennoniten ihre Pferdewagen an die Armee, nach dem Krieg auch an Gutsbesitzer und zunehmend an russische und ukrainische Bauern der Umgebung, die die solide Bauweise dieser Plan- oder Leiterwagen im Krieg schätzen gelernt hatten.

            Das Handels- und Kulturzentrum des Bezirks war seine größte Kolonie, nämlich Prischib.1915 beherbergte sie eine Zementfabrik, zwei Ziegeleien, eine Bierbrauerei und die Buchdruckerei Gottlieb Schaad. Die meisten seiner 810 Bewohner (1912) widmeten sich dem Handel und Gewerbe und verpachteten ihre Wirtschaften an Russen und Ukrainer. In Prischib bestellten nur noch 16‑18, in Hoffental 9, in Hochstädt 19 Wirte ihre Felder selbst. In Prischib wohnten 1890 die meisten Ausländer (107), in Hoffental dagegen die meisten Orthodoxen (77) des Bezirks. Die Maschinenindustrie des Gebiets hatte sich in Neu-Nassau, Hoffental, Weinau und Prischib angesiedelt. Landmaschinen stellten die Firmen >Fr.I. Dinkel. & Heinrich I. Bielfeld, die Gesellschaft >L.L. Gerstenberger & Ja. I. Bühler, Ferdinand Vaslovsky (alle drei Hoffental), G. Ja. Kolb & A.A. Schatz (Neu-Nassau), Gebr. Christian und Georg Zöhner (Weinau), Otto Johann Kikal (Prischib) her.

            Das erste lutherische Kirchspiel wurde 1811 in Prischib, das zweite in Hochstädt und gegründet. Da die beide Pastoren stets mehrere Gemeinden zu betreuen hatten, oblagen nicht nur der Organistendienst, die Führung der Kirchenbücher und die Krankenbesuche, sondern auch der sonntägliche Lesegottesdienst, die Christenlehre, der Konfirmandenunterricht sowie die Taufen und Beerdigungen dem Lehrer als Küster. Die 235 katholischen Familien an der Moločnaja besaßen 1813 in der Kolonie Heidelberg zwar ein Schul‑ und ein Pfarrhaus, aber weder Schulmeister noch Pfarrer. Auch 1837 verfügten die inzwischen 2.073 Katholiken des Bezirks noch immer über keine Kirche, sondern versammelten sich im engen Pfarrhaus. Die Kirche in Heidelberg wurde erst 1841/42 gebaut. 1869 wurden die Katholiken des Bezirks auf zwei Kirchspiele aufgeteilt, nämlich Heidelberg und Kostheim, das erst 1899 eine Kirche erhielt.

            1846 stiftete der Großgrundbesitzer Johann Fein dem Moločnaer Kolonistenbezirk ein Schulgebäude in Prischib, in dem noch im selben Jahr eine Zentralschule eröffnet wurde, die Lehrer und Schreiber mit Russischkenntnissen ausbilden sollte. Diese Zentralschule konnte ihrer Aufgabe jedoch anfangs nicht gerecht werden, da der Bezirk sie mit zu geringen  Mitteln ausstattete und da die Schule weiterhin dem Pastor unterstand, der vor allem an der Ausbildung von Küstern interessiert war. Nach einem Aufschwung in den 1870er Jahren wurde die Schule russifiziert. Der russische Direktor der Zentralschule ließ sogar den Deutschunterricht in russischer Sprache erteilen. 1890 wurde das Programm der Schule um einen zweiklassigen „pädagogischen Kurs“ erweitert. Nach der Revolution von 1905 und der Milderung der Russifizierungspolitik richtete der lutherische Pastor Jacob Stach mit Spendengeldern in Eugenfeld 1907 eine Ackerbau- und 1909 auch eine landwirtschaftliche Mädchenschule ein, und zwar als erste Stufe der von ihm angestrebten Schulkolonie, die schließlich auch eine Universität hätte umfassen sollen. 1911 bewarben sich fünf Gemeinden der volosti Prischib und Eugenfeld als Standorte für eine neue Zentralschule. Im Juni 1912 beschlossen die beiden volosti, zwei zusätzliche Zentralschulen, und zwar in Heidelberg und Hochstädt, zu errichten sowie pädagogische Klassen an der Prischiber Zentralschule zu eröffnen und die Studenten mit 24 Stipendien zu unterstützen; doch bevor der Beschluß umgesetzt werden konnte, brach der Krieg aus.

            Nach den Wirren des Krieges, der Revolution, des Bürgerkrieges und der Hungersnot wurde 1924 auf dem Gebiet des ehemaligen Moločnaer Kolonistenbezirks der deutsche nationale Rayon Prischib und 1928 dem ebenfalls deutschen, aber vorwiegend von Mennoniten besiedelten >Rayon Moločansk mit dem Zentrum Halbstadt angeschlossen.

 

Autoren: Brandes Detlef

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