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DRAMATURGIE

Rubrik: Literatur und Kunst der Russlanddeutschen

THEATERLITERATUR. Die Theaterliteratur der Russlanddeutschen wurde vor allem für Laienbühnen verfasst, so dass kleinere Formen wie Einakter, Sketche, Intermedien, Humoresken und Schwänke überwiegen. Zu den Vorläufern der deutschen Theaterautoren lässt sich in gewisser Weise der lutherische Pastor I.G. Gregori zählen, dessen im Stil des Barock zu einem biblischen Thema verfasstes Stück „Artaxerxes“ 1672 in Moskau aufgeführt wurde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde in Saratow in einer zu einem Theater umgebauten Scheune ein Theaterstück über Liebe, Eifersucht und Tod aufgeführt, das aber wegen fehlender Mittel und der geringen Zahl an Theaterliebhabern unter den örtlichen Handwerkern bald wieder abgesetzt wurde. Zur gleichen Zeit brachten aus dem Baltikum und Deutschland stammende professionelle Theatermacher in St. Petersburg deutsche Dramen auf die Bühne, die neben russischen und französischen Stücken das Publikum der Hauptstadt unterhielten.

Nach der 1924 erfolgten Gründung der ASSR der Wolgadeutschen wurde 1931 in Engels das Staatliche Akademische Deutsche Theater eröffnet. In der Frühzeit des russlanddeutschen Theaters gab es kaum professionelle Theaterautoren und Schauspieler, so dass die Aufführungen vor allem von Laien getragen wurden (Lehrer, Pastoren und andere wie z.B. G. von Goebel und A. Hunger, die aus Anlass des bevorstehenden 150. Jahrestags der Übersiedlung der Deutschen nach Russland das auf einer alten Legende beruhende Historiendrama „Fest und treu, oder der Kirgisen-Michel und die schön' Ammie aus Pfannenstiel“ schrieben). Insgesamt mangelte es den zu jener Zeit verfassten Stücken an einem klaren kompositorischen Aufbau, Dialogtechnik und Logik der Figurenentwicklung. Die bekanntesten Theaterautoren waren A. Sachs, der humoristische Szenen im Dialekt verfasste („Pater Wutzkis Höllenfahrt“), und G. Bachmann, der auf Hochdeutsch schrieb („Der Zweikampf“), gelegentlich aber auch den Dialekt nutzte („Der Brutapparat“). Thematisch spiegelten viele Theaterstücke jener Zeit die Situation in den Kolchosen nach der Kollektivierung, den „Klassenkampf“ in den Kolonien oder Konflikte zwischen Altem und Neuem („Die Verantwortung“ von F. Fondis, „Der Sturmsonntag“ von E. Kontschak, „Niefelds Lenke“ von J. Friesen). Die Aufführungen fanden größtenteils in den Kolchos-Häusern und Dorfklubs statt.

Infolge der zu Beginn des Krieges erfolgten Schließung des Deutschen Staatstheaters, der schwierigen Situation nach dem Krieg und der komplizierten Suche nach neuen Entwicklungswegen nutzte die Theaterkunst der Russlanddeutschen seit der 2. Hälfte der 1950er Jahre vor allem die Bühnen der Klubs und Kulturhäuser als Aufführungsstätten. Die zu dieser Zeit entstandenen Werke sind vor allem durch eine Konfliktfreiheit in allen Bereichen geprägt, die über den Rahmen des Privaten hinausgingen (Beziehungen zwischen Kollektiv und Individuum, Arbeit und Produktion usw.). Eine neue Etappe der Entwicklung der russlanddeutschen Theaterliteratur läutete die Gründung eines deutschen Theaters in Temirtau (Gebiet Karaganda, Kasachische SSR) ein, zu dessen Eröffnung A. Reimgen 1980 seine der Erschließung der Hungersteppe gewidmete Erzählung „Die Ersten“ zum gleichnamigen Stück umarbeitete. Die Wiedergeburt des nationalen Bewusstseins, die sich bereits in Reimgens Stücks gezeigt hatte, trat in noch deutlicherer Weise in W. Heinz Trilogie „Auf den Wogen der Jahrhunderte“ zu Tage. Im Unterschied zu dem in den Vorkriegsjahren entstandenen Stück „Franz Kraft“ von A. Sachs und K. Weidner, einer sperrigen Chronik in acht Akten, deren Handlung im Jahr 1763 in einer hessischen Kleinstadt einsetzt und im Russland der Bürgerkriegsjahre (1918-20) endet, zeichnet sich Heinz Theatertrilogie, deren Handlung in Deutschland im Jahr 1765 beginnt und mit der Ausreise der Hauptfiguren in die Bundesrepublik endet, durch eine dynamische Entwicklung sowie treffende Sujets und Bilder aus. Die Sprache ist mit dialektalen Einsprengseln geschmückt, die Frage „Ausreisen oder Bleiben“ wird im Stück von vielen Generation der Russlanddeutschen immer wieder gestellt. Zu einer Zeit, in der die Russlanddeutschen vor allem mit der Frage der Autonomie befasst waren, sorgten die Reaktionen der Helden auf die historischen und politischen Ereignisse unter den Zuschauern für lebhafte Diskussionen. Das Stück war sowohl in der Sowjetunion als auch bei einer Gastspieltour in Deutschland erfolgreich, was nicht zuletzt der professionellen Ausbildung der Regisseure zu verdanken war.

Mit der zunehmenden Emigration kam die Entwicklung der Theaterkunst der Russlanddeutschen in den 1990er Jahren praktisch zum Stillstand.

Literatur

Kontschak E., Sowjetdeutsche Bühnenliteratur, in: Zweig eines großen Baumes. Auswahl: H. Beiger, Alma-Ata, 1974, S. 73–78; Engel-Braunschmidt A., Sowjetdeutsches Theater: Fakten und Probleme, in: Literatur- und Sprachentwicklung in Osteuropa im 20. Jh. Ausgewählte Beiträge zum Zweiten Weltkongreß für Sowjet- und Osteuropastudien, hrsg. von E. Reißner, Berlin, 1982, S. 20–36; Reimgen A., Lesebuch. Auswahl: H. Beiger, Alma-Ata, 1989; Ekkert W., In Reih und Glied, in: Stimmen und Schicksale. Literarische Porträts. Auswahl: H. Carlson, Alma-Ata, 1991, S. 96–102.

Archive

Auf der Klubbühne. Theaterstücke, Zwischenspiele, Schwänke, Gedichte, Lieder. Auswahl: E. Kontschak, Alma-Ata, 1968 (Bd. 1), 1976 (Bd. 2); Singen, Spielen, Vortragen. Sammelband für sowjetdeutsche Laienkunst. Auswahl und Red.: V. Djomin, M., 1968; Für die Bühne. Sammlung für die Laienkunst, Barnaul, 1969; Vorhang auf! Ernstes und Heiteres für die sowjetdeutsche Laienbühne. Auswahl: R. Weber, M., 1976; Heinz V., Auf den Wogen der Jahrhunderte. Historisches Drama in vier Bildern, M., 1993.

Autoren: Èngel′-Braunšmidt A.

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