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Deutsches Schauspieltheater , Temirtau und Almaty (seit 1979)

Rubrik: Literatur und Kunst der Russlanddeutschen

Das deutsche Schauspieltheater in Temirtau (Kasachstan), dessen erste Spielsaison 1980 eröffnet wurde, war das einzige nationale deutsche Theater in der ehemaligen Sowjetuni on. Als Gründungsjahr der Kulturstätte gilt dabei das Jahr 1975, als mit dem Beschluss ei ner Kommission des Kulturministeriums der SSR Kasachstan die Bildung eines nationalen deutschen Theaters beschlossen wurde. In Kasachstan lebten zu diesem Zeitpunkt fast eine Million Russlanddeutsche. Das deutsche Theater sollte laut offizieller Begründung die Möglichkeiten zur Entwicklung und zum Erhalt des kulturellen Erbes der Deutschen in der Republik verbessern und war wohl ein Zugeständnis der Partei an die Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung nach der Wiederbelebung deren eigener Identität.

Noch 1975 wurden 26 deutsche Studenten zur Schauspiel-Ausbildung an der traditionsreichen Ščepkin-Theaterschule beim Staatlichen Akademischen Malyj Theater in Moskau aufgenommen. Im Juli 1976 erfolgte eine ergänzende Aufnahme, um den hohen Bedarf des zukünftigen Theaters an professionellen Schauspielern decken zu können, so dass insgesamt 36 angehende Schauspieler an der Theaterschule in Moskau studierten. Trotz ihrer deutschen Herkunft konnten die meisten Studenten kaum Hochdeutsch, bestenfalls brachten sie ihren jeweiligen Dialekt mit und mussten ihre Schauspielausbildung erst ein mal mit dem intensiven Erlernen der deutschen Bühnensprache beginnen.

Nach Abschluss ihrer Ausbildung 1980 wurden 30 Schauspieler nach Temirtau beordert, eine Industriestadt im Gebiet Karaganda, wo das Gebäude des ehemaligen „Palasts der Metallurgen“ mit 400 Zuschauerplätzen für das Deutsche Theater zur Verfügung gestellt wurde. Die Wahl des Ortes wirkte enttäuschend, lebten in Temirtau doch im Unterschied zu Karaganda nur sehr wenige Deutsche.

Am 26. Dezember 1980 wurde die erste Spielzeit des Deutschen Theaters in Temirtau mit dem Stück des russlanddeutschen Autors Alexander Reimgen mit dem symbolischen Titel „Die Ersten“ eröffnet. Zum Repertoire des jungen Theaters gehörte in der ersten Spielsai son auch die Tragödie „Emilia Galotti“ von G.E. Lessing und das Märchendrama „Die Schneekönigin“ von Eugen Schwarz, die ebenso wie „Die Ersten“ zum Prüfungsstoff der Absolventen gehört hatten.

Im Jahr 1983 erfolgte eine zweite Aufnahme für das deutsche Studio an der Ščepkin-Theaterschule in Moskau, da es dem jungen Theater in Temirtau weiterhin an jungen Schau spielern mangelte. Die Auswahlprüfungen fanden dabei in Karaganda statt. Später übernahm die Hochschule für Theater und Kunst in Almaty die Ausbildung der neuen Schau spieler. Jedes Jahr brachte das Deutsche Theater vier bis sechs neue Inszenierungen auf die Bühne.

Auf der Suche nach eigenem Profil wechselte das Theater in den Anfangsjahren seines Bestehens mehrere Regisseure. Immerhin fand es 1981 mit Peter Siemens einen engagierten Theaterleiter, der fast ein Jahrzehnt lang an der Spitze des Deutschen Theaters stand und künstlerische wie politische Herausforderungen damaliger Zeit geschickt zu meistern verstand. Das Repertoire des jungen Theaters wurde zunächst stark von der Klassik geprägt: deutsche Klassik (Lessing, Schiller) – russische Klassik (Ostrovskij, Gogol’) – westeuropäische Klassik (Goldoni, Scribe). Die Sprache der klassischen Werke war jedoch für die meisten Zuschauer schwer verständlich. Erst allmählich realisierte die Truppe und die Theaterleitung die Notwendigkeit der Inszenierung von Werken russlanddeutscher Autoren, die vom Leben und der Geschichte ihrer russlanddeutschen Zuschauer erzählten.

Mit dem Drama Andreas Sacks’ „Der heimatliche Herd“ begann die Zusammenarbeit des Theaters mit den russlanddeutschen Autoren. Charakteristisch für die weitere Entwicklung des Theaters wurde hier die Inszenierung des dreiteiligen Werks von Viktor Heinz „Auf den Wogen der Jahrhunderte“, dessen erster gleichnamiger Teil, vom kasachischen Regisseur Bulat Atabaev realisiert, 1987 in Temirtau seine Premiere feierte. Das Theaterstück behan delte die Zeit von 1765 bis 1941 und erzählte die Geschichte der Deutschen in Russland.

Der zweite Teil des Historiendramas wurde 1989 unter dem Titel „Menschen und Schicksa le“ uraufgeführt und handelte von der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Arbeitsarmee. Die Inszenierung des letzten Teils der Trilogie „Die Jahre der Hoffnung“ entstand unter der Regie des ostdeutschen Regisseurs Dieter Wardetzky in einer für die Russlanddeutschen schwierigen Zeit: Nach der Absage an die deutschen Autonomiebestrebungen durch Präsi dent B. Jelzin setzte die Massenauswanderung der Deutschen aus der Sowjetunion ein. Die Frage nach dem „Bleiben“ oder „Gehen“ zog sich als roter Faden durch das ganze Theaterstück, blieb jedoch ohne Antwort. Insgesamt realisierte das Deutsche Theater von 1980 bis 1990 zehn Aufführungen russlanddeutscher Autoren.

In der achten Spielzeit wurde die Theatertruppe durch die Absolventen des zweiten deutschen Studios ergänzt. Ihre erste Arbeit am Theater wurde ein Schwank von Irene Langemann, selbst Absolventin des ersten deutschen Studios, unter dem Titel „Hab oft im Kreise der Lieben“, der eine typische deutsche Hochzeit inszenierte und in Dialekt gespielt wurde (Regisseur: Alexander Hahn). Damit setzte das Theater die bereits in den Vorjahren begonnenen Bemühungen um den Erhalt der deutschen Volkskunst und der Wiederbelebung der traditionellen deutschen Sitten und Bräuche fort.

In diesem Sinne trat das Deutsche Theater 1988 erstmals als Veranstalter des Festivals deutscher Kultur und Laienkunst auf. Das erste Allunionsfestival der deutschen Folkloreen sembles, an dem sich 17 Laiengruppen beteiligten, fand im Januar 1988 in Temirtau statt (Regisseur: Erich Schmidt). Ziel der Veranstaltung war es, Laienkünstler zu unterstützen
und ihnen bei der Verbesserung ihres Repertoires zu helfen. Das zweite republikanische Festival der deutschen Kultur mit etwa 2000 Teilnehmern fand im Oktober 1990 in AlmaAta statt.

Von Anfang an wurde das Deutsche Theater als „Reisetheater“ bzw. „Theater auf Rädern“ gedacht und ging jeden Sommer auf Gastspielreisen in die Städte und Dörfer Russlands, Kasachstans, Usbekistans oder Kirgisiens, wo es kompakte deutsche Besiedlung gab. 1989 unternahm die Theatertruppe ihre erste Auslandsreise in die Bundesrepublik
Deutschland, die vom Auswärtigen Amt finanziert wurde. Ziel war eine Fortbildung in Thea terkunst und Bühnensprache an der Akademie für darstellende Kunst Ulm und dem Atha nor-Theater in München. Im Herbst 1990 gastierte das Theater in der DDR.

1989 zog das Deutsche Theater in die damalige Hauptstadt Kasachstans, Alma-Ata, um, wo es seine zehnte Spielzeit eröffnete. Diese wurde mit der Premiere von Brechts „Mann ist Mann“ mit den Schauspielern Katharina Schmeer, Lydia Brestel, Woldemar Bolz, Peter Warkentin und anderen eröffnet. Ein eigenes Gebäude bekam das Theater jedoch über
lange Zeit nicht und wechselte daher zwischen mehreren Bühnen, bis es erst 2018 das Gebäude des Koreanischen Theaters, das ins Zentrum von Almaty umzog, bekam.

1989 bis 1994 verließen über 1 Million Deutsche Kasachstan, darunter viele Schauspieler des Deutschen Theaters wie letztlich auch Katharina Schmeer, die als erste Sowjetdeutsche mit dem Titel „Verdiente Künstlerin Kasachstans“ ausgezeichnet wurde. Bis 1997 wanderte fast das gesamte führende Ensemble des Theaters aus. Auch das deutschsprachige Publikum fehlte dem Theater zunehmend.

Nach der massenhaften Ausreise der Deutschen aus Kasachstan hatte das Deutsche Theater mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die nicht allein finanzieller Natur waren. Die Suche nach eigenem Gesicht und eigenem Platz im Theaterleben des Landes, ständig wechselnde Theaterleitungen, ein neues Schauspielerkollektiv und der voranschreitende Verlust der deutschen Sprachkenntnisse bei Schauspielern ebenso wie bei den Zuschau ern prägten in den nachfolgenden Jahren die Entwicklung des Theaters, das immer weni ger seiner eigentlichen Aufgabe, im Dienste der russlanddeutschen Kultur zu stehen, gerecht werden konnte. Erst 2014, als der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft „Wiedergeburt“, Alexander Dederer, die Theaterleitung übernahm und ein neues Konzept vorstell te, gelang dem Deutschen Theater ein Neuanfang. Unter der künstlerischen Leitung von Natalia Dubs entwickelte sich das Deutsche Theater zu einem „modernen Theater mit eu ropäischer Bestimmung“, das in Abgrenzung zu herkömmlichen Theaterregeln mit neuen Formen und Darstellungsweisen experimentiert und keine russlanddeutsche Dramatik mehr spielt. Das Deutsche Theater Kasachstan, seit 2019 mit dem Zusatznamen „Nemetski“ versehen, spielt heute erfolgreich ein breit gefächertes Repertoire in russischer, kasachischer, englischer und deutscher Sprache, das durch Simultanübersetzung über Kopfhörer unterstützt wird.

In Niederstetten (Baden-Württemberg) gründeten die ausgewanderten Schauspieler Viktoria Gräfenstein und David Winkenstern 1994 das Russland-Deutsche Theater Niederstetten, dem sich einige andere ehemalige Schauspieler des Deutschen Theaters Temirtau/Al maty anschlossen. Von den anfänglich sieben Schauspielern verließen jedoch die moisten von ihnen Ende der 1990er Jahre die Truppe wieder, so dass diese heute nur aus dem Schauspielerehepaar Maria und Peter Warkentin besteht. Für sein Engagement bei der Vermittlung der russlanddeutschen Kultur erhielt das Russland-Deutsche Theater Niederstetten 2016 den russlanddeutschen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg.

Literatur

40 Jahre Deutsches Theater Kasachstan / UdSSR. Kalender 2020. Nürnberg: BKDR 2019; Steinmark, Rose: Das Schicksal eines Theaters. Sud’ba odnogo teatra. Moskva 2017; dies.: Iz istorii nemeckogo dramatičeskogo teatra (Temirtau – Alma-Ata, 1980–1992 gg.), in: Edinyj portal nemcev Kasachstana, 26. Apreil 2018, URL: http://wiedergeburtkasachstan.de/iz-istorii-nemetskogo-dramaticheskogo-teatra-temirtau-alma-ata-1980-1992-gg/ (14.03.2022); Warkentin, Edwin: Das Deutsche Theater in Temirtau und AlmaAta: Ein Theater auf dem Weg zu seinem Publikum, in: RusDeutsch. Informationsportal für Russlanddeutsche, 24. Oktober 2012, URL: https://rusdeutsch.eu/Nachrichten/2025

Literarisch: Hummel, Eleonora: Die Wandelbaren. Roman. Salzburg, Wien 2019.

Autoren: Donig Natalia, (Passau)

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