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KANTON MARIENTAL

Rubrik: Republik der Wolgadeutschen

KANTON MARIENTAL (bis 1927 Tonkoschurowka) – eine Verwaltungseinheit der Wolgadeutschen ASSR in den Jahren 1922–1941. Das Verwaltungszentrum war das Dorf Mariental, 18 km vom nächsten Bahnhof Nachoi und 35 km vom nächsten Anlegeplatz Marxstadt entfernt. Er lag im Norden des linksufrigen Teils der Wolgadeutschen Republik. Von Osten nach Nordwesten flossen durch den Kanton ein Nebenfluss der Wolga – der Große Karaman – und angrenzende Nebenflüsse: von Süden der Fluss Nachoi, von Nordosten der Fluss Metschetka. Die Fläche des Kantons betrug 1395 km2 (1940).

Er wurde 1922 als Kanton Tonkoschurowka als Teil der Wolgadeutschen Arbeiterkommune aus dem Bezirk Antonowski (Tonkoschurowski) gebildet. 1927 wurde er gemäß einem Beschluss des Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees der RSFSR in Mariental umbenannt, gleichzeitig wurde der südliche Teil des aufgelösten Kantons Krasny Jar in den Kanton eingegliedert. 1934 wurde ein Teil des aufgelösten Kantons Pokrowski dem Kanton angegliedert. 1935 wurde im Zuge der Kantonsauflösung ein Teil des Kantons Mariental mit dem Dorf Neu-Laub dem Kanton Lysanderhöh und der andere Teil mit dem Dorf Rohleder dem wiederhergestellten Kanton Krasny Jar zugeordnet. 1939 wurde auch der Gemeinderat Freidorf vom Kanton Mariental in den Kanton Lysanderhöh verlegt.

Entsprechend der administrativ-territorialen Aufteilung der Wolgadeutschen ASSR im Jahr 1940 umfasste der Kanton 19 Dorfräte: Aleksandrhöh, Weitzenfeld, Herzog, Gnadendorf, Grafsky, Daheim, Kulturny, Liebental, Lilienfeld, Luiski, Maidorf, Mariental, Neu-Urbach, Neu-Obermontschui, Neu-Boaro, Neu-Schulz, Rosenfeld, St. Urbach, Fresental.

Die Hungersnot von 1922 war ein schwerer Schlag für die Bevölkerung und die Wirtschaftstätigkeit des Kantons in der Anfangsphase seiner Entwicklung: Auf 536 Geburten kamen in diesem Jahr 1.709 Hungertote.

Im Jahr 1926 hatte der Kanton 26.700 Einwohner, davon 12.900 Männer und 13.800 Frauen. Die gesamte Bevölkerung des Kantons war ländlich. Der Anteil der deutschen Bevölkerung betrug 98,2 Prozent, der der russischen 1,30 Prozent, der der ukrainischen 0,1 und der sonstigen 0,40 Prozent.

Im Jahr 1940 hatte der Kanton 28.900 Einwohner, davon 14.700 Männer und 14.200 Frauen. Die Bevölkerungsdichte betrug 19,1 Personen pro 1 km². Der Anteil der deutschen Bevölkerung erreichte 95,50. 138.500 Hektar (98 Prozent der Gesamtfläche) der unter den Landnutzern verteilten Fläche gehörten zum kollektivwirtschaftlichen Sektor. Die Landzusammensetzung (in Tausend Hektar): Ackerland – 106,90; Weiden und Weideland – 23,20; Heuwiesen – 2,40; Gehöfte – 2,10 Gemüsegärten – 1,7; Unterwasser – 1,0; Gärten – 0,2; Wälder und Sträucher – 0,5; sonstiges Land – 1,5.

Die führenden Beamten des Kantons waren während des „Großen Terrors“ Repressionen ausgesetzt. In den Jahren 1937–1938 wurden die Sekretäre des Marientaler Kantonskomitees der Allsunionskommunistischen Partei (Bolschewiki), V. E. Vatallo und G. A. Wulf, des Trotzkismus für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Gleichzeitig wurden J. I. Schmidt, ein Ausbilder des Exekutivkomitees des Kantonsrates, und I. G. Nebert, der Leiter der Marientaler Kantonsabteilung des NKWD der Wolgadeutschen Republik, des Trotzkismus angeklagt.

Die ländliche Wirtschaft des Kantons wurde durch Kollektivierung und Mechanisierung der Landwirtschaft auf neuen Wegen wieder aufgebaut. Bis 1940 umfasste die Kollektivierung im Kanton 100 Prozent der Bauernhöfe, die in 27 Kollektivfarmen zusammengefasst waren (Stalin, Kirow, Krupskaja, Vorwärts, Bolschewik, Landwirt, Udarnik, Neugeburt, Karl Liebknecht, Oktjabrskaja Revoljuzija usw.). Die Kollektivfarmen wurden von 4 Maschinenstützpunkten betreut: Mariental, Nachoiskaja, Urbachskaja und Sredne-Karamanskaja. Im Kanton gab es keine Sowchosen.

Der Ackerbau war auf Getreide und Weizen ausgerichtet. Unter den Getreidekulturen machten Sommerweizen, Winterroggen, Hirse und Gerste einen bedeutenden Anteil aus. Bei den Industriekulturen dominierten Sonnenblumen, Senf und Makhorka. In der Viehzucht gab es im Kanton 1940 13.200 Schafe und Ziegen, 9.000 Rinder, 4.900 Schweine, 2.400 Pferde und 27 Kamele.

Anfang der 1920er Jahre war die Produktion im Kanton rein landwirtschaftlich geprägt, Neben- und Saisonindustrien spielten in der örtlichen Wirtschaft keine nennenswerte Rolle. Später wurde die Industrie des Kantons durch Staatsbetriebe und Industriegenossenschaften vertreten. Die wichtigsten Industriezweige waren die Getreidemüllerei sowie die Butter- und Käseherstellung. 1938 funktionierten folgende Betriebe: die Mühle Nr. 6 Mariental, die Mühle Nr. 15 Rosenfeld, die Mühle Nr. 45 Sojusmuki am Bahnhof Urbach, die Käserei Rosenfeld, die Käserei Lui, das Artel zur Herstellung von Bekleidung in Mariental, das Schuhmacher- und Filzartel „Vorwärts“ in Mariental und das Nähartel für Behinderte „Roter Oktober“ in Urbach.

1934 gab es im Kanton 20 Grundschulen mit 1.717 Schülern und 5 Mittelschulen mit 1.228 Schülern. Mittelschulen gab es damals noch nicht. Es gab 10 öffentliche Bibliotheken und 4 Kinder- und Schulbibliotheken mit 23.900 Büchern. Bereits Ende der 1930er Jahre wurden Maßnahmen zur Bekämpfung des Analphabetismus und der Halbalphabetisierung unter den Wehrpflichtigen ergriffen. Um den Analphabetismus zu beseitigen, wurde der Kanton Mariental in mehrere Bezirke aufgeteilt. Im Bezirk, der Mariental und die Nachbardörfer Graf und Herzog vereinte, arbeiteten die Lehrer Edmund Merker und Emma Müller.

1940 gab es im Kanton 11 Grundschulen, 13 Realschulen und 2 Gymnasien mit insgesamt 5.900 Schülern. Grundschulen wurden auf Bauernhöfen (Grabenheim, Neuberg) eröffnet, doch die Regierungsverordnung zur siebenjährigen Schulpflicht wurde im Kanton nicht vollständig umgesetzt.

Der Kanton verfügte außerdem über zwei Kindergärten für 45 Kinder, ein Sozialkulturzentrum, 19 Lesehütten, 17 Kolchosclubs und fünf öffentliche Bibliotheken. Die Kantonszeitung „Stoßbrigadler“ erschien in deutscher Sprache. Im Gesundheitswesen umfasste das Netz der medizinischen Einrichtungen 1940 zwei Krankenhäuser mit 46 Betten, vier Ambulanzen, drei Sanitätsstationen, 13 Trachomatosestationen und drei Kolchos-Entbindungskliniken mit je 13 Betten. Außerdem gab es eine Kindertagesstätte mit 25 Betten und zwei Apotheken. Bei der Deportation im September 1941 wurden 25.962 Menschen deutscher Nationalität (5.426 Familien) aus dem Gebiet des Kantons Mariental vertrieben. Sie wurden durch Evakuierte aus den Gebieten Charkow, Poltawa und Orjol ersetzt. Im Jahr 1941 (im Zusammenhang mit der Liquidierung der Wolgadeutschen ASSR) wurde der ehemalige Kanton Mariental gemäß der Resolution des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des Zentralkomitees der Allunionskommunistischen Partei (Bolschewiki) Teil des Gebietes Saratow und anschließend in den Sowjetischen Bezirk umgewandelt.

Literatur

Autoren: Maslennikowa A.A.

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