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JELENA PAWLOWNA (Friederike Charlotte Marie Prinzessin von Württemberg) (1806–1873), Großfürstin, Ehegattin des Großfürsten Michail Pawlowitsch

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)
JELENA PAWLOWNA. Großfürstin, Ehegattin des Großfürsten Michail Pawlowitsch, Wohltäterin. Porträt von S. Cheradame

JELENA PAWLOWNA (Friederike Charlotte Marie Prinzessin von Württemberg) [28. Dezember 1806 (10. Januar 1807 ), Stuttgart, Königreich Württemberg – 9. (22.) Januar 1873, Sankt Petersburg], Großfürstin, Ehegattin des Großfürsten Michail Pawlowitsch.

Tochter des Prinzen Pawel (Paul) Friedrich Karl August von Württemberg, des jüngeren Sohnes von König Friedrich I. und der Prinzessin Scharlotte von Sachsen-Altenburg. Sie bekam bei ihrer Geburt den Titel der Prinzessin des Hauses Württemberg. Sie wurde zu Hause sowie in einer Pariser Pension erzogen, zeigte besondere Fähigkeiten für Präzisions- und Naturwissenschaften. In ihrem Pariser Lebensabschnitt wurde die Prinzessin stark beeinflusst durch Bekanntschaften mit vielen gebildeten Menschen und großen Kulturschaffenden jener Zeit: berühmter Zoologe und Naturforscher Jean Cuvier, der sie gerne als seine Schülerin sehen wollte, der Physiker André-Marie Ampère, Wissenschaftler und Forschungsreisender Alexander von Humboldt, die Schriftsteller Prospērs Merimē und Stendhal, der Maler Eugène Delacroix u.a. Der Verkehr im Kreise von berühmten Wissenschaftlern, Diplomaten und Künstlern hatte den entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung der Persönlichkeit der jungen Prinzessin. Später in Russland bewegte sie dieser Umgang dazu, einen eigenen Salon im Michailowski-Palast in St. Petersburg zu organisieren; der Kaiser Nikolaus I. nannte seine Schwiegertochter „Wissenschaftler unserer Familie“. Nachdem sie für Michail Pawlowitsch – den jüngeren Bruder des russischen Kaisers Alexander I. – zur Frau auserwählt wurde, lernte die Prinzessin mit Hilfe eines Wörterbuches und einer Grammatik selbständig die russische Sprache. Als sie später in Russland lebte, lud sie namhafte Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete ein, damit sie für sie Vorlesungen halten: Professor K.K. Arssenjew zu den Fragen der Geschichte und Statistik in Russland; den Agronomen Lode und den Forstfachmann Petersohn zu den entsprechenden angewandten naturwissenschaftlichen Themen etc. Die Zeitgenossen bescheinigten ihr „einen echten staatlichen Verstand“.

Am 5. (18.) Dezember 1823 legte sie in Petersburg in der Großen Kirche des Winterpalastes das orthodoxe Glaubensbekenntnis ab. Am 6. (19.) Dezember fand ihre priesterliche Verlobung mit dem Großfürsten Michail Pawlowitsch. Die Eheschließung nach dem orthodoxen Ritus erfolgte in Petersburg am 8. (21.) Februar 1824.

Laut den Erinnerungen von Zeitgenossen passten die Eheleute kaum zueinander, was deren Charakter, Bildungsniveau und Geschmack betrifft. Großfürst Michail Pawlowitsch war zwar ein gutmütiger Mensch, jedoch von der Natur her undelikat und nicht sonderlich angenehm im Umgang. Er interessierte sich für nichts außer der Armee. Großfürstin war umgekehrt auf deutsche Art zurückhaltend und wohlerzogen, eine hochgebildete Frau mit einem breiten Wissenskreis. Deshalb bestand zwischen ihnen von Anfang an ein recht angespanntes Verhältnis, ohne innerliche Wärme. Das Ganze wurde durch die Krankheiten der Töchter verschlimmert: zwei starben im Säuglingsalter und noch zwei in den Jugendjahren; lediglich Großfürstin Jekaterina (nach der Heirat Herzogin von Mecklenburg-Strelitz) überlebte die beiden Eltern und starb im Alter von 66 Jahren. Jelena Pawlowna erzog Jekaterina selber und hielt auch deren Bildung unter Kontrolle.

Karitative Tätigkeit von Jelena Pawlowna umfasste verschiedene Seiten des russischen Lebens. 1828 nach dem Tode der Kaiserinwitwe Maria Fjodorowna übernahm sie gemäß deren Testament die Verwaltung des Maria- und des Hebammeninstituts sowie des Maria-Krankenhauses. In der Folgezeit wurden auf Weisung von Jelena Pawlowna auf der Basis von diesen Einrichtungen eine praxisorientierte Schule für Geburtshelfer und Kinderärzte sowie ein geburtshilfliches und ein gynäkologisches Spital eingerichtet.

1846 gründete sie in Petersburg die Jelisaweta-Klinik für Minderjährige sowie Waisenhäuser in Moskau und Pawlowsk. Die russlandweit erste standeslose Hl.-Jelena-Frauenschule stand ebenfalls unter der Schirmherrschaft der Großfürstin.

1850 nahm Jelena Pawlowna die Maximilian-Heilanstalt für unvermögende arme Leute unter ihre Fittiche, bildete sie um und richtete auf eigene Mittel (unter Beteiligung von N.I. Pirogow, N.F. Arendt und  N.F. Sdekauer) eine extra Abteilung zur kostenlosen Behandlung von verwundeten Offizieren ein. In der Heilanstalt hielten ihre Sprechstunden S.P. Botkin und andere namhafte Ärzte „teils kostenlos, teils für gang mäßigen Preis“, es gab sogenannte Nachoperations-„Notbetten“, an die Armen wurden Arzneimittel gratis abgegeben. Gerade in der Maximilian-Heilanstalt begann man in Russland erstmals damit, fachärztliche Hilfe zu erweisen. Jelena Pawlowna trug dazu bei, dass die „Kranken gesondert nach Fächern und nur jenen Ärzten vorgestellt werden, welche die nötige Erfahrenheit erlangt haben“. Später, als die Zahl der Krankenbesuche in der Heilanstalt stark zunahm, beschloss Jelena Pawlowna, dieses umfangreiche poliklinische Material für den Unterricht zu nutzen, „damit den Ärzten die Möglichkeit geboten wird, sich in den unter ihrer Schirmherrschaft befindlichen Einrichtungen nicht allein in Geburtshilfe und Kinderheilkunde, sondern auch in allen sonstigen Zweigen der praktischen Medizin zu vervollkommnen“. Nunmehr absolvierten in der Maximilian-Heilanstalt ihr Praktikum jene Ärzte, die sich in verschiedenen Medizinfächern vervollkommnen wollten.

1870 reichte die Großfürstin beim Finanzminister eine Notiz ein, wo eine vollständige Umwandlung der Maximilian-Heilanstalt vorgesehen war. Zusätzlich zur Ambulanz sollte eine Krankenstation mit 200 kostenlosen Betten und eine extra Station mit 50 zahlungspflichtigen Betten eingerichtet werden.

Während des Krimkrieges (1853–1856) beschäftigte sie sich mit der Organisation medizinischer Hilfe für Verwundete. Der Michailowski-Palast wurde in ein Medikamentelager sowie in eine Werkstatt umfunktioniert, wo Wäsche und medizinische Stoffe angefertigt wurden. Auf ihre Initiative wurde in Petersburg zu Beginn des Krieges die Kreuzerhöhungsgemeinde von Barmherzigkeitsschwestern gegründet (die Eröffnungsfeier fand am 5. November 1854 statt). Gleichzeitig widmete sie sich gemeinsam mit N.I. Pirogow damit, Frauenhilfe für Kranke und Verwundete auf Schlachtfeldern zu organisieren. Im Oktober 1854 meldeten sich 30 Frauen bereit, in die Krim zu fahren, um den Verwundeten direkt auf dem Kriegsschauplatz zu helfen. Insgesamt wurden während des Krieges 300 Barmherzigkeitsschwestern nach Sewastopol geschickt. Nach dem Ende des Krimkrieges erhielten ausnahmslos alle Barmherzigkeitsschwestern eine Belohnung in Höhe von 100 bis 300 Rubel. 1856 wurde auf Bitte von Jelena Pawlowna eine Medaille geprägt, um Kreuzerhöhungsschwestern auszuzeichnen, die sich besonders hervorgetan haben.

Nach Kriegsende organisierte Jelena Pawlowna bei der Kreuzerhöhungsgemeinde eine Ambulanz und eine gebührenfreie Schule für 30 Mädchen. Jelena Pawlowna erarbeitete eine neue Satzung für die Gemeinde, die seit 1860 in einem Einzelgebäude am Fontanka-Kai untergebracht war. Dort wurde eine Heilanstalt eingerichtet (seit 1919 G.I. Tschudnowski-Krankenhaus). Nach dem Vorbild der Kreuzerhöhungsgemeinde der Barmherzigkeitsschwestern wurde später zunächst die Russische Rotkreuz-Gesellschaft und dann das Internationale Rote Kreuz. Die gesammelte Erfahrung wurde im Folgenden auch bei der Gründung von neuen Barmherzigkeitsschwestern-Gemeinden (Georgi-, Alexander-, Mariä-Schutz-und-Fürbitte-, Eugen- u.a.) genutzt.

Bei unmittelbarer Mitwirkung von Jelena Pawlowna entstand in Russland das erste Institut für ärztliche Fortbildung – Eleninski klinisches Institut [eröffnet am 21. Mai (3. Juni) 1885; heute: St.-Petersburger medizinische Akademie für postgraduales Studium, dem sie in ihrem Testament beachtliche Geldmittel vermachte.

Jelena Pawlowna unterstützte zahlreiche Projekte in den Bereichen Kultur und Aufklärung. Unter ihrer Schirmherrschaft standen die Russische musikalische Gesellschaft und das St. Petersburger Konservatorium.

„Mittelpunkt der gesamten intellektuellen Gesellschaft“ von St. Petersburg war der Salon der Großfürstin im Michailowski-Palast (1840–1873). Dort verkehrten Literaten, Wissenschaftler (N.N. Miklucho-Maklai widmete der Großfürstin seine Studien über Neuguinea), Musiker sowie bekannte Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Laut Anatolij Fjodorowitsch Koni waren die Versammlungen bei Jelena Pawlowna Hauptdiskussionsplatz, wo die Pläne für die Großen Reformen erarbeitet wurden.

Was die Abschaffung von Leibeigenschaft betrifft, so war die Großfürstin unmittelbar daran beteiligt: Ihr Gut Karlowka im Gouvernement Poltawa wurde zu einer Art Experimentierfeld für die Umgestaltungen, die dann auf ganz Russland ausgedehnt wurden. Sie war bestrebt, einen positiven Wandel in den Adelsstimmungen zu erreichen und ergriff 1856 die Initiative der Bauernbefreiung in ihrem Gut, zu dem 12 Ansiedlungen und Dörfer sowie über 9.000 Hektar Land mit einer Bevölkerung von 7.392 Männern und 7.625 Frauen gehörten. Gemeinsam mit dem Gutsverwalter Baron Engelgart erstellte sie einen Plan, der die persönliche Befreiung der Bauern und Zuteilung von Land gegen Lösegeld vorsah.

Jelena Pawlowna wurde beigesetzt in St. Petersburg in der Kaisergruft des Peter-und-Paul-Doms neben ihrem Ehegatten Großfürst Michail Pawlowitsch und den Töchtern Alexandra und Anna.

In der Ehe mit dem Großfürsten Michail Pawlowitsch kamen fünf Töchter zur Welt: Maria (1825–1846), Jelisaweta (1826–1845), Ekaterina (1827–1894), Alexandra (1831–1832) und Anna (1834–1836).

Literatur

Великая княгиня Елена Павловна // Русская старина. 1882. №3; Воспоминания графини А.Д. Блудовой // Русский архив. 1878. № 11; Заблоцкий-Десятовский А.П. Граф П.Д. Киселев и его время. СПб., 1882; Ермакова Е. Великая княгиня Елена Павловна: Исторический портрет // Московский журнал. 2007. №5; Молин Ю.А. Великая княгиня Елена Павловна и здравоохранение в России (к 200-летию со дня рождения) // Сборник трудов Третьей конференции АРСИИ им. Г.Р. Державина / Под общ. ред. проф. Д.Н. Киршина. СПб.: «Культура», 2006; Учредительница Клинического института великая княгиня Елена Павловна // Вестник МАПО. – Декабрь 2000.

Autoren: Bolotina D. I.

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