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JELISAWETA FJODOROWNA (1864–1918), Prinzessin von Hessen-Darmstadt; verheiratet mit dem Großfürsten Sergej Alexandrowitsch, Großfürstin des regierenden Hauses Romanow; älteste Schwester der Kaiserin Alexandra Fjodorowna

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

JELISAWETA FJODOROWNA (Geburtsname Elisabeth Alexandra Luise Alice von Hessen-Darmstadt und bei Rhein). [geb. 20. Oktober (1. November) 1864, Darmstadt (heute: Bundesland Hessen, Deutschland) – 5. (18.) Juli 1918 in der Nähe von Alapajewsk, Wechoturski-Ujesd (Kreis), Gouvernement Perm, heute: Swerdlowsker Gebiet], Prinzessin von Hessen-Darmstadt; verheiratet mit dem Großfürsten Sergej Alexandrowitsch, Großfürstin des regierenden Hauses Romanow; älteste Schwester der Kaiserin Alexandra Fjodorowna. Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und Wohltäterin. Ehrenmitglied und Vorsitzende der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft (1905 bis 1917). Gründerin des Marfa-und-Maria-Barmherzigkeitsklosters in Moskau, Ehrenmitglied der Kaiserlichen geistlichen Akademie in Kasan, Ehrenmitglied der Kaiserlichen geistlichen Akademie in Sankt Petersburg (Petrograd), Ehrenmitglied der orthodoxen Heiliger-Fürst-Wladimir-Bruderschaft in Berlin. Als eine als Märtyrerin gestorbene Nonne wurde sie von der Russischen Orthodoxen Kirche heiliggesprochen.

Die zweite Tochter des Großherzogs von Hessen-Darmstadt Ludwig IV. und der Prinzessin Alice (zweite Tochter der Königin von England Victoria). Diesen Namen erhielt sie zu Ehren der Heiligen Elisabeth von Thüringen, Ahnherrin der Herzoge von Hessen, die durch ihre barmherzige Taten berühmt geworden ist.

Nach dem Tode ihrer Mutter und der jüngeren Schwester – der vierjährigen Maria – im Jahr 1878 an der Diphtherie und der anschließenden morganatischen Ehe von Ludwig IV. wurde Jelisaweta zusammen mit ihrer Schwester Alix (künftige Kaiserin von Russland Alexandra Fjodorowna) vorwiegend bei ihrer Großmutter, der Königin Victoria, in Osborne House (Großbritannien) erzogen. Sie genoss eine gute Hausbildung, wobei Musik und Malen großes Augenmerk geschenkt wurde. Bei der Erziehung standen die Traditionen der religiösen protestantischen Frömmigkeit im Mittelpunkt; seit ihrer Kindheit nahm sie an der Wohltätigkeit teil. Jelisaweta Fjodorowna soll ihre christliche Nächstenliebe von ihrer Mutter geerbt haben: Nach deren Heirat mit Ludwig IV. gründete Großherzogin Alice in Darmstadt mehrere wohltätige Einrichtungen und engagierte sich stets aktiv in deren Tätigkeit.

Als potenzielle Bräutigame für Jelisaweta Fjodorowna wurden ihre Cousins erwogen: Friedrich von Baden und der preußische Kronprinz Wilhelm (künftiger deutscher Kaiser Wilhelm II.), der nach unbestätigten Angaben ihr einen Heiratsantrag gemacht, jedoch einen Korb erhalten hatte. Schließlich entschied man sich für einen ferneren Verwandten, den russischen Großfürsten Sergej Alexandrowitsch, fünften Sohn des Kaisers Alexander II. und Bruder des russischen Kaisers Alexander III.

Am 3. (16.) Juni 1884 fand in der Hauskirche des Winterpalastes die Eheschließung zwischen Jelisaweta Fjodorowna und dem Großfürsten Sergej statt. Orthodoxe Eheschließung wurde vom Protopresbyter des Hofes Ioann Janyschew vorgenommen; anschließend hat ein Pastor der Heilige-Anna-Kirche im Alexandersaal einen lutherischen Gottesdienst abgehalten.

Ehegattin des Großfürsten geworden, aber noch dem protestantischen Glauben angehörend, besuchte Jelisaweta Fjodorowna in Russland orthodoxe Gottesdienste. Das eheliche Zusammenleben richtete sich nach christlichen Grundsätzen. Im geistlichen Leben stand sie unter starkem Einfluss des Ehegatten. 1888 unternahm sie mit ihm gemeinsam eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Dieses Erlebnis hat sie fasziniert. Nach dem Besuch von Jerusalem fasste sie festen Beschluss, zur Orthodoxie zu konvertieren. Am 13. (26.) April 1891, am Lazarus-Samstag, wurde der Großfürstin das Sakrament der Myronsalbung gespendet (ein Ritus der Aufnahme in die Orthodoxe Kirche). Sie behielt ihren bisherigen Namen, dieser wurde jedoch zu Ehren der Heiligen Elisabeth, der die Mutter Johannes’ des Täufers umgedeutet.  

Im selben Jahr wurde der Großfürst Sergej Alexandrowitsch zum Generalgouverneur von Moskau ernannt. In ihrer Eigenschaft als Ehegattin des Generalgouverneurs organisierte Jelisaweta Fjodorowna 1892 den Jelisaweta-Wohltätigkeitsverein zur Fürsorge für Säuglinge von mittellosen Eltern (zum Vorsitzenden wurde Boris Alexandrowitsch Neidhart ernannt). In die Krippen, Kindergärten und Pflegeheime des Vereins wurden Kinder von Unvermögenden sowie Waisen aufgenommen. Sie konnten nicht nur dort wohnen und großgezogen werden, sondern erhielten auch Berufsausbildung, die ebenfalls vom Verein finanziert wurde. Die Tätigkeit des Vereins dehnte sich nach und nach auf das gesamte Gouvernement Moskau: In 25 Jahren dessen Bestehens wurden Dutzende Säuglingsheime bei vielen Kirchengemeinden der Stadt Moskau und der einzelnen Landkreise eröffnet. Hilfe bekamen insgesamt 9.000 Kinder. Jelisaweta-Komitees wurden bei allen Kreisstädten des Gouvernements gebildet.

Jelisaweta Fjodorowna gründete eine Schule im Landgut Iljinskoje, wo sie im Sommer mit ihrem Ehemann lebte.

1893 übernahm sie Schirmherrschaft über den Verein zur Fürsorge für mittellose und bedürftige Kinder. Dessen Hauptanliegen war Berufsausbildung unabhängig von sozialer Herkunft und Alter. 1895 begann der Bau eines Hauses für die erste Kleinkinderbewahranstalt des Vereins – ermöglicht durch großzügige Spenden von Jelisaweta Fjodorowna. Der Schutz der Rechte von Kindern, die in verschiedenen Handwerkseinrichtungen gepeinigt wurden, insbesondere die Prüfung von Misshandlungsbeschwerden führten zur Gründung im Rahmen des Vereins eines Spezialkomitees, geleitet von Pjotr Narkisowitsch Obninski.

Jelisaweta Fjodorowna war Ehrenvorsitzende des Damengefängniskomitees, das sich um die Kinder kümmerte, deren Mütter eine Gefängnisstrafe verbüßten. Es wurden Schneiderwerkstätten für die aus der Haft Entlassenen geschaffen. Dort erhielten sie einen Lohn sowie konnten sich selbst und ihre Kinder mit Kleidung versorgen. Das Damengefängniskomitee organisierte ein Frauenheim für aus Gefängnis Entlassene sowie gründete 1898 eine Schule für Gefängniswärterinnen: auf diese Weise war man bemüht, in den Alltag der weiblichen Häftlinge Kommunikationskultur einzuführen.

Jelisaweta Fjodorowna war Vorsitzende des Peter-Wohltätigkeitsvereins in Sankt-Petersburg, des Asyls für schwache und genesende Kinder, des Wohltätigkeitsvereins in Zarskoje Selo sowie des Ersten Sankt Petersburger Damenkomitees der Russischen Rotkreuzgesellschaft. 1896 gründete sie in Sankt Petersburg Jelisaweta-Gemeinde der Barmherzigkeitsschwestern, die trotz des Umzugs nach Moskau von ihr regelmäßig besucht wurde. Sie war mit anwesend bei der Einweihung der Gemeindegebäude und der Kirche zu Großmärtyrer Panteleimon, las die Vorstandsberichte. Nach dem Tod ihres Ehegatten wurde Jelisaweta Fjodorowna zur Vorsitzenden der Moskauer Rotkreuz-Verwaltung ernannt.

Während des Russisch-Japanischen Krieges 1904–1905 organisierte sie ein Sonderkomitee für Soldatenhilfe. Bei diesem Komitee wurden in den Gouvernement- und Landkreiseinrichtungen russlandweit (ausgenommen das Gouvernement Sankt Petersburg und Finnland) 807 Lazarette eröffnet; zugleich wurde im Großen Kremlpalast ein Lager für Spenden zugunsten von Frontsoldaten sowie Frauenwerkstätten eingerichtet. Schwerpunktrichtungen in der Arbeit des Komitees waren außerdem: die Versorgung der Lager in Liaoyang, Mukden, Harbin, Nikolsk (heute: Ussurijsk) und Tschita mit notwendigen Sachen und medizinischen Handbüchern; Ausstattung und Unterhaltung von neun mobilen Sanitätsabteilungen; die Versorgung mit dem nötigen Inventar und Sachen der schwimmenden Lazarette; die Versorgung von vier Etappenlazaretten für 200 Betten; Ausstattung und Unterhaltung einer Abteilung zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten etc. Außerdem formierte Jelisaweta Fjodorowna mehrere Sanitätszüge sowie Feldkirchen, die mit allem versehen waren, was man für einen Gottesdienst braucht; sie organisierte kostenlose Unterbringung von Kranken und Verwundeten, die von der Front zurückkamen. 1908 wurde im Allerheiligen-Hain in Moskau ein Sergij-und-Jelisaweta-Heim für verkrüppelte Frontsoldaten eingeweiht; dort konnten sie eine Handwerk erlernen.

Jelisaweta Fjodorowna nahm an Wohltätigkeitsmärkten sowie an der Organisierung von Blumenfesten in Moskau teil. Das erste fand am 20. Mai 1901 statt. Die bei diesen Aktionen ausgelösten Mittel wurden für Wohltätigkeitszwecke verwendet. Sie befasste sich ernsthaft mit der Malerei und stellte zahlreiche eigene Zeichnungen bei Wohltätigkeitsausstellungen aus. Jelisaweta Fjodorowna war Vorsitzende des Vereins zur Hilfe für die Opfer des Hochwassers 1908.

Jelisaweta Fjodorowna gehört eine wichtige Rolle bei der Förderung von Museen, Kunst-, Musik- und Theaterverbänden. Sie wirkte mit am Vorbereitungsausschuss des 10. Archäologiekongresses, an der Organisierung von Ausgrabungen auf dem Gelände des Moskauer Kreml, an Erwerb und Verschenkung an das Historische Museum verschiedener Exponate (antike Münzen, Kreuze, Ikonen, historische Waffen), trug zur Eröffnung der jeweiligen Museumssäle bei: Jekaterina-, Wladimir- und Susdal-Saal u.a. Sie liebte den Kirchengesang und schätzte besonders hoch den Sinodalen Chor, sorgte um die Erhaltung und Weiterentwicklung der Musik- und Theaterkultur. Sie war etliche Jahre Kuratorin der Filarmonischen Gesellschaft. Mit ihrer Teilnahme wurde ein Pflegeheim für betagte Theaterschaffende gegründet, Kongresse der Theatergesellschaft und Benefizkonzerte von herausragenden Schauspielern vorbereitet etc. Jelisaweta Fjodorowna unterstützte die Stroganow- und Synodalschule sowie den Lehrgang für Barmherzigkeitsschwestern in der Gemeinde zu Gottesmutterikone von Iveron. Mit ihrer Unterstützung erfolgte am 18. Januar 1904 die Eröffnung und Einweihung der Schelaputin-Gewerbeschulen.

Nachdem ihr Ehemann am 4. (17.) Februar 1905 einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen war, teilte Jelisaweta Fjodorowna ihr Vermögen in drei Teile: für den Fiskus, für die Erben des Ehegatten und den größten Teil für karitative Zwecke. Sie entschied, sich der Gründung eines Barmherzigkeitsklosters zu widmen, und kaufte in Moskau in der Straße Bolschaja Ordynka ein großes Stück Land mit vier Häusern und einem ausgedehnten Garten. Das Kloster bekam den Namen Marfa-und-Maria-Kloster (Marfo-Mariinsky-Kloster). Darin wurden zwei Gotteshäuser gebaut: die Marfa-und-Maria-Kirche und die Kirche zu Mariä Schutz und Fürbitte sowie ein Krankenhaus. Das Krankenhaus galt als bestes in Moskau und wurde für damalige Zeit mit modernster medizinischer Technik ausgestattet (z.B. waren hier Elektrobehandlung und komplizierte Operationen möglich). Außerdem funktionierten eine Ambulanz und eine Apotheke, wo Arzneimittel teilweise kostenlos an Arme abgegeben wurden, kostenlose Essensausgabe, ein Waisenhaus und eine Schule. Außerhalb der Klostermauern wurde ein Krankenhaus (Pflegeheim) für Tuberkulosekranke Frauen eingerichtet.

Jelisaweta Fjodorowna hatte sich zum Ziel gesetzt, dass das Kloster den Bedürftigen eine komplexe geistig-aufklärerische und medizinische Hilfe erweist. Häufig bekamen sie nicht nur Essen und Kleidung, sondern man half ihnen auch, eine Arbeitsstelle oder einen Krankenhausplatz zu finden. Besondere Fürsorge galt den Kindern des Chitrow-Marktes – eines Stadtviertels der Slums und Diebeshöhlen. Die Großfürstin kümmerte sich nicht nur um die Verbesserung der materiellen Existenzbedingungen der Menschen; sie suchte auf Chitrowka Waisen- und Straßenkinder aus, brachte sie ins Waisenhaus beim Kloster, wo sie lernen konnten, gut gepflegt wurden und einen Beruf erlernten. Oft überredete Jelisaweta Fjodorowna auch jene Familien, die nicht imstande waren, den Kindern normale Erziehung zu bieten (z.B. professionelle Bettler, Säufer etc.), ihre Kinder ins Heim zu geben.

Es war auch kein richtiges Kloster im direkten Wortsinn. Mitschwestern werden konnten orthodoxe Witwen und Mädchen im Alter von 21 bis 40 Jahren. Auch wenn sie ein Keuschheits-, Uneigennützigkeits- und Demutsgelübde leisteten, konnten sie – im Gegensatz zu den Nonnen – gemäß der internen Ordnung nach Ablauf einer bestimmten Zeit ein Recht darauf, auszutreten und eine Familie zu gründen. Die Mitschwestern bekamen im Kloster eine solide psychologische, methodologische, geistliche und medizinische Ausbildung und waren verpflichtet, Kranke zu besuchen und denen zu helfen. Jelisaweta Fjodorowna war Anhängerin der Wiederbelebung des Amtes der Diakonissinnen – der Dienerinnen aus den Zeiten der Frühkirche, die in den ersten Jahrhunderten des Christentums durch Handlegung aufs Haupt eingeweiht wurden und der Liturgie beiwohnten (etwa in derselben Rolle wie die heutigen Unterdiakonen). Sie befassten sich mit der Kateсhisierung von Frauen und jungen Leuten, halfen bei der Frauentaufe, dienten den Kranken. Die Großfürstin fand Unterstützung bei den meisten Mitgliedern des Heiligen Synods hinsichtlich der Verleihung diesen Titels an die Mitschwestern des Klosters. Aber wegen der Einstellung von Nikolaus II. zu diesem Vorschlag wurde der Beschluss trotzdem nicht angenommen.

Am 10. (23.) Februar 1909 begann das Kloster seine Tätigkeit. Am 9. (22.) April 1910 erhob der Bischof Trifon von Dmitrow (weltlicher Name: Turkestanow) gemäß einem Ritus, der vom Heiligen Synod dafür extra erarbeitet wurde, die Ansiedlerinnen in den Rang von Kreuzschwestern zu Liebe und Barmherzigkeit. Die Mitschwestern leisteten ein nonnenähnliches Gelübde, ihr keusches Leben in Arbeit und Gebet zu verbringen. Am nächsten Tag während der Göttlichen Liturgie weihte der Erzpriester Wladimir Bogojawlenski („zur Erscheinung des Herren“), Metropolit von Moskau und Kolomna, Jelisaweta Fjodorowna als Vorsteherin des Klosters ein. Jelisaweta Fjodorowna führte im Marfa-und-Maria-Kloster ein selbstloses Eifererleben: sie schlief auf einem Holzbett ohne Matratze, dabei öfters maximal drei Stunden. Sie hielt alle Fastzeiten streng ein. Sie stand gegen Mitternacht auf, um zu beten. Anschließend machte sie einen Rundgang durch alle Krankenzimmer des Krankenhauses. Häufig blieb sie bis zum Morgengrauen am Bett eines Schwerkranken; über Sterbenden las sie selber aus dem Buch der Psalmen. Man hatte vor, die Erfahrung des Barmherzigkeitsklosters später auf ganz Russland auszudehnen, aber Krieg und Revolution sind dazwischen gekommen.

Zeitgleich mit der Gründung des Marfa-und-Maria-Klosters in Moskau wurde unter der Leitung von Jelisaweta Fjodorowna in den Jahren 1910–1911 in Sergijew-Possad das Maria-Pflegeheim für jene Rotkreuz-Barmherzigkeitsschwestern erbaut, die wegen Verlust von Arbeitsfähigkeit oder aus Altersgründen pflegebedürftig waren. Im Heim wurde eine Hauskirche zur apostelgleichen Maria Magdalena eingerichtet, zu deren Vorsteher Jelisaweta Fjodorowna den Geistlichen Pawel Florenski ernannte. Zum Heim gehörte auch eine Ambulanz „Großfürst Sergej Alexandrowitsch“ für einkommensschwache Bevölkerung von Pawlow Possad. In den Kriegsjahren 1914–1918 wurden verwundete Frontsoldaten im Pflegeheim zur Behandlung aufgenommen.

Seit Beginn des Ersten Weltkrieges stand Jelisaweta Fjodorowna an der Spitze von zahlreichen karitativen Einrichtungen entweder als Kuratorin oder als Vorsitzende. Im Marfa-und-Maria-Kloster wurde ein Spital eröffnet. Jelisaweta Fjodorowna gründete und besuchte persönlich Spitale und nahm darüber hinaus regen Anteil an der Pflege von Verwundeten, darunter auch als Assistentin bei Operationen. Die Zahl der Mitschwestern am Marfa-und-Maria-Kloster erreichte bis 1914 beinahe 100. Viele davon wurden mit Rücksicht auf deren Wissen und Qualifikation von Jelisaweta Fjodorowna gesegnet, um an die Front zu fahren.

In Moskau organisierte Jelisaweta Fjodorowna ein Komitee zur Erweisung karitativer Hilfe an die Familien von Personen, die an die Front einberufen wurden. Am 29. Juli (10. August) 1914 wurde auf einer Komitee-Sitzung im Haus von Jelisaweta Fjodorowna im Marfa-und-Maria-Kloster beschlossen, ein ständiges koordinierendes Organ (Komiteekanzlei) zu schaffen und damit zu beginnen, Geld- und Sachenspenden anzunehmen, sowie ein Wochenblatt („Jeschenedelnik“) zu gründen, um über all das zu berichten. Zu den wichtigsten Aufgaben des Komitees gehörte die Arbeitsplatzbeschaffung der Frauen von Soldaten, die an der Front kämpften. Die Häuser des Generalgouverneurs, der Russischen Adelsversammlung und der Alte Gasthof („Starogostiny Dwor”) wurden für die Unterbringung von Werkstätten zur Verfügung gestellt. Die Familien von Soldaten bekamen auch landwirtschaftliche Hilfe. Am 27. September (9. Oktober) 1914 fasste das Komitee den Beschluss, mehrere Einrichtungen für Waisenkinder zu eröffnen. Russlands Schauspieler und Kunstmaler folgten dem Aufruf von Jelisaweta Fjodorowna und leisteten karitative Arbeit zugunsten von Frontsoldaten und deren Familien.

Außerdem machte das Komitee Sammelaktionen zur Beschaffung von Geldern für die Versorgung von obdachlosen Kindern in den Heimen sowie für die Beendigung des Baus von Räumlichkeiten für Arbeitsgenossenschaften, die ebenfalls für Kinder bestimmt waren. Mit den Mitteln des Komitees, die seit dessen Gründung bis zum 1. Januar 1916 beschafft werden konnten, wurden die Familien von 75.000 Frontsoldaten unterstützt, in den Heimen lebten 45.000 Soldatenkinder (darunter 30.000 im Krippenalter); besonders Bedürftige erhielten 7,8 Mio. Portionen kostenloses Essen; 25.000 Personen, deren Verwandten an die Front geschickt wurden, bekamen kostenlose bzw. preiswerte Wohnungen und extra Beihilfen; für die Front wurden über 25 Mio. Bekleidungsstücke angefertigt; ca. 89.000 Soldatenfamilien bekamen Brennstoffe kostenlos bzw. zu einem ermäßigten Preis; finanzielle Beihilfen erhielten ca. 341.500 Familien. Die Gesamtzahl von registrierten bedürftigen Soldatenfamilien, welche in der einen oder anderen Form durch Jelisaweta Fjodorowna’s Einrichtungen unterstützt wurden, übersteigt 895.000, wobei die Hilfeanträge von Bedürftigen überwiegend erfüllt wurden.

Mit ihrer Unterstützung entstand Anfang 1915 eine Werkstatt für den Zusammenbau von Prothesen aus Fertigteilen, die größtenteils aus dem Petersburger Werk für militärmedizinische Erzeugnisse kamen. Dort gab es eine extra Prothesenzeche (vor 1914 wurde in Russland diese Branche gar nicht entwickelt). Die Geldmittel für die Ausstattung der Werkstatt wurden durch Spendenaktionen gesammelt. Mit zunehmenden Kriegshandlungen stieg dauernd der Bedarf an der Erzeugung von künstlichen Extremitäten. Man erkannte den sozialen Stellenwert dieser Richtung. 1916 begann unter persönlicher Mitwirkung von Jelisaweta Fjodorowna die Fachplanung und der Bau in Moskau der russlandweit ersten Prothesenfabrik (diese besteht bis heute als Hersteller von Komponenten für Prothesen).

Genauso wie in den Jahren des Japan-Krieges bereitete Jelisaweta Fjodorowna vor und schickte an die Front mobile Feldkirchen. 1914 begann man mit der Schaffung eines Massenfriedhofes bei der Allerheiligen-Kirche in Wsechswjatskoje (heute: ein Stadtbezirk von Moskau), wo nach einem Projekt des Architekten Schtschussew eine Verklärungs-Kirche erbaut wurde.

Im Juni 1915 beschloss das Komitee von Jelisaweta Fjodorowna, 500.000 Rubel für die Erweiterung des Sergij-und-Jelisaweta-Heims für verkrümmelte Frontsoldaten zur Verfügung zu stellen. Dort konnten Verwundete und Kinder von gefallenen Soldaten das Schuster-, Schneider- und Buchbinderhandwerk erlernen.

1915–1917 kursierten in der Gesellschaft grundlose Beschuldigungen der Kaiserin Alexandra Fjodorowna und Jelisaweta Fjodorowna wegen angeblicher Spionage zugunsten Deutschlands. Anlass dazu bot unter anderem karitative Hilfe der Großfürstin für verwundete deutsche und österreichische Kriegsgefangene in russischen Spitalen.

Nach der Februarrevolution hörte die private Wohltätigkeit auf. Am 24. März (6. April) 1917 legte Jelisaweta Fjodorowna ihre Pflichten als Vorsitzende des Komitees zur Erweisung von karitativer Hilfe an die Familien von Personen, die in den Krieg einberufen wurden, nieder.

Im Frühjahr 1917 bot ein Gesandter des Kaisers Wilhelm der Jelisaweta Fjodorowna Hilfe bei der Ausreise ins Ausland, aber sie lehnte ab. 1918 hatte deutscher Botschafter, der Graf Wilhelm von Mirbach-Harff zweimal einen ähnlichen Versuch unternommen, bekam jedoch eine kategorische Absage.

Zu einer wichtigen geistlichen Erfahrung wurde für Jelisaweta Fjodorowna die Teilnahme an der Tätigkeit der Palästina-Gesellschaft (seit 1889– Kaiserliche Orthodoxe Palästina-Gesellschaft, russisch: Императорское Православное Палестинское Общество – IPPO), deren Vorsitzender der Großfürst Sergej Alexandrowitsch gewesen war. In den Jahren 1884–1891 erleichterte ihr die Mitwirkung an dieser Gesellschaft schrittweise Verwurzelung in der Orthodoxie. Nachdem ihr Ehemann ums Leben gekommen war, löste Jelisaweta Fjodorowna ihn als Vorsitzenden der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft ab und bekleidete dieses Amt in der Zeit von 1905 bis 1917. Sie hörte zwar auf die Ratschläge von Vizevorsitzenden, Beratern und Sekretären der Gesellschaft, entscheid jedoch die grundsätzlichen Fragen selber, darunter auch die Besetzung der wichtigsten Ämter in der Palästina-Gesellschaft. (Beispielsweise bei der Ernennung eines Nachfolgers für den 1906 verstorbenen Beljajew stellte Jelisaweta Fjodorowna eine obligatorische Bedingung: Das Amt des Sekretärs der Gesellschaft durfte nur ein Mensch innehaben, der den Interessen der Russischen Palästina treu ergeben ist, deren Geschichte und Probleme kennt sowie bereit ist, sich voll und ganz der Arbeit in der Gesellschaft zu widmen. Als Ergebnis wählte sie den Byzanzhistoriker und Liturgiker, Professor der Kiewer Geistlicher Akademie Alexej Afanassjewitsch Dmitriewski und hatte sich nicht geirrt.) Wegen der Geschehnisse des Russisch-Japanischen Krieges und der Revolution 1905–1907 schrumpften die Einnahmen der Gesellschaft aus der jährlichen gesamtkirchlichen Palmsonntag-Sammelaktion sowie aus den Privatspenden. Die finanziellen Probleme der Gesellschaft waren so akut, dass Vorschläge kamen, die IPPO-Schulen in Syrien zu schließen. Als Antwort auf diese Bedenken erklärte Jelisaweta Fjodorowna ihre Bereitschaft, der Gesellschaft unter die Arme zu greifen. Dem Schulennetzwerk galt überhaupt ihr besonderes Augenmerk. 1907 wurde in Sankt Petersburg und Jerusalem das 25jährige IPPO-Jubiläum gefeiert und eine Arbeitsbilanz des zurückliegenden Vierteljahrhunderts gezogen: „Die Orthodoxe Palästina-Gesellschaft hat nunmehr in Palästina Besitztümer mit einem Wert von knapp zwei Millionen Rubeln, darunter 8 Metochione, wo bis zu 10.000 Pilger Obdach finden können, ein Krankenhaus, sechs Heilstätten für Tagespatienten und 101 Bildungseinrichtungen mit 10.400 Schülern; innerhalb von 25 Jahren wurden 347 Editionen zur Palästina-Kunde herausgegeben“. Nach der Eröffnung des Marfa-und-Maria-Klosters widmete Jelisaweta Fjodorowna fast die ganze Zeit und Kraft dem Kloster und dennoch löste sie nach wie vor die wichtigsten Probleme der von ihr geleiteten Palästina-Gesellschaft und erfüllte sämtliche Pflichten, die mit dem Amt verbunden waren. Erst nach der Revolution am 24. März (6. April) 1917 legte sie ihren Vorsitz nieder, um in der neuen Situation der weiteren Tätigkeit der Gesellschaft in keiner Weise zu schaden (zu dieser Zeit war es keine Kaiserliche Gesellschaft mehr).

Nach Niederlegung offizieller Pflichten als Leiterin verschiedener Wohltätigkeitsvereine leistete Jelisaweta Fjodorowna bis Frühjahr 1918 weiterhin selbstlose Arbeit im Marfa-und-Maria-Barmherzigkeitskloster. Am 24. April (7. Mai) 1918 wurde sie auf persönliche Anweisung von Felix Dserschinski verhaftet. Der Patriarch Tichon bemühte sich um deren Freilassung, aber vergebens: Sie wurde inhaftiert und aus Moskau in den Ural deportiert. Die Klosterschwestern Warwara Jakowlewa und Jekaterina Janyschewa durften mit ihr mitfahren. aber keine persönlichen Sachen mitnehmen. Am 6. (19.) Mai 1918 wurde Jelisaweta Fjodorowna auf Beschluss des Jekaterinburger Sowjets zusammen mit mehreren Großfürsten in die Stadt Alapajewsk, Ujesd (Kreis) Werchoturski, Gouvernement Perm abgeschoben.  

Am 5. (18.) Juli 1918 wurden die Häftlinge nachts in Richtung auf das Dorf Sinjatschicha in einem Wald zu einer stillgelegten Nowoselimskaja-Grube gebracht. Jelisaweta Fjodorowna, die Nonnen Warwara, die Großfürsten, der Fürst Wladimir Palej und Fjodor Semjonowitsch Remes wurden bei lebendigem Leibe in die Grube geworfen. Danach wurde die Grube mit Granaten gesprengt, mit Baustämmen zugedeckt und mit Erde verschüttet.  

Am 28. September 1918 wurde Alapajewsk durch die Weiße Sibirische Armee eingenommen. Am 11. Oktober wurden die Leichen von Jelisaweta Fjodorowna und anderen Hingerichteten aus der Grube rausgeholt. Die ursprüngliche Beisetzung fand am 19. Oktober 1918 in der Trinitats-Kathedrale der Stadt Alapajewsk statt. Nach dem Rückzug der Weißen Armee aus Russland im Jahr 1920 wurden die Särge mit den Leichen von Jelisaweta Fjodorowna und der Schwester Warwara über Tschita, China, Ägypten und den Suezkanal nach Jerusalem gebracht. Am 28. Januar 1921 wurden die vom Igumen Seraphim (Kusnezow) begleiteten sterblichen Überreste in Jerusalem feierlich empfangen. Am 30. Januar 1921 hielt der Patriarch von Jerusalem Damian eine Totenmesse und setzte die sterbenden Überreste von Jelisaweta Fjodorowna und der Nonne Barbara in der Krypta der russischen Kirche zu apostelgleicher Maria Magdalena am Fuße des Ölberges.

1992 wurde vom Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche die als Märtyrerin gestorbene Großfürstin Jelisaweta heiliggesprochen sowie deren Sterbetag 5. (18.) Juli zu einem Feiertag erklärt.

Laut neulich veröffentlichen Angaben war Jelisaweta Fjodorowna Anhängerin von harten und entschlossenen Maßnahmen gegen Freidenkertum insgesamt und gegen den revolutionären Terrorismus insbesondere. Sie meinte, dass man verhindern sollte, dass die Terroristen zu Helden gemacht werden, „damit ihnen die Lust vergeht, ihr Leben zu riskieren und solche Verbrechen zu begehen“. Als jedoch am 4. (17.) Februar 1905 ihr Ehemann vom Terroristen Iwan Kaljaew getötet wurde, die Großfürstin verzieh den Mörder, besuchte ihn im Gefängnis und ermahnte Buße zu tun, gab ihm Vergebung im Namen von Sergej Alexandrowitsch und schenkte ein Evangelium. Mehr noch: Jelisaweta Fjodorowna reichte beim Kaiser Nikolaus II. eine Bittschrift für die Begnadigung von Kaljaew ein, dieser wurde jedoch nicht stattgegeben.

Jelisaweta Fjodorowna beurteilte Grigori Rasputin ausgesprochen negativ, obwohl sie ihn kein einziges Mal getroffen hatte. In ihren Briefen an den Kaiser Nikolaus II. vermerkte sie, dass Rasputin „in geistlicher Anmut“ verweile; wegen Meinungsverschiedenheiten bei der Einschätzung von Rasputin hatte sich das Verhältnis zwischen Jelisaweta Fjodorowna und ihrer Schwester Kaiserin Alexandra Fjodorowna stark getrübt. Den Mord an Rasputin sah Jelisaweta Fjodorowna als „patriotischen Akt“.

Sergej Alexandrowitsch und Jelisaweta Fjodorowna hatten keine leiblichen Kinder, erzogen jedoch ihre Neffen – die Kinder des Großfürsten Pawel Alexandrowitsch: Maria (1890–1958) und Dmitri (1891–1942), deren Mutter gestorben war und der Vater nach ihrem Tod eine morganatische Ehe geschlossen hatte und gezwungen war, längere Zeit im Ausland zu leben.

Literatur

Archive

Autoren: Bolotina D. I.

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