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Cancrin Jegor Franzewitsch // von (1774–1845). Graf, Infanteriegeneral, Finanzminister, Mitglied des Staatsrates, Ehrenmitglied der zaristischen AdW

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)
Graf Georg von Cancrin. Porträt von Georg von Bothmann (um 1873).

CANCRIN, Jegor Franzewitsch (Georg Ludwig Daniel Graf Cancrin), * 15. (26.) November 1774 in Hanau (Kurhessen), † 10. September 1845 in Pawlowsk (Gouvernement St. Petersburg). Staatsmann, Graf (ab 1829), General der Infanterie (1828), Senator (1823) und Ehrenmitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften (1824).

Cancrin entstammte einer hessen-kasseler Adelsfamilie und war Sohn des Verwalters der Salinen von Staraja Russa Franz Ludwigowitsch Cancrin (1738–1816), der 1783 die russische Staatsangehörigkeit annahm. In den Jahren 1790-94 studierte Cancrin Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Gießen und Magdeburg. Nach Abschluss seines Studiums und Erlangung der Doktorwürde der Rechtswissenschaften trat er 1794 als Regierungsrat in anhalt-bernburgischen Dienst. 1797 zog er nach Russland, wo er seinem Vater von Januar 1800 an bei der Verwaltung der Salinen assistierte. Bald darauf wurde (nachdem er eine die Optimierung der Schafzucht betreffende Notiz vorgelegt hatte) Graf I.A. Osterman auf ihn aufmerksam, auf dessen Fürsprache er im November 1803 zum Berater der Abteilung für Salzgewinnung des Innenministeriums ernannt wurde. Er beteiligte sich an der Erkundung der im Gouvernement Orenburg gelegenen Salzvorkommen sowie an der Organisation der Hungerhilfe (1804). Im August 1809 wurde er Inspekteur der im Gouvernement Petersburg gelegenen ausländischen Kolonien.

In den Jahren 1809-10 veröffentlichte er mehrere in deutscher Sprache verfasste Arbeiten, darunter „Fragmente über die Kriegskunst nach militärischer Philosophie" (1809; 2. Aufl. 1815) und „Die Verpflegung der Truppen“, die große Aufmerksamkeit auf sich zogen. Im Februar 1811 wurde er zum Adjutanten des Generalproviantmeisters befördert. Während des Napoleonischen Russlandfeldzugs von 1812 wurde er zum Generalintendanten zunächst der 1. Westarmee und von April 1813 an aller aktiven Armeen ernannt. Er war Teilnehmer am Sechsten Koalitionskrieg von 1813-14.

Bei den die sogenannten Montierungsentschädigungen betreffenden Verhandlungen [Vergütung der für den Unterhalt der Armee aufgewendeten Mittel an die Verbündeten] konnte Cancrin die zu zahlende Summe deutlich drücken. 1815 veröffentlichte er einen seine Tätigkeit während des Krieges betreffenden Bericht. Im gleichen Jahr wurde er Generalintendant beim Hauptquartier der 1. Armee in Schklow bei Mogiljow. In den Jahren 1820-23 veröffentlichte er die in deutscher Sprache verfasste Arbeit "Über die Militärökonomie im Frieden und im Krieg" (Teil 1-3). 1818 legte er auf Weisung Alexanders I. einen der Bauernbefreiung gewidmeten Bericht vor (veröffentlicht in: Russisches Archiv, 1865, Nr. 11-12), in dem er Pläne einer schrittweisen Abschaffung der Leibeigenschaft innerhalb von 30 Jahren darlegte. Von April 1820 an war er Mitglied des Militärischen Rats und von Oktober 1821 an Mitglied des Reichsrats. Fast zeitgleich erschien sein volkswirtschaftliches Werk „Weltreichtum, Nationalreichtum und Staatswirtschaft“.

Am 22. April 1823 wurde Cancrin zum Finanzminister ernannt. Parallel war er vom 9. April 1834 an Hauptverwalter des Bergingenieurskorps und vom 26. Januar 1834 an Vorsitzender des Bergrats. Er befürwortete die Protektion der heimischen Industrie, war aber zugleich bestrebt, europäisches Kapital und europäische Geschäftsleute nach Russland locken. Dank einer effektiven Gestaltung der Zolltarife (die in den Jahren 1823, 1826, 1831, 1834, 1836 und 1843 jeweils revidiert wurden) gelang ihm der allmähliche Übergang von einer Prohibitiv- zu einer Protektionspolitik.

Er sprach sich dagegen aus, einzelne Unternehmen aus der Staatskasse zu subventionieren, und führte die Regel ein, dass entsprechende Zahlungen seiner ausdrücklichen Zustimmung bedurften. Cancrin war auch dagegen, den Eisenbahnbau privaten Aktiengesellschaften zu überlassen, da dies Kapital aus anderen Bereichen der Volkswirtschaft abziehen, für eine Überhitzung der Börsen und letztlich zum massenhaften Ruin von Anlegern führen könne. Mit Blick auf die große Bedeutung der Eisenbahn für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung trat er dafür ein, deren Bau in den Händen des Staates zu halten, und erreichte 1842/43 den Erhalt eines ausländischen Darlehens für den Bau der Petersburg-Moskauer Eisenbahn.

Im Dezember 1829 initiierte er eine (von 1830 an geltende) Zinssenkung für Einlagen bei den staatlichen Kreditanstalten (von 5% auf 4%) und Anleihen (von 6% auf 5%). Er legte die Basis für ein System staatlicher Sparkassen (die 1842 bei den Petersburger und Moskauer Depositenkasse gegründet wurden und Einlagen in Höhe von 50 Kopeken bis 750 Rubel annahmen) und förderte die Gründung der ersten Versicherungsgesellschaften (Feuerversicherung 1827, Lebensversicherung 1835). Auf Weisung Cancrins eröffnete die Staatsbank Kontore in Kiew (1839), Rybinsk (1841) und Charkow (1843).

Große Aufmerksamkeit schenkte Cancrin der Förderung des Handels. Er senkte die Salzsteuer, schaffte die Gebühren für die Binnenschifffahrt ab (1823), senkte die Handelszölle (1826), erließ Gesetze zur Regulierung der Handelsschifffahrt, des Wechselrechts und der Geschäftsinsolvenz (beide 1832) sowie die Statuten der Petersburger (1832), Moskauer (1837) und Rybinsker (1842) Börsenkomitees, erließ Regeln für die Führung der Geschäftsbücher (1834) und führte einheitliche Normen für Maße und Gewichte ein (1842). 1824 führte er eine Reform der Gilden durch, durch die die Rechte in- und ausländischer Kaufleute geregelt wurden und die Bauern das Recht erhielten, unternehmerisch tätig zu werden. Innerhalb des Departements für Manufakturen und Binnenhandel wurde ein Manufaktur- (1828) und ein Kommerzrat (1829) eingerichtet.

Auf Initiative Cancrins wurden Maßnahmen zur Reduzierung der Steuerrückstände ergriffen, Vergünstigungen bei der Zahlung von Steuern eingeführt (1826, 1827 und 1832) und fast 50% aller ausstehenden Abgaben erlassen. Während seiner Amtszeit als Finanzminister stieg das Steueraufkommen an direkten Steuern um 10 Millionen Silberrubel. Zur Beseitigung des Haushaltsdefizits, das nicht zuletzt durch die hohen Kosten des Russisch-Türkischen Kriegs (1828-29), des Russisch-Persischen Kriegs (1826-28) und der Niederschlagung des Polnischen Aufstands (1830-31) entstanden war, stellte er das System der Branntweinpacht wieder her (1827), führte eine Kopfsteuer für Ausländer (1830), Straßennutzungsgebühren (1834), Tabaksteuern (1838) sowie eine Steuer auf ausländische Pässe (1840) ein, erhöhte die Stempelgebühren (1841) und nutzte die Mittel der Staatsbanken sowie ausländische Darlehen (1828-29, 1831, 1832, 1840, 1843) in Höhe von 92,2 Mio. Rubeln (zu einem Zinssatz von 5,42%). 1831 ließ er Schatzanweisungen der Staatskasse mit einem Nennwert von 250 Papierrubeln ausgeben, die ihren Besitzern 4% Zinsen pro Jahr brachten. Nichtsdestotrotz betrug das Defizit nach Cancrins insgesamt 20-jähriger Amtszeit als Finanzminister 160,6 Mio. Silberrubel, was einem Anwachsen der Staatsschulden um 116,39% entsprach. Zugleich bewahrte Cancrin ein positives Handels- und Rechnungssaldo, wodurch sich der Kurs des Rubel stabil halten ließ.

In den Jahren 1839-43 fand unter Cancrins Führung eine Währungsreform statt, in deren Verlauf in Russland der Silberstandard eingeführt und Papiergeld zu einem ergänzenden Zahlungsmittel wurde, das zu einem bestimmten Kurs getauscht wurde (1 Silberrubel gegen 3,5 Papierrubel). Alle Geschäfte mit dem Staat oder mit Privatpersonen wurden ebenso wie alle Staatseinnahmen und -ausgaben sowie die Bilanzen der Kreditanstalten in Silberrubel berechnet.

Große Aufmerksamkeit schenkte Cancrin der Förderung von Wissenschaft, Technik und Bildung. So wurden unter seiner unmittelbaren Beteiligung das Gelehrtenkomitee beim Departement für Berg- und Salzangelegenheiten eingerichtet (1825), das Patentrecht verabschiedet („Gesetz über Privilegien für Erfindungen“, 1833) sowie das Petersburger Technologische Institut (1828), das Höhere Kaufmanns-Pensionat in Petersburg (1839), die Seefahrtsschulen in Petersburg (1829) und Cherson (1834) sowie Kapitänskurse in Archangelsk und Kemi (1841) gegründet und die Industrieausstellungen in Petersburg (1829) und Moskau (1831) durchgeführt. Auf Initiative Cancrins erschienen zudem zahlreiche staatlich finanzierte Presseerzeugnisse wie das „Bergbau-Journal“, das „Journal für Manufakturen und Handel“, die „Kommerz-Zeitung“ (alle ab 1825), das „Forstwirtschaftliche Journal“ (ab 1833), die „Landwirtschafts-Zeitung“ (ab 1834), die „Manufaktur- und Bergbaunachrichten“ (ab 1839) und das Journal „Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland» (ab 1841).

1839 erkrankte Cancrin schwer und verbrachte in den Jahren 1840, 1841 und 1843 aus gesundheitlichen Gründen jeweils 5-6 Monate im Ausland. Am 1. Mai 1844 schied er aus dem Dienst und blieb lediglich Mitglied des Staatsrats. Cancrin ist auf dem Smolensker Lutherischen Friedhof in St. Petersburg begraben.

Cancrin wurde mit mit allen russischen Orden bis einschließlich des Ordens des Heiligen Andreas des Erstberufenen (1832, Diamantbesatz – 1834) ausgezeichnet. Im Einzelnen wurden ihm der Orden des Hl. Wladimir 1. Stufe (1826), der Orden des Hl. Alexander Newski (1824, Brillant-Zeichen - 1829), der Weißadlerorden (1828), der Orden der Hl. Anna 1. Stufe (1813) sowie das Ehrenabzeichen für 40 Jahre makellosen Dienst (1841) verliehen.

1816 heiratete Cancrin Jekaterina Zacharowna, geb. Murawjowa (*15.10.1795, † 10.09.1849), Tochter eines Wirklichen Staatsrats.

Veröffentlichungen

Fragmente über die Kriegskunst nach militärischer Philosophie. Petersburg, 1809; Essai sur l'histoire de l'économie politique des peuples modernes. jusqu'au commencement de l'année 1817. Paris, 1818; Über die Militärökonomie im Frieden und im Krieg. 3 Bde. Petersburg, 1822–1823; Die Ökonomie der menschlichen Gesellschaften. Petersburg, 1845; Reisetagebücher 1840–1845. 2 Bde. 1865; Im Ural und Altai, Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Graf Georg von Cancrin. Leipzig, 1869.

Literatur

Алексеев М.Ю., Пачкалов А.В. Министры финансов: От Российской империи до наших дней. М., 2019; Божерянов И.Н. Граф Е.Ф. Канкрин, его жизнь, литературные труды и двадцатилетняя деятельность управляющим Министерства финансов. СПб., 1897; Граф Канкрин и его очерки политической экономики и финансов. СПб., 1894; Лебедев В.А. Граф Е.Ф. Канкрин. Очерк жизни и деятельности. СПб., 1896; Сементковский Р.И. Е.Ф. Канкрин. Его жизнь и деятельность. СПб., 1893; Шилов Д.Н. Государственные деятели Российской империи 1802–1917. СПб, 2001; Шипов А.П. Очерк жизни и государственной деятельности графа Канкрина. СПб., 1864; Шипов Е.А. Е.Ф. Канкрин. СПб., 1866; Юровский В.Е. Министр финансов Е.Ф. Канкрин // Вопросы истории. 2000. № 1.

Autoren: Salesskij K.

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