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KLEMENZ Dmitrij Alexandrowitsch (1848–1914), Revolutionär-Volkstümler, Politiker, Publizist, Reisender, Ethnograph, Archäologe, Museologe

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

KLEMENTZ, Dmitri Alexandrowitsch, * 15. Dezember 1848 im Dorf Gorjainowka (Bezirk Nikolajewsk, Gouvernement Samara), † 8. Januar 1914 in Moskau. Revolutionär-Narodnik, Person des öffentlichen Lebens, Publizist, Forschungsreisender, Ethnologe, Archäologe, Museumsgründer. Staatsrat (1909).

Sohn eines aus dem Gouvernement Kurland stammenden deutschen Gutsverwalters und einer aus dem Kleinadel stammenden Deutschen. Nach Abschluss des 1. Knabengymnasiums in Kasan (1866) studierte Klementz an der Physikalisch-Mathematischen Fakultät zunächst der Universität Kasan (1867) und dann der Universität St. Petersburg (ab 1869). 1871 verließ er die Universität (1872 erhielt er eine Bescheinigung, ein volles Studienjahr absolviert zu haben). Von Januar 1871 an gehörte er dem revolutionären Zirkel um M.A. Natanson und W.M. Alexandrow an. Von August 1871 an war er Mitglied der Petersburger Gruppe der Großen Propagandagesellschaft (Tschaikowski-Zirkel) und Mitglied des Literaturkomitees der Gesellschaft. Klementz verfasste die revolutionären Agitationsgedichte „Die Barke“ (zusammen mit S.S. Sinegub), „Der Gedanke des Schmieds“ und „Als ich russischer Zar war“, Lieder und Märchen sowie den satirischen „Brief an den Grafen D.A. Tolstoi“, der bis 1970 M.E. Saltykow-Schtschedrin zugeschrieben wurde und sogar in dessen Gesammelte Werke einging. Zudem war er an der Überarbeitung der „Histoire d'un paysan“ [„Geschichte eines Bauern“] von Émile Erckmann und Alexandre Chatrian beteiligt. In den Jahren 1872–73 betrieb er unter den Petersburger Arbeitern revolutionäre Propaganda. Am 11. August 1873 organisierte er die Flucht A.N. de Theyls aus der Verbannung in Olonez. Er war einer der Initiatoren und Organisatoren des massenhaften „Gangs ins Volk“. Im Mai-Juni 1874 zog er durch die in den Gouvernements Orjol, Simbirsk, Samara und Saratow gelegenen Dörfer, um unter den Bauern Propaganda zu betreiben. Anschließend agitierte er unter den in den Gouvernements Moskau und Jaroslaw ansässigen Bauern.

Im Herbst 1874 emigrierte Klementz über Deutschland nach Frankreich. Er hörte Vorlesungen an den Universitäten Berlin und Paris, schrieb für die im Ausland erscheinenden revolutionären Narodniki-Publikationen „Vorwärts“ und „Arbeiter“ und war einer der Redakteure der Zeitschrift „Kommune“, in der er den programmatischen Artikel „Selbst schuld!“ veröffentlichte (1878, Nr. 6–7). Er arbeitete im Zoologischen Garten der Sorbonne und studierte die Sammlungen der Museen. 1875 unternahm er zwei illegale Reisen nach Russland und versuchte (erfolglos), die Flucht des nach Wiljuisk verbannten N.G. Tschernyschewski zu organisieren. Von Herbst 1876 an nahm er als Freiwilliger am gegen die türkischen Herrschaft gerichteten Bosnisch-Herzegowinischen Aufstand von 1875-78 teil.

Nach seiner im August 1878 erfolgten Rückkehr nach Russland trat er der Organisation „Land und Freiheit“ bei, gehörte zu deren Führung und war Redakteur des gleichnamigen Presseorgans. In den Dokumenten der Politischen Polizei (3. Abteilung der Kanzlei des Zaren) figurierte er 1878 als „einer der Hauptagitatoren“ und „sozialistischer Hasardeur“. Zugleich schrieb er unter Pseudonym oder anonym für die legalen Zeitschriften „Vaterländische Aufzeichnungen“, „Das Wort“, „Die Tat“ und „Wissen“.

1879 wurde er aufgrund einer Denunziation des Polizeispitzels N.W. Reinstein verhaftet und nach 18 Monaten Haft in der Peter-und-Paul-Festung im September 1881 für fünf Jahre nach Ostsibirien verbannt. Er arbeitete am Heimatmuseum in Minussinsk, in dessen Auftrag er in den Jahren 1883–90 alljährlich archäologische und ethnologische Expeditionen in die schwer zugänglichen und kaum erforschten Gebiete Ostsibiriens unternahm, in deren Verlauf er umfangreiches Material zur Archäologie, Ethnographie und Anthropologie der Völker Sibiriens zusammentrug. Von 1886 an lebte er in Tomsk, wo er für die „Sibirische Zeitung“ unter anderem eine Fragen der Erschließung Südsibiriens gewidmete Serie von Artikeln schrieb. Nach der Schließung der Zeitung zog er 1889 nach Irkutsk, wo er als Autor und Redakteur der Zeitung „Östliche Umschau“ tätig war. In den Jahren 1891–94 war er faktisch Leiter der Ostsibirischen Abteilung der Russischen Geographischen Gesellschaft in Irkutsk und Kustos von deren Museum. 1891 nahm er an der von Friedrich Wilhelm Radloff geführten Orchon-Expedition der Petersburger Akademie der Wissenschaften in die Mongolei teil. In den Jahren 1894–96 war Klementz faktisch Organisator der ethnographischen und archäologischen sogenannten Jakutischen (Sibirischen) Expedition und leistete einen maßgeblichen Beitrag sowohl zur Entwicklung der sibirischen Regionalkunde als auch zur Gründung einer Reihe von Museen (so z.B. in Kjachta).

Nach seiner im Jahr 1897 erfolgten Rückkehr nach St. Petersburg arbeitete er im Museum für Anthropologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften (von 1898 an als Chefethnologe) und schrieb für die Zeitschrift „Russischer Reichtum“. Von 1902 an leitete er die nach seinen eigenen Konzepten eingerichtete ethnographische Abteilung des Russischen Museums. 1898 unternahm er eine wissenschaftliche Expedition nach Turfan (Ostturkestan), wo er eine zuvor nicht bekannte antike Kultur entdeckte und eine Sammlung einzigartiger Schriftdenkmäler und Kultur-, Kunst- und Alltagsgegenstände zusammentrug. Nach der Veröffentlichung seines Buches „Turfan und seine Altertümer“ (St. Petersburg, 1899, in deutscher Sprache) wurde die Internationale Gesellschaft zur Erforschung Zentralasiens gegründet, deren deutsche Mitglieder mehrere auf seinen Entdeckungen basierende Turfan-Expeditionen ausrüsteten. Klementz selbst konnte seine Suche aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung nicht fortsetzen.

1909 trat Klementz im Rang eines Staatsrats in Ruhestand und zog nach Moskau.

Klementz war Mitglied der Moskauer Archäologischen Gesellschaft (ab 1877) und der Ostsibirischen Zweigstelle der Russischen Geographischen Gesellschaft (ab 1890). Nach der Revolution von 1905–07 war er zusammen mit Wladimir Korolenko, Maxim Gorki, Ilja Repin und anderen Mitglied des Schlüsselburger Hilfskomitees für frühere Gefangene der Festung Schlüsselburg. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete er an seinen Erinnerungen, die in den Jahren 1910–11 in der Zeitung „Russische Nachrichten“ sowie später unter dem Titel „Aus der Vergangenheit“ in Buchform erschienen (Leningrad 1925). Klementz starb am Tag der Beerdigung seiner Ehefrau Jelisaweta Nikolajewna Klementz, geb. Swerewa, und ist auf dem Wagankowoer Friedhof in Moskau begraben.

Klementz Bruder Grigori Alexandrowitsch (1846–1932) war nach Abschluss seines Studiums an der Petersburger Universität als Friedensrichter im Dorf Jekaterinowka (Gouvernement Samara) tätig und wurde 1879 im Zusammenhang mit einem von den Narodniki verübten Attentat auf Zar Alexander II. verhaftet.

Veröffentlichungen

Древности Минусинского музея, Томск, 1886; Население Сибири, в сб.: Сибирь, ее современное состояние и нужды, СПБ, 1908; Вольная русская поэзия XVIII–XIX вв., т. 2, Л., 1988, с. 181–186,192,586–587.

Literatur

Известия Восточно-Сибирского отдела РГО, т. 45 (список трудов Клеменца с 1884 по 1910), 1916. Посвящается памяти Д.А. Клеменца, Иркутск, 1917; Попов И.И., Д.А. Клеменц. Биографический очерк, Иркутск, 1917; Дейч Л.С, Д.А. Клеменц, Пг., 1921; Левин Ш.М., Д.А. Клеменц, М., 1929; Дубенская Е.Д., Д.А. Клеменц, «Каторга и ссылка», 1930, № 5; Бессонов Б.Л., Не Щедрин, а Д.А. Клеменц, «Русская литература», 1970, № 1; Гольдфарб С.И., Д.А. Клеменц – революционер, ученый, публицист, Иркутск, 1986; Федорова В.И., Революционный народник, ученый и просветитель Д.А. Клеменц, Красноярск, 1988; Троицкий H.A., Первые из блестящей плеяды, Саратов, 1991 (ук.). * Брокгауз и Ефрон; ОИ; СИЭ. 

Autoren: Troickij N.

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