PLEHWE, Wjatscheslaw Konstantinowitsch von, * 8. (20.) April 1846 in Meschtschowsk (Gouvernement Kaluga), † 15. (28.) Juli 1904 in St. Petersburg. Staatsmann, Staatssekretär (1896), Wirklicher Geheimrat (1899).
Plehwe entstammte einer russifizierten deutschen Adelsfamilie und war der Sohn des Staatsrats Konstantin Konstantinowitsch Plehwe (1810-1901) und der Lehrerin Jelisaweta Michailowna Schamajewa (1818-1893). Nach Abschluss des Nikolai-Gymnasiums in Kaluga mit einer Goldenen Medaille (1863) studierte er an der Juristischen Fakultät der Moskauer Universität, die er 1867 als Kandidat der Rechtswissenschaft abschloss.
Seinen Dienst trat er am 16. August 1867 als Kandidat für einen Posten bei der Staatsanwaltschaft des Moskauer Bezirksgerichts im Rang eines Kollegiensekretärs an. Im Mai 1868 wurde er Sekretär des Bezirksgerichts Wladimir, im Juli 1870 Stellvertretender Staatsanwalt des Bezirksgerichts Tula, im September 1873 Gouvernements-Staatsanwalt in Wologda, im Februar 1874 Staatsanwalt des Bezirksgerichts Wologda und im Juni 1876 Stellvertretender Staatsanwalt der Warschauer Gerichtskammer. 1879 führte er eine Revision der Kiewer Staatsanwaltschaft durch. Im Juli 1879 wurde er zunächst kommissarisch zum Staatsanwalt der Petersburger Gerichtskammer ernannt und im April 1880 auf diesem Posten bestätigt. Nach der Ermordung Alexanders II. führte Plehwe im April 1881 als Staatsanwalt im für die Aufklärung des Attentats und die Verfolgung von Staatsverbrechen zuständigen Sondertribunal des Regierenden Senats die Ermittlungen.
Am 15. April 1881 wurde Plehwe Direktor des Departements der Staatspolizei des Innenministeriums und gehörte parallel der im Mai eingerichteten Kommission für die Ausarbeitung von Staatsschutzgesetzen an. Innerhalb kürzester Zeit leitete er eine Reihe entschiedener Maßnahmen zur Aufspürung und Verhaftung von Terroristen und deren Helfern ein (Einschleusung oder Anwerbung von Agenten in den revolutionären Organisationen, Einsatz von Provokateuren), wodurch sich die revolutionäre Geheimorganisation „Narodnaja Wolja“ [„Volkswille“ bzw. „Volksfreiheit“] bis Sommer 1882 nahezu vollständig zerschlagen ließ und ihre zentralen Organe praktisch zu bestehen aufhörten. Am 20. Juli 1884 wurde Plehwe als Senator des Ersten Departements in den Regierenden Senat berufen und am 11. Januar 1885 zum Stellvertretenden Innenminister ernannt. In den Jahren 1892 und 1893 übernahm er während der jeweils von August bis Oktober währenden Abwesenheit des Innenministers D.A. Tolstoi die Leitung des Ministeriums. Plehwe gehörte zahlreichen Kommissionen an, die u.a. die verschiedenen Stände, die nationalen Minderheiten oder die Semtwo-Organe betreffende Gesetzentwürfe ausarbeiteten.
Vom 1. Januar 1894 bis zum 4. April 1902 war Plehwe Chef der Staatskanzlei, die er wie auch das Departement für Gesetzgebung des Staatsrats neu strukturierte.
Am 17. August 1899 wurde Plehwe zunächst kommissarisch zum Ministerstaatssekretär des Großfürstentums Finnland ernannt und am 1. Januar 1900 auf diesem Posten bestätigt, den er bis zu seinem Tod ausübte. Als konsequenter Verfechter der Russifizierung Finnlands war er aktiv an der Ausarbeitung und Verabschiedung des neuen Wehrpflicht-Gesetzes für Finnland beteiligt, dem zufolge die finnischen Schützenbataillone und später auch das finnische Kriegskommissariat, die Miliz-Expedition des Finnischen Senats sowie das finnische Kadettenkorps aufgelöst wurden (Juni 1903). In Plehwes Amtszeit fiel zudem das Sprach-Manifest vom 7. Juni 1900, aufgrund dessen die russische Sprache in einigen Ämtern des Großfürstentums Finnland als offizielle Amtssprache eingeführt wurde, sowie die Verordnung vom 19. Juni 1902, die den Gebrauch der russischen Sprache in allen offiziellen Dokumenten der finnischen Regierung verpflichtend machte.
Nach der Ermordung D.S. Sipjagins durch Terroristen folgte Plehwe diesem am 4. April 1902 im Amt des Innenministers und Chefs des Gendarmenkorps. Nach seinem Dienstantritt intensivierte er den gegen die Semstwos und die revolutionäre Bewegung gerichteten Kampf. So suchte er eigens das Gouvernement Poltawa auf, um die Niederschlagung eines dort ausgebrochenen Aufstands persönlich zu leiten, setzte sich allerdings für eine milde Bestrafung der verhafteten Anstifter der durch eine Missernte ausgelösten Unruhen ein, da diese keine politischen Forderungen erhoben hatten.
In den Jahren 1902-03 führte Plehwe weitreichende Reformen des Sicherheitsapparats durch, in deren Verlauf die Zuständigkeiten zwischen Gendarmerie und Kriminalpolizei voneinander abgegrenzt wurden (Verordnung vom 12. August 1902), in den großen Städten (Wilnius, Kiew, Odessa, Charkow u.a.) bis Februar 1903 vierzehn Kriminalabteilungen gegründet wurden und die Landpolizei durch Polizeibehörden auf Bezirksebene ersetzt wurde. Plehwe gelang es, die Konkurrenz zwischen den Staatssicherheitsorganen und den örtlichen Gendarmenverwaltungen zu überwinden und die Rolle des Departements der Polizei und insbesondere der Sonderabteilung bei der Bekämpfung des Terrorismus erheblich zu stärken.
Von besonderer Dringlichkeit waren nach Einschätzung Plehwes die Arbeiter- und die Agrarfrage. Bei der Ausarbeitung der Agrarpolitik stützte sich Plehwe vor allem auf die bereits bestehende Kommission zur Prüfung der die Bauern betreffenden Gesetze, die unter seiner Führung erheblich aktiver auftrat und in Konkurrenz zu der von Sergei Witte geführten Sondersitzung für die Bedürfnisse der Agrarindustrie trat, die laut Plehwe zur Destabilisierung der Gesellschaft beitrug, weswegen er die Tätigkeit ihrer örtlichen Komitees einschränkte und das Woronescher Bezirkskomitee im November 1902 schloss. Plehwe ergriff harte Maßnahmen gegen politisch aktive Semstwos und wandte sich auch gegen die Durchführung überregionaler Semstwo-Konferenzen. Bei einer 1903 von Plehwe initiierten Prüfung der in den Gouvernements Moskau, Wjatka, Kursk und Twer bestehenden Semstwo-Institutionen kamen zahlreiche gravierende Verstöße ans Licht, woraufhin sich fast die Hälfte der Abgeordneten wegen Veruntreuungen vor Gericht verantworten musste. Gleichzeitig stärkte Plehwe die Rolle der Gouverneure, denen deutlich mehr Macht eingeräumt wurde. Der schärferen Kontrolle über die Semstwos diente auch die im Jahr 1904 erfolgte Gründung der Hauptverwaltung bzw. des Rats für Fragen der örtlichen Wirtschaft innerhalb des Innenministeriums.
Für die Arbeit der Kommission zur Prüfung der die Bauern betreffenden Gesetze zog Plehwe zahlreiche Spezialisten vor Ort sowie ausgewiesene Spezialisten wie W.I. Gurko, A.I. Lykoschin und andere heran.
Das Hauptziel der geplanten Reform bestand darin, einerseits die bäuerliche Dorfgemeinschaft [Obschtschina] für die große Masse der Bauern zu bewahren (da diese den Bauern eine gewisse Absicherung gegen den wirtschaftlichen Ruin bot), andererseits aber sowohl den ärmsten als auch den wohlhabenderen Bauern den Austritt aus der Gemeinschaft zu erleichtern (wobei letztere ihre Landstücke nicht der Gemeinschaft überlassen mussten). Ferner setzte sich Plehwe für ein Programm der Unterstützung der Getreideproduzenten ein, das auch den Bau eines Netzes von Getreidesilos einschloss. Plehwe betrieb eine aktive Übersiedlungspolitik und förderte durch die Gewährung weitreichender Privilegien die Übersiedlung in von der Regierung bestimmte Regionen (6. Juni 1904). Auch das Verbot eigenmächtiger Umsiedlungen wurde aufgehoben.
In der Arbeiterfrage nahm Plehwe eine paternalistische Position ein, indem er die Forderungen der Arbeiter partiell erfüllte und vom Innenministerium kontrollierte Arbeitervereinigungen organisierte, die keine politischen Ziele verfolgten (eine Politik, die abgeleitet von dem Namen des Chefs der Sonderabteilung des Departements der Polizei S.W. Subatow als „Subatowschtschina“ bezeichnet wurde). Auch wenn sich der Protest auf diese Weise vorübergehend kanalisieren ließ, gelang es dem Ministerium allerdings letztlich nicht, die entsprechenden Organisationen langfristig unter Kontrolle zu halten, so dass Plehwe von diesen bald wieder abrückte. Grundsätzlich erachtete er es als notwendig, „die Rechte der Arbeiter möglichst auszuweiten und viele ihrer Forderungen zu erfüllen“. Seine Pläne, innerhalb des Innenministeriums ein Departement für Arbeit zu gründen, wurden allerdings nicht umgesetzt.
Plehwe war ein entschiedener Gegner der Stärkung des Einflusses des Finanzministeriums und insbesondere des Finanzministers Sergei Wittes auf die russische Asienpolitik und dessen aktive Einmischung nicht nur in die Finanz-, sondern auch in die Innenpolitik der Region. Im Zusammenhang damit trat er für die am 30. Juli 1903 erfolgte Gründung der Statthalterschaft Fernost und des Sonderkomitees für Fragen des Fernen Ostens ein, wodurch sich sein Verhältnis zu Witte weiter verschlechterte.
Plehwe war ständigen Angriffen von Seiten der liberalen und revolutionären Presse ausgesetzt, die ihn unter anderem auch der Organisation antijüdischer Pogrome bezichtigte, was z.T. durch gefälschte Dokumente belegt werden sollte (z.B. ein angeblich von Plehwe verfasstes Schreiben an den Gouverneur von Bessarabien R.S. von Raaben). Tatsächlich forderte Plehwe während der Pogrome die Ergreifung entschiedener Gegenmaßnahmen. Später gelang es ihm, weitere Pogrome erfolgreich zu verhindern. Mit Blick auf die jüdische Frage verfolgte Plehwe eine Politik der Ausweitung des Ansiedlungsrayons und der Aufhebung einiger anderer für die jüdische Bevölkerung bestehender Restriktionen.
Plehwe wurde mit allen russischen Orden bis einschließlich des Ordens des Hl. Alexander Newski (1891; Diamantzeichen – 1902). Im Einzelnen wurden ihm der Weißadlerorden (1899), der Orden des Hl. Wladimir 2. Stufe (1887), der Orden der Hl. Anna 1. Stufe (1884), der Orden des Hl. Stanislaw 1. Stufe (1884) sowie ausländische Auszeichnungen einschließlich des Großkreuzes der französischen Ehrenlegion (1902) verliehen.
Plehwe wurde bei einem von der Kampforganisation der Partei der Sozial-Revolutionäre verübten Attentat getötet: Als er über den Ismailow-Prospekt (St. Petersburg) fuhr, warf der sozial-revolutionäre Terrorist E.S. Sosonow eine Bombe in seine Kutsche. (dem Attentat fiel auch Plehwes Kutscher zum Opfer, sieben Passanten wurden verletzt).
Plehwe ist auf dem St. Petersburger Nowodewitschi-Friedhof begraben.
1869 heiratete er Sinaida Nikolajewna, geb. Uschumezkaja-Grizewitsch († 1921).
Kinder: N.W. von Plehwe; Jelisaweta (*1870 – † nach 1929 in den USA), verheiratet mit dem Senator und Hofmeister Nikolai Iwanowitsch Wuitsch (1863–1917).
Современное положение переселенческого дела в России: исторический очерк. [СПб., 1903].
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