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HENNING Wladimir Fjodorowitsch (1924–1993). Archäologe

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

HENNING, Wladimir Fjodorowitsch, * 10. Mai 1924 in Podsosnowo (Region Altai), † 30. Oktober 1993 in Kiew (Ukraine). Archäologe. Doktor der Historischen Wissenschaften (1974), Dozent der Staatlichen Universität des Ural (1960-74), Professor und Stellvertretender Direktor des Instituts für Archäologie der Akademie der Wissenschaften der Ukraine (1974-93).

Henning entstammte einer lutherischen Familie von Dorfschullehrern, die 1907 im Zuge der Stolypinschen Agrarreform aus dem Wolgagebiet in den Altai übergesiedelt war. Glaubensbekenntnis - Atheist.

Nach Abschluss der Mittelschule des Rayons Taldy-Kurgan (Gebiet Alma-Ata) wurde Henning 1942 vom Revolutionären Militärkomitee zur Arbeitsarmee eingezogen und beim Bau der Eisenbahnlinie Swijaschsk-Uljanowsk eingesetzt. 1945 wurde er an die Krasnowischersker Forstwirtschaft (Gebiet Molotow, heute Perm) überstellt. In den Jahren 1945-48 unterrichtete er Geschichte, Geographie und deutsche Sprache in der Siebenklassenschule von Krasnowischersk.

In den Jahren 1947-52 studierte Henning zunächst im Fernstudium und von 1948 an in Präsenz an der Historisch-Philologischen Fakultät der Staatlichen Universität Perm, wo er sich auf Archäologie spezialisierte und unter der Leitung von Professor O.N. Bader mit der Erforschung der Region Obere Kama befasst war. Seine erste Expedition führte ihn 1948 zu den am Fluss Wischera gelegenen Felsen von Pisany Kamen. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er als Lehrer an der Mittelschule der Stadt Kudymkar und im Dorf Siwa (Gebiet Molotow) und setzte parallel seine den archäologischen Kulturen von Pjany Bor und Lomowatka gewidmete Forschungsarbeit fort. 1954 wurde er nach Ischewsk eingeladen, um die dortige udmurtische archäologische Expedition zu leiten, und arbeitete anschließend als Stellvertretender Direktor für Wissenschaftsfragen am Museum der Republik Udmurtien. Von 1955 an absolvierte er unter der Leitung von N.F. Kalinin (Verdienter Wissenschaftler der Tatarischen ASSR) ein Aspiranturstudium am Institut für Sprache, Literatur und Geschichte der Kasaner Außenstelle der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und verteidigte 1958 seine dem Thema „Die Pjanoborsker Kultur an der Mittleren Kama“ gewidmete Promotionsschrift am Moskauer Institut für Archäologie der Akademie.

1960 wurde Henning als Dozent an den Lehrstuhl für Sowjetische Geschichte der Staatlichen Universität des Ural (Swerdlowsk) berufen, wo auf seine Initiative innerhalb der Historischen Fakultät die Fachrichtung für Archäologie sowie im Jahr 1961 die Zentrale Ural-Expedition gegründet wurde, die unter Hennings Leitung (bis 1974) auf dem Gebiet des Ural und Westsibiriens zahlreiche großangelegte archäologische Forschungsprojekte durchführte. So initiierte und leitete Henning Erkundungsarbeiten und Ausgrabungen in den Einzugsgebieten der Flüsse Tobol, Iset, Tura, Tawda und Ischim (1961-65) sowie Forschungsarbeiten in den Gebieten Tjumen, Tscheljabinsk, Kurgan und Omsk (1965-74) und nahm auch die in Udmurtien geleistete Arbeit wieder auf. An der Universität des Ural gab er die regelmäßig erscheinenden Sammelbände „Fragen der Archäologie des Ural“ heraus. 1968 baute Henning ein System auftragsgebundener archäologischer Forschungsarbeit auf, das der Erforschung, Bewahrung und Popularisierung des historisch-kulturellen Erbes des Ural und Westsibiriens dienen sollte und der in der Region betriebenen archäologischen Forschungsarbeit durch die Vergabe von Forschungsaufträgen neue Möglichkeiten eröffnete.

Zu den unter Hennings Leitung erforschten archäologischen Fundstätten gehörten u.a. Barsowa Gora (bei Surgut), der archäologische Komplex Tschornoje Osero (Gebiet Omsk), die Fundstätten am Andrejewsee (bei Tjumen) sowie der aus dem 17.-16. Jahrhundert vor Christus stammende Komplex der Sintaschka-Kultur (im Süden des Gebiets Tscheljabinsk), dessen Erforschung die Basis für die Ausgrabung der weltbekannten Fundstätte Arkaim legte. Hennings wissenschaftliche Forschungsarbeit zeichnete sich durch innovative Ansätze sowie eine breite Basis des herangezogenen archäologischen Materials aus. Anhand des im udmurtischen Kama-Gebiet zusammengetragenen archäologischen Materials konnte er die Geschichte der Region von der Bronzezeit bis ins Spätmittelalter periodisieren. Anhand aus der Eisenzeit stammender Funde der Postpjanoborsker Periode kam Henning zu dem Schluss, dass es Massenmigrationen ursprünglich an der Kama (3.-5. Jahrhundert) ansässiger und später zugewanderter ethnischer Gruppen (5.-7. Jahrhundert) gegeben haben musste, in deren Verlauf neue Verbindungen sowie Verschmelzungen verschiedener ethnischer Gruppen entstanden, auf deren Grundlage sich die historisch bekannten am Ural siedelnden Völker herausbildeten. Henning entdeckte und erforschte im Kasaner Wolgagebiet und an der unteren Kama gelegene Fundstätten aus der Zeit der Völkerwanderung. Aufgrund seiner in Udmurtien betriebenen systematischen archäologischem Forschungsarbeit stellte Henning die Hypothese auf, dass sich die udmurtische Ethnie auf die im Einzugsgebiets des Flusses Tschepza ansässige Bevölkerung zurückführen lässt, die dort erstmals in der zweiten Hälfte des 5. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Erscheinung trat.

Unter Hennings Leitung entstand die Swerdlowsker (Uraler) archäologische Wissenschaftsschule, die 1966 offiziell anerkannt wurde.

Zusammen mit seinen Schülern erarbeitete W.F. Henning eine erste von der Jungsteinzeit bis in die Eisenzeit reichende kulturchronologische Periodisierung der Waldsteppe des zwischen den Flüssen Irtysch und Ischim gelegenen Landes (1970) sowie anschließend ein „Programm der statistischen Bearbeitung von Keramik-Funden“ (1971), das in der archäologischen Forschung breite Anwendung fand und Ende der 1970er Jahre in einer optimierten Variante in die EDV überführt wurde.

1974 verteidigte Henning am Moskauer Institut für Archäologie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR seine der „Ethnogeschichte des südlichen Kama-Gebiets im 1. Jahrhundert nach Christus“ gewidmete Habilitationsschrift.

1974 wurde Henning als Stellvertretender Direktor für Wissenschaftliche Arbeit an das Kiewer Institut für Archäologie der Akademie der Wissenschaften der Ukraine berufen, wo er eine Abteilung für Theorie und Methodik der archäologischen Forschungsarbeit einrichtete, die sich der Vertiefung der theoretischen Grundlagen der Archäologie und ihres theoretisch-methodischen Apparats sowie der Erweiterung des Informationspotentials archäologischer Quellen widmen sollte. Zugleich arbeitete Henning am Aufbau einer Datenbank und eines Suchsystems für archäologische Quellen, das zu jener Zeit zwar die technischen und materiellen Möglichkeiten des Instituts überstieg, heute aber ungeachtet des Einzugs der Computertechnik unvermindert aktuell ist.

Henning verfasste über 200 wissenschaftliche Arbeiten (darunter 20 Monographien und populärwissenschaftliche Bücher) zu Fragen der Archäologie, zur Geschichte der Urgesellschaft, zur Ethnogeschichte der indigenen Völker, zur Historiographie der sowjetischen Archäologie, zur Philosophie der Sozio-Archäologie sowie zu Fragen der Methodik und Theorie archäologischer Forschung.

Henning ist auf dem Kiewer „Gorenki“- Friedhof begraben.

Henning war mit Tamara Karpowna Termikeljanz-Walz (1926-2008) verheiratet, mit der er zwei Töchter hatte: Ljudmilla (*1947) und Wladimira (*1958).

Veröffentlichungen

Археологические памятники Удмуртии, Ижевск, 1958; Азелинская культура III–V вв. (Очерки по истории Вятского края в эпоху Великого переселения народов), в кн.: Вопросы археологии Урала, в. 5, Свердловск, 1963; История населения Удмуртского Прикамья в пьяноборскую эпоху. Ч. 1. Чегандинская культура (III в. до н.э. – II в. н.э.), там же, в. 10, Свердловск, 1970; История населения Удмуртского Прикамья в пьяноборскую эпоху. Ч. 2. Памятники чегандинской культуры (III в. до н.э. – II в. н.э.), там же, с. 11, Свердловск, 1970; Этнический процесс в первобытности, Свердловск, 1970; Объект и предмет науки в археологии, Киев, 1983; Очерки по истории советской археологии (У истоков формирования марксистских основ советской археологии. 20-е – первая половина 30-х гг.), Киев, 1983; Этническая история Западного Приуралья на рубеже нашей эры. (Пьяноборская эпоха III в. до н.э. – II в. н.э.), М., 1988; Структура археологического познания. Проблемы социально-исторического исследования, Киев, 1989; Формализовано-статистические методы в археологии. Анализ погребальных памятников, Киев, 1990 (в соавторстве); Древняя керамика. Методы и программы исследования в археологии, Киев, 1992; Очерки философии социо-археологии, Киев, 1992 (в соавторстве); Синташта. Археологические памятники арийских племен Урало-Казахстанских степей, Челябинск, 1992 (в соавторстве); Чернозерье I. Могильник эпохи бронзы Среднего Прииртышья, Екатеринбург, 1994 (в соавторстве).

Literatur

Ковалева В.Т. «В.Ф.Генинг и археологическая наука в Уральском университете»// Летописцы родного края (Очерки об исследователях истории Урала). Свердловск, УрГУ, 1990 С. 59-66; Бунатян Е. П. «Памяти Владимира Федоровича Генинга» // журнале Российская археология, М., 1993, №3; Ашихмина Л.И. «Памяти учителя» // Европейский Север: взаимодействие культур древности и средневековья. Сыктывкар, 1995; Овчинникова Б.Б. «Владимир Федорович Генинг». Библиографический указатель (К 75-летию со дня рождения). Екатеринбург, УрГУ, 1999. 30с.; Викторова В.Д. «Обращаясь к теоретическому наследию В.Ф.Генинга» // 120 лет археологии восточного склона Урала. Первые археологические чтения памяти В.Ф. Генинга // Материалы научной конференции. Ч.1: Из истории уральской археологии. Духовная культура Урала. Екатеринбург, 1999; Ковалева В.Т. «Свердловская школа В.Ф.Генинга» // 120 лет археологии восточного склона Урала; Ашихмина Л.И., Овчинникова Б.Б. «Генинг Владимир Федорович» // Немцы России: Энциклопедия. М., «ЭРН», 1999. Т.1 (А-И). С.514–515 ; Овчинникова Б.Б. «Владимир Федорович Генинг – учитель и педагог» // Немцы на Урале и в Сибири (XVI–XXвв) : Материалы научной конференции «Германия – Россия: исторический опыт межрегионального взаимодействия XVI–XXвв.» 3–9.09.1999. Екатеринбург, «Волот», 1999. С.542–547;

Материалы научной конференции «Российская археология: достижения XX и перспективы XXI вв.» посвященной 75-летию со дна рождения В.Ф.Генинга (Ижевск, 28–30 марта 2000 г.), Ижевск, УдГУ, 2000. Раздел: В.Ф. Генинг и достижения отечественной археологии. С.181–225. Статьи: Бунатян Е.П. «В.Ф.Генинг – киевский период жизни» С. 181–184; Мельникова О.М. «Теоретческое наследие В.Ф.Генинга: историографический взгляд» С.184–189; Денисов В.П. «В.Ф. Генинг и пермская археология» С.189–192; Останина Т.И. «Археологические исследования В.Ф. Генинга на территории Удмуртии». С.192–194; Старостин П.Н. «Казанский период жизни и научной деятельности В.Ф. Генинга». С.194–196.

Мельникова О.М. «Свердловская научная археологическая школа В.Ф. Генинга (1960–1974). Материалы и исследования Камско-Вятской археологической экспедиции. Ижевск, 2003. Т.9.

Археология Урала и Западной Сибири (К 80-летию со дня рождения Владимира Федоровича Генинга): Сборник научных трудов Екатеринбург, 2005. С.256. Статьи: Поляковская М.А. Владимир Генинг: штрихи к портрету. С.8–10.; Климова г.Н. Мой школьный учитель. С.11; Евдокимов В.В.Учитель, перед именем твоим... С.12–14.; Косинская Л.Л. Учитель. С.15–17.; Кузьмин В.А. Вспоминая В.Ф. Генинга. С.18–19; Федорова Н.В. В.Н. Чернецов и В.Ф. Генинг в западносибирской археологии. С.20–22; Пустовалов С.Ж. Концепция археологических культур (АК) В.Ф. Генинга и современная практика выделения археологических культур. С.34–38; Томилов Н.А. Этничекие общности и процессы (в связи с работами Владимира Федоровича Генинга) С.39–41; Макаров Л.Д. В.Ф. Генинг и славяно-русские древности. С. 237–242.

 

Archive

Архив Уральского государственного университета им. А.М. Горького. Опись 4. Дело №55.; Архив Института истории материальной культуры РАН Санкт-Петербург. Фонд 76. Генинг Владимир Федорович (1924–1993. Дата поступления – 1997 г. Съемка: 1920-е гг., 1971–1997 гг. Негативы, отпечатки к изданиям и полевые отчеты.

Autoren: Ovčinnikova B.B.

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