KLEIDUNG - Teil der Garderobe der Russlanddeutschen, zu der neben der Kleidung im engeren Wortsinn auch Schuhwerk, Kopfbedeckungen, Accessoires und Schmuck gehörten.
In den ersten hundert Jahren nach ihrer Übersiedlung bewahrten die Russlanddeutschen weitgehend ihren traditionellen Kleidungsstil und nahmen lediglich einige den klimatischen Bedingungen und sozio-ökonomischen Realitäten geschuldete Anpassungen vor. Betrachtet man die einzelnen Gruppen der Russlanddeutschen, hielten insbesondere die in Petersburg, im Kaukasus, auf der Krim und im Wolgagebiet ansässigen Deutschen sowie einige mennonitische Gruppen lange an ihren nationalen Traditionen fest. Dabei hielt sich ein von nationalen Traditionen geprägter Kleidungsstil in ländlichen Regionen länger als in den Städten, wo die Russlanddeutschen den für das 19. Jahrhundert üblichen städtischen Kleidungsstil pflegten.
In keiner Region (auch nicht im Wolgagebiet) konnte selbst die festliche Tracht an jene Vielfalt heranreichen, die für die einzelnen Regionen Deutschlands (Pfalz, Hessen, Schleswig-Holstein, Baden, Württemberg, Westfalen, Niedersachsen, Bayern) oder auch Frankreichs, Hollands oder der Schweiz typisch war. Die Unterschiede zwischen den regionalen Traditionen verschwammen, so dass sich letztlich ein Stil herausbildete, der einzelne Elemente verschiedener regionaler Trachten miteinander verband.
Die Herrenkleidung bestand aus Hemd, Hose, Weste, Halstuch und Gehrock sowie Hut und Schuhen oder Stiefeln. Das weite weiße Hemd europäischen Zuschnitts wurde ursprünglich in die Hose gesteckt, aber im 20. Jahrhundert offen wie ein Kittel getragen. Es hatte lange Ärmel mit Aufschlag, aufliegende Kragen mit Schleife sowie einen hochgeschlossenen Ausschnitt und war an den Schultern und Handgelenken gerafft. Bei kaltem Wetter trug man unter dem Oberhemd ein gerade geschnittenes Leinenunterhemd ohne Kragen. In den 1820-30er Jahren fanden einfarbige dunkle Hemden weite Verbreitung, was auch der Entwicklung des Weberhandwerks geschuldet war. Hosen gab es in zwei Varianten. Ende des 18. - Anfang des 19. Jahrhunderts waren in Petersburg und Moskau noch kurze Kniehosen anzutreffen, die mit weißen oder dunklen Strümpfen und Lederschuhen getragen wurden. Von den 1820er-1830er Jahren an trugen die Bauern Hosen mit langen weiten Hosenbeinen, die in hohe Stiefel gesteckt wurden und an den Waden leicht stülpten.
Über dem Hemd trug man eine ein- oder zweireihige Weste, deren Knöpfe aus Metall, Holz oder in seltenen Fällen aus Knochen gefertigt waren. In der neuen Heimat erfüllte die Weste zunächst die Funktion eines unter dem Hemd getragenen Leibrocks und wurde erst später über dem Hemd getragen. Bei kühlem Wetter trug man einen eng anliegenden Rock oder ein gefüttertes ärmelloses Wams.
Zu feierlichen Anlässen trug man bis Mitte des 19. Jahrhunderts über Hemd und Weste einen Gehrock mit eng anliegendem Oberteil und langen wehenden Rockschößen („Faltenrock“). Vervollständigt wurde die Garderobe durch ein hälftig gefaltetes Baumwollhalstuch, einen Filzhut mit weicher Krempe bzw. zu früheren Zeiten einen Zylinder. In den 1830er-1840er Jahren wurde der jackenartige „Rock“ durch von Hand genähte Anzüge verdrängt, für die der Ausdruck „Bauernpidschak“ gebräuchlich war. Für Besuche, den Kirchgang oder andere feierliche Anlässe wurde ein langer, aus Nankingstoff (Kattun) oder selbst gefertigten Stoffen geschneiderter Kaftan russischen Zuschnitts getragen. Die für die Feldarbeit bestimmte Kleidung wurde aus grobem, hausgefertigtem Leinenstoff genäht und bestand aus einer gerade geschnittenen Hose und einem weit geschnittenen Hemd („Kittel“). Anfang des 19. Jahrhunderts kamen in den Kolonien der im Gouvernement Samara gelegenen Amtsbezirke Katharinenstadt und Paninskoje Strohhüte auf, die auch von den russischen Bauern übernommen wurden. In anderen Fällen trug man anstelle eines Huts Schirm- oder Ballonmützen, die im Dialekt als „Kartus“ bezeichnet wurden. Als Schuhwerk dienten selbst gefertigte Lederlatschen, wie sie bereits seit der Antike bekannt waren, Schlappen mit einer Holzsohle und Lederriemen sowie klobige Schuhe und Stiefel. Im Sommer ging man barfuß.
Die strenge Kälte zwang die aus Europa stammenden bäuerlichen Übersiedler auf ihre leichten Mäntel, die im Dialekt als „Paleto“ bezeichnet wurden, zu verzichten. An deren Stelle traten mit der Lederseite nach außen getragene oder mit Stoff beschlagene lange Pelze (im Dialekt „Tulup“ genannt) und kurze Pelzjacken. Dazu wurden wattierte Stoff- oder Filzkappen mit kleinem Aufschlag getragen, die man als „russische Mützen“ bezeichnete. Später kamen auch Mützen mit Ohrenklappen, die als „Flügelkappen“ bezeichnet wurden, Fellmützen mit Aufschlag („Schafpelzkappen“), Fäustlinge und Schals hinzu. Wohlhabende Deutsche trugen Mützen aus weißem Fell, die im Dialekt „Weißpudelkappen“ hießen. Ab den 1880er Jahren wurde aus Filz gefertigtes Schuhwerk getragen, wobei es sowohl kurze Filzschuhe als auch hohe Filzstiefel gab. Als Hausschuhe diente aus Wolle gestricktes Schuhwerk.
In den 1850er-1870er Jahren lockerten russische Schrägkragenhemden, die sich aus karierten und gestreiften Baumwoll- und Sarpinka-Geweben günstig herstellen ließen und oft auf den Jahrmärkten verkauft wurden, die Garderobe der jungen deutschen Männer auf. Grobe Stoffe aus häuslicher Fertigung wurden durch qualitativ hochwertige Fabrikware verdrängt.
An der Wende zum 20. Jahrhundert unterschied sich die Kleidung der Bauern kaum von der Kleidung der städtischen Arbeiter und Handwerker. Die Westen wurden länger, der Kaftan wurde jetzt „Karotzker Kaftan” genannt, was sich vom russischen Wort “gorod” (“Stadt”) ableitete. Zudem kamen lange weite Tolstoj-Hemden, Feldjacken, kapuzenartige “Baschlik-Hauben” und Hemdeinsätze in Mode.
Die Damenkleidung bestand aus Hemd, Weste, Rock, Haube, Schürze, Damenjäckchen und Kleid sowie Schuhen und Schultertuch. Die deutschen nationalen Traditionen waren in der bäuerlichen Frauenkleidung vor allem in den ersten Jahrzehnten nach der Übersiedlung noch sehr deutlich zu erkennen. Die weißen Leinenhemden unterschieden sich im Schnitt kaum von anderen europäischen Mustern. Laut Jakob Dietz waren sie an der Taille und um den Hals gebauscht und hatten lange, weite Ärmel, die an den Handgelenken ebenfalls gebauscht waren.
Wie auch in Deutschland trugen die Frauen oft mehrere Röcke übereinander. Je nach Wetter trugen sie 2-3 aus Leinen, Hanf oder Wolle gefertigte Unterröcke sowie einen aus Baumwolle, Satin oder Wolle gefertigten Oberrock. Die Stoffe waren meist einfarbig oder gestreift. Der typische dunkelblaue oder schwarze handgewebte Rock mit schmalen weißen oder bordeauxroten Streifen war in ähnlicher Weise auch in Hessen, Württemberg und anderen Regionen Deutschlands verbreitet. Allen Entwicklungen der Mode zum Trotz hielt sich der Rock bis in die 1930er Jahre.
Die Schürzen wurden aus einer oder zwei, an der Taille gerafften geraden Stoffbahnen genäht, wobei für die Alltagskleidung Baumwollstoffe und für die Festkleidung Batist, Satin oder Gaze verwendet wurde. Das für Leibchen oder Mieder (im Dialekt „Brustche“) unter den Wolgadeutschen am weitesten verbreitete Schnittmuster ging auf deutsche Vorbilder zurück und behielt die Konfiguration zwischen Brust- und Rückenteil bei, hatte aber keine langen Ärmel mehr.
Die Spitzen des Schultertuchs wurden bei den Wolgadeutschen unter das Leibchen gesteckt und über der Brust mit einer Stecknadel fixiert. Die in Petersburg oder auf der Krim ansässigen Deutschen schlugen das Schultertuch überkreuz über das Kleid oder die Jacke und banden es auf dem Rücken zusammen. Die festlichen Leibchen der wohlhabenden Deutschen wurden aus teuren Materialien wie Brokat, Walkstoff, Samt oder Satin genäht. Bei groben Geweben musste der Zuschnitt des Vorderteils geändert werden, d.h. der assymetrische Verschluss durch Knöpfe musste durch Bändchen ersetzt werden. Bei einzelnen Varianten gab es ein Latz („Brusttuch“) nach hessischem Vorbild. Die als Kopfbedeckung genutzten Hauben gingen wie die Leibchen auf deutsche Vorbilder zurück. Neben aus dichtem Gewebe (Brokat, Satin, Samt oder Filzgewebe) gefertigten Hauben gab es auch aus Ballonleinen, Batist, Satin oder Nesselstoff gefertigte Alltagsvarianten. Auch diese gab es in zwei Ausfertigungen: Die einen bedeckten den ganzen Kopf, die anderen nur den Hinterkopf. Aus weißen Leinen genähte Hauben waren vor allem bei den spät übergesiedelten Mennoniten (1860er Jahre) verbreitet.
Als weitere Haubenvariante gab es aus dichtem Gewebe oder mehreren Stoffschichten gefertigte sogenannte „Netzchen“, deren Oberfläche romben- oder quadratförmig gesteppt war. Die Steppung bildete mittelalterlichen Haarnetze nach. An den Schnittstellen wurden „Flußkorallen“ oder Perlen eingenäht. Auf dem Kopf wurde das „Netzchen“ mithilfe von Bändern oder Zwirnfäden befestigt, die an an der Frisur oder am Kinn festgemacht wurden. In Sarepta trugen die Frauen noch bis 1941 Hauben, deren Zuschnitt auf schon in Herrnhut übliche Muster zurückging. Ihre Haare trugen die Kolonistinnen zu Zöpfen geflochten als Dutt am Hinterkopf.
Stickereien waren als Dekorationselement nur wenig verbreitet. Gewöhnlich handelte es sich dabei um Blumen oder Zweige, die mit einem Stielstich am Rand der Schürze, des Mieders oder der Haube aufgestickt wurden. Gestickte Monogramme oder wenig anspruchsvolle Zeichnungen fanden sich auch an festlichen Hemden. Allem Anschein nach ging die Tradition des Stickens bereits zu Beginn der Übersiedlung der Deutschen nach Russland verloren.
Ende der 1890er Jahre wurden die Hemden zur Unterwäsche. Statt eines Brusttuchs trugen die deutschen Bäuerinnen als Halsschmuck geschliffene oder geblasene Glasperlen, gelbe „Bernsteine“ oder „Flusskorallen“. Weiterer Schmuck waren Ohrringe mit Glassteinen, die je nach Einkommen aus Silber oder in selteneren Fällen aus Gold gefertigt waren. Unterröcke wurden aus Ballonleinen, Nesseltuch, Filz und anderen Baumwollstoffen gefertigt.
Aus Fabrikstoffen gefertigte Röcke wurden mit verschiedenen Strickjacken und Jackets kombiniert, die in Anlehnung an das russische Wort „kofta“ („Strickjacke“) als „Koftche“ oder „Hofta“ bezeichnet wurden. Ende der 1860er Jahre kamen in der Garderobe der wolgadeutschen Frauen „kurze Strickjacken ohne Taille“ auf, die laut P. Haller als „Prasnokoft“ bezeichnet wurden („Festjacken“ - abgeleitet von den russischen Wörtern „prasdnik“ und „kofta“) und bereits in den 1880er Jahren in ausnahmslos allen deutschen Kolonien in Mode waren. Schwarze Kleidung wurde bei den Russlanddeutschen nicht mit Trauer assoziiert, was offenbar auf den Einfluss der alten Heimat zurückging, wo einfachen Leuten bis Anfang des 19. Jahrhunderts verboten war, helle Farben zu tragen. In den 1860er-1870er Jahren und womöglich auch schon deutlich früher war es üblich, das junge Frauen auf ihrer Hochzeit ein schwarzes Kleid trugen.
In der Übergangszeit zwischen den Jahreszeiten bestand die Oberbekleidung aus kurzen wattierten Mänteln, die im Dialekt „Schabasch” oder “Geesch“ genannt wurden. Wohlhabende deutsche Frauen trugen kurze weiße Pelze, die mit bunten Bändern geschmückt waren.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden aus Nesselstoff gefertigte Dreieckstücher („Kossinki“) zur bevorzugten Kopfbedeckung der russlanddeutschen Frauen, die als Kopftuch und bei kaltem Wetter als Schal getragen wurden. Die sparsamen deutschen Frauen schmückten nur deren sichtbaren Teil mit Fransen und Blumenornamenten. In den 1860er-1890er Jahren waren bei der Feldarbeit getragene Strohhüte unterschiedlichster Fasson aus der nationalen Garderobe der Russlanddeutschen praktisch nicht mehr wegzudenken. In den mennonitischen Dörfern schützte man sich bei der Feldarbeit mit einer Kopfbedeckung vor der Sonne, die einer Nonnentracht ähnelte.
Zu dieser Zeit kamen mehrfarbige Strickstrümpfe mit Ajourmuster auf, die mit gestickten oder gestrickten Ornamenten und einem Dialekt als „Zwielstriemen“ bezeichneten Wadenaufsatz geschmückt waren. Das Schuhwerk der Kolonistinnen bestand in den 1860er-1890er Jahren aus halbhohen, vom Dorfschuster genähten Stiefelleten und flachen Halbschuhen. Anfang der 1890er Jahre trug man Schnürstiefel, die wegen ihres breiten Gummizugs im Dialekt in Anlehnung an das russische Wort für Gummi auch als „Resinka-Schuhe“ bezeichnet wurden, sowie Schuhe mit „französischem Absatz“, flache Strickschuhe und im Winter Filzstiefel.
Ende des 19. Jahrhunderts glich sich die Garderobe der wolgadeutschen Frauen den städtischen Moden an. Deutsche Traditionen blieben im gestreiften Rock, in gehäkelten „Altweiberhauben“, in Strohhüten und an Festtagen im Hemd mit Leibchen erhalten.
In den ersten Lebensjahren wies die Kinderkleidung einschließlich des Taufkleids keinerlei geschlechtsspezifische Unterschiede auf und bestand aus Mützchen, Kleidchen, Jüppchen und Wickelhemden. Die Mützchen wurden aus Baumwollstoffen und für die Taufe aus Batist genäht oder auf der Gabel aus Seiden- und dünnen Baumwollfäden gehäkelt und mit einem Besatz aus dünner Fabrikspitze geschmückt. Anfang des 20. Jahrhunderts zog man den Kindern schmückende Wickelhemden mit genähtem Filetmuster und handgefertigter Spitze über. Ab einem Alter von 2-3 Jahren gab es schon Unterschiede zwischen Mädchen- und Knabenkleidung. Die Mädchen trugen Mützchen, Häubchen und Kleidchen, die Jungen Mützen, Hemden, Hosen und Latzhosen mit einem Schlitz. Um den Kindern Reinlichkeit beizubringen, zog man ihnen Lätzchen an, die im Dialekt als „Brustlappen“ bezeichnet wurden, und ließ sie immer ein Taschentuch mit sich führen.
Bereits im 19. Jahrhundert fand gehäkelte oder gestrickte Kleidung unter den Übersiedlern weite Verbreitung. Für die Mädchen strickte man Röcke, Sarafane, warme Mützen und Hauben, Fäustlinge und Schuhe, für die Jungen Trägerhosen, Jacken, Handschuhe und Schuhe.
Kleidung, Schuhwerk und Kopfbedeckungen der Kinder und Jugendlichen unterschieden sich oft nur durch die Größe von der Garderobe der Erwachsenen. Am Tag der Erstkommunion trugen die katholischen Mädchen ein weißes Kleid, weiße Schuhe und Strümpfe sowie einen Kranz mit einem Schleier. In den lutherischen Dörfern trugen die Mädchen helle Kleider und die Jungen dunkle Anzüge oder Feldhemden.
Hochzeitskleidung, siehe: Hochzeit