LANGSDORF, Georg Heinrich Freiherr von, in Russland Grigorij Iwanowitsch, 18. April 1774, Wöllstein – 29. Juni 1852, Freiburg), Naturforscher, Wanderer und Diplomat, Begründer der russischen Amerikakunde.
Seine Ausbildung erhielt er an der Universität Göttingen, wo er beim Anatom und Anthropologen I. F. Blumenbach studierte. 1797 hat er eine Doktorarbeit über die Kunst der Geburtenhilfe geschrieben und wurde zum Doktor der Medizin promoviert. Bald wurde er Leibarzt des Prinzen Christian August von Waldeck und reiste mit ihm nach Portugal. Nach dessen Tod hatte er medizinische Praxis in Lissabon und befasste sich mit naturwissenschaftlichen Forschungen. 1798 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München gewählt, 1803 wurde er korrespondierendes Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und Ehrenmitglied der Meteorologischen Gesellschaft in Frankfurt am Main. Teilnehmer des Feldzugs britischer Truppen nach Spanien (1801–1802). Zu gleicher Zeit nahm er Kontakt mit russischen Wissenschaftlern auf, 1802 wurde von ihm in die Akademie der Wissenschaften eine Ichthyologie-Sammlung geschickt. 1803–1807 nahm er als Naturforscher an der ersten russischen Weltumseglung von I. F. Krusenstern und Ju. F. Lissjanskij teil. Die Teilnahme an dieser Expedition hatte er nur seiner eigenen Hartnäckigkeit zu verdanken. Die Forschergruppe war bereits komplett, jedoch konnte der Wissenschaftler durchsetzen, mitgenommen zu werden. Während der Reise besuchte er die brasilianische Insel Santa Catarina, war zusammen mit der Botschaft von N. P. Resanow in Japan, bereiste zahlreiche Inselterritorien Russisch-Amerikas, besuchte die zur Inselgruppe Marquesasinsel gehörende Insel Nuku Hiwa und Kalifornien, das, damals zur spanischen Kolonie Neuspanien gehörte, bereiste Kamtschanka und Sachalin. Im März 1808 kehrte er auf dem Landwege über Ochotsk, Irkutsk, Tobolsk und Moskau nach St. Petersburg zurück.
Er beschäftigte sich mit einem breiten Kreis von Fragen: Erforschte die Meeresflora und –fauna, untersuchte das Meeresleuchten und stellte fest, dass es durch das Leuchten von Mikroorganismen zustande kommt, ferner verbesserte er sein eigenes, bereits in Portugal entwickeltes Verfahren der Fischkonservierung. Auf der Insel Nuku Hiwa wurden von ihm eingehend bizarre Muster beschrieben, mit denen die Inselbewohner ihre Körper schmückten, und Tätowierungen genau aufgezeichnet. Auf dem Kamtschatka wurde von Langsdorf eine Untersuchung der Drogenmittel unternommen und auf der Grundlage persönlicher Eindrücke die Wirkung halluzinogener Fliegenpilze auf Schamanen bei Itelmenen und Korjaken beschrieben. 1807 verfasste er die „Beschreibung der politischen Lage von Kamtschatka und Vorschläge für die Verbesserung des verstimmten Zustandes dieser Halbinsel“, die später in der russischen Gesetzgebung ihren Niederschlag fanden und bei der Festlegung der Kolonialpolitik im Fernen Osten berücksichtigt wurden. Über seine Reiseeindrücke berichtete er in seinen „Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807“.
Am 27. März 1808 erhielt er für die Teilnahme an der Weltumseglung den Titel eines Hofrats und eine Pension von 300 Rubel im Monat. Am 18. Juli 1808 wurde Langsdorf auf Ersuchen von N. P. Rumjantzew vom Alexander I. neben beiden anderen Teilnehmern der Expedition, dem Astronomen I. K. Gorner und Naturforscher W. G. Tilesius von Tilenau, zum Adjunkten für Botanik der Akademie der Wissenschaften ernannt. Am 1. April 1812 wurde er zum außerordentlichen Akademiemitglied für Zoologie gewählt. In der Akademie der Wissenschaften befasste er sich mit der Aufbereitung des während der Expedition zusammengebrachten Stoffes.
1811 wurde er in den Ausschuss für innere Ordnung der Gebiete Kamtschatka, Ochotsk und Jakutsk aufgenommen, nahm an der Vorbereitung einer „Neuverordnung über Kamtschatka“ teil.
Im Dezember 1812 wurde er zum russischen Generalkonsul in Rio de Janeiro unter Beibehaltung seines akademischen Titels ernannt. Gleichzeitig wirkte er 1817–1819 als Geschäftsträger Russlands beim portugiesischen Hof, der sich zu damaliger Zeit in Brasilien befand. Er untersuchte den brasilianischen Markt, sammelte Informationen über die wirtschaftliche und politische Lage Brasiliens, den Handel europäischer Kaufleute, leistete Unterstützung an die Mannschaften russischer Schiffe. Dank seiner vielseitigen Kompetenz im medizinischen und naturwissenschaftlichen Bereich und dem Titel eines Akademiemitglieds genoß Langsdorf großes Ansehen in brasilianischen Regierungskreisen. Seine dienstlichen Obliegenheiten verband er mit wissenschaftlicher Forschung im Aufenthaltsland, sandte wissenschaftliche Sammlungen in die Akademie der Wissenschaften, lieferte verschiedene Informationen über Brasilien. Er warb aktiv für die Auswanderung nach Brasilien und gründete ein eigenes Kolonialunternehmen. 1816 erwarb er das Landgut Mandioca 50 km nördlich von Rio de Janeiro und begab sich 1820 nach Europa, um dort Kolonisten zu werben. 30 deutsche Familien vertrauten ihm ihre Schicksale an, jedoch ist das Kolonialunternehmen von Langsdorf gescheitert. Die meisten Siedler verteilten sich auf die von brasilianischer Regierung gegründeten deutschen Kolonien.
Das Hauptwerk im Leben von Langsdorf bildete die umfangreiche wissenschaftliche Expedition in die Innengebiete Brasiliens (1822–1829), die von ihm mit Unterstützung der russischen Regierung und Akademie der Wissenschaften unternommen wurde. Eine entsprechende Genehmigung wurde von Alexander I. am 21. Juni 1821 unterzeichnet. Zur Expedition gehörten der Astronom und Kartograph N. G. Rubzow, Botaniker L. Riedel, die Zoologen E. P. Ménétries und H. Gasse, die Malerkünstler M. Rugendas, E. Florence und А.-А. Toney.
Im Laufe der siebenjährigen Expedition konnten Langsdorf und seine Reisegefährten schwer erreichbare und unwegsame Territorien Brasiliens untersuchen, legten mehr als 15 000 km über Brasilianisches Bergland und Amazonas-Niederung zurück, wobei der Weg der russischen Expedition eigenartig war und sich nur zum Teil mit dem der europäischen Forscher zusammentraf. Die Wanderer besuchten Hunderte Landgüter, Abbaustätten von Gold und Diamanten, trafen unterwegs auf friedlich oder auch kriegerisch gestimmte Indianer. Die Wanderung war geprägt durch enorme Schwierigkeiten und Strapazen wie tropisches Klima, Konflikte zwischen den Team-Mitgliedern, Misstrauen der Einheimischen und schließlich tropisches Fieber, wodurch die psychische Gesundheit des Wissenschaftlers untergraben wurde und die Expedition abgebrochen werden musste.
Die Expedition bedeutete eine enorme Bereicherung von naturwissenschaftlichen und ethnographischen Sammlungen der akademischen Museen und lieferte reichlich Stoff über die Natur und Bevölkerung eines beträchtlichen Teils Brasiliens; von besonderem Wert sind die Materialien über die Kultur der Indianerstämme wie Guato, Guana, Awpiaka, Bororo, Manduruku, die später ausgerottet oder komplett assimiliert wurden.
Wegen Langsdorfs Krankheit wurde der gesammelte Stoff nicht rechtzeitig aufbereitet und veröffentlicht. Er wurde in der Akademie der Wissenschaften und im Botanischen Garten aufbewahrt und von Forschern im 20. Jh. neu entdeckt.
Enorm inhaltsreich waren auch die Tagebücher Langsdorfs, die den Zeitraum vom 8. Mai 1824 bis zum 20. Mai 1828 abdecken und Riesenmengen an zoologischen, botanischen, mineralogischen, geographischen, meteorologischen, linguistischen Informationen sowie zahlreiche Angaben über die sozialökonomische Geschichte und Ethnographie Brasiliens enthalten. Ferner vermitteln diese Tagebücher eine Vorstellung über die Strapazen, die Langsdorf und seine Gefährten während der langen Reise in wenig erforschten Ecken und Enden Südamerikas zu ertragen und zu überwinden hatten.
Aus Rio de Janeiro ging Langsdorf nach Deutschland zur ärztlichen Behandlung, konnte jedoch seine Gesundheit nicht mehr wiederherstellen. Im Februar 1831 wurde er aus dem Außenministerium und im Juni auch aus der Akademie der Wissenschaften mit Anspruch auf lebenslange Rentezahlung entlassen.
War verheiratet mit Friederike-Luise, geb. Schubert (1791–1842), Tochter des Astronomen, Akademiemitglieds F. I. Schubert. Kinder: Wilhelmina (1815–1888) und Jelisaweta (1819–nach 1909). 1819 ging diese Ehe in die Brüche, 1820 kehrte Friederike-Luise mit Kindern nach St. Petersburg zurück.
1822 heiratete er seine Cousine Wilhelmine.
1992 wurden in Russland und Brasilien Briefmarken anlässlich des 170. Jahrestages der Expedition herausgegeben.
Санкт-Петербургский филиал Архива Российской академии наук. Ф. 63. Оп. 1–3; Российский государственный исторический архив. Ф. 733. Оп. 12. Д. 523.
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A expedição cientìfica de G.I. Langsdorff ao Brasil 1821–1829: Catálogo completo do material existente nos arquivos da União Soviética. Edição organizada por D.E. Bertels, B.N. Comissarov, T.I. Lisenko. Coordenação de L.A. Chur. Rio de Janeiro, 1981; Becher H. Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff in Brasilien: Forschungen eines deutschen Gelehrten im 19. Jahrhundert. Berlin, 1987. (Völkerkundliche Abhandlungen. Bd. X); Expedição Langsdorff ao Brasil 1821–1829: Aquarelas e desenhos. Vol. 1: Rugendas; Vol. 2: Taunay; Vol. 3: Florence. Rio de Janeiro, 1988; Expedição Langsdorff ao Brasil, 1821 – 1829. Iconografia do Arquivo da Academia de Ciências da União Soviética. Rio de Janeiro. 1988; Expedição Langsdorff. Catálogo aquarelas e desenhos. Rio de Janeiro. 2010; Florence H. Esboço da viagem feita pelo S. Langsdorff no interior do Brasil, desde setembro de 1825 até marco de 1829. Escripto em original francez pelo 2° desenhista da commissão scientifica Hercules Florence, traduzido por A fredo dʼEscragnolle Taunay. Revista Trimensal do Instituto Historico, geographico e Ethnographico do Brasil. Rio de Janeiro, 1875. T. XXXVIII; 1876.T XXXIX; Академик Г.И. Лангсдорф и русская экспедиция в Бразилию в 1821–1836 гг.: Библиографический указатель / Сост. К.В. Александрова; под ред. Д.Е. Бертельса и Б.Н. Комиссарова. Л., 1979; Комиссаров Б. Н. Первая русская экспедиция в Бразилию. Л., 1977; Комиссаров Б. Н., Шафрановская Т. К. Неизвестная рукопись академика Г. И. Лангсдорфа о Камчатке: к 200-летию со дня рождения ученого // Страны и народы Востока. М., 1975. Вып. XVII: Страны и народы бассейна Тихого океана. Кн. 3. С. 86–118; Комиссаров Б. Н. Григорий Иванович Лангсдорф. 1774–1852. Л., 1975; Манизер Г.Г. Экспедиция академика Г.И. Лангсдорфа в Бразилию (1821–1828). Л., 1948. ; Обзор архивных материалов: Материалы экспедиции академика Григория Ивановича Лангсдорфа в Бразилию в 1821–1829 гг.: Научное описание / Сост. Д.Е. Бертельс, Б.Н. Комиссаров, Т.И. Лысенко; под ред. Л.А. Шура; отв. ред. Б.В. Левшин. Л., 1973. (Труды Архива Академии Наук СССР; Вып. 25); Проблемы исследования Америки в XIX–XX вв.: конф., посвящ. 200-летию со дня рождения акад. Г.И. Лангсдорфа (Ленинград, 22–24 окт. 1974 г.): Тез. докл. Л., 1974; Российский академик Г. И. Лангсдорф и его путешествия в Бразилию (1803–1829) / Составители и авторы статей Е. Ю. Басаргина, Е. Н. Груздева, И. М. Щедрова; под общ. ред. Е.Ю. Басаргиной (Серия «Ad fontes. Материалы и исследования по истории науки». Supplementum 4). СПб., 2016; Шпринцин Н. Г. Экспедиция академика Г.И. Лангсдорфа в Бразилию в первой четверти XIX века // Советская этнография. 1936. № 1. С. 109–120.