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SCHÄFER Wladimir Alexandrowitsch (geb. 1951). Spezialist auf dem Gebiet der Astronomie und kosmischen Geodäsie, Professor der staatlichen Universität von Tomsk

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

SCHÄFER, Wladimir Alexandrowitsch, * 21. Dezember 1951 im Dorf Ispisar (Rayon Leninabad, Gebiet Leninabad, Tadschikische SSR, heute Republik Tadschikistan). Spezialist für Astronomie und Satellitengeodäsie, Professor der Staatlichen Universität Tomsk (TGU).

Schäfers Vater Alexander Iwanowitsch (1925–59) war bäuerlicher Herkunft und stammte aus dem Dorf Reingardt (Kanton Krasnyj Jar, ASSR der Wolgadeutschen). Schäfers Mutter Frieda Dawydowna, geborene Root (1925–2010) entstammte einer im Dorf Beideck (Kanton Balzer, ASSR der Wolgadeutschen) ansässigen Bauernfamilie. Nach Ausbruch des Deutsch-Sowjetischen Kriegs und Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen wurden Schäfers Eltern im Jahr 1941 nach Kasachstan ausgesiedelt. Nach dem Krieg lebten sie bis 1954 in der Sondersiedlung und waren auf vielen bekannten Baustellen des Ural und Mittelasiens tätig. Das letzte große Bauprojekt, bei dem ihre Arbeitskraft eingesetzt wurde, war die über den Fluss Syrdarja führende Brücke in Leninabad. In den Jahren 1958-66 besuchte Schäfer im Dorf Swerdlowka die Achtklassenschule. 1968 schloss er die Allgemeinbildende Mittelschule im Dorf Nowoaleksejewka (Rayon Urizki, Gebiet Kustanai) ab. Sein besonderes Interesse galt den Fächern Physik, Mathematik, Astronomie und Geographie. Nach Abschluss der Schule arbeitete er in Swerdlowka als Leiter des Dorfklubs und parallel als Schullehrer für Kunst und Gesang. 1970 studierte er an der Fakultät für Geologie und Geographie der Staatlichen Universität Tomsk zunächst Geographie, wechselte dann aber 1972 an die Fakultät für Mechanik und Mathematik, die er 1976 mit der Fachrichtung „Mechanik“ abschloss. Seine von W.A. Brumberg betreute Diplomarbeit schrieb Schäfer zum Thema „Regularisierung in allgemeinen Dreikörperproblemen“. Von 1976 an setzte er sein Studium in der Aspirantur am Lehrstuhl für Theoretische und Himmelsmechanik der Fakultät für Mechanik und Mathematik der Staatlichen Universität Tomsk fort. Von 1979 an war er zunächst Wissenschaftliche Hilfskraft, dann Wissenschaftlicher Mitarbeiter (1987) und von 1988 an schließlich Höherer Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Labor für Himmelsmechanik der Abteilung für Himmelsmechanik und Astrometrie des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Angewandte Mathematik und Mechanik der Staatlichen Universität Tomsk. Von 1989 an war er zunächst kommissarischer Leiter und von 1993 an Leiter des Astronomischen Observatoriums des Wissenschaftlichen Forschungszentrums für Angewandte Mathematik und Mechanik, von Januar 1995 an zunächst Höhere Lehrkraft und von Februar 1995 an Dozent am Lehrstuhl für Theoretische und Himmelsmechanik der Staatlichen Universität Tomsk. Von 2002 an war er zunächst Dozent und von 2005 an Professor am Lehrstuhl für Astronomie und Satellitengeodäsie der Physikalischen Fakultät der Staatlichen Universität Tomsk. Neben seiner Tätigkeit an der Staatlichen Universität Tomsk war Schäfer in den Jahren 2005-11 als Professor am Lehrstuhl für Höhere und Angewandte Mathematik der Tomsker Außenstelle (Institut für Landwirtschaft) der Staatlichen Agraruniversität Nowosibirsk und von 2012 an als Professor am Lehrstuhl für Geodäsie der Tomsker Staatlichen Universität für Architektur und Bauwesen tätig. An der Staatlichen Universität Tomsk hielt bzw. hält Schäfer die folgenden Kurse: „Höhere Mathematik“, „Mathematische Logik und Algorithmentheorie“, „Theorie der Erdfigur und Grundlagen der Gravimetrie“, „Geodäsie und Grundlagen der Satellitenaufnahme“, „Ingenieurgeodäsie“. 1991 verlieh ihm die Oberste Attestierungsbehörde beim Ministerrat der UdSSR den akademischen Titel eines Höheren Wissenschaftlichen Mitarbeiters mit der Fachrichtung „Astrometrie und Himmelsmechanik“.

Schäfers wissenschaftliches Interesse gilt vor allem der Bewegung von Kleinkörpern des Sonnensystems und Exoplaneten sowie numerischen und numerisch-analytischen Verfahren der Himmelsmechanik. Schäfer erarbeitete ein verallgemeinertes Verfahren der Regularisierung der Bewegungsgleichungen von Zweikörperproblemen mit Hilfe von Integralen, das alle unabhängigen Bewegungsintegrale der Zweikörperprobleme in das Verfahren der Linearisierung und Regularisierung einschließt und sich sowohl für Gleichungen der ungestörten als auch der gestörten Kepler-Bewegung anwenden lässt. Abgeleitet wurden diese Gleichungen in Variation der Variablen von Sperling-Bode und Kustaanheimo-Stiefel auf Grundlage regularisierter Bewegungsgleichungen eines gestörten Zweikörperproblems. So erhielt man Formeln, mit denen sich partielle Ableitungen veränderlicher Bewegungsparameter aufgrund ihrer Ausgangswerte bestimmen ließen. Schäfer entwickelte einen Komplex von auf regularisierten und stabilisierten Bewegungsgleichungen basierenden Computerprogrammen, mit denen sich die Bewegung einzelner Kleinkörper und Kometen ermitteln lässt. Die entsprechenden Programme erwiesen sich sowohl hinsichtlich ihrer Genauigkeit als auch hinsichtlich ihrer Arbeitsgeschwindigkeit als äußerst effektiv, um große Exzentrizitäten aufweisende Umlaufbahnen zu berechnen und die Bewegung von Kleinkörpern in der Umgebung eines Aufpralls auf große Planeten zu bestimmen. Konkret ließ sich mit Hilfe dieser Programme eine numerische Bewegungstheorie sowie die langfristige Entwicklung der Umlaufbahn des erdnahen Asteroiden Icarus bestimmen. Schäfer brachte die Idee eines fiktiven Anziehungszentrums mit variabler Masse auf, auf deren Grundlage er eine neue Theorie der mittleren täglichen Bewegung entwickelte, innerhalb derer er neue Klassen mittlerer Umlaufbahnen schuf, die Berührungen der ersten bis vierten Ordnung zu den realen Bahnkurven aufwiesen und im Anfangssegment der Bahnkurve eine höhere Annäherung an die gestörte Bewegung ermöglichten als die oskulierende Keplerbahn oder von anderen Autoren berechnete ähnliche Bahnkurven. Je höher die Ordnung der Berührung an die gestörte Bahnkurve und je kleiner der Neigungswinkel der Bahnebene des untersuchten Körpers zu der den Hauptstörkräften ausgesetzten Fläche ist, desto genauer ist die Annäherung der von Schäfer berechneten Bahnkurven an die reale Bewegung. Um die Abweichungen der realen Bewegung von der mittleren Bewegung zu berechnen,  schlug er auf Differentialgleichungen basierende verallgemeinerte Verfahren der speziellen Bahnstörungen Enckes vor und zeigte, dass deren im Vergleich zum klassischen Algorithmus Enckes höhere Effektivität durch die deutlich niedrigeren Werte auf der rechten Seite der Gleichung in der Umgebung der Epoche der Rektifizierung der Referenzbahn bedingt sind. Er schlug analytische Methoden der Berechnung einer Matrix partieller Ableitungen der veränderlichen Bewegungsparameter vor, die von deren Ausgangswerten und den Bögen der oskulierenden und superoskulierenden mittleren Bahnkurven ausgehen. Für die Parameter der mittleren Bewegung und die partiellen Ableitungen von diesen Parametern werden die Lösungen universal dargestellt und lassen sich somit auf beliebige Typen gestörter Keplerbahnen anwenden. Schäfer arbeitete mit entwickelten verallgemeinerten Methoden Enckes verbundene mehrschrittige Algorithmen aus, mit denen sich Bewegungsgleichungen und Variationsgleichungen über große Zeitintervalle lösen lassen. Er schlug Verfahren zur Bestimmung mittlerer Bahnstörungen aufgrund von zwei oder drei Zustandsvektoren und den entsprechenden Zeitpunkten vor. Er bewies, dass die Grenzwerte der Parameter konstruierter Bahnkurven bei einem gegen Null gehenden zeitlichen Referenzintervall superoskulierende Bahnkurven mit einer Berührung der dritten und vierten Ordnung an die reale Bahnkurve ergeben. Er zeigte, dass die Konvergenzgeschwindigkeit an die exakte Lösung bei einer Verkürzung des zeitlichen Referenzintervalls in den von ihm ausgearbeiteten Methoden der Bahnbestimmung um zwei bzw. drei Ordnungen höher liegt als bei den traditionellen, eine ungestörte Keplerbahn nutzenden Methoden. Er schlug neue Methoden zur Bestimmung der ursprünglichen Bahnkurve vor, die sich auf drei oder mehr Beobachtungen des Kleinkörpers stützen und und den Hauptteil der Störungen berücksichtigen. Er führte numerische Untersuchungen durch, um diese Methoden mit dem klassischen auf drei Positionen basierenden Lagrange-Gauß-Verfahren, mit einem auf vier Positionen basierenden Verfahren Gaußschen Typs und dem auf vielen Positionen basierenden Verfahren Hergets zu vergleichen. Er zeigte, dass sich die methodischen Fehler der vorgeschlagenen Formen der Bestimmung der ursprünglichen Bahnkurve direkt proportional zu Quadrat und Kubus des zeitlichen Referenzintervalls verringern. Je höher die Genauigkeit der genutzten Beobachtungen und je kürzer der durch diese Beobachtungen bestimmte Bogen ist, desto höher die Genauigkeit der Annäherung an die reale Bewegung der mit Hilfe der neuen Verfahren konstruierten Bahnkurven. Dadurch unterscheiden sich die von Schäfer vorgeschlagenen Verfahren positiv von den traditionell angewandten Verfahren.

1986 promovierte Schäfer mit dem Thema „Regularisierende und Stabilisierende Umwandlungen bei der Untersuchung der Bewegung spezieller Kleinkörper und Kometen“ zum Kandidaten der Physikalisch-Mathematischen Wissenschaften (1987 von der Obersten Attestierungskommission beim Ministerrat der UdSSR anerkannt). 2004 promovierte er mit dem Thema „Untersuchungsverfahren gestörter Bahnkurven auf Grundlage der Anwendung eines fiktiven Anziehungszentrums mit veränderlicher Masse“ zum Doktor der Physikalisch-Mathematischen Wissenschaften (2004 von der Obersten Attestierungskomission bestätigt). Schäfers Forschungstätigkeit wurde mit Stipendien der American Astronomical Society (1992) und der Internationalen Wissenschaftsstiftung (Soros-Stiftung) (1993) sowie im Rahmen von neun Projekten der Russischen Stiftung für Grundlagenforschung (1994–2012) und drei Projekten des Zielprogramms „Entwicklung des wissenschaftlichen Potentials der Hochschule“ (2005–2011), des Föderalen Zielprogramms „Wissenschaftliche und Wissenschaftspädagogische Kader des innovativen Russland“ (2009–2011) gefördert. Er hat über 70 wissenschaftliche Arbeiten verfasst, unter denen auch zwei methodische Lehr- und Handbücher sind. Er war an der Arbeit zahlreicher Konferenzen, Symposien, Seminare und Kongresse beteiligt: Allunions-Konferenz für die Physik und Dynamik von Kleinkörpern des Sonnensystems (Duschanbe, 1982, 1989); Allunions-Schulseminar „Dynamik Mechanischer Systeme“ (Tomsk, 1986, 1989); Internationales Symposium „Inertial Coordinate System on the Sky” (Leningrad, 1990); Allunions-Konferenzen „Ephemeridenastronomie und Positionsbeobachtungen“ und „Asteroidengefahr“ (Leningrad, 1991); Konferenz „Asteroidengefahr-93“ (St. Petersburg, 1993); Internationale Konferenz „Probleme des Schutzes der Erde vor Kollisionen mit gefährlichen kosmischen Objekten“ (Sneschinsk, 1994); Internationale Konferenz „Verbundene Aufgaben von Mechanik und Ökologie“ (Tomsk, 1996); Internationales Schulseminar „The Dynamics of Small Bodies in the Solar System: A Major Key to Solar System Studies» (Maratea, Italien, 1997); Internationale Konferenz „Asteroids, Meteorites, Impacts and their Consequences” (Nördlingen, 2000); Internationale Konferenz „Asteroids, Comets, Meteors” (Berlin 2002); Allrussische Astrometrische Konferenz „Pulkowo-2012 (St. Petersburg, 2012) und andere. Schäfer ist Preisträger des Tomsker Gebietswettbewerbs im Bereich Bildung und Wissenschaft (2005) und des P.P. Kufarew-Preises (2005).

Auszeichnungen: Ju.A. Gagarin-Medaille der Russischen Raumfahrtvereinigung (2001), Medaillen „400 Jahre Stadt Tomsk“ (2004) und „Für Verdienste um die Staatliche Universität Tomsk“ (2008).

In den Jahren 1979–91 war Schäfer Mitglied der Allunions-Gesellschaft „Wissen“. Er ist Mitglied des Rats für Astronomie des Bildungsministeriums der Russischen Föderation (seit 1990). Gründungs- und Vorstandsmitglied der Internationalen Organisation „Astronomische Gesellschaft“ (1990–1999). Mitglied der „Astronomischen Gesellschaft” der deutschsprachigen Staaten (seit 2001). Er war Mitglied der Vereinigung der im Gebiet Tomsk ansässigen Deutschen „Wiedergeburt“ (1990–1999) und Vorsitzender des Gründerrats des Deutschen Kulturzentrums Tomsk (1991–93) und beteiligte sich als Abgesandter des Gebiets Tomsk an der Arbeit der 1. und 2. Konferenz der in der Sowjetunion lebenden Deutschen (1991–92). Er war Mitglied des Rats der Deutschen Nationalen Kulturautonomie des Gebiets Tomsk (1997–99), Betreuer der Studentengruppe, Gewerkschaftsorganisator der Abteilung für Himmelsmechanik und Astronomie sowie Mitglied des Gewerkschaftskomitees und des Wissenschaftsrats des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Angewandte Mathematik und Mechanik der Staatlichen Universität Tomsk (seit 2006). Er ist mit Olga Wladimirowna, geborene Martynenko (*1960) verheiratet, Absolventin der Mechanisch-Mathematischen Fakultät der Staatlichen Universität Tomsk (1983) und Dozentin der Pädagogischen Universität Tomsk. Ihre Tochter Evelina, verheiratete Wylegschanina (*1984), absolvierte die Fakultät für Fremdsprachen der Staatlichen Universität Tomsk (2006) und arbeitet als Lehrkraft für Systemverwaltung und Radioelektronik an der Staatlichen Universität Tomsk.

Veröffentlichungen

Application of KS-transformation in the problem of investigation of the motion of unusual minor planets and comets // Celest. Mech. and Dyn. Astr. 1990. Vol. 49, № 2; Линеаризация и регуляризация уравнений кеплеровского движения с помощью интегралов // Астрономический журнал. 1991. Т. 68, Выпуск 1; Numerical algorithms and programs for investigation of motion of asteroids and comets closely approaching major planets // Astron. and Astrophys. Trans. 1995. Vol. 8, № 1; Сверхоскулирующие промежуточные орбиты для аппроксимации возмущенного движения: Касание второго порядка // Астрономический журнал. 1998. Т. 75, № 6; High-accuracy simulation of the motion of asteroids and comets. Numerical aspects // Planetary and Space Science. 2001. Vol. 49, № 8; Osculating and superosculating intermediate orbits and their applications // Celest. Mech. and Dyn. Astr. 2002. Vol. 82, № 1; Определение промежуточной возмущенной орбиты по двум векторам положения // Астрономический вестник. 2003. Т. 37, № 3; Вычисление частных производных возмущенного движения с помощью дуг оскулирующих и сверхоскулирующих орбит // Там же. № 5; Сверхоскулирующие промежуточные орбиты: касания четвертого и пятого порядков к траекториям возмущенного движения // Письма в астрономический ж. 2006. Т. 32, № 12; Уравнения в вариациях параметрических переменных и преобразование их решений // Космические исследования. 2007. Т. 45, № 4; Метод определения промежуточной орбиты по четырем положениям малого тела на небесной сфере // Астрономический вестник. 2008. Т. 42, № 5; Сравнение эффективности методов определения промежуточной орбиты по трем и более наблюдениям на короткой дуге // Известия вузов. Физика. 2012. Т. 55, № 10/2. 

Literatur

Научно-исследовательский институт прикладной математики и механики. 1968–1993 / ред. Е.Д. Томилов, З.И. Касимов. Томск, 1993; Научно-исследовательский институт прикладной математики и механики. 1968–2008 / ред. А.А. Глазунов, А.Н. Ищенко. Томск, 2008; Who's Who in the World 2009 / 26th Ed. New Providence, NJ: Marquis Who's Who, 2008; Профессора Томского университета: биографический словарь (2003–2012) / авт.-сост. С.Ф. Фоминых, С.А. Некрылов, М.В. Грибовский и др. Томск, 2013. Т. 6; Шефер Владимир Александрович // Каф. астрономии и космической геодезии. Режим доступа: http://www.astro.tsu.ru/index.php?option=com_content&view=article&id=73&Itemid=39 (дата обращения: 01.02.2013).

 
Autoren: Gribovskij M.V., Fominych S. F.

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