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Friesen Peter Martin (Pjotr Martynowitsch) (1849–1914), prominenter russischer mennonitischer Historiker der Zeit vor der Revolution, religiöser und gesellschaftlicher Aktivist

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

FRIESEN Peter Martin (Pjotr Martynowitsch) (1849–1914), prominenter russischer mennonitischer Historiker der Zeit vor der Revolution, religiöser und gesellschaftlicher Aktivist.

Wurde in der Kolonie Sparrau am Molotschnaja-Fluss (heute das Dorf Dolgoje des Rayons Bogdanowo im Gebiet Saporoschje) geboren. Schloss die Dorfgrundschule ab, danach die zentrale Fachschule in Halbstadt. Setzte die Ausbildung in der Schweiz fort, danach in Odessa und Moskau, wo er seine Kenntnisse im Bereich der russischen Sprache vertiefte.

1865 nahm er im Alter von 16 Jahren die Taufe nach Glauben an und trat 1866 der Molotschansker Brüderlichen mennonitischen Gemeinde bei. Nahm 1872 mitten im Kampf der brüderlichen Mennoniten um die Legalisierung ihrer Kirche an der ersten Konferenz der Ältesten der brüderlichen Gemeinden in der Kolonie Einlag des Gouvernements Jekaterinoslaw teil, wo eine spezielle „Vortragsnotiz“ erstellt wurde, in der zum ersten Mal die Gründe des Austritts der brüderlichen Mennoniten aus den alten mennonitischen Gemeinden sowie der Unterschied ihrer Ideologie und der kirchlichen Praxis von der Alten Kirche detailliert aufgeführt wurden. Friesen übersetzte zusammen mit Johann Wieler den Wortlaut des Glaubensbekenntnisses der brüderlichen Mennoniten, erstellt durch A. Ungern, in die russische Sprache zur Vorlage in das Ministerium für innere Angelegenheiten Russlands.

Von 1873 bis 1886 unterrichtete P.M. Friesen an der zentralen Fachschule in Halbstadt, in der er einige Jahre deren Direktor war (1880–1886). Nach den Äußerungen seiner Zeitgenossen war die Zeit seiner Verwaltung als Direktor die Glanzperiode der Fachschule. Er war neben dem Lehrer der Fachschule J.J. Bruhl einer der aktivsten Befürworter des Russischunterrichts in dieser Lehranstalt.

1882 nahm Friesen als Delegierter der Molotschansker Brüderlichen mennonitischen Kirche an einer gemeinsamen Konferenz mit russischen Baptisten in der Kolonie Rückenau an der Molotschnaja teil, während der er versuchte, entstehende strittige Fragen zu mildern. Zudem nahm er auch an den alljährigen Konferenzen der Ältesten der mennonitischen Brüderschaft teil. 1884 wurde Friesen zum Dienst als Prediger eingeweiht. 1886–1888 führte er die Predigt in russischen und deutsch-baptistischen Gemeinden im Kuban-Gebiet, in Moskau und Odessa. Im Jahre 1888 wurde er zum Dienst als Presbyter von deutschen Baptisten der Stadt Odessa eingeladen, wo er seinen Pflichten bis 1892 nachging.

Arbeitete eng mit russischen Baptisten und evangelischen Christen zusammen, predigte in ihren Gemeinden, schützte vor Verfolgungen seitens der Behörden, verfasste dabei das später bekannt gewordene Pamphlet „Konfession oder Sekte?“. Friesen war eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der evangelisch-baptistischen Bewegung im Süden des Russischen Kaiserreichs, nach den Worten orthodoxer Missionare, „allen und jedem bekannt“. Wegen gesundheitlichen Problemen war er gezwungen, Odessa zu verlassen und nach Sewastopol zu ziehen. Fast dreizehn Jahre war er Presbyter der russischen Gemeinde evangelischer Christen in Sewastopol und Prediger-Ordnungshüter der „Evangelischen Brüderschaft der Mennonitischen Gottesdienstgemeinde von Sewastopol“. 1903 erstellte Friesen eine „Kurze Glaubenslehre der Christen evangelischer Bekenntnis“, die zur Grundlage der Darlegung des Glaubens russischer evangelischer Christen wurde (bestätigt 1909 als offizielle Bekenntnis des russischen evangelischen Verbandes auf der Tagung in Jekaterinoslaw). 1904 wurde auf Initiative von Friesen und H. Fast die sogenannte „Mennonitische Kirche der Allianz“ [„Allianzgemeinde“ (Evangelische Mennoniten-Gemeinden)] gegründet, die in ihren Reihen sowohl die „alten“, als auch die reformierten Mennoniten vereinen sollte.

Friesen trat mehrfach als Antragsteller für eine Erlaubnis, um Gebetshäuser für brüderliche Mennoniten aufzubauen und darin Gottesdienst abzuhalten (in der Heimatkolonie Sparrau an der Molotschnaja 1887, in der Kolonie Spat auf der Krim, in der Sagradowsker mennonitischen Siedlung im Gouvernement Cherson 1894). Im Jahre 1904 war er gezwungen, Sewastopol zu verlassen und nach Moskau umzuziehen, wo zu jener Zeit das Hauptquartier des Russischen evangelischen Verbandes befand. Seine Moskauer Wohnung wurde zum Ort der Durchführung von Gebetsversammlungen von Studenten-Mennoniten. Ende 1905 bildete der Gründer der evangelisch-christlichen Bewegung in Russland I.S. Prochanow die liberal-bürgerliche Partei „Verband der Freiheit, Wahrheit und Friedlichkeit“, deren Zentralbüro sich in Sewastopol befand. In ihrem Programm war die Partei des Verfassungsdemokraten nahe. 1906 unterstützte Friesen aktiv die Idee der Gründung durch I.S. Prochanow des Russischen evangelischen Verbands. 1909 nahm er als Vertreter der Mennonitischen Brüderschaft am Kongress russischer Baptisten und evangelischer Christen der Stadt Rostow am Don teil. 1909 unterrichtete er an illegalen Bibelkursen, die im Dorf Halbstadt bei der „Mennonitischen Gesellschaft der Jungen“ zur Ausbildung neumennonitischer Prediger organisiert wurden. 1910 nahm er an der Tätigkeit der allmennonitischen Konferenz in der Kolonie Schönsee an der Molotschnaja teil, deren Hauptaufgabe die Ausarbeitung von Maßnahmen war, welche die von jenem Jahr begonnenen diskriminierenden Vorgänge der Regierung gegenüber der religiösen Rechte der Mennoniten anhalten könnten.

Friesen war ein sehr begabter und ausdrucksvoller Redner. Seine Auftritte waren aktuell und scharf, dennoch wegen der außerordentlichen Toleranz von dessen Charakter gehörten seine Aussagen nicht zu der Zahl von denen, die schmerzhaft die Gefühle anderer verletzen würden. Friesen war zudem ein unter den russischen Mennoniten bekannter Pamphletist und religiöser Schriftsteller. Auf der Konferenz der mennonitischen Brüderschaft 1885 in der Kolonie Rückenau (zu Ehren des 25. Jubiläums der Brüderschaft) wurde er mit der Verfassung des Grundrisses der Geschichte der Mennonitischen brüderlichen Gemeinde betraut. Alle waren sich sicher, dass Friesen diese Aufgabe schnell bewältigt. Aber seine Arbeit dehnte sich auf lange 25 Jahre aus und hatte als Ergebnis das wahrlich fundamentale Werk „Alt-Evangelische Mennonitische Bruderschaft in Russland (1789–1910) im Rahmen der mennonitischen Gesamtgeschichte“, das 1911 durch den mennonitischen Verlag „Raduga“ („Regenbogen“) in Halbstadt herausgegeben wurde.

Die letzten Lebensjahre, mit einem fast völlig verlorenen Sehvermögen, verbrachte Friesen in der Kolonie Tiege an der Molotschnaja (heute das Dorf Orlowo des Rayons Molotschansk im Gebiet Saporoschje).

INHALT

Госархив Одесской области. – Ф.2, оп.1, д.1725, л.1–11; Российский государственный исторический архив – Ф.821, оп.5, д.940, л.203–206; д.1026, л.1–1об; Центральный государственный исторический архив Украины в г. Киеве. – Ф.442, оп.690, д.315, л.22–22об; Протокол конференции баптистов в колонии Рикенау Таврической губернии, 20 мая 1882 г. //Алексий (епископ) Материалы для истории религиозно-рационалистического движения на Юге России во второй половине XIX ст. – Казань, 1908. – С. 558, 562, 564.

Friesen P.M. Alt-Evangelische Mennonitische Bruederschaft in Russland (1789–1910) im Rahmen der mennonitischen Gesamgeschichte. – Halbstadt: Raduga, 1911= Friesen P.M. The Mennonite Brotherhood in Russia (1789–1910). – /Trans. from the German. /2 revised edition. – Board of Christian Literature; General Conference of Mennonite Bretheren –Churches. Fresno, California, 1980.

Literatur

The Mennonite Encyclopedia. A Comprehensive Reference Work on the Anabaptist-Mennonite Movement. – In 4 Vols. – Mennonite Publishing House, Scottdale, Pa., 1955. – Vol.II. – P.405–406; Prizkau J. Geschichte der Baptisten in Sued-Russland. – Odessa, 1914. = Prizkau J. Geschichte der Baptisten in Sued-Russland. – Lage: Logos Verlag, 1996. – S.172; Алексий (епископ) Религиозно-рационалистическое движение на Юге России во второй половине XIX ст. – Казань, 1909. – С. 233; История евангельских христиан-баптистов в СССР. – М.: ВСЕХБ, 1989. – С. 439, 551; Кальнев М. Немцы и штундобаптисты. По поводу найденного протокола одной из конференций штундистов, состоявшейся 21–23 мая 1882 г. в немецкой колонии Рюккенау Таврической губ. – М., 1894. – С. 16, 29–30; Кривохатський М. Меноніти на Україні. – Харьків, 1930. – С.5–6.

Autoren: Besnossowa O.

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