BULLA, Fotografenfamilie.
Carl Oswald (Karl Karlowitsch) Bulla, * 1854 oder 1855 in Leobschütz (Schlesien), † 1929 auf der Insel Ösel. Fotograf. Deutscher Staatsangehöriger katholischer Konfession.
Carl Oswald Bulla erhielt eine häusliche Bildung. Im Alter von zehn Jahren kam er aus Deutschland nach St. Petersburg, wo er sich bei der auf den Verkauf von Fototechnik spezialisierten Firma Dupant vom Laufburschen und Laboranten zum Fotografen hocharbeitete.
1875 eröffnete Bulla in der auf der Sadowaja-Straße gelegenen „Passage“ sein eigenes Fotostudio. Im März 1886 erhielt er die Genehmigung, außerhalb seines Studios in Wohnungen, auf der Straße und in der Umgebung von St. Petersburg zu fotografieren, und zog mit seinem Atelier an den Newski-Prospekt (Haus Nr. 110).
In den Jahren 1900-05 gehörte die „Agentur K. Bulla“ zu den führenden Fotoateliers des Landes und dokumentierte mit zahlreichen Fotoreportagen aus Politik, Gesellschaft und Alltag das Leben in Russland. 1908 kaufte Bulla am Newski-Prospekt Nr. 54 neue Räumlichkeiten für ein luxuriös ausgestattetes Atelier, in dem die Mitglieder der Zarenfamilie, hohe Würdenträger und Angehörige der kreativen Intelligenz verkehrten. Ilja Repin, der sich mehrfach von Bulla fotografieren ließ, zeigte großen Respekt für den künstlerischen Wert der Arbeit des Fotografen und beschrieb ihn als „äußerst betriebsam und talentiert”.
Bullas Fotoreportagen, in denen er von den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 1917 zahlreiche Ereignisse der Zeitgeschichte festhielt (Eröffnung und Arbeit der Staatsduma aller vier Legislaturen, Jubiläen, Flüge bekannter Luftfahrtpioniere, Szenen volkstümlicher Feste und Vergnügungen, die Ereignisse der Revolution von 1905-07, Militärübungen, Paraden und Appelle, die Feierlichkeiten aus Anlass des 300. Jahrestags des Hauses Romanow usw.) sowie seine Ansichten von Palästen, Öffentlichen Gebäuden und Wohnhäusern haben ihren historischen und kulturellen Wert bis heute erhalten. Neben Porträts und Reportagen widmete sich Bulla auch der künstlerischen Genre-Fotografie (“Eisbrecher auf der Newa“, “Beim Bach“”, „Ansicht von Wyborg“ usw.). Im Sommer 1908 produzierte Bulla zusammen mit seinem Sohn Wiktor im Auftrag der Zeitschrift „Neue Zeit“ eine dem Leben Lew Tolstois und seiner Familie gewidmete Fotoreportage, für die er auf dessen Landgut in Jasnaja Poljana über 90 Aufnahmen machte. Zugleich arbeitete Bulla intensiv mit den illustrierten Journalen “Niwa” und “Ogonjok” sowie mit bekannten europäischen Zeitschriften zusammen.
Bulla war offizieller Fotograf des Ministeriums des Kaiserlichen Hofs, der Stadt Petersburg“(1896), der Russischen Feuerwehr-Gesellschaft, der Öffentlichen Bibliothek (ab 1904) sowie unterschiedlicher Lehranstalten. Er war Hoffotograf des Serbischen Königs (1910) und ihrer Kaiserlichen Hoheit Großfürstin Maria Pawlowna (1912).
Bulla engagierte sich innerhalb des Kaiserlichen Wohlfahrtsamts (Amt der Kaiserin Maria Fjodorowna) für karitative Zwecke. So war er von August 1904 an Kurator des Lehrbauernhofs für Taubstumme im Dorf Mursino und wurde mit der Goldenen Medaille am Annenband ausgezeichnet.
Bulla beteiligte sich an zahlreichen landesweiten Ausstellungen und wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet: Jubiläumsfotoausstellung der 5. Abteilung der Russischen Technischen Gesellschaft (St. Petersburg, 1889), Fotoausstellung der Zeitschrift „Fotografische Nachrichten“ (St. Petersburg, 1912), Belobigungsurkunde des Handels- und Industrie-Ministeriums für Ereignisse des modernen Lebens illustrierende Aufnahmen) usw. Er war Erbehrenbürger, stand von 1908 an im Kaufmannsstand und wurde später in den Adelsstand erhoben. 1916 übergab Bulla die Geschäfte an seine Söhne und setzte sich auf der Insel Ösel zur Ruhe.
Alexander Karlowitsch Bulla, * 1881 in St. Petersburg, † 1943. Fotograf und Erbehrenbürger katholischer Konfession.
Bullas ältester Sohn Alexander erhielt seine fotografische Ausbildung in Deutschland. Nach seiner Rückkehr nach Russland arbeitete er von 1909 an im Studio seines Vaters und spezialisierte sich auf Porträtaufnahmen. So fotografierte er unter anderem den Opernsänger Fjodor Schaljapin, den Künstler Jewgeni Lansere, den Architekten Alexander Dmitrijew, den Schriftsteller Fjodor Sologub und die Tänzerinnen Olga Preobraschenskaja und Anna Pawlowa sowie Szenen aus Aufführungen der Petersburger Theater. 1912 veröffentlichte er in der Zeitschrift „Die Sonne Russlands“ erstmals unter eigenem Namen. Darüber hinaus fotografierte er auch Zeremonien, Appelle, Paraden und Empfänge zu Ehren ausländischer Staatsgäste. (Fotoreportage über den Besuch des französischen Staatspräsidenten Raymond Poincaré in St. Petersburg und Kronstadt).
Während des Ersten Weltkriegs war Alexander Bulla als Fotokorrespondent der Zeitschrift „Die Sonne Russlands“ tätig. Nach seiner im Jahr 1917 erfolgten Rückkehr nach Petersburg setzte er seine Tätigkeit als Fotoreporter fort, dokumentierte das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt in Fotochroniken und schuf zahlreiche Porträts bekannter Politiker. 1918 arbeitete er mit der ersten sowjetischen Illustrierten “Plamja“ [„Die Flamme“] zusammen, in der er zahlreiche Porträts der Revolutionsführer sowie Aufnahmen der historischen Ereignisse veröffentlichte (Demonstrationen beim Smolny, Feierlichkeiten aus Anlass des ersten Jahrestags der Oktoberrevolution, Sitzungen des Petrograder Sowjets usw.). In Moskau fotografierte Bulla auf dem 3. Kongress der Komintern Lenin (1921). In den Jahren 1922-27 wurden seine Fotografien in den Zeitschriften “Petrograd”, “Rotes Panorama”, “Leningrad” und “Echo” abgedruckt. Er nahm an der Ausstellung „Zehn Jahre Sowjetische Fotografie” (1928, Moskau, Ehrendiplom) in der Kategorie Fotochronik teil. 1928 wurde Bulla verhaftet und verbrachte zehn Jahren in verschiedenen Gefängnissen und Lagern.
Wiktor Karlowitsch Bulla, * 1883 in St. Petersburg, † 19. April 1944. Fotograf katholischer Konfession.
Karl Bullas jüngerer Sohn Wiktor schloss 1899 die Englische Schule in St. Petersburg ab. Seine fotografische Ausbildung erhielt er in Deutschland. Zunächst arbeitete er mit seinem Vater und seinem Bruder Alexander zusammen. Während des Russisch-Japanischen Kriegs von 1904/05 wurde er als Fotokorrespondent zur Sibirischen Reserve-Brigade kommandiert. Seine Aufnahmen von den Schauplätzen der Kampfhandlungen, die seine ersten unter eigenem Namen veröffentlichten Arbeiten darstellten, wurden in den Zeitschriften “Niwa” und “Iskra” [„Funke“] abgedruckt. Bulla wurde mit einer silbernen Tapferkeitsmedaille am Georgsbands ausgezeichnet (mit dem Recht, diese auf der Brust zu tragen).
Nach Ende des Krieges nahm er seine Arbeit als Fotokorrespondent im Fotoatelier der Familie wieder auf. Seine Leidenschaft für die Kinochronik veranlasste ihn allerdings im Jahr 1909, die in der Filmproduktion und im Filmverleih tätige Gesellschaft „Apollon“ zu gründen, für die er als Kameramann, Regisseur und Direktor tätig war. In den zwei Jahren ihres Bestehens produzierte die Gesellschaft neben den offiziellen Kinochroniken etwa vierzig Filme, unter denen auch einige einzigartige dem Thema Sport gewidmete Arbeiten waren, so z.B. über die Internationalen Eisschnelllaufmeisterschaften in Wyborg und das Autorennen „Petersburg-Rom-Petersburg“ (zusammen mit seinem Bruder Alexander und dem Kameramann F. Werigo-Darowski, 1910). 1911 überließ „Apollon“ den Filmverleih und -verkauf der Filmgesellschaft „Prodafilm“.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs nahm Bulla seine Arbeit im Fotostudio seines Vaters wieder auf und fotografierte später die revolutionären Ereignisse von 1917-18. In den gleichen Jahren setzte er seine Arbeit als Kameramann und Dokumentarfilmer fort und war an der Produktion eines Films über die Februarrevolution von 1917 beteiligt („Chronik der Revolution in Petrograd“). Die dynamischen und ausdrucksstarken Aufnahmen des Fotografen dienten den Regisseuren Sergei Eisenstein und Micheil Tschiaureli als Inspiration für ihre der Oktoberrevolution gewidmeten Filme.
Nach der Oktoberrevolution leitete Bulla das in den Räumlichkeiten des früheren Ateliers seines Vaters untergebrachte Fotostudio des Petrograder Sowjets (Newski Prospekt Nr. 54) und war einer der Mitbegründer der Kino- und Foto-Leniniade. In den Jahren 1919-20 fotografierte bzw. filmte er Lenin auf dem 8. und 9. Parteitag der RKP(b), in den Jahren 1920-21 während der Arbeit des 2. und 3. Kongresses der Komintern. 1921 unternahm Bulla eine Reise nach Baku und auf die Ölfelder von Bibi-Eibat. 1928 nahm er an der Ausstellung „Zehn Jahre Sowjetische Fotografie” in Moskau teil und wurde mit einem Ehrendiplom in der Kategorie Fotochronik ausgezeichnet.
1935 überließ Bulla die insgesamt 132.683 Negative umfassende fotografische Sammlung der Familie dem Archiv der Oktoberrevolution und des Sozialistischen Aufbaus des Gebiets Leningrad. Am 15. Juli 1939 (anderen Quellen zufolge am 23. Juni 1938) wurde er als „Volksfeind“ verhaftet. Er starb in Haft. 1958 wurde er posthum rehabilitiert.
Sein Sohn Juri Wiktorowitsch Bulla (* 1919 in Petrograd, † 1941) war Fotokorrespondent der Zeitung der Leningrader Pioniere „Leningrader Funken”. Er fiel im Deutsch-Sowjetischen Krieg an der Leningrader Front.