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MEYENDORFF Alexander Felixowitsch (1869–1964). Baron, Politiker, Staatsrat

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

MEYENDORFF, Alexander Felixowitsch, * 10. April 1869 in Baden-Baden (Deutschland), † 20. Februar 1964 in London. Baron, Politiker, Staatsrat (1906).

Entstammte dem Adelsgeschlecht der Meyendorffs und war Sohn des Diplomaten F.K. Meyendorff und seiner Frau Olga Michailowna, geb. Fürstin Gortschakowa (deren Schwester mit dem Vater P.A. Stolypins verheiratet war).

Seine schulische Ausbildung erhielt Meyendorff an Gymnasien in Stuttgart, Weimar und Riga. Nach Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Petersburger Universität (1892) diente er zunächst als Freiwilliger beim 1. Moskauer Leibdragonerregiment und wurde 1893 im Rang eines Fähnrichs der Kavallerie in die Reserve entlassen. In den Jahren 1897-99 war er als geschäftsführendes Mitglied der Kurländischen Gouvernements-Kommission für Bauernfragen mit Fragen der Agrargesetzgebung der Ostseeprovinzen befasst. In den Jahren 1899-1903 leitete er die Abteilung für bäuerliche Angelegenheiten im Innenministerium, in den Jahren 1903-06 diente er in der Staatskanzlei. Parallel lehrte er in den Jahren 1902-05 als Privatdozent am Lehrstuhl für russisches Agrarrecht der Petersburger Universität und gab einen „Sammelband der Auszüge aus den Beschlüssen des Regierenden Senats zu baltischen Angelegenheiten“ heraus (Mitau, 1905). Infolge von Studentenunruhen war er gezwungen, die Universität zu verlassen. In den Jahren 1906-07 war er Klassen-Inspektor der Kaiserlichen Rechtsschule in St. Petersburg.

Zur Zeit der Revolution von 1905-07 schloss sich Meyendorff der Baltischen Konstitutionellen Partei an und gehörte 1905 zu den Mitbegründern der Oktobristen-Partei („Bund des 17. Oktober“), deren Petersburger ZK er von 1907 an ebenso angehörte wie dem Petersburger Stadtrat. Darüber hinaus war er Vorsitzender und Vertreter der Deutschen Gruppe im Zentralkomitee, die innerhalb der Partei eine eigenständige Organisation darstellte und die „deutschsprachigen Bürger des Reichs vereinen“ sollte. Von Januar 1906 gehörte Meyendorff dem von Vertretern verschiedener konstitutionell-monarchistischer Organisationen („Bund des 17. Oktober“, „Industrie- und Handels-Partei“, Progressiv-Ökonomische Partei“ und „Partei für Recht und Ordnung“) gegründeten sogenannten Vereinigten Komitee an, das die Aktivitäten der rechtsliberalen Parteien bei den Wahlen zur Staatsduma koordinieren sollte. Im Februar des gleichen Jahres gehörte er einer Parteikommission an, die in der Frage der am 20. Februar 1906 verabschiedeten Verfassung eine einheitliche Linie ausarbeiten sollte. Entgegen der Mehrheitsmeinung sprach er sich für eine Änderung der Verfassung und insbesondere die Gründung einer zweiten Kammer des Russischen Parlaments (Staatsrat) aus. Im Februar 1907 wurde er in die Kommission zur Vorbereitung des Parteitags der Oktobristen gewählt. Bei den Wahlen zur Ersten Staatsduma kandidierte er für St. Petersburg.

Im Jahr 1907 wurde Meyendorff als Abgeordneter der livländischen Grundbesitzer in die Dritte Staatsduma gewählt. 1907-08 war er einer der Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatsduma und Mitglied sowohl der Fraktion als auch des Büros der Oktobristen, deren linkem Flügel er angehörte. In der Hoffnung, dass Russland Anschluss an die europäische Entwicklung der Landwirtschaft finden könne, unterstützte er die Stolypinsche Agrarreform. In seinen vor der Duma gehaltenen Reden trat er immer wieder für rechtsstaatliche Grundsätze und die Herrschaft von Recht und Ordnung ein, als deren Garanten er das Manifest vom 17. Oktober sowie die Tätigkeit des Staatsrats und der Staatsduma ansah: „In diesem Land, das man [...] für ein Land der Willkür hielt, hat sich nichtsdestotrotz die Saat eines richtigen Rechtsbewusstseins bewahrt und sogar vermehrt“. Es sei nötig „das Feuer des Glaubens an das Gesetz und die Möglichkeit eines irdischen Wohlergehens unter einer normalen Macht zu entfachen“. Meyendorff forderte, den in den meisten Gouvernements geltenden Ausnahmezustand aufzuheben, da dieser der Behördenwillkür den Boden bereite, und verteidigte die Unversehrtheit der Person. Als die Duma im Februar 1908 die Verurteilung politischer Morde diskutierte, stellte Meyendorff heraus, dass er eine Politik, die den Terror „allein mit Gewalt“ bekämpfe, für ebenso schädlich und hoffnungslos halte wie den revolutionären Terror selbst. Im März 1908 richtete er zusammen mit anderen Abgeordneten der Oktobristen eine das illegale Vorgehen des Odessaer Stadthauptmanns I.A. Dumbadse betreffende Anfrage an die Staatsduma. Im April 1908 sprach er sich für allmähliche und „vernünftige Reformen“ und insbesondere für eine Neuordnung des Polizeiapparats aus. 1910 enthüllte er die illegalen Praktiken der Gefängnisverwaltung und übte scharfe Kritik an der Praxis des Justizministeriums, „die Gesetze durch Rundschreiben zu erläutern“, wenn „das eine geschrieben und das gerade Gegenteil gemeint“ sei. Als seine Fraktion im Mai 1910 ein die Autonomierechte Finnlands einschränkendes Gesetzesvorhaben unterstützte, stellte er sich gegen die Mehrheit, trat aus dem Parteibüro aus, drohte mit der Niederlegung seines Mandats und blieb nur in der Fraktion, als diese ihm freistellte, gegen das Projekt zu stimmen. Mit Blick auf die „Ostseefrage“ sprach er sich für die Beschneidung der Privilegien des Ostseeadels aus, die er für ein überkommenes Relikt der Vergangenheit hielt.

Nachdem er bei den Wahlen zur Vierten Staatsduma 1912 als Abgeordneter des Gouvernements Livland wiedergewählt worden war, gehörte Meyendorff unter anderem dem Rechts-, dem Redaktions- (zeitweise als Vorsitzender) und dem Bibliotheksausschuss an. Als Abgeordneter der Duma trat Meyendorff immer wieder als konsequenter Verfechter der bürgerlichen Rechte und Freiheiten und Gegner jeglicher Form von „Ausnahmezuständen“ in Erscheinung. Als es Ende 1913 zur Spaltung der Fraktion der Oktobristen kam, gehörte er zu den Gründern der Fraktion der linken Oktobristen. In den Jahren 1912-19 war er Landrat der Livländischen Landratskommission.

Während des 1. Weltkriegs versuchte Meyendorff, sich der in der russischen Presse entfachten, gegen die Baltendeutschen gerichteten Kampagne entgegenzustellen, und setzte sich in einem von ihm veröffentlichten Sammelband mit den gegen die Deutschbalten erhobenen Anschuldigungen auseinander, deren Ursachen er in veralteten sozialen und nationalen Vorstellungen sah, die seines Erachtens einer unverzüglichen Lösung bedurften. Sinn und Ziele der antideutschen Kampagne in der Ostseeregion definierte Meyendorff dabei als den Versuch, die „Ostseefrage“ unter den Bedingungen der Kriegszeit endgültig zu lösen und insbesondere die Organe der Selbstverwaltung des Adels der Ostseeregion abzuschaffen.

Meyendorff besaß als Großgrundbesitzer etwa 2.300 Desjatinen Land, zwei Mietshäuser in St. Petersburg sowie das im Kreis Wolmar (Gouvernement Livland) gelegene Familiengut Klein-Roop und hatte eine einzigartige Sammlung chinesischen Porzellans sowie eine umfangreiche Bibliothek. Nach der Februarrevolution von 1917 wurde er zum Mitglied des Regierenden Senats berufen und war einer der Führer der nationalen Bewegung der Russlanddeutschen.

Zur Zeit des Bürgerkriegs spielte Meyendorff eine entscheidende Rolle bei der Befreiung der den Reihen des Adels und der deutschen Bourgeoisie entstammenden Geiseln, die am 22.-23. bzw. 28.-29. Januar 1918 in Reval und Dorpat genommen worden waren und aufgrund der von Meyendorffs im Namen der früheren Adligen der Gouvernements Livland und Estland verfassten Bittschriften an die Volkskommissariate für Äußere bzw. Innere Angelegenheiten und Justiz bald freigelassen wurden. Einige hundert Adlige wurden ausgewiesen. Von 1919 an lebte Meyendorff zunächst in Finnland und später in Großbritannien (1934-39) in der Emigration, wo er an britischen Universitäten lehrte. Er war Professor der London School of Economics und Autor mehrerer der russischen Geschichte und Rechtsgeschichte gewidmeter Arbeiten.

Veröffentlichungen

Мелкая земская единица в Прибалтийских губерниях, в кн.: Мелкая земская единица. Сб. статей, в. 1, СПБ, 1903; Прусская конституция с объяснениями, СПБ, 1905; Крестьянский двор в системе русского крестьянского законодательства и общинного права и затруднительность его упорядочения, СПБ, 1909; Вопрос о толковании закона и компетенция депутатов Правительствующего сената прежнего устройства, СПБ, 1914; Материалы к пересмотру законов о печати, Пг., 1915; Conversations of Gorchakov with Andrassy and Bismarck in 1872, «Slavonic review», New Haven, 1932; The cost of the war to Russia, ibid.

Archivquellen

РГИА, ф. 1278, оп. 9, д. 500, 501.

Literatur

Донесения Л.К. Куманина из Министерского павильона Государственной думы, декабрь 1911 – февраль 1917 года, «Вопросы истории», 1999, № 2; Дякин В.С., Самодержавие, буржуазия и дворянство в 1907–1911 гг., Л., 1978 (ук.); Центральный Комитет «Союза 17 октября» в 1905–1907 годах. Документы и материалы, «История СССР», 1991, № 5; «Отечественная история», 1992, № 3; № 4; Андреева Н.С., Политик А.Ф. Мейендорф, в кн.: Немцы в России. Петербургские немцы, СПБ, 1999. * ОИ; Политические партии в России. Конец XIX – первая треть XX века. Энциклопедия, М. 1996, с. 353; DBL.

Autoren: Šlâhov A.

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