NADLER, Wassili Karlowitsch, * 15. Dezember 1840 in Charkow, † 31. März 1894 in Odessa. Historiker.
Sohn einer Apothekerfamilie. Nach Abschluss der Historisch-Philologischen Fakultät der Universität Charkow (1862) blieb Nadler als Kandidat der Historischen Wissenschaften an der Universität, um sich auf die Professorenlaufbahn vorzubereiten. In den Jahren 1862-64 bereiste er mit wissenschaftlichem Interesse Frankreich, Österreich und Deutschland, wo er in den Bibliotheken von Paris, Wien, Berlin und Prag sowie in den Archiven von Klöstern, Ritterorden und Kaufmannsgilden forschte. An der Petersburger Universität verteidigte er 1864 seine Magisterdissertation („Gründe und erste Erscheinungsformen der Opposition zum Katholizismus in Tschechien und Westeuropa Ende des XIV. - Anfang des XV. Jahrhunderts“, Charkow, 1864) und 1867 seine Doktordissertation („Adalbert von Bremen, der Regent Deutschlands in den jungen Jahren Heinrichs IV.“ (Charkow, 1867). Von 1864 an war er Privatdozent, von 1868 an kommissarischer außerordentlicher Professor, von 1869 an ordentlicher Professor und von 1889 an verdienter Professor der Universität Charkow. In den Jahren 1869-75 war er Sekretär und in den Jahren 1875-91 Dekan der Historisch-Philologischen Fakultät. Zudem war er mehrfach Rektor der Universität. Er hielt einen Kurs zur Weltgeschichte, der in bearbeiteter Form unter dem Titel „Vorlesungen zur Weltgeschichte“ veröffentlicht wurde (Bd. 1-4, Charkow, 1889-1910). Nadlers der französischen Geschichte des späten XVIII. und frühen XIX. Jahrhunderts gewidmeter Kurs erschien unter dem Titel „Vorlesungen zur Geschichte der Französischen Revolution und des Napoleonischen Reiches (1789-1815)“ posthum in einer von W.P. Buseskul bearbeiteten Version (Charkow, 1898). Von Januar 1891 an war Nadler Dekan der Historisch-Philologischen Fakultät der Neurussischen Universität (Odessa), wo er Vorlesungsreihen zur Geschichte des Alten Rom, zur Geschichte des Mittelalters sowie zur neuzeitlichen Geschichte Westeuropas und Russlands hielt.
Als Spezialist für Mediavistik widmete sich Nadler in seinen frühen Arbeiten vor allem der politischen Geschichte der Länder Westeuropas im frühen Mittelalter („Die Lage Westeuropas im späten IX. und frühen X. Jahrhundert“ (Charkow, 1865); „Kaiser Otto III. und seine Zeit“ (Charkow, 1865). Parallel befasste er sich mit der Geschichte des Byzantinischen Reichs („Justinian und die Zirkusparteien in Byzanz“, Charkow, 1876) und des Arabischen Kalifenreiches („Das Kulturleben der Araber in den ersten Jahrhunderten der Hidschra (622-1100) und deren Ausdruck in Dichtung und Kunst“, Charkow, 1869). Mit Blick auf die frühmittelalterliche Geschichte der west- und südslawischen Völker vertrat Nadler die These, dass diese angesichts ihrer verstreuten Siedlung „gezwungen gewesen seien, isoliert, ohne Einheitsbewusstsein und ohne gegenseitige Hilfe und Unterstützung in den schicksalhaften Kampf gegen ihre Stammesfeinde zu treten“, was letztlich zu ihrer Versklavung durch andersstämmige Völker geführt habe. Dem habe die Neigung der Slawen zu „Absonderung und Spaltung“ sowie das Fehlen einer „organisierenden einigenden Kraft“ zusätzlich Vorschub geleistet. Durch die Annahme des katholischen Glaubens hatten die Westslawen nach Ansicht Nadlers ihre „urslawische Seele“ unterdrückt. Ausgehend von diesen Annahmen sah Nadler die tschechische Hussiten-Bewegung als Ausdruck des Kampfes gegen den Katholizismus, dessen Ziel darin bestanden habe, zu den „eigenen nationalen Ursprüngen“ zurückzukehren.
In den 1880er Jahren wandte sich Nadler zunehmend der Geschichte der russischen Außenpolitik des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts zu, die er im Gesamtkontext der politischen Geschichte Westeuropas betrachtete. Dabei galt sein Interesse vor allem der Person Zar Alexanders I., den er als herausragenden Diplomaten beschrieb. Ergebnis seiner Forschungsarbeiten waren die Monographie „Metternich und die europäische Reaktion (Charkow, 1882) und das Großwerk „Zar Alexander I. und die Idee der Heiligen Allianz“ (Bd. 1–5, Charkow, 1886-92). In seinen letzten Lebensjahren befasste sich Nadler mit der Erforschung der Geschichte Odessas, beteiligte sich aktiv an den Arbeiten der Odessaer Gesellschaft für Geschichte und Altertum und schrieb für die Zeitung „Odessaer Bote“.
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Милюков П.Н., Новый историк двенадцатого года, «Русская мысль», 1887, № 2; Агеев М., В.К. Надлер, Одесса, 1894; Бузескул В.П., В.К. Надлер [Некролог], «Журнал Министерства народного просвещения», 1894, № 5; его же, Всеобщая история и ее представители в России в XIX и начале XX вв., т. 1, Л., 1929; В.К. Надлер, в сб.: «Византийский временник», т. 1, в. 1, 1894; В.К. Надлер, «Исторический вестник», 1894, т. 5; Яковлев В.А., В.К. Надлер, «Записки императорского Одесского общества истории и древностей», т. 8, Одесса, 1895; Вязигин А.С., В.К. Надлер, в кн.: Историко-филологический факультет Харьковского университета за первые 100 лет его существования, Харьков, 1908; Гончарук Т.Г., Новикова Л.В., В.К. Надлер: к биографии историка, в сб.: Одесский университет. Исторический факультет. Записки, в. 4, Одесса, 1997. * Славяноведение в дореволюционной России. Биобиблиографический словарь, М., 1979; ОИ.