RU

neue
illustrierte elektronische

ERNST Nikolaj Lwowitsch (1889–1956). Philologe, Bibliothekar, Archäologe, Pädagoge, Wissenschaftler, Historiker

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

ERNST, Nikolai Lwowitsch, * 22.9. (4.10.) 1889, † 20.03.1956. Philologe, Bibliothekar, Archäologe, Pädagoge, herausragender Krim-Forscher und Historiker. Spezialist für die russisch-tatarischen Beziehungen, die Geschichte des Krim-Khanats sowie die Ethnographie und Folklore der Krimtataren.

Ernst wurde als Sohn einer deutschen Familie in Kiew geboren. Sein Vater war der Kaufmann der 2. Gilde Ludwig (Lew) Ernst (†1900), seine Mutter Kristina (*1861) die Tochter des an der Kiewer Wladimir-Universität tätigen Pharmakologen Nikolai (Daniel) Nikolajewitsch Neese (1818–1889) und seiner Ehefrau Elisabeth Rauch. Evangelisch-lutherischer Konfession.

In der Familie gab es sechs Kinder: Jewgenia (*1877), Jelena (*1880), Georgi (*1883), Vera (*1887), Nikolai (*1889) und Theodor-Richard/ Fjodor (*1891). Nach dem Tod des Vaters zog die Familie im Jahr 1900 in die unweit von Kiew gelegene ukrainische Kleinstadt Gluchow, wo der Vater eine kleine Seilerei betrieben hatte, die fortan die einzige Einnahmequelle der Familie darstellte.

1907 schloss Nikolai Ernst das örtliche Gymnasium ab, wurde aber „wegen politischer Unzuverlässigkeit“ an der Kiewer Universität nicht zum Studium zugelassen. Auf Betreiben seines Onkels, des bekannten Kiewer Augenarztes Ernest Nikolajewitsch Neese, ging er nach Deutschland, wo er zunächst in Marburg und dann in München (1908) und Berlin (1909-11) studierte und an der Philologischen Abteilung der Berliner Universität mit dem Thema „Die Beziehungen Moskaus zu den Krimtataren unter Iwan III. und Wassili III.“ zum Dr. phil. promovierte. Im darauffolgenden Jahr erschien in Deutschland seine erste Veröffentlichung „Die ersten Überfälle der Krimtataren auf Südrussland“.

1911 kehrte Ernst nach Kiew zurück, wo er als Bibliothekar der Hauptbibliothek der Kiewer Universität und Leiter der Bibliothek der Kiewer Höheren Wirtschaftsschule tätig war. Von 1912 an studierte er in der Aspirantur am Lehrstuhl für Russische Geschichte der Universität Kiew. Ernst sprach fließend Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die gesamte Familie einschließlich der Mutter Kristina Nikolajewna in den Ural ausgesiedelt (Dorf Kurtamysch, Bezirk Tscheljabinsk, Gouvernement Orenburg), von wo Ernst erst nach der Februarrevolution im August 1917 nach Kiew zurückkehren konnte, wo er der Provisorischen Regierung einen Treueeid leistete. Durch die Gründung der Ukrainischen Zentralen Rada, den von den Führern der ukrainischen Nationalbewegung verfolgten Kurs in Richtung einer Autonomie von Russland (den Ernst nicht unterstützte) und die unübersichtliche revolutionäre Lage sah sich Ernst veranlasst, zunächst nach Petrograd zu gehen. Im Verlauf seines Lebens wurde er mehrfach „mal von den Roten, mal von den Weißen und mal von den Grünen“ verhaftet.

Nach seinem Weggang aus der Ukraine ließ sich Ernst zunächst bei seinem in Petrograd ansässigen Onkel Nikolai Nikolajewitsch Neese nieder. Am 6. April 1918 wurde er als freier Mitarbeiter der Russischen Öffentlichen Bibliothek angestellt, wo er vom 19. Juni 1918 in der Abteilung „Rossica“ mit der Katalogisierung ausländischer Neuerscheinungen befasst war. Nach der Gründung des unabhängigen Ukrainischen Staates entschloss sich Ernst, die ukrainische Staatsbürgerschaft anzunehmen, und verließ Petrograd nach Erhalt seiner Ausweispapiere am 14. September 1918 in Richtung Kiew.

In Kiew erhielt er das Angebot, an der Taurischen Nationalen Universität auf der Krim zu arbeiten, wo er vom 8. November 1918 an zunächst als Bibliothekar, von Februar 1919 an als Privatdozent und von Oktober 1920 an als Professor der Lehrstühle für „Russische Geschichte“ und „Deutsche Sprache“ tätig war. In den Jahren 1921-37 war er Direktor der Bibliothek der Taurischen Nationalen Universität, Vorsitzender der Taurischen Gesellschaft für Geschichte, Archäologie und Ethnologie sowie Leiter der archäologischen und wissenschaftlichen Arbeit des Zentralmuseums von Taurien. Jedes Jahr führte er an verschiedenen Orten der Krim archäologische Ausgrabungen durch, die der Erforschung der Überreste der Steinzeit, der Bronzezeit sowie des skythischen und mittelalterlichen Altertums galten. Ernst war Autor von über dreißig Publikationen und Autor des ersten (nach der Oktoberrevolution erschienenen) Reiseführers der Krim (1923). Anfang 1928 heiratete er Sofia Michailowna Oltarschewskaja (1896-1978).

Ende 1937 wurde Ernst unter der Anschuldigung, „deutschfreundliche Propaganda in der Wissenschaft der Krim“ betrieben zu haben, aus dem Museum entlassen. Am 15. Februar 1938 wurde er aufgrund einer Denunziation verhaftet, als „deutscher Spion“ angeklagt, zu einem „sozial gefährlichen Element“ erklärt und zu acht Jahren Arbeitsbesserungslager verurteilt. Seine Strafe verbüßte er in dem in der Nähe der Eisenbahnstation Suchobeswodnaja gelegenen Lager Unscha (Gebiet Gorki). Nach seiner im Jahr 1946 erfolgten Entlassung ließ er sich in der Stadt Prokopjewsk (Gebiet Kemerowo) nieder.

Im November 1948 beging Ernst den Fehler, sich positiv über das westliche System der Hochschulbildung zu äußern, woraufhin er am 11. April 1949 erneut verhaftet und für „antisowjetische Agitation“ zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde, die er im Arbeitsbesserungslager Oserny (Stadt Taischet, Gebiet Irkutsk, Sibirien) verbüßte.

Am 25. Mai 1953 wurde N.L. Ernst im Zuge einer Amnestie unter Streichung der Vorstrafen vorzeitig entlassen. 1956 war er in einer Sondersiedlung gemeldet. Am 20. März 1956 erwarb er einen Eisenbahnfahrschein nach Simferopel, verstarb aber am gleichen Tag im Alter von 66 Jahren an einem Herzinfarkt. Er ist in der Stadt Prokopjewsk (Gebiet Kemerowo) begraben.

Archive

Непомнящий А.А. Профессор Николай Эрнст. Страницы истории крымского краеведения, 2012,Симферополь; Люди и судьбы. Биобиблиографический словарь востоковедов – жертв политического террора в советский период (1917–1991) – СПб.: Петербургское Востоковедение. Я.В. Васильков, М.Ю. Сорокина. 2003; Вольная энциклопедия Крымология http://krymology.info/index.php/Эрнст,_Николай_Львович; Чижова Л.К. Научная библиотека Таврического национального университета им. В.И. Вернадского, Симферополь, Украина http://library.zntu.edu.ua/for_librarian/crim_2012/chigova.pdf

Autoren: Gumbatova T.

ЗEINE FRAGE STELLEN