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ANTON (Anton, Antonowka, Antonowskij, Sewastjanowka), heute Dorf Sadowoje des Kreises Krasnoarmejsk, Verwaltungsgebiet Saratow, deutsche Kolonie am Fluss Sewastjanowka am rechten Wolga-Ufer

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Das Dorf Sadowoje. Gebäude der früheren Semstwo-Schule (1914–1915). Heute Kindergarten „Jablonka“ (Apfelbäumchen), Foto des Autors. 2010
Das Dorf Sadowoje. Ruine des Schul- und Bethauses in der Poscharnaja Str. (1904). Foto von E. Moschkow. 2010
Das Dorf Sadowoje. Getreidespeicher (19. Jh.). Foto von E. Moschkow. 2010
Das Dorf Sadowoje. Gebäude der früheren evangelisch-lutherischen Kirche (1856). Heute Kulturhaus des Dorfes. Foto von E. Moschkow. 2010

ANTON (Anton, Antonowka, Antonowskij, Sewastjanowka), heute Dorf Sadowoje des Kreises Krasnoarmejsk, Verwaltungsgebiet Saratow, deutsche Kolonie am Fluss Sewastjanowka am rechten Wolga-Ufer. Sie lag 4 Kilometer westlich der Wolga, 22 Werst vom Wolost-Zentrum Ust-Solicha (Messer), 67 Werst von der Stadt Saratow und 122 Werst von der Stadt Kamyschin entfernt. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zur Wolost (Amtsbezirk) Sosnowskoje (Golyj Karamysch), Ujesd (Landkreis) Kamyschin des Gouvernements Saratow. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolga-Deutschen und bis 1941 war Anton ein Verwaltungszentrum des Dorfrates Anton des Kantons Balzer (Golyj Karamysch). 1926 gehörte zum Dorfrat Anton nur das Dorf Anton.

Die Kolonie entstand am 7. September 1764 als eine Kronenkolonie. Ihren Namen erhielt sie nach ihrem ersten Vorsteher Paul Anton, einem Lehrer, der als 38jähriger Reformierter mit seiner Ehefrau und vier Kindern ins Wolga-Gebiet kam. Die offizielle russische Bezeichnung war Sewastjanowka und wurde der Kolonie laut Erlass vom 26. Februar 1768 zuerkannt. Diese Bezeichnung kam auf kleinen Fluss Sewastjanowka zurück, der in die Wolga neben dem Dorf Achmat unter dem Namen Strelitza mündete. Die Bezeichnung Sewastjanowka wurde in amtlichen Dokumenten des Fürsorge-Kontors genutzt.

Gründer der Kolonie waren 63 Familien, 44 von ihnen stammten aus Kurpfalz. Von den Bewohnern selbst wurde die Kolonie ursprünglich als Pfalzsiedlung bezeichnet. Die Zugehörigkeit der Bewohner zu ein und derselben Region Deutschlands war für deutsche Kolonien des Wolga-Gebiets recht selten, meistens stammten die ersten Kolonisten aus verschiedenen europäischen Ländern. Diese Besonderheit Antons bedingte den späteren Zusammenschluss von Kolonisten.

Unter den ersten Siedlern machten Reformierte die Mehrheit aus. 10 von insgesamt 63 Familien (43 Personen) gehörten zum lutherischen Glauben. Bei ihrer Gründung entstanden nahezu alle ausländischen Siedlungen im Russischen Reich nach dem Religionsprinzip, obwohl es angesichts aller Umstände der Zuweisung der Siedler nahezu unmöglich war, die Kolonien mit den Vertretern jeweils gleichen Glaubens zu besiedeln. Als es 1764 an der Wolga noch keine katholischen Kolonien gab, waren die Katholiken gezwungen, sich neben Lutheranern niederzulassen; so wurde der Kolonie Anton mit ihrer aus Lutheranern und Reformierten bestehenden Bevölkerung die katholische Familie von Antonius Hepner aus Würzburg mit Ehefrau und drei Kindern zugeteilt.

Die ersten Häuser wurden für die Kolonisten von russischen Zimmermeistern für staatliche Mittel gebaut. In der Kolonie Sewastjanowka wurden diese von 27 Bauern aus dem Ujesd Kerenskij errichtet. Jeder Hauswirt, der 1764 in die Kolonie kam, erhielt von der Wojewoda-Kanzlei in Saratow einen Kupferkessel, ein Pflugeisen, drei Metallspaten, eine Spitzhacke, eine Axt, eine Mist- und eine Heuforke, eine Sense und eine Säge sowie 10 Apfelbaumsetzlinge, 1 1/6 Heuhaufen, 4 Scheffel Weizen sowie 110–180 Rubel von der Kanzlei und dem Kollegienassessor Reis. Die Kolonisten, die 1765–1767 ankamen, erhielten vom Fürsorge-Kontor in Saratow jeweils 75–150 Rubel und kauften alles Notwendige für den Haushalt selbst ein.

Neben den Darlehensgeldern erhielt jeder Kolonist Nährgelder (Tagegelder) bis zur ersten Ernte ausbezahlt. Die Höhe der Nährgelder wurde je nach dem Preis der Nahrungsmittel in der Hauptstadt festgelegt und machte täglich von 2 bis 15 Kopeken je nach Alter und Geschlecht der jeweiligen Personen aus. 1766 beschloss das Fürsorge-Kontor, die Höhe der Nährgelder unter Bezugnahme auf den Standpunkt der Gemeinde der Kolonie Sewastjanowka und ihres Vorstehers Pauli zu reduzieren, die die Erhaltung der Nährgelder verweigerten und sich selbst versorgen wollten. Die Namen aller Vorsteher der Kolonie sind nicht bekannt, in den 1790er–1800er Jahren wurde die Funktion eines Vorstehers vom Kolonisten namens Reglin ausgeübt.

In der ersten Zeit wurden die Kolonisten nicht selten von flüchtigen Sträflingen und Räubern überfallen, die sich in Erdschluchten und Wäldern in der Nähe der Siedlung versteckten. 1774 wurde die Kolonie von den Truppen Jemeljan Pugatschows überfallen, jedoch wurde Anton im Gegensatz zu anderen Kolonien nicht ausgeraubt: Die Bewohner der Kolonie haben sich weder den Aufständischen angeschlossen, noch wurden sie von den Aufständischen mit Gewalt verschleppt. Darüber hinaus fanden in Anton auch die Bewohner der am linken Flussufer gelegenen deutschen Kolonien Zuflucht vor den Überfällen der Pugatschows Truppen und Kirgisen-Kaissachen. 1774–1775 überwinterten dort nahezu alle Bewohner aus der Kolonie Jost (Popowkina).

Die meisten ersten Siedler waren in ihrer alten Heimat Ackerbauer und waren für landwirtschaftliche Erschließung von Ländereien in der leeren Steppe der Randgebiete Russlands als Grundziel der Einladung von Kolonisten durchaus geeignet. Neben den Ackerbauern gab es unter den ersten 44 Hauswirten drei Zunfthandwerker, einen Schmied, einen Müllermeister, einen Kaufmann, einen Schneider, einen Kanonier sowie einen Knopfhersteller.

Eine wichtige Rolle spielte in der Landwirtschaft der Kolonisten Ende des 18. Jh. der Tabakanbau. Das Fürsorge-Kontor begünstigte die Siedler, die Tabak anbauten. Allein im Jahr 1777 wurden von den Kolonisten aus Sewastjanowka 975 Pud und 20 Pfund Tabak im Wert von 888,62 Rubel vermarktet. Der Tabak bildete eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kolonisten, denn in Russland war der Tabakanbau generell schwach entwickelt, so dass die Kolonisten ihren Blatttabak mit Erfolg in Moskau, Petersburg, Astrachan sowie in der Ukraine verkauften. Der Tabakanbau war in erster Linie am linken Wolgaufer stark entwickelt, während Anton eigentlich die einzige Kolonie am rechten Wolgaufer war, wo es Tabakplantagen gab und diese Branche beeindruckende Ausmaße erreichte. Jedoch hatten die Kolonisten mit der Zeit erhebliche Schwierigkeiten beim Vertrieb, während die die Monopoltätigkeit der Kaufleute die Einkaufspreise stark herunterdrückte. So mussten die Kolonisten von Anton ihren Tabak 1781 um zweieinhalb Mal billiger als 1777 verkaufen. Nach und nach reduzierte sich der Tabakanbau bis zur Ebene des Eigenbedarfs.

Seit Beginn des 19. Jh. funktionierte in der Kolonie eine Trinkkneipe, die sich in der Dorfmitte befand und bei den Kolonisten beliebt war. Deswegen forderte der Pastor Johann Samuel Huber, sie weiter weg von der Schule und dem Pastorat zu verlegen.

1813 wurde in der Kolonie eine Zuckerfabrik errichtet. Auf Beschluss der Verwaltung des Gouvernements Saratow erhielt der berühmte deutsche Hofmaler von Paul I. und Alexander I., Kollegienassessor, Akademiemitglied der St.-Petersburger Akademie der Künste Karl-Ferdinand von Kügelgen eine Genehmigung für die „Errichtung in der Kolonie Sewastjanowka des Ujesd Kamyschin einer Rübenzuckerfabrik und Herstellung von Alkohol aus dem Restprodukt der Rübenzuckerproduktion“.

Der Erhalt einer Lizenz für die Herstellung von Alkohol aus dem Restprodukt der Rübenzuckerproduktion führte zum Aufkommen neuer Arbeitsplätze für die Kolonisten. Die Bewohner Antons arbeiteten in der Fabrik auf Vertragsbasis, indem sie die Zuckerrüben aussäten und ernteten. Zusammen mit ihnen wurden die Felder von Baschkiren, Tataren, Bewohnern der umliegenden Dörfer und sogar von Leibeigenen aus dem Dorf Achmat bearbeitet. Jedoch hatte der Künstler Kügelgen, der in St.-Petersburg lebte, trotz dem Erhalt eines staatlichen Darlehens wenig Interesse für die Zuckerproduktion und verkaufte sie kurz danach an den Grafen Bobrinskij. Zu damaliger Zeit entstand in Anton ein steinernes Haus des Fabrikbesitzers mit Gewächshausanlagen, wo sogar Zitronenbäume wuchsen. 1830 wurde die Fabrik durch einen Brand stark beschädigt. Letzter Besitzer der Fabrik war polnischer Adeliger namens Laskowski, der die Kolonie 1876 verließ. 1870–1871 wurde die Fabrik als Verlustbetrieb stillgelegt. Damals stand sie an der Stelle des heutigen Kindergartens „Jablonka“ (Apfelbäumchen).

In Anton wurden die Grundlagen für die Herstellung von Sarepta-Gewebe in den deutschen Kolonien gelegt. Bereits in der 2. Hälfte der 1770er Jahre boten die Bewohner der Kolonie der Herrhüter-Bruderschaft Sarepta an, die nicht genügend Arbeiterhände sowie keine Möglichkeit hatten, das Rohmaterial aus dem Ausland zu beziehen, in der Winterzeit die Herstellung von Garn in häuslicher Produktion zu übernehmen. 1777 entsandten die Bewohner von Sarepta nach Anton als Missionär den Bruder Daniel Willi, der in der Gemeinde nicht nur den Gottesdienst ableistete, sondern auch Kaufmann war und den Webvorgang der Produkte für die Fabriken Sareptas zu beaufsichtigen hatte. Das in der Kolonie hergestellte Gewebe wurde in Sarepta in verschiedene Farben gefärbt und in den Städten Russlands vermarktet. Mit der Zeit wurde in Anton eine eigene Weberei eröffnet. Gegen Ende des 19. Jh. befassten sich ca. 80 Siedler mit der Herstellung von Sarepta-Gewebe. Ein Teil der Kolonisten war in einer Weberei in Balzer (Krasnoarmejsk) beschäftigt. 1819 wurde in Anton vom Kolonisten Müller aufgrund einer Genehmigung des Fürsorge-Kontors die erste Gerberei gegründet.

Laut Angaben der 8. Volkszählung von 1834 wurden in der Kolonie 15 Dessjatinen Grund und Boden pro Person zugeteilt. Jedoch war der Lehmboden mit Steineinschlüssen rund um die Kolonie für den Ackerbau nahezu ungeeignet, die Kolonie wurde von Hügeln und Erdschluchten umgeben. Die Kolonisten bauten Roggen und Weizen an, es gab geringere Saatflächen mit Hafer und Gerste. Mit der Zeit kamen wohlhabende Familien auf, unter ihnen nahmen die Familien Keil und Weckesser eine besondere Stellung ein. Die Kolonisten betrieben Gartenbau (so wurde der heutige Name des Dorfes nicht zufällig gewählt). Die Bewohner von Anton spezialisierten sich auf die Zucht der Apfelbäume, deren Früchte sie an russische Bauern der Gouvernements Saratow und Samara vermarkteten.

Wie auch in anderen deutschen Siedlungen, bestand in der Kolonie Anton gegenseitige Hilfe. Gesetzeswidrige Handlungen oder Nichterfüllung von Verpflichtungen durch einen Einzelnen hatte die gesamte Gemeinde zu verantworten. So wurde 1848 jeder zehnte Hauswirt der Kolonie mit Ruten gezüchtigt.

Laut Angaben des Zentralen Komitees für Statistik zählte die Kolonie 1859 149 Gehöfte, 14 Produktionswerke und 8 Mühlen. Gegen 1886 stieg die Zahl der Gehöfte auf 244, 226 von ihnen waren bewohnt, darunter waren 121 aus Stein gebaut. Die Zahl der Produktionsstätten erhöhte sich auf 15, im Dorf gab es eine Kneipe, es funktionierten 5 Verkaufsläden. 1890 wurde Anton durch sehr schweren Unfall betroffen: Der Großteil der Wohnhäuser und Holzbauten wurde durch zwei Brände vernichtetet. Für den Fall von Naturkatastrophen wurden in Anton zwei Getreidespeicher angelegt, die als Läden bezeichnet wurden. Darin wurde die Notreserve an Getreide gelagert (einer der Speicher ist bis heute erhalten geblieben und steht heute neben dem früheren Kirchengebäude, das heute als Kulturhaus genutzt wird).

1907 wurde in Anton von den Brüdern Decker eine Fabrik für das Schären von Baumwollgewebe (Schären = Aufwickeln der Garne auf Walzen für ihre anschließende Färbung) gegründet. 1914 wurde die Weberei der Brüder Decker geschlossen. Anfang des 20. Jh. funktionierten in Anton fünf Gerbereien, zwei davon befanden sich an der Stelle des heutigen Kulturhauses „Otradnoje“, zwei weitere lagen an der Brücke auf dem Weg zum Dorf Achmat.

In den 1920er Jahren gab es im Dorf eine Mühle, eine Ölschlägerei, einen genossenschaftlichen Verkaufsladen, eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, eine Gerberei, eine Sattlerei, einen Gesundheitsschutzpunkt mit Geburtshilfestelle und ein Kinderheim. 1928 wurde im Dorf Anton die Schwab-Kolchose gegründet, die später in Ernst-Thälmann-Kolchose umbenannt wurde. 1931 wurde im Dorf ein Erholungsheim eröffnet. Am 16. September 1941 wurden alle Bewohner des Dorfes (insgesamt 1800 Personen) in die Region Krasnojarsk deportiert, seit 1942 hat das Dorf den Namen Sadowoje.

Schulwesen und Ausbildung der Kinder. Als einer der ersten Kolonisten kam der Lehrer Paul Anton, 38jähriger Reformierter aus Kurpfalz in die Kolonie. Außerdem wurde er von den Kolonisten nach ihrer Ankunft in Sewastjanowka zum ersten Vorsteher gewählt, nach ihm erhielt die Kolonie ihren Namen. Unter seiner Führung wurde in der Kolonie 1764 die erste Kirchenschule gegründet, die von Kindern von 7 bis 15 Jahren besucht wurde. Der Unterricht dauerte von 8 bis 11 Uhr vormittags und von 14 bis 16 Uhr nachmittags. Der Unterricht lief vom 20. August bis zum 20. Juni. Die restliche Zeit widmeten die Lernenden zusammen mit ihren Eltern und dem Lehrer den landwirtschaftlichen Arbeiten. Die erste Kirchenschule befand sich in der Kusnetschnaja Str. 15. auf der Stelle, wo jetzt ein modernes Haus steht.

Neben der deutschen Kirchenschule funktionierte in der Kolonie Anton seit Mitte des 19. Jh. eine sogenannte „genossenschaftliche“ private Schule mit erweitertem Russischunterricht. 1886 waren von insgesamt 1965 Personen, die in der Kolonie lebten, 583 Männer und 576 Frauen schreib- und lesekundig. 1904 wurde für die Mittel der Dorfbewohner ein neues Gebäude für das Schul- und Bethaus errichtet, dessen Ruinen in der Poscharnaja Str. bis heute erhalten geblieben sind.

Laut statistischen Angaben über den Zustand des Schulwesens in den deutschen Kolonien, die durch den Probst des linken Einzugsbereichs der Wolga J. Erbes zusammengebracht wurden, gab es 1906 unter fast 3000 Dorfbewohnern 435 Kinder im Alter von 7–15 Jahren, für die die Grundschulbildung Pflicht war. Der Besuch des Unterrichts durch die Kinder im Schulalter war nicht hundertprozentig: Wegen der Armut ihrer Eltern oder täglichen Auslastung mit Handwerk und Gewerbe konnten sich 103 Kinder keinen Schulbesuch leisten. 1906 besuchten die Kirchenschule 153 Jungen, 179 Mädchen, der Unterricht wurde von 2 Lehrern erteilt.

1914–1915 wurde im Dorf das Gebäude einer Semstwo-Grundschule errichtet, die als eine der größten in den Wolga-Kolonien galt (heute befindet sich dort der Kindergarten „Jablonka“ in der Sowjetskaja Str. 1. Nach der Revolution wurde die Semstwo-Schule in eine 7-Klassen-Schule umgewandelt, die Kirchenschule wurde geschlossen. Seit 1944 wurden die Klassen 4–10 der Schule in Sadowoje von den Kindern aus dem Dorf Achmat besucht. Seit 1984 hat die Schule im Dorf Sadowoje den Status einer Mittelschule.

Konfessionelle Bindung der Einwohner und Kirche. Die meisten Bewohner des Dorfes waren Reformierte, einen kleineren Teil machten die Lutheraner aus. Ursprünglich gehörte die Kolonie Anton, wie auch die Gemeinden Messer (Ust-Solicha) Moor (Kljutschi), Kutter (Popowka), Balzer (Golyj Karamysch) und Kautz (Werschinka) zum lutherisch-reformierten Kirchspiel Messer (Ust-Solicha), die 1765 entstand. 1777–1790 bildete Anton (Sewastjanowka) ein eigenständiges Kirchspiel, 1799–1820 wurden Anton und Kautz zu einem gesonderten Kirchspiel vereinigt. 1820–1855 gingen sie wieder in das Kirchspiel Ust-Solicha ein. Seit 1856 ging die Gemeinde Anton zusammen mit der Gemeinde der Kolonie Balzer (Golyj Karamysch) in das neugebildete Kirchspiel Balzer (Golyj Karamysch) ein.

In den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie wurde der Gottesdienst in einem Bethaus abgehalten, das den Status einer Filiale hatte. Sein genaues Baujahr ist nicht bekannt, jedoch steht fest, dass es in den ersten Monaten nach der Ansiedlung der Kolonisten für staatliche Mittel errichtet wurde. Bald darauf musste dieses kleine, nur für zeitweilige Nutzung bestimmte Haus durch ein neues Gebäude abgelöst werden.

1802 wurde vom Fürsorge-Kontor die „Spendensammlung für eine Kirche in Sewastjanowka“ freigegeben. Die erste Kirche entstand zum Jahr 1806 auf einem Hügel in der Mitte des Dorfes. Bis 1820 wurde sie als Pfarrkirche genutzt, erhielt aber später den Status einer Filialkirche. Die Kirche war aus Holz und sah recht bescheiden aus, weil die Kolonisten damals keinen besonderen Wert auf architektonischen Stil legten.

Mit der Zeit wurde die alte Kirche zu knapp für alle Gemeindemitglieder, so dass von den Kolonisten die Errichtung einer geräumigeren Kirche beschlossen wurde. 1853 wurde in Sewastjanowka mit dem Bau einer neuen Kirche begonnen, die 1856 geweiht wurde. Die Planung der Kirche wurde im Fernbetrieb vom Architekten des Ministeriums für Staatsvermögen A. K. Kavos geleitet. Die Kirche wurde mit hölzernen Betbänken für 650 Personen ausgestattet, im 1. Obergeschoss befanden sich geräumige Balkonen für Mädchen und Jünglinge, der Holzaltar und die Kirchenkanzel wurden im Auftrag der Gemeinde von Holzschnitzern gestaltet. Die Kirche hatte symmetrisch angeordnete rechteckige Apsis und Vorhalle. Über der Vorhalle befand sich ein hoher Glockenturm mit einem Kreuz darüber. Das Kirchendach war mit Eisen bedeckt. In den 1850er Jahren wurden in deutschen Kolonien nicht sehr viele Kirchen gebaut, der Höhepunkt der Bautätigkeit fiel in eine spätere Zeit, so dass die neue Kirche für die Bewohner von Sewastjanowka einen Grund für besonderen Stolz lieferte und als ein echtes Schmuckstück des Dorfes galt. 1888 wurde die Kirche generalrenoviert. Neben der Kirche stand das Küsterhaus.

In den ersten Jahren der Ansiedlung stießen die Bewohner des Dorfes auf recht ernsthaftes Problem eines Mangels an Pfarrern für die Kirchen. Längere Zeit stand für alle Kolonien des Wolga-Gebiets nur Johannes Janet (1729–1803) aus der Schweiz als einziger evangelischer Pfarrer zur Verfügung, der zusammen mit den ersten Kolonisten kam und sich in Anton niederließ. Am 10. März 1765 hielt er die erste evangelische Predigt im Wolga-Gebiet, wurde zum Pfarrer der Kirchspiel Ust-Solicha gewählt und zog in Ust-Solicha um.

Nach seinem Umzug hatte Anton „wegen Unwetter und Überschwemmung des Flusses Karamysch für mehr als drei Monate“ im Jahr keinen eigenen Pfarrer. Deswegen wurden die Kolonisten oft von verschiedenen Missionären aufgesucht. Gerade mit Anton ist die erste Erwähnung in Russland von Pietisten (Stundisten, Betbrüdern) zusammen verbunden. 1767 versuchte der Missionär Langerfeld (Langenfeld) gerade in dieser Wolga-Kolonie, eine Brüdergemeinde zu gründen, jedoch wurde seine Tätigkeit verboten und er musste in einem Schreiben ans Fürsorge-Kontor versprechen, seine auf die Wolga-Kolonisten gerichteten Bekehrungsversuche aufzugeben.

Um die Kolonisten für die Kirche zurückzugewinnen, wurde der Sitz des Pastors 1767 wieder nach Anton verlegt. 1771 befand sich in Anton das Pastorat der Kirchspiel Messer (Ust-Solicha) und der Wohnort des Pastors Johannes Janet. 1771 zog er wieder in die größere Kolonie Ust-Solicha, die sich als Zentrum des Kirchenspiesl etablierte. Dann kam 1777 als Missionär der Schweizer Daniel Willi in die Kolonie. Seine Ansichten riefen weder bei den Behörden, noch bei Geistlichen keine Bedenken hervor, er trug zur Abtrennung von Anton vom Kirchspiel Ust-Solicha und zu ihrer Verwandlung in ein gesondertes Kirchspiel bei. Zu gleicher Zeit führte Willi den Gottesdienst in dem Kirchspiel Rosenheim (Podstepnoje) am linken Wolgaufer durch und war gleichzeitig Handelsagent der Sarepta-Fabriken. 1786 fuhr er nach Sarepta, wo er 1788 starb, während die Pastorentätigkeit in Anton vom Pastor Jauch übernommen wurde. Dieser profilierte sich als erster Senior (Chefpfarrer) aller Wolga-Kolonien. Die Leistung der wenigen Pfarrer wurde nicht nur von den Kolonisten, sondern auch von Staatsorganen hochgeschätzt: So erhielten die Kinder des 1806 verstorbenen Pastors Jauch als seine Erben auch 1820 das Gehalt ihres Vaters, das ihnen vom Fürsorge-Kontor weitergezahlt wurde.

Im 19. Jh. übernahmen die Geistlichen nicht nur die Seelensorge, sondern waren auch als Acker- und Gartenbauer sowie als Ärzte tätig. Die Medizin hatte einen recht niedrigen Entwicklungsstand, so dass in den Kolonien recht oft Epidemien vorkamen. Im August 1830 brach in dem Kirchspiel eine Cholera-Epidemie aus. Die aus St.-Petersburg ins Gebiet Saratow entsandten Ärzte kamen erst im Oktober, als die Epidemie bereits nachzulassen begann. Zu jener schwierigen Zeit besuchte der Pfarrer Immanuel Grünauer regelmäßig die Kranken in den Kirchengemeinden. Unermüdlich brachte er den Gemeindemitgliedern Trost und Unterstützung, indem er ihnen auch während der nächsten Cholera-Epidemie von 1847–1848 seine Herzensgüte spendete.

Während der Epidemien wurde die Kirchenschule geschlossen und sich in ein Krankenhaus verwandelt. Besonders verderblich war für die Gemeinde die Cholera-Epidemie von 1892, die dem Hungerjahr 1891 folgte, als alle Steppen der Wolga-Region von der Dürre und Missernte betroffen waren. 1892 forderte sie ca. 500 Menschenleben. In dem Kirchspiel gab es sogar ein eigenes Kirchenfest, den sogenannten Cholera-Tag, der am ersten Freitag nach dem 1. September in Andenken an die Befreiung der Bewohner der Kolonie von der Cholera-Epidemie begangen wurde. Der letzte Pastor der Gemeinde war David Kaufmann, (1897–1930), der 1930 wegen antisowjetischer Tätigkeit erschossen wurde.

Anfang der 1930er Jahre wurden die Kirchen aller Konfessionen landesweit massiv geschlossen. 1931 gingen ins Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees der ASSRdWD von der regionalen Kommission für Betrachtung von Konfessionsfragen vertrauliche Angaben ein, denen zufolge die Kirche im Dorf noch nicht geschlossen sei und die Kirchengemeinde 806 Mitglieder zähle, unter denen 10 Gemeindemitglieder zur Kategorie der entrechteten Personen gehörten (denen politische Rechte entzogen wurden). Das Präsidium empfahl der Kommission, die Frage der Schließung der Kirche zu prüfen. Am. 28. August 1934 wurde das Präsidium der ASSRdWD von der Kommission für Religionsfragen beim Zentralen Exekutivkomitee der ASSdWD informiert, dass das Bethaus im Dorf Anton bereits geschlossen wurde. Da aber das Holzgebäude der Kirche von den Gemeindemitgliedern immer noch genutzt wird, bedarf die Frage nach ihrer Schließung einer gesonderten Erörterung. Von der Kommission für Religionsfragen beim Zentralen Exekutivkomitee der ASSRdWD wurde am 13. März 1936 ein Beschluss über die Schließung unter dem Vorwand gefasst, dass sich 516 von den verbleibenden 602 Mitgliedern der Kirchengemeinde dafür ausgesprochen hätten. Das Zentrale Exekutivkomitee der ASSRdWD empfahl, das Kirchengebäude für Kultur- und Aufklärungszwecke zu nutzen.

Liste der Pastoren der Kirchspiel Anton: 1777–1786: Daniel Willi. Pastoren des Kirchspiels Messer (Ust-Solicha), die den Gottesdienst in der Gemeinde Anton durchführten: 1765–1799: Johannes Janet; 1798–1804: Aloysius Jauch; 1804–1818: Josua Graf; 1820–1822: Johann Samuel Huber; 1823–1850: Immanuel Grunauer. Pastoren des Kirchspiels Balzer (Golyj Karamysch), die in der Gemeinde Anton im Dienst waren: 1857–1887: Gottlieb Friedrich Jordan; 1887–1892: Johannes Kosc(z)iol; 1893–1903: Ernst Theophil David; 1904–1922: Paul Reichert; 1929–1930: Probst Max Mai(j)er; 1928: Pastorengehilfe David Kaufman.

Bevölkerungszahl: 1767 lebten in Anton 229 Kolonisten, 1773 waren es 250, 1788 – 367, 1798 – 356, 1816 – 611, 1834 – 988, 1850 – 1516, 1859 – 1729, 1886 – 1965 Personen. Laut Angaben der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1897 lebten in Anton 1644 Personen, von ihnen waren 1637 Deutsche. Per 1905 zählte das Dorf 2993 Personen, 1911 waren es 3418 Personen. Laut Angaben der Gesamtrussischen Volkszählung von 1920 lebten im Dorf 2363 Personen, 1921 sind im Dorf 228 Personen gestorben und 68 Personen kamen zur Welt. Nach Angaben der Gebietsverwaltung der ASSRdWD für Statistik lebten in Anton per 1. Januar 1922 1633 Personen, 1923 waren es 1813 Personen. Laut der Volkszählung von 1926 hatte das Dorf 315 Haushalte mit einer Bevölkerungszahl von 1581 Personen, davon 1526 Deutsche (713 Männer, 813 Frauen, 310 Haushalte). 1931 lebten im Dorf 2248 Personen, alle waren Deutsche.

Das Dorf heute: Zurzeit heißt das Dorf Sadowoje, Bezirk Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow. Heute ist Sadowoje Zentrum von Munizipalgebilde Sadowoje, zu dem neben dem Dorf Sadowoje noch das Dorf Achmat gehört. Laut Angaben der Gesamtrussischen Volkszählung von 2002 zählte die Kommune nur 740 Bewohner. Somit überstieg die Bevölkerungszahl des Dorfes Anton (Sewastjanowka) fünffach die des heutigen Dorfes Sadowoje. 2010 wurde die allgemeinbildende Oberschule Nr. 3 des Dorfes Sadowoje von 55 Lernenden besucht und zählte 21 Lehrer.

Das Dorf macht einen malerischen Eindruck, insbesondere bei der Betrachtung von umgebenden Hügeln oder vom Gebäude der früheren Kirche aus, das auch heute noch in der Sowjetskaja Str. 5 steht. Heute befindet sich darin das Dorfkulturhaus.

Die Kirche des Dorfes Sadowoje gehört zu den drei von Hunderten lutherischer Holzkirchen des Gebiets Saratow, die aus der Vorrevolutionszeit bis heute erhalten geblieben sind. Heute bestehen im Wolga-Gebiet nur drei Holzkirchen, nämlich eine in Sadowoje, eine in der früheren Kolonie Kratzke im heutigen Gebiet Wolgograd (wird nicht mehr genutzt) sowie eine am linken Wolga-Ufer im Dorf Bobrowka (früher Niedermonjou) im Bezirk Marx, Gebiet Saratow) (heute befindet sich dort eine Dorfbibliothek).

Heute ist die Kirche in Sadowoje durch die Anbauten aus weißem Backstein an die Apsis und die Vorhalle entstellt. Das Gebäude hat keinen Glockenturm, die Fenster im 1. Obergeschoss sind mit Brettern zugeschlagen, die Seiteneingänge mit Backsteinen zugemauert, der Innenraum der Kirche wurde komplett umgebaut. Jedoch behält die Kirche ihr früheres majestätisches Gepräge und ist bis heute das größte Gebäude im Dorf.

Das Schul- und Bethaus in der Poscharnaja Str., das 1904 für die Mittel der Gemeinde errichtet wurde, liegt heute brach, weil es bei einem Brand Ende des 20. Jh. stark beschädigt wurde. Das aus Backstein erbaute Bethaus zeichnete sich durch ein interessantes Architekturdetail aus, wobei auf seiner Hauptfassade von einem unbekannten Meister ein Kreuz in beträchtlicher Größe gemauert wurde. Die vordere Fassade des Gebäudes schloss oberhalb des Kreuzes mit einem halbrunden Giebel mit einem Gesims neuartiger Bauform. In Sadowoje gibt es weitere interessante Objekte der deutschen Baukunst wie z. B. das Gebäude der Semstwo-Schule, Baujahr 1914–1915, heute in der Sowjetskaja Str. 1 (jetzt befindet sich dort der Kindergarten „Jablonka“ ein Getreidespeicher aus Holz sowie zahlreiche deutsche Wohnholzhäuser.

INHALT

ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 39, 43, 59, 3495, 8791, 11624; Ф. 637. Оп. 18. Д. 115–121; ГИАНП. Ф. 259. Оп. 1. Д. 1–24; Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 45; Д. 1264. Л. 138; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 56.

Literatur

Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Минх А.Н. Историко-географический словарь Саратовской губернии: Южные уезды: Камышинский и Царицынский. Т. 1. Вып. 3. Лит. Л–Ф. Печатан под наблюдением С. А. Щеглова. – Саратов: Тип. Губ. земства, 1901. Приложение к Трудам Саратовской Ученой Архивной Комиссии. С. 927–929; Список населенных мест Российской Империи по сведениям 1859 года. Самарская губерния. – СПб., 1864; Плеве И.Р. Немецкие колонии на Волге во второй половине ХVIII века. – М., 1998; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Chronologische Anmerkungen. Memoiren des gewesenen Schulmeisters zu Swonarewkut Johann Georg Möhring aus dem 18. Jahrhundert. Veröffentlicht von Pastor Johannes Kufeld // Friedensbote. 1901; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 1. Kolonien Anton – Franzosen. Göttingen: Göttingenger Arbeitskreis, 1999.

Autoren: Lizenberger O.A.

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