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DINKEL (Tinkel, Oberholstein, Tarlykowka, Wiesental), heute das Dorf Tarlykowka des Kreises Rownoje im Verwaltungsgebiet Saratow, deutsche Kolonie im linken Einzugsbereich der Wolga

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Надгробный памятник на могиле Якоба Вильгельма Мюллера (1799–1883) на современном кладбище в Тарлыковке. Фото Е. Мошкова. 2010 г.
с. Тарлыковка. Мечеть-медресе имени Лук Пана-Хакима (2006). Фото Е. Мошкова. 2009 г.
с. Тарлыковка. Когда-то здесь была лютеранская церковь… Фото Е. Мошкова. 2009 г.
Евангелическо-лютеранская церковь (1894) в с. Динкель. Неоготика
с. Тарлыковка. Здание бывшей церковно-приходской школы. Фото Е. Мошкова. 2009 г.
с. Тарлыковка. Дом кюстера-шульмейстера. Фото Е. Мошкова. 2009 г.

DINKEL (Tinkel, Oberholstein, Tarlykowka, Wiesental), heute das Dorf Tarlykowka des Kreises Rownoje im Verwaltungsgebiet Saratow, deutsche Kolonie im linken Einzugsbereich der Wolga, am linken Ufer des kleinen Flusses Tarlyk, an der Stelle dessen Zusammenfließens mit der Wolga, 50 km südlich von Pokrowsk (seit 1931 Engels). Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zur Tarlyzkaja-Wolost des Ujesds Nowousensk im Gouvernement Samara.

Nach Bildung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen und bis 1941 war das Dorf Dinkel das Verwaltungszentrum des gleichnamigen Dorfsowjets. Von 1922 bis einschließlich 1927 gehörte das Dorf zum Kanton Kukkus (Wolskoje). Ende 1927, nach Vornahme einer Verwaltungsreform in der ASSR der Wolgadeutschen, wurde der Kanton durch seinen Anschluss an den Kanton Rownoje (Seelmann) aufgelöst. 1935 wurde der Kanton Kukkus wiederhergestellt.

Gegründet wurde die Kolonie 1767. Mit dem Anwerben von Kolonisten und der Bildung der Kolonie befassten sich Privatunternehmer – der Genfer Francois Pierre Pictet und der Franzose Jean Baptiste Le Roy. Die offizielle russische Bezeichnung Tarlykowka war der Kolonie gemäß einem Erlass vom 26. Februar 1768 verliehen worden, die vom Namen des Flüsschen Tarlyk abgeleitet wurde, an dessen Ufer sich die Kolonie befand. Die deutschen Namen – Wiesental (so bzw. als Wiesenseite bezeichneten die Deutschen den linken Einzugsbereich der Wolga) und Oberholstein (zur Erinnerung an das norddeutsche Herzogtum Holstein) –, die der Kolonie durch den Werber Le Roy gegeben worden waren, waren durch die Kolonisten nicht angenommen worden und wurden selten verwendet. Ihren am häufigsten verwendeten Namen erhielt die Kolonie zu Ehren des ersten Vorstehers Johann Wilhelm Dinkel, eines 45jährigen Ackerbauern aus Bayreuth, der zusammen mit seiner Frau Anna Rosina (29 Jahre) und seinem Sohn Jakob Friedrich (9 Jahre) in die Kolonie gekommen war. Die Namen aller Vorsteher der Kolonie sind nicht bekannt, doch in den 1820er-Jahren waren die Kolonisten Grohmann und Wulf Vorsteher.

Zu Gründern der Kolonie wurden 56 Auswanderer-Familien aus Württemberg, Holstein, Dänemark, Lüneburg, Sachsen und der Schweiz. Interessant ist die Tatsache, dass es aufgrund der Besonderheiten der Ansiedlung praktisch unmöglich war, die Kolonien mit Vertretern einer Konfession zu besiedeln. In einigen Fällen waren die Katholiken gezwungen gewesen, sich zusammen mit Protestanten niederzulassen, was auch in Dinkel der Fall war. Unter den 163 ersten Kolonisten waren drei Familien (neun Personen) katholische – die von Franz Ertel, einem Ackerbauern aus Schwaben, von Johann Walter, einem Ackerbauern aus Hessen-Kassel, und von Friedrich Lippmann, einem Weber aus Brandenburg.

1774 wurde Dinkel wie auch viele andere Kolonien von Aufständischen aus Einheiten von Jemeljan Pugatschow, der 1773–1775 einen Bauernkrieg gegen die Leibeigenschaft angeführt hatte, überfallen. Die Verwüstung der deutschen Siedlungen durch Pugatschows Einheiten schwächte die Kolonien, indem ihnen Schaden zugefügt wurde, doch hielt sie deren Entwicklung nicht auf.

Die meisten der ersten Siedler waren Ackerbauern. Unter den 53 ersten Hausherren waren drei Weber, drei Schneider, drei Steinmetze, drei Schuster, aber auch ein Schmied, ein Metzger, ein Stoffdrucker, ein Jäger, ein Schornsteinfeger und ein Tabakhändler. Mit Zunahme der Einwohnerzahl verringerte sich unaufhaltsam die Größe der den Männern des Dorfes zugeteilten Bodenflächen. Der Landmangel führte zu zahlreichen Versuchen der Kolonisten, Tochterkolonien zu gründen und sich außerhalb ihrer Siedlungen niederzulassen. 1861 wurde entsprechend einem Erlass des Fürsorgekontors das eigenmächtige Umsiedeln der Kolonisten der Landstreicherei gleichgestellt und streng bestraft. Das hielt jedoch die Kolonisten nicht auf. 1866 wurden in Dinkel Nachforschungen angestellt, und die Kolonisten mussten dafür unterschreiben, dass sie über das Verbot einer Umsiedlung in den Kaukasus in Kenntnis gesetzt wurden.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Kolonisten von Dinkel unter den benachbarten Kolonien durch Korbflechterei Berühmtheit erlangt. Allmählich verwandelte sich dieses Handwerk in eine einträgliche Produktion, und bis Ende des 19. Jahrhunderts befassten sich dutzende Frauen in eigenen Höfen mit dem Flechten von Körben und anderen Gegenständen aus Stroh. Die Nachfrage nach den Erzeugnissen war eine recht große, und die von den Kolonisten hergestellten Erzeugnisse wurden massenweise von Zwischenhändlern aufgekauft und in großen Städten realisiert.

Mit Beginn der Sowjetmacht hat sich in der Geschichte der deutschen Siedlungen Vieles verändert. Im April 1921 wurden mehrere Einwohner wegen der Organisierung eines antisowjetischen Aufstands Repressalien ausgesetzt. 1926 gab es im Dorf eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft. Anfang der 1930er-Jahre wurde der Kolchos „Komsomol“ gebildet. Die einheimische Presse schrieb 1937 unter anderem, dass die kulturelle Massenarbeit im Kolchos schlecht organisiert sei, die Kolchosmitglieder keine Möglichkeit hätten, Zeitungen und Bücher zu lesen, und in der Traktoristen-Brigade es keine Eimer, Handtücher, Schreibpapier und notwendige Medikamente gäbe. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert. Und seit 1942 trägt das Dorf den Namen Tarlykowka.

Schule und Ausbildung der Kinder. In Dinkel arbeitete wie auch in allen anderen lutherischen Kolonien ab dem Zeitpunkt der Gründung eine Schule der Kirchengemeinde, in der alle Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren unterrichtet wurden. Eine große Rolle bei der Verbreitung von Lese- und Schreibfertigkeiten unter den Dorfbewohnern spielte die Eröffnung einer zweiten Schule – der Landschule – in den 1870er-Jahren, in der die russische Sprache, die Gottesgesetze, das Lesen und Schreiben sowie Arithmetik und Gesang erlernt wurden. Die Lehrer vermittelten elementare Kenntnisse zur Naturkunde, Geographie und Geschichte. Die Schule sah eine 4jährige Ausbildung vor und hatte zwei Klassen mit je zwei Abteilungen. Nach ihrer Gründung besuchten sie über 50 Schüler, die durch zwei Lehrer unterrichtet wurden.

Laut statistischen Angaben über den Zustand der Schulen in den deutschen Kolonien, die durch den Propst des linken Einzugsgebietes der Wolga J. Erbes zusammengetragen wurden, waren 1906 von den 3034 Dorfbewohnern 304 Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren, die eine Grundschulausbildung durchlaufen mussten. Im Unterschied zu den anderen deutschen Siedlungen wurde in Dinkel die Schule durch die schulpflichtigen Kinder zu 100 Prozent besucht, während in anderen Siedlungen Kinder aufgrund der Armut ihrer Eltern oder der täglichen Arbeit auf den Höfen oder in Gewerken nicht zur Schule gehen konnten. 1906 wurden in der Dorfschule von Dinkel 57 Jungen und 45 Mädchen durch zwei Lehrer unterrichtet. In der Kirchenschule wurden 99 Jungen und 103 Mädchen durch zwei Lehrer unterrichtet. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde finanziert. Bis Mai 1910 war der Dorfbewohner Doos der Schulmeister der Kirchenschule. In den Jahren der Sowjetmacht wurden beide Schulen geschlossen, und im Dorf wurde eine Grundschule eingerichtet.

Konfessionelle Bindung der Einwohner und Kirche. Die Kolonisten bekannten sich vorrangig zum evangelisch-lutherischen Glauben. Einige Kolonisten waren Reformierte.

Die Gemeinde von Dinkel gehörte zum lutherisch-reformierten Kirchenspiel Warenburg (Priwalnoje). Das Kirchenspiel Warenburg war 1770 auf der linken Seite der Wolga gebildet worden. Neben Dinkel gehörten die Gemeinden weiterer drei Kolonien – Warenburg (Priwalnoje), Straub (Skatowka) und Laub (Tarlyk) – zu ihm. 1910 wurde das selbstständige Kirchenspiel Laub (Tarlyk) gebildet, zu dem die Gemeinden Laub und Dinkel gehörten. Doch bereits nach 1912 wurden diese Gemeinden erneut durch Pastoren aus dem Kirchenspiel Warenburg betreut.

In den ersten Jahren nach Bildung der Kolonie zelebrierten die Kolonisten die Gottesdienste im Schul- und Gebetshaus, das mit staatlichen Mitteln errichtet worden war. Die erste Kirche, die mit Mitteln der Gemeindemitglieder errichtet wurde, entstand in Dinkel 1807. Sie war aus Holz, von den Abmessungen her eine kleine und besaß den Status einer Filialkirche. Mit der Zeit wurde der Sakralbau für die größer gewordene Gemeinde zu klein. Und in den 1880er-Jahren begannen die Gemeindemitglieder eine Geldsammlung für die Errichtung eines neuen Gotteshauses.   

Ihm entsprechend wurden die Kirchen in allen Kolonien nach ein und demselben Projekt, das dem späten Klassizismus nahekam, errichtet und besaßen keine architektonischen Ausschweifungen. Nach Auflösung der regionalen Behörden zur Verwaltung der Kolonien 1871 verzichteten die Kolonisten einiger Dörfer auf das Kopieren der typischen Architekturprojekte im „bürokratischen Stil“ und nahmen die Leistungen städtischer Projektanten in Anspruch.

Die Gemeindemitglieder von Dinkel, die ihr Heimatdorf nicht für unbedeutend und provinziell hielten, hatten sich zum Bau eines für die Wolgadeutschen ungewöhnlichen Gotteshauses entschlossen, wobei sie den stilistischen Motiven der Neugotik den Vorrang einräumten. 1891–1894 wurde in der Kolonie eine neue Steinkirche im neugotischen Stil errichtet, die eine expressive Silhouette und ein üppiges Dekor besaß. Im Innern befanden sich Sitzbänke für 800 Betende. Am 3. Juli 1893 wurde das Kreuz auf die Kirchturmspitze aufgesetzt. Neben der Kirche befanden sich die Küsterei, eine Schule und ein Gebetshaus.

Einen geachteten Platz in den Kolonien hatte der Klerus eingenommen, der zum Wohle der Gemeinde wirkte und verdiente Hochachtung genoss. Der erste Pastor der Gemeinde – Friedrich Konrad Strenge(r) (1750–?) – war Doktor der Medizin und leistete seinen Gemeindemitgliedern unterschiedliche ärztliche Hilfe. Pastor Bernhard Wilhelm Litfass (1754–1825), der bis zum Eintreffen in Warenburg Rektor der Schule der Moskauer Sankt-Michael-Gemeinde war, wirkte lange 28 Jahre in der Gemeinde. Auf seine Initiative hin und mit der Genehmigung des Fürsorge-Kontors wurde 1806 „zu Gunsten der Kirche“ ein Reserve-Brotladen gebaut, und 1816 übereignete die Gemeinde dem Pastor als Zeichen der Würdigung seiner Arbeiten „ein Grundstück, das einst der Kirche gehörte“.

Im Kirchenspiel Warenburg, zu dem die Gemeinde Dinkel gehörte, wirkte eine ganze Dynastie von Pastoren mit dem Nachnamen Hölz. Zum Begründer der Dynastie wurde Pastor Franz Karl Hölz, der aus der Kleinstadt Wermelskirchen bei Köln nach Russland gekommen war und die Gemeinden des Kirchenspiels lange 49 Jahre bis zu seinem Tode 1883 seelsorgerisch betreute. Die letzten Jahre hatte der Sohn von Pastor Hölz – Karl Julius Hölz – zusammen mit seinem Vater im Kirchenspiel gewirkt. Er verstarb 1894 im Alter von 53 Jahren und hatte das Kirchenspiel dem dritten aus dem Geschlecht der Hölz – seinem jüngeren Bruder Karl Leopold Hölz, der im Kirchenspiel von 1884 bis 1909 wirkte – übergeben. Im Alter von 54 Jahren gab Karl Leopold aus gesundheitlichen Gründen seinen Dienst im Kirchenspiel auf und lebte bis zu seinem Tode 1913 in Warenburg.   

1910, mit Bildung des separaten Kirchenspiels Laub (Tarlyk), zu dem die Gemeinde Dinkel gehörte, erhielt das Kirchenspiel endlich einen eigenen Pastor. Zu diesem wurde Rudolf Woldemar Dalton Bereits im Februar 1912 wurde er nach Jagodnaja Poljana versetzt, und Dinkel blieb erneut ohne einen Pastor. Doch während seiner Amtszeit hatte es Pastor Dalton geschafft, im Kirchenspiel eine Webschule zu eröffnen.

Die letzten Pastoren, die im Kirchenspiel gewirkt hatten, wurden Repressalien ausgesetzt. Herbert Hugo Julius Günther (1891 – nach 1931), Sohn eines Pastors, war 1931 verhaftet, verurteilt und in ein Lager verbannt worden, wo er sich bis 1938 aufgehalten hatte. Eduard Seib (1872–1940) war das erste Mal 1922 unter der Anschuldigung des Verbergens von Kircheneigentum in der Zeit der Kampagne zur Beschlagnahmung von Kirchenwerten festgenommen worden. 1931 wurde er erneut unter dem Vorwurf antisowjetischer Tätigkeit verhaftet und in ein Lager am Aral verbannt. Emil Friedrich Busch (1870–1920) wurde in Smolensk ermordet.

Anfang der 1930er wurde im Land massenweise Gotteshäuser aller Konfessionen geschlossen. Vor Ort hatte man es vorgezogen, so schnell wie möglich die Gebetshäuser zu schließen, um nicht einer loyalen Haltung zur Religion – der Gegnerin der Sowjetmacht – bezichtigt zu werden. Die Kommission für Kultfragen beim Zentralen Exekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen beschloss am 14. Mai 1934 die Schließung der Kirche von Dinkel.

Am 15. September 1934 informierte die Kommission für Kultfragen beim Zentralen Exekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen, dass das Gebäude der Steinkirche im Dorf Dinkel bereits zu einem Kulturhaus umgewandelt worden sei, doch gebe es in der Kirche noch drei Glocken  mit einer Masse von 49 Pud (). Daher erfordere die Demontage der Glocke einer speziellen Behandlung.

Offiziell beendete die Kirche ihr Bestehen als Gotteshaus am 14. Mai 1938 gemäß einem Beschluss des Präsidiums des Zentralen Exekutivkomitees und des Obersten Sowjets der ASSR der Wolgadeutschen, da sich 448 von 595 Personen für ihre Liquidierung ausgesprochen hatten, obgleich die Gottesdienste schon früher nicht mehr in ihr zelebriert worden waren. Die Kirche in Dinkel gehörte zu den letzten vier lutherischen Kirchen des Wolgagebietes, die offiziell erst 1938 geschlossen wurden. Zusammen mit der Kirche in Dinkel hatten die Kirchen in Bauer (im Mai), in Vollmer (im Juni) und in Gnadentau (im Dezember) ihr Bestehen beendet.  

Liste der Pastoren des Kirchenspiels Warenburg, die in der Gemeinde Dinkel wirkten. 1770–1777 – Pohlmann. 1777–1785 – die Gemeinde hatte keinen Pastor. 1785–1788 – Friedrich Konrad Strenge(r). 1788–1797 – die Gemeinde hatte keinen Pastor. 1797–1825 – Bernhard Wilhelm Litfass. 1826–1833 – Friedrich August Wilhelm Schrötter. 1833–1883 – Franz Karl Hölz. 1866–1881 – Pastorengehilfe Karl Julius Hölz. 1883–1908 – Karl Leopold Hölz. 1909 – Andreas Gorne. 1909–1910 – Eduard Seib. 1910–1912 – Rudolf Woldemar Dalton. 1912–1918 – Eduard Seib. 1929–1931 – Herbert Hugo Julius Günther.

Bevölkerungszahl. 1767 lebten in Dinkel 166 ausländische Kolonisten. 1773 wurden 179 gezählt, 1788 – 187, 1798 – 269, 1816 – 333, 1834 – 585, 1850 – 900, 1859 – 1132, 1883 – 1917 und 1889 – 1949 Menschen. Laut Angaben der Allgemeinen Bevölkerungszählung des Russischen Reichs von 1897 lebten in Dinkel 1703 Menschen, von denen 1669 Deutsche waren. Mit Stand für das Jahr 1904 wurden im Dorf 2889 Einwohner gezählt, 1910 – 3224 Einwohner. Entsprechend den Angaben der Allrussischen Bevölkerungszählung von 1920 lebten 2564 Menschen im Dorf. Sie alle waren Deutsche. 1921 wurden im Dorf 92 Menschen geboren und verstorben sind 238. Gemäß den Angaben der Statistischen Gebietsverwaltung des Autonomen Gebietes der Wolgadeutschen wurden mit Stand vom 1. Januar 1922 in Dinkel 1592 Einwohner gezählt, darunter 1585 Deutsche. 1931 lebten in Dinkel 1864 Einwohner, davon 1850 Deutsche.

Das Dorf heute. Nunmehr das Dorf Tarlykowka des Kreises Rownoje im Verwaltungsgebiet Saratow. Im Dorf gibt es heute weder Deutsche, noch Lutheraner. Hier leben mehrere Hundert Moslems, viele sind kasachischer Nationalität. Am 20. September 2006 wurde in Tarlykowka die Luk-Pan-Hakim-Moschee mit einer Medrese feierlich eingeweiht. Errichtet wurde sie aus roten Ziegelsteinen in einem modernen Architekturstil, aber unter Wahrung der islamischen Traditionen. Bei der Medrese arbeitet ein kasachisches Kulturzentrum. Die Moschee wurde innerhalb von zwei Monaten mit privaten Mitteln des Aktivisten der Assoziation der Kasachen des Wolgagebietes Sansysbaj Kirischew errichtet.  

Die deutsche Kirche ist nicht bis in die heutigen Tage erhalten geblieben. Doch der erfahrene Blick eines Historikers und Erforschers der Baukunst der Russlanddeutschen wird sofort am Gebäude des heutigen Kulturhauses des Dorfes Tarlykowka innehalten. Hier befand sich früher das Schul- und Gebetshaus. Das Holzgebäude wurde auf einem Ziegelfundament erbaut und heute mit weißen Ziegeln verkleidet. Neben dem Gebäude des ehemaligen Schul- und Gebetshauses ist ein deutsches Holzhaus erhalten geblieben, in dem der Schulmeister wohnte. Mit Stand von 2010 arbeiteten in der allgemeinbildenden Mittelschule des Dorfes Tarlykowka sechs Lehrer, die 148 Schüler unterrichteten.  

Ein bemerkenswertes Beispiel für die neugotische Architektur – die deutsche Steinkirche – ist bis auf die Grundmauern vernichtet worden. Die Ziegelsteine, aus denen das Gotteshaus errichtet worden war, wurden als Baumaterialien verwendet. Die Kirche, die unbestrittenermaßen eine Zierde nicht nur von Dinkel war, sondern auch als eine der schönsten im Wolgagebiet galt, befand sich auf dem einstigen zentralen Platz. Der Grundriss des alten Platzes lässt sich heute auf dem leeren Territorium erahnen, das an der durch das Dorf Tralykowka verlaufenden Trasse Samara–Wolgograd liegt, die es in zwei Teile zerschneidet.  

Auf dem heutigen christlichen Friedhof von Tarlykowka sind wie durch ein Wunder einige deutsche Grabmäler aus dem 19. Jahrhundert erhalten geblieben. Das ist wohl eine der wenigen Ortschaften des Gebietes Saratow, wo man sich noch zumindest ein gepflegtes und eingezäuntes Grab eines deutschen Kolonisten anschauen kann. In Tarlykowka handelt es sich dabei um das Grab von Jakob Wilhelm Müller, Jahrgang 1799, der 1883 verstarb. Auf dem Grab des Kolonisten wurde ein Denkmal aus schwarzem Marmor errichtet, das in der Werkstatt des bekannten Meisters M. Lwow in der Stadt Rybinsk (heute im Verwaltungsgebiet Jaroslawl) gestaltet wurde.   

Mit Vergnügen erzählen die Einwohner von Tarlykowka den Besuchern Legenden, die mit diesem Grabmal verbunden sind: „… Das Denkmal ist ein lebendiges und verteidigt sich selbst“. Die populärste ist eine Geschichte, die die Einwohner von Tarlykowka wiedergeben, wobei sie auf eine beschädigte Kante des Denkmals zeigen. Dieser Legende zufolge hatten einmal Diebe, die sich einen Kran beschafft hatten, in einer dunklen Nacht versucht, das Denkmal vom Sockel loszureißen und wegzuschaffen. Die Anschlagmittel rissen ab, und einer der Vandalen kam unter dem Ausleger des Krans ums Leben. Wie dem nun auch sei: Ungeachtet der abgeplatzten Fragmente ist das Grabmal auch heute eines der besten auf dem Friedhof, wobei es alle heutigen Grabsteine und Grabmale durch seine Schönheit und Erhabenheit übertrifft. Interessant ist die Tatsache, dass selbst in den schneereichsten Wintern stets ein Pfad zu ihm führt. Die anderen deutschen Grabsteine und Grabmäler des 19. Jahrhunderts haben stark unter Vandalismus gelitten, sind halbzerstört und über den Friedhof verstreut. Auf dem Friedhof sind auch Gräber von Russlanddeutschen aus der Nachkriegszeit erhalten geblieben.    

INHALT

Archive

Staatliches Archiv des Verwaltungsgebiet Saratow. F. 180. Op. 1. D. 4942, 7748, 10226, 13131; Op. 4. D. 35; Staatliches historisches Archiv der Wolgadeutschen. F. 1. Op. 1. D. 3076. L 52; F. 244. Op. 1. D. 1–3. F. 849. Op. 1. D. 890. L. 20, 77; F. 1831. Op. 1. D. 299. L. 14.

Literatur

German, A. A. Nemeckaja avtonomija na Volge. 1918–1941. Čast’ II. Avtonomnaja respublika. 1924–1941. (Die deutsche Autonomie an der Wolga. 1918–1941. Teil II. Die Autonome Republik. 1924–1941.) – Saratow, 1992–1994; Ditc, Ja. Istorija povolžskich nemcev-kolonistov (Geschichte der Wolgadeutschen-Kolonisten). – M., 1997; Knjazeva, E. E., Solov’eva, F. Ljuteranskie cerkvi i prichody ХVIII – ХХ vv. Istoričeskiy spravočnik (Lutherische Kirchen und Kirchenspiele des 18.–20. Jh. Historisches Handbuch). – Sankt Petersburg, 2001. Teil I;  Amburger, E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, Erlangen, Lüneburg, 1998; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 1. Kolonien Anton – Franzosen. Göttingen: Göttinger Arbeitskreis, 1999; Deutsche Volkszeitung. 11. Juli 1910. № 82; 30. September 1910. № 105. S. 2; 1. März 1912. № 18. S. 2; Nachrichten. 1937. 17. April; Nachrichten. 1937. 20. März..

Autoren: Lizenberger O.A.

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