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NEU-WARENBURG (Nowo-Priwalnoje, Neu-Priwalnoje), heute Dorf Nowopriwolnoje, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie am linken Wolga-Ufer

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
с. Новопривольное. Немецкая архитектура. Фото Е. Мошкова. 2010 г.
с. Новопривольное. Жилой дом. Фото Е. Мошкова. 2010 г.
с. Новопривольное. Мечеть. Фото Е. Мошкова. 2010 г.
с. Новопривольное. Жилой дом начала ХХ в. Фото Е. Мошкова. 2010 г.
с. Новопривольное. Типичный немецкий дом с вальмовой крышей и слуховым окном. Фото Е. Мошкова. 2010 г.

NEU-WARENBURG (Nowo-Priwalnoje, Neu-Priwalnoje), heute Dorf Nowopriwolnoje, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie am linken Wolga-Ufer. Lag 73 Werst südlich von Pokrowsk, 19 Werst von der Mutterkolonie Alt-Warenburg (Warenburg, heute Dorf Priwolnoje, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow), 530 Werst von Samara, 100 Werst von Saratow, 198 Werst von der Ujesd-Stadt Nowousensk an einer Handelsstraße aus Saratow ins Gouvernement Astrachan. Gehörte von 1871 bis Oktober 1918 zur Wolost (Amtsbezirk) Tarlyk, Ujesd Nowousensk, Gouvernement Samara.

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolga-Deutschen und Durchführung einer Verwaltungsreform von 1922 war das Dorf Neu-Warenburg Verwaltungszentrum des Dorfrates Neu-Warenburg, Kanton Seelmann. 1926 г. gehörte zum Dorfrat Neu-Warenburg nur das Dorf Neu-Warenburg.

Die deutsche Kolonie Neu-Warenburg wurde 1855 gegründet. Die Ursache für die Gründung von Tochtersiedlungen war der Mangel an Grund und Boden für die Bewohner von Mutterkolonien. Laut Angaben in den Listen von Kolonien ausländischer Ansiedler bei der 8. Bevölkerungsprüfung wurden den Kolonisten von Warenburg jeweils 15 Desjatinen Land pro Person männlicher Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Während die Gesamtzahl der Bewohner von Warenburg im Jahr 1834 1766 Menschen ausmachte, lebten im Dorf im Jahr 1850 bereits 2836 Menschen. Laut der Bevölkerungsprüfung von 1857 machte der Pro-Kopf-Bodenanteil lediglich ca. 6 Desjatinen Anteilland. Der Mangel an Grund und Boden führte zu mehrmaligen Versuchen der Kolonisten, Tochterkolonien zu gründen. So entstand mit der Genehmigung des Fürsorgekontors auch die Kolonie Neu-Warenburg.

Trotz der Gründung einer Tochtersiedlung hörten die Bemühungen der Kolonisten, sich außerhalb ihrer Siedlungen niederzulassen, nicht auf. So wurde 1861 vom Fürsorgekontor für ausländische Ansiedler die Frage über eigenmächtige Umsiedlung von Kolonisten aus Warenburg in den Kaukasus erörtert. 1861 sollte die eigenmächtige Umsiedlung der Kolonisten laut einem Erlass des Fürsorgekontors der Landstreicherei gleichgesetzt und hart bestraft werden. Jedoch waren die Kolonisten nicht aufzuhalten. 1866 wurden Ermittlungen durchgeführt und den Kolonisten schriftliche Bestätigungen abgenommen, dass sie über das Verbot des Umzugs in den Kaukasus informiert wurden. Daher bevorzugten die meisten Kolonisten, sich in der Tochterkolonie Warenburg niederzulassen.

Ihren Namen und die Ableitungen davon erhielt die Kolonie Neu-Warenburg nach dem Namen ihrer Mutterkolonie. Nach der Gründung erhielt die Tochterkolonie das Präfix „Neu-“ und die Mutterkolonie hingegen das Präfix „Alt-“. Später wurde der gleiche Name einem Vorwerk der Gesellschaft Priwalnyj gegeben, das 1902–1903 im Ujesd Nowousensk, Amtsbezirk Tarlyk, 63 Werst südöstlich von Pokrowsk gegründet wurde und 1926 202 Einwohner hatte.

Die meisten Bewohner von Neu-Warenburg, ähnlich wie die der Mutterkolonie, betrieben Ackerbau. Die Siedler spezialisierten sich auf den Anbau von Weizen, jedoch machten auch die Roggen-Saatflächen ca. ein Drittel der Weizenfelder aus. Von riesengroßer Bedeutung für die Entwicklung der Landwirtschaft waren die Natur- und Klimabedingungen. Der Boden rund um die Siedlung war sandig und salzhaltig. Der Ackerbau hatte eine Gemeindeform, 1885–1887 wurde im Ackerbau das Dreifeldsystem eingeführt. Viele Kolonisten bevorzugten es, nicht ein einziges Landanteil, sondern je zwei oder drei Anteile zu bearbeiten.

Kontinuierliche Landarbeiten bewogen die Kolonisten zur Modernisierung der Landwirtschaft, die Besitzer größerer Haushalte besaßen modernisierte Ackerbauwerkzeuge, die sie selbst anfertigten oder aus anderen deutschen Kolonien bezogen. Von den meisten Kolonisten wurden jedoch primitive Bodenbearbeitungswerkzeuge eingesetzt. Während die Bodenbearbeitung in der 2. Hälfte des 19. Jh. pferdebespannt erfolgte, wurden im Ackerbau seit Anfang des 20. Jh. zu diesem Zweck auch Kamele eingesetzt.

In den 1920er Jahren verfügte Warenburg über eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, einen genossenschaftlichen Verkaufsladen, es wurde eine Lesestube eröffnet und der Kolchos (die Kollektivwirtschaft) „Vorwärts“ gegründet. Im September 1941 wurden die Deutschen aus Neu-Warenburg deportiert, seit 1942 hat das Dorf den Namen Nowopriwolnoje.

Schule und Ausbildung der Kinder. Die Kirchenschule wurde im Dorf zum Zeitpunkt dessen Gründung eingerichtet. Der Gottesdienst fand im einheitlichen Schul- und Bethaus statt. 1903 wurde ein neues Schul- und Bethaus aus Holz errichtet. In der Kirchenschule wurden die Kinder vom 7. bis zum 15. Lebensjahr unterrichtet. Die Kirchenschulen verfolgten in erster Linie das Ziel, die junge Generation im Bereich des Glaubens zu unterweisen. In der Schule gab es Religionsunterricht, darüber hinaus wurden Kirchengesang, Lektüre der kirchlichen und weltlichen Literatur, Schreiben, Arithmetik unterrichtet, Grundkenntnisse über die Weltgeschichte vermittelt. Der Lesestoff hatte in der Regel religiösen Inhalt. Der Unterricht wurde von Küstern-Schulmeistern erteilt und dauerte von 8.00 bis 11.00 Uhr vormittags und vom 14.00 bis 16.00 nachmittags. In den Jahren der Sowjetmacht wurde die Kirchenschule geschlossen und in eine Grundschule mit 4. Klassen umgewandelt.

Konfessionelle Bindung der Einwohner und Kirche. Die Kolonisten gehörten zur evangelisch-lutherischen und reformierten Kirche. Die Gemeinde Neu-Warenburg gehörte zum evangelisch-lutherischen Kirchenspiel Warenburg (Priwalnoje, Alt-Warenburg), die bereits 1770 gegründet wurde. Ferner gehörten zum Kirchenspiel die Gemeinden Straub (Skatowka), Dinkel (Tarlykowka), Laub (Tarlik). 1904 zählte das Kirchenspiel Warenburg 16 573 Kirchengänger.

Das Dorf hatte kein gesondertes Kirchengebäude. Lange Zeit wurde der Gottesdienst im Schulgebäude abgehalten, das in Neu-Warenburg in den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie entstand. 1903 wurde im Dorf ein neues Schul- und Bethaus aus Holz errichtet. Es hatte den Status einer Außenstelle und konnte der Kirche von Alt-Warenburg als einem Kunstwerk der deutschen Baukunst aus architektonischer Sicht kaum Konkurrenz machen. Dabei war das rechteckige Kirchengebäude recht geräumig, hatte einen niedrigen Glockenturm mit zwei Glocken und vergrößerte Fenster.

Drei in dem Kirchenspiel zuletzt tätige Pastoren wurden Repressalien ausgesetzt: Herbert Hugowitsch Günter (1891 – nach 1931), Sohn eines Pastors, wurde 1931 verhaftet, verurteilt und ins Lager geschickt, in dem er bis 1938 bleiben musste. Eduard Seib (1872–1940) wurde das erste Mal 1922 wegen Hehlerei des Kirchenvermögens in den Jahren einer Kampagne der Konfiszierung kirchlicher Wertgegenstände verhaftet. 1931 wurde er erneut verhaftet, wegen antisowjetischer Tätigkeit angeklagt und in ein Lager am Aralsee geschickt. Der Pastor Emil Friedrich Busch (1870–1920) wurde 1920 in Smolensk ermordet. 

In dieser dramatischen Zeit wurden Tausende Kultgebäude aller Konfessionen von den Bolschewiken geplündert, ruiniert und geschlossen. 1931 erhielt das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen geheime Informationen von der Regionalkommission zur Behandlung religiöser Fragen, denen zufolge die Kirche im Dorf zu jenem Zeitpunkt noch nicht geschlossen worden war und in der Kirchengemeinde 346 Gläubige gezählt wurden, von denen 10 zur Kategorie derjenigen gezählt wurden, denen die politischen Rechte aberkannt worden waren.

Am 15. September 1934 wurde von der Kommission für Kultfragen beim Zentralen Exekutivkomitee der ASSR der Wolga-Deutschen ans Präsidium der ASSR der WD eine Nachricht darüber übermittelt, dass das Holzgebäude des Bethauses in Neu-Warenburg von den Gemeindemitgliedern nicht mehr genutzt war und über zwei Glocken mit einem Gesamtgewicht von 11,5 Pud verfügte, so dass die Frage nach dem Umbau des Gebäudes und Abnahme der Glocken besonderer Erörterung bedarf. Am 4. April 1935 wurde das Bethaus auf Verordnung des Präsidiums des Zentralen Exekutivkomitees offiziell geschlossen, weil sich die meisten Mitglieder der Kirchengemeinde dafür ausgesprochen hätten.

Liste der in der Gemeinde Neu-Warenburg tätigen Pastoren des Kirchenspiels Warenburg. 1833–1883 – Franz Karl Hölz, 1866–1881 – Pastorenassistent Karl Julius Hölz, 1883–1908 – Karl Leopold Hölz, 1909–1918 – Eduard Seib, 1909 – Andreas Gorne, 1929–1931 – Herbert Günter.

Bevölkerungszahl. Laut den Angaben der Volkszählung von 1897 lebten in Neu-Warenburg 840 Menschen. 1910 waren es 873 Menschen. Laut Angaben der Gesamtrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Neu-Warenburg 727 Menschen, sie alle waren Deutsche. 1921 kamen im Dorf 27 Menschen zur Welt, 87 Menschen verstarben. Laut den Angaben der Statistikverwaltung des Autonomen Gebiets der Wolga-Deutschen lebten in Neu-Warenburg am 1. Januar 1922 insgesamt 532 Einwohner, 1923 waren es 534. Laut der Volkszählung von 1926 machte die Gesamtbevölkerung des Dorfes 604 Menschen aus, davon 602 Deutsche. 1931 waren alle 883 Einwohner des Dorfes Neu-Warenburg Deutsche.

Das Dorf heute. Nunmehr das Dorf Priwolnoje, im Rayon Rownoje, Gebiet Saratow. Heute ist kaum etwas zu sehen, was hier an eine deutsche Kolonie erinnern würde. Im Dorf sind keine erwähnungswerten Objekte der deutschen Bauweise erhalten geblieben. Anstelle eines deutschen Friedhofs liegt ein Feld, wo nur kleine Höcker zu sehen sind. Von drei Straßen, die sich vor der Revolution den Wolga-Ufer entlang zogen, besteht nur eine. Flächenmäßig macht das heutige Dorf weniger als ein Viertel seiner Vorrevolutionsgröße aus. Zwei weitere Dorfstraßen, die es vor der Revolution gab, wurden von der Zeit ebenfalls nicht verschont: In den letzten Jahrzehnten gingen sie unter Wasser. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Wolga-Wasserkraftwerks (1950–1961) und Einrichtung des Wolgograder Stausees, dessen Wasserfüllung 1958–1961 erfolgte, hob sich der Wasserspiegel der Wolga um mehrere Meter, was die Überflutung des strandnahem Teils des Dorfes zur Folge hatte.

Das Gebäude des lutherischen Bethauses existiert ebenfalls nicht mehr. 2000 fand in Nowopriwolnoje die Grundsteinlegung für eine Moschee statt. Die Errichtung einer Moschee mit einer Fläche von 180 qm erfolgte durch gemeinsame Bemühungen der Geistlichen Verwaltung der Muslime des Wolga-Gebiets, der gesellschaftpolitischen Organisationen „Muslime Russlands“ und lokalen moslemischen Gemeinde. Am 4. Juli 2002 fand die feierliche Eröffnung der Moschee statt. 

INHALT

Archive

ГАСО. Ф. 180. Оп. 4. Д. 23, 35; Ф. 637. Оп. 30. Д. 7–9; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 77; Д. 1263. Л. 1.

Literatur

Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII–ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Немцы России: населенные пункты и места поселения: энциклопедический словарь / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2006; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Stumpp K. Verzeichnis der ev. Pastoren in den einzelnen deutschen und gemischten Kirchspielen in Russland bzw. der Sowjetunion, ohne Baltikum und Polen // Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. Evangelischer Teil. Bearbeitung J. Schnurr. – Stuttgart, 1978.

Autoren: Lizenberger O.A.

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